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FRANK GÖSE: DIE PEST VOR BERLIN!
ОглавлениеEin Vergleich des neuartigen Coronavirus mit den verheerenden Pestwellen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit erscheint schon angesichts der ungleich höher liegenden Todesraten der Pest-Infizierten auf den ersten Blick überzogen. Dennoch, die Wahrnehmung der Bedrohung, das Zurechtkommen mit den Ängsten und die gegen eine weitere Ausbreitung der Krankheit eingeleiteten Schritte weisen – neben gravierenden Unterschieden – durchaus ähnliche Muster auf.
Gemeinhin galt die Pest als die „Geißel der Menschheit“ schlechthin. Ihren besonderen Schrecken erhielt sie in der langlebigen Erinnerung vor allem in Verbindung mit der großen Pandemie in der Mitte des 14. Jahrhunderts, die aufgrund einiger Krankheitssymptome auch als der „Schwarze Tod“ etikettiert wurde.
Obschon die größten Opfer während der großen Pestwellen des Spätmittelalters zu beklagen waren, behielt diese Krankheit ihren realen Schrecken noch einige Jahrhunderte danach. Im frühen 18. Jahrhundert rollte aus Nordost- und Osteuropa eine neue Pandemie heran. Ihren Schwerpunkt hatte sie im Ostseeraum, die verheerenden Auswirkungen reichten aber bis Böhmen, Mähren, Ungarn, bis nach Österreich und in die Oberpfalz. Begünstigt wurde die rasche Ausbreitung durch den damals in diesen Gebieten tobenden Großen Nordischen Krieg (1700–1721), bei dem es – wieder einmal – um den Kampf um das „Dominium Maris Baltici“, die Vorherrschaft im Ostseeraum ging. Auch in Berlin, der preußischen Hauptstadt, deren Einwohnerzahl bis zu diesem Zeitpunkt auf etwa 55.000 angewachsen war, befürchtete man das Schlimmste. Und dies aus allzu verständlichen Gründen! Im fernen ostpreußischen Königsberg hatte die Pest bereits etwa schon ein Viertel der zuvor sich auf 40.000 Menschen belaufenden Bevölkerung gefordert. Die Stadt wurde im November 1709 streng abgeriegelt. In Danzig betrug der Aderlass gar fast die Hälfte.
Die Sanduhr als Attribut der Vergänglichkeit: Paul Fürst, Der Doctor Schnabel von Rom
Abbildung von der groszen Pest in Dantzig 1709
Doch der „Staat“ war in der damaligen Zeit nur bedingt handlungsfähig. Abgesehen davon, dass man trotz gewisser Kenntnisse über die Verbreitungsformen der Pest immer noch das Motiv der „Gottesstrafe“ im Sinne der damaligen Sündenökonomie bemühte und deshalb mitunter recht fatalistisch auf die Bedrohung reagierte, ließen sich wirkungsvolle Maßnahmen überdies aus einem anderen Grund nur schwerlich umsetzen. Das personelle Tableau der landesherrlichen Verwaltung reichte schlichtweg dafür nicht aus. Vieles, was heute wie selbstverständlich zu den staatlichen Aufgabenbereichen hinzugerechnet wird, lag damals noch in der Verantwortung der städtischen Kommunen und Dorfgemeinden. Ausgaben für die Infrastruktur, die Kranken- und Armenfürsorge oder das Bildungswesen mussten zum großen Teil aus den Stadtkämmereien und Gemeindekassen bzw. aus den kirchlichen Fonds bestritten werden. Zudem gestaltete sich der Informationsaustausch angesichts unbefestigter Straßen als sehr langsam.
Somit konnte das am 14. November 1709 vom preußischen König Friedrich I. erlassene „Pest-Reglement“ nur bedingt greifen, zumal den darin enthaltenen Bestimmungen eine gewisse Inkonsequenz eigen war: Zwar wurde der Besuch von Wirtshäusern und das Austragen von Tanzveranstaltungen als Stätten der „Völlerei und Unzucht“ untersagt, jedoch die Bevölkerung andererseits angehalten, in die Kirchen zu gehen, um den Predigten zu lauschen und Buße zu tun. Reisebeschränkungen, vor allem gegenüber „handelnden Juden“, die in gewisser Weise – wenn auch nicht mit solchen fürchterlichen Folgen wie im Spätmittelalter – zunächst als „Sündenböcke“ herhalten mussten, wurden zwar mit immer mehr Nachdruck erlassen. Jedoch sahen sich die zumeist von den Obrigkeiten „vor Ort“ organisierten und mit einer strengeren Grenzkontrolle beauftragten Landmilizen hier überfordert. Gerade den nach Ostpreußen, Hinterpommern und in die Neumark erfolgenden Zuzug aus den baltischen Gebieten und Polen, wo die Pest bereits seit einigen Jahren wütete, hoffte man durch solche Anordnungen wie die Kappung von Fährverbindungen über Grenzflüsse oder die Beseitigung von Schleichwegen entlang der Grenze zu unterbinden.
Unterdessen näherte sich die Pest unaufhaltsam der Mark Brandenburg, der Zentralprovinz des preußischen Staates. Am 3. August 1710 wurde der erste Pestfall in Prenzlau, der uckermärkischen Hauptstadt, registriert, worauf die Kommune durch Militär unter Quarantäne gestellt wurde. Innerhalb der Stadt sollten die Kranken gänzlich isoliert werden. Jedes Haus, in dem jemand an der Pest erkrankte, wäre nunmehr zu vernageln – eine besonders drastische Form der heute eher als „social distancing“ geläufigen Praxis. Insgesamt fielen zwischen August 1710 und Januar 1711 nach einem vom damaligen Stadtkämmerer geführten Verzeichnis 665 Menschen in Prenzlau der Pest zum Opfer. Die Toten begrub man in Ermangelung von Platz auf den Wällen. Erst ein Jahr später, im August 1711, wurde die Quarantäne wieder aufgehoben. In Berlin und anderen märkischen Städten hatte man unterdessen die Maßnahmen zur Eindämmung verschärft. So sollten an den Stadttoren wirksamere Kontrollen durchgesetzt werden. Doch ähnlich wie in „normalen“ Zeiten, in denen es genügend Möglichkeiten etwa für den Warenschmuggel gab, um der Akzise zu entgehen, kam es auch jetzt zu Nachlässigkeiten und Unterschleif. Die zur Durchreise geforderten „Gesundheitspässe“ ließen sich zum Beispiel von den Verantwortlichen gegen kleinere Bestechungssummen beschaffen. Die häufige Wiederholung der im „Pestreglement“ formulierten Forderungen in nachfolgenden Edikten kündet von deren mangelnden Durchsetzung.
Letztlich machte die Pest um Berlin einen Bogen. Ob dies zuvörderst auf die – ja nicht durchweg effizienten – Maßregeln zur Eindämmung zurückgeführt werden kann, wird man nicht mit Sicherheit beurteilen. Hemmend auf die weitere Verbreitung dürfte sich zum einen die vergleichsweise geringe Bevölkerungsdichte in den nordöstlichen Teilen der Mark Brandenburg ausgewirkt haben. Zum anderen gehörte diese Provinz nicht zu den vom Großen Nordischen Krieg heimgesuchten Gebieten. Denn die Heeresdurchzüge und Fluchtbewegungen der Zivilbevölkerung hatten natürlich die Ausbreitung der Pest maßgeblich befördert, was in jenen ost- und nordosteuropäischen Regionen, in denen dieser Krieg besonders wütete, beobachtet werden konnte.
Das königliche große Lazareth oder die Charité in Berlin; nach 1729.
Hat man aus den Erfahrungen mit dieser Pestwelle Schlussfolgerungen für das künftige Handeln gezogen? In der Tat wird man den damaligen Verantwortlichen durchaus Lerneffekte attestieren dürfen – auf gesamtstaatlicher wie auf lokaler Ebene gleichermaßen. Allerdings gingen diese aufgrund der noch lange bestehenden Unkenntnis über den Verursacher der Pest oftmals in ganz andere Richtungen. So wuchs in vielen Städten zum Beispiel die Sensibilität für hygienische Vorkehrungen, weil man noch lange der Auffassung anhing, die Pest würde sich durch „Miasmen“ verbreiten, die durch faulige Prozesse in Luft und Wasser entstünden.
Als besonders nachhaltig wirkte sich aber eine bis in unsere Zeit wirkende Entscheidung aus, die der preußische König Friedrich I. in seiner Residenz auf dem Höhepunkt der Pestgefahr getroffen hatte: Hier in Berlin wurde im Frühjahr 1710 vorsorglich ein „Pesthaus“ errichtet, das mit immerhin 400 Betten für damalige Verhältnisse einen beachtlichen Umfang einnahm und damit im Notfall einen vergleichsweise hohen Versorgungsgrad garantiert hätte. Pestkranke musste dieses Krankenhaus zwar glücklicherweise nicht aufnehmen, jedoch sollte es in der weiteren Berliner Medizingeschichte noch von sich hören lassen und bald über die preußische Hauptstadt hinaus ausstrahlen. Schon in seinem ersten Regierungsjahr veranlasste der 1713 auf den Thron gelangte König Friedrich Wilhelm I., später unter dem Beinamen „Soldatenkönig“ bekannt, nicht nur einen Ausbau dieser vornehmlich für Militärs gedachten Einrichtung zu einem für damalige Verhältnisse modernen Krankenhaus, sondern diese sollte fortan ebenso der Ausbildung des medizinischen Nachwuchses dienen. Auch einen Namen steuerte dieser Monarch, dem man nachsagte, „alles selber thun“ zu wollen, im Jahre 1727 für diese Institution bei: „Es soll das hauß die charité heißen.“