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3. Wurzeln 3.1 Ecocriticism

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Der Ecocriticism als kulturwissenschaftlicher Forschungsansatz bietet die Chance, mittels Analysen von Literatur und anderen Medien, die einen Fokus auf Umwelt-, Natur- und Nachhaltigkeitsthemen setzen, Texte ökologisch lesbar werden zu lassen. Durch die Übertragung des von Ernst Haeckel 1866 geprägten Begriffs ‚Ökologie‘, der sich ursprünglich auf den naturwissenschaftlichen Bereich (Biologie, Chemie, Physik, Geographie) bezog, erweitert der Ecocriticism das gesellschaftliche und kulturelle Verständnis des Natur-Kultur-Verhältnisses. Er geht von der Grundfrage aus zu klären, wie Kultur, Literatur und Sprache an der Gestaltung von Natur beteiligt sind. In diesem Beitrag ist es kaum möglich, das mittlerweile umfangreiche Forschungsgebiet angemessen zu skizzieren1, deshalb seien an dieser Stelle nur die wichtigsten Entwicklungslinien hervorgehoben, welche die große Bedeutung des Ecocriticism für die kulturökologische Literaturdidaktik unterstreichen. Heute ist es nicht nur in der Schule, sondern bereits im Elternhaus oder in der außerschulischen Bildung wichtig, kritisches Denken in Bezug auf Nachhaltigkeitsfragen bei jungen Leserinnen und Lesern zu fördern, indem sie lernen, Texte ökologisch zu deuten und das darin vorhandene Handlungspotenzial zu erkennen.

Als eine der Pionier*innen machte Karen Glotfelty früh darauf aufmerksam, dass der Ecocriticism drei Stadien umfasst: Erstens, Forschung zu literarischen und medialen Naturbildern, die bewusstseinsbildend wirken. Zweitens, Forschung zur literarischen Tradition, um „vergessene“ Texte neu zu entdecken und zu bewerten. Und schließlich drittens, Forschungen, welche die Bedeutung der Poesie für das Naturverständnis intensiv herausarbeiten (vgl. Glotfelty 1996, 28f). Besonders das erste Stadium, die Bewusstsein bildende Funktion von literarischen Naturbildern, nahm auf die Entwicklung der kulturökologischen Literaturdidaktik beträchtlichen Einfluss. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass sich der Ecocriticism zunächst an lehrerbildenden Universitäten entwickelte (vgl. Garrard 2012, 1) und dass seine Fragestellungen ursprünglich aus einem pädagogisch-didaktischen Kontext stammen: Welche Rolle spielt Literatur für die kulturelle Evolution und das Überleben der Menschheit, ist ökologisches Verstehen durch Literatur überhaupt möglich und wenn ja, dann auf welche Weise?

Der sogenannte First Wave-Ecocriticism, dominiert von didaktischen Zielen und an Praktiken der Literaturvermittlung orientiert, hat sich über zwei weitere „Wellen“ zu einem Sprache, Text und Interpretation verbindenden „Palimpsest“ entwickelt. Diese von Hubert Zapf geprägte Metapher konturiert Verfahren des Über- oder Neu-Schreibens, welche kreativ und mit der Literaturdidaktik eng verknüpft sind (vgl. Zapf 2016, 7). Der First-Wave-Ecocriticism widmete sich zugleich intensiv der Frage, ob, inwiefern und wie ökologisches Verstehen durch Literatur lehr- und lernbar ist. Dabei problematisierte er nicht nur überlieferte Dichotomien wie die zwischen Mensch und Kultur bzw. Mensch und Natur, sondern warf die Frage auf, wie es eigentlich dazu kam, Natur vor allem als eine restlos ausbeutbare Ressource zu sehen – und es ist dieses Denken und Verhalten, das maßgeblich zu der gegenwärtigen Natur- und Umweltkrise beigetragen hat und sich jetzt dringend wandeln muss.

Deshalb ist die Weiterentwicklung des Ecocriticism als Kulturtheorie, mit der sich die Didaktiken kultureller Fächer verknüpfen lassen, dringender denn je. Heute ist der Ecocriticism ein dynamischer und sich ständig verändernder Wissenschaftsbereich, der nicht nur in der Germanistik die Sicht der literarischen Umweltbetrachtung verändert (vgl. Bühler 2016, 46) und die Theorien und Praktiken der Literaturvermittlung beeinflusst hat. Zusammen mit dem umweltpolitischen Programm einer Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) hat der Ecocriticism in seinen übergreifenden, didaktisch-methodischen Auswirkungen viele Inhalte und die Lehr- und Lernmethoden des Deutsch- und Literaturunterrichts verändert.

Kulturelle Nachhaltigkeit lernen und lehren

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