Читать книгу Corona-Stories - Группа авторов - Страница 10

KAI BRODERSEN: GELASSENHEIT

Оглавление

Unter Kaiser Mark Aurel wütete die Pest im Römischen Reich – und der Arzt Galenos sorgt sich um den Verlust seiner Bücher.

»Ich habe Deinen Brief erhalten, in dem Du mich einlädst, Dir zu zeigen, welche Art von Training, welche Argumente oder welche Überlegungen mich darauf vorbereitet haben, nie verdrossen zu sein. Du hast ja gesagt, dass Du persönlich zugegen warst und mich beobachtet hast, als ich während eines großen Ausbruchs der mehrjährigen Seuche fast alle Sklaven, die ich in der Stadt Rom hatte, verlor, und dass Du gehört hattest, mir sei so etwas bereits früher geschehen, als ich drei- oder viermal so große Verluste erlitten hatte, und Du hast gesagt, dass Du mich nie im geringsten bewegt gesehen hast. Aber das, was mir gerade geschehen ist, übertrifft alles, was ihm vorangegangen war, da in dem großen Feuer alles, was ich in den Magazinen an der Heiligen Straße verwahrt hatte, zerstört worden ist.«

192 n. Chr. hatte auf dem Forum Romanum ein Brand gewütet, der auf die besonders gesicherten staatlichen Magazine an der Heiligen Straße übergegriffen und dort auch die von Privatleuten zur Sicherheit deponierten Wertsachen vernichtet hatte. Einer der von der Katastrophe Betroffenen war der berühmte Arzt Galenos, einer der bedeutendsten Intellektuellen im Rom des 2. Jahrhunderts n. Chr. Im Jahr 129 n. Chr. in der alten griechischen Kulturstadt Pergamon (Bergama in der heutigen Türkei) als Sohn eines Architekten geboren, erhielt er die für Söhne aus den höheren Kreisen übliche gute Schulbildung und studierte dann Medizin in Pergamon, im griechischen Smyrna (Izmir in der heutigen Türkei), in Korinth in Griechenland und in der Wissenschaftsmetropole Alexandreia in Ägypten. 157 kehrte Galenos als Gladiatorenarzt nach Pergamon zurück, verließ die Stadt aber vier Jahre später wieder, um in der Hauptstadt des Römischen Reichs Karriere zu machen, was ihm auch gelang. Nachdem er 166 noch einmal nach Pergamon zurückgekehrt war, lud ihn Kaiser Marcus Aurelius Antoninus (Mark Aurel, Kaiser 161–180 n. Chr.) ein, zu ihm und seinem Sohn Lucius Verus (Mitregent 161–169 n. Chr.) nach Aquileia in Norditalien zu kommen, in das Hauptquartier eines Kriegs der Römer gegen die Quaden und Markomannen. Als Galenos sich im Jahr darauf auf die Reise machte, war der Kaiserhof aber nach Rom zurückgekehrt, wohin nun auch Galenos zog und wo er von nun an als hochberühmter Arzt und Pharmazeut und als produktiver Gelehrter wirkte; auch dem Commodus (Kaiser 182–192 n. Chr.) diente Galenos als Arzt. Wohl erst in den 220er-Jahren n. Chr. starb er hochbetagt in Rom.

Galenos’ Schrift über die Unverdrossenheit, aus der die Zitate in diesem Beitrag stammen, ist erst vor wenigen Jahren wiederentdeckt worden und inzwischen auch in einer zweisprachigen Ausgabe zugänglich (Galenos, Die verbrannte Bibliothek, Wiesbaden 2015). Sie zeigt, wie Galenos sich als Gelehrter präsentiert, der auf Verluste gelassen reagierte. Zu den unwiederbringlichen Schätzen, die Galenos bei dem Feuer auf dem Forum verlor, gehörte neben vielem anderen, vor allem Büchern, auch eine Sammlung von Rezepten eines alten Arztes aus Pergamon: »Als ich zum ersten Mal nach Rom kam, in meinem 33. Lebensjahr, fand ich einen Mitbürger und Mitschüler namens Teuthras, der bereits in der Stadt lebte. Er hatte die Pergamente erhalten, die dem Mediziner Eumenes gehört hatten, der auch aus Pergamon stammte und ein Liebhaber vieler Arzneien unter allen Medizinern war. Diese Pergamente waren an einem Ort aus der ganzen Welt während seiner Reisen gesammelt worden, bevor er sich bis zu seinem Tod in Rom niedergelassen hatte. Diese Pergamente überließ mir Teuthras, der gleich beim Ausbruch der Seuche starb, kurze Zeit nach dem, was ich eben meine erste Ankunft in Rom genannt habe.«


Gleich zweimal also, beide Male en passant, nennt Galenos »die Seuche« in Rom, die nach Marcus Aurelius Antoninus als »Antoninische Pest« bekannt ist und gelegentlich auch »Pest des Galenos« genannt wird: einmal als selbst durch Besitzverlust Betroffener, einmal als junger Arzt, der eine wertvolle Rezeptsammlung von einem an »der Seuche« verstorbenen Kollegen übernommen hat. Was war geschehen? Meist liest man, dass von einem Feldzug im Orient heimkehrende Soldaten eine Seuche nach Rom gebracht hätten: Lucius Verus hatte nämlich von 162 n. Chr. an einen Krieg gegen die Parther geführte; 165 n. Chr. war die am Tigris gelegene Doppelstadt Seleukeia-Ktesiphon (heute Tisfun, etwa 20 km südöstlich von Bagdad im Irak) erobert worden. Wie ein späterer Autor, Ammianus Marcellinus (Historien 23,6,24) berichtet, brachte man den Ausbruch der Seuche mit dieser Eroberung in Verbindung: »Aus einer Art Schrein, der von den ›arcana‹ (Geheimnissen) der Chaldäer verschlossen worden war, brach die ›labes primordialis‹ (der ursprüngliche Schaden) hervor, die, nachdem sie die Gewalt unheilbarer Krankheiten erzeugt hatte, zur Zeit des gleichen Lucius Verus und des Marcus Aurelius Antoninus alles mit Ansteckung und Tod verseuchte, von den Grenzen Persiens bis zum Rhein und bis nach Gallien.« Das Virus war jedoch, wenn wir Galenos’ en passant gemachter Angabe zum Tod des Teuthras an der Seuche bereits 161 n. Chr. folgen, schon lange vor der Einnahme von Ktesiphon bis nach Rom gelangt: Der Versuch, den fremden »Chaldäern« den Keim der Seuche anzuhängen, erweist sich angesichts der durch den Neufund von Galenos’ Werk belegten früheren Verbreitung in Rom als der xenophobe Versuch einer Schuldzuweisung.

Ob Reisende oder Soldaten ein Virus mit nach Rom gebracht hatten und wo es erstmals aufgetreten war, wissen wir also nicht, ebenso wenig, um welche Seuche es sich genau handelte. Man hat an die von einem Variolavirus verursachten Pocken gedacht, die erst 1980 (!) ausgerottet werden konnten, aber auch an die durch einen Morbillivirus ausgelöste Rinderpest, die sogar erst vor neun Jahren, 2011 – ebenfalls nach einer weltweiten Impfkampagne –, für ausgerottet erklärt wurde, während die daraus wohl im Mittelalter evolvierten Masern nach wie vor gefährlich sind. Als Arzt war Galenos selbst an der Beschreibung und lindernden Behandlung von Erkrankten beteiligt. Es ist freilich bemerkenswert, mit welcher Gelassenheit er in der eingangs zitierten Schrift mit der Seuche umgeht. Er erinnert 192 n. Chr. seinen Briefpartner daran, dass er »während eines großen Ausbruchs der mehrjährigen Seuche« fast alle Sklaven in seinem Haus in Rom verloren habe, nach dem Feuer nun aber sogar seine Bücher und Schätze (Sklaven gelten der Antike eben nur als Sachwerte), und er erwähnt den Tod eines Kollegen an der Seuche nur als Grund dafür, dass jener über wertvolle Rezeptbücher verfügt habe, die ihm zugutegekommen waren, aber nun ebenfalls Opfer der Flammen auf dem Forum geworden seien. Galenos’ in der Schrift über den Bibliotheksbrand zur Schau gestellte Gelassenheit gehört sich seiner Auffassung nach für einen Gelehrten, als der er sich präsentiert. Zugleich aber zeigt er – was allen, die Bücher lieben (und also Mitglied der wbg sind), einleuchten wird –, dass es sogar noch Schlimmeres als eine Seuche gibt: den Verlust der Bücher.

Kaiser Marcus Aurelius Antoninus (Mark Aurel), nach dem die Antoninische Pest benannt ist (Glyptothek München).

Fiktives frühneuzeitliches Porträt des Galenos


Corona-Stories

Подняться наверх