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8. Relevanz von Erzählungen im Kontext von BNE und schulischer Werteerziehung
ОглавлениеIn der narrativen Gestaltung von Fragen des Anthropozäns kann ausgehend vom Fach Deutsch eine umfassende BNE gestaltet werden, die bisherige Denk- und Handlungsroutinen verändert und transformative Lernprozesse in Gang setzt. Dies konnte die Verschränkung der fachspezifischen mit den BNE-spezifischen Kompetenzen am Ende der vorgestellten Konkretionen zeigen. Dabei wurde deutlich, dass Erzählungen im Sinne narrativer Ethik nicht nur ein Ausdrucksmedium, sondern ein Modus der Selbst- und Welterkenntnis sind. Sie haben didaktische Funktion und können durch einen ganzheitlichen Weltzugang Reflexionsprozesse initiieren, Überzeugungen und Handlungsweisen auf den Prüfstand stellen. Schulische Werteerziehung nimmt diesen implizit enthaltenen Bildungsanspruch auf und fokussiert die Förderung kritischer Rezeptionsfähigkeit (vgl. dazu Anselm 2019; Bär 2019). Hierfür sind Klassenzimmer als Reflexionsräume wertvolle Orte, in denen diskursive Aushandlungsprozesse stattfinden können und sollen. Denn Erzählungen bieten die Möglichkeit, Handlungs- und Wertungskonflikte in einer ganz spezifischen Weise zur Sprache zu bringen. Dies wird allein schon durch die Gestaltung der Erzählungen mit einem häufig offenen Ende deutlich, welche die Entscheidungen zu den thematisierten Fragestellungen an die Rezipierenden zurückgeben. Erzählungen fungieren didaktisch gewendet als „geschützter Lernraum“ (Zimmermann 2021, 78), in dem den Lesenden bzw. Lernenden eine aktive Reflexionsrolle zukommt, weil ihre ethische Urteilskompetenz eingefordert wird.
Die Auseinandersetzung mit Erzählungen hat das Ziel, Lernende zu befähigen, ihre eigene – und damit verbunden auch die gesellschaftliche und globale Entwicklung – zukunftsfähig zu gestalten. Ihnen soll dadurch die Möglichkeit an die Hand gegeben werden, sich die Werte, Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen, die für eine zukunftsfähige Gestaltung des eigenen Lebens und der Gesellschaft im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung notwendig sind (vgl. DUK 2011, 7). Eine transformativ gedachte BNE regt Lernende und Lehrende gleichermaßen zur gesellschaftlichen Teilhabe an (vgl. WBGU 2011, 24) und strebt angesichts der gegenwärtigen ökosozialen Umbruchprozesse danach, Lernende darauf vorzubereiten und zu befähigen, Handlungsoptionen systemisch zu verstehen, Herausforderungen kritisch zu reflektieren sowie sich ihnen situationsspezifisch zu stellen (vgl. Stoltenberg & Holz 2017).
Daraus ergibt sich eine zentrale Rolle für Bildungsakteur*innen, die zwar nicht die gesellschaftlich, politisch, wirtschaftlich oder kulturell bestehenden Probleme des 21. Jahrhunderts zu lösen haben, gleichwohl aber aus einer bildungstheoretischen Logik heraus „dem kollektiven Ziel der Erhaltung eines sicheren Handlungskorridors für die Menschheit“ (Hoiß 20019, 18) verpflichtet sind. Lehrende sind dabei nicht nur „ausführende Instanzen“ (Hoiß 2020, 165); wie die Lernenden auch „sind sie selbst Suchende nach einer resonierenden Positionierung“ (ebd.) im Denkrahmen des Anthropozäns, der nicht nur ein neues Rollenverständnis von Lehrpersonen (im Fach Deutsch) fordert, sondern auch die Möglichkeit eröffnet, die Funktion von Bildung zu reflektieren. Sie wird als menschliche Überlebensstrategie im Anthropozän verstanden:
Sieben und mehr Milliarden Individuen werden ab jetzt die Aufgabe haben, das Weiterleben unserer Gattung mit unserer einzigen Erde zu gewährleisten und zu gestalten. Ein hohes Maß an Bildung/Wissen/Kompetenz aller Menschen – und nicht nur von Eliten – ist dafür die Hauptvoraussetzung. Statt ‚Bildung‘ könnte man dazu ebenso gut und aufgabengerecht sogar besser ‚Menschheitserhaltungskompetenz‘ sagen.“ (Rosa 2017, 76)
Es zeigt sich damit ein Paradox: Während bislang der Mensch Überlebensstrategien benötigte, um gegen eine übermächtige Natur bestehen zu können, braucht er jetzt Kompetenzen, „um in Anbetracht seiner neuen Rolle als geologischer Faktor bestehen zu können und sich nicht selbst auszurotten“ (Hoiß 2019, 250). Darum ist die zentrale Aufgabe der Schule nicht zuletzt darin zu sehen, Bildungsprozesse anzuregen, innerhalb derer sich entsprechende Kompetenzen ausbilden können. Eine entscheidende Vermittlungsleistung kommt hierbei dem Storytelling als didaktisch reflektiertem Konzept zu: Erzählungen sind für eine Pädagogik des Narrativen relevant (vgl. dazu Saupe & Leubner 2017), wobei ein verantwortungsvoller Umgang mit ihnen Voraussetzung, Methode und Lernziel zugleich ist.