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6. Das unterschiedliche Konzilsverständnis in Ost und West

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Das ‚cyrillische‘ Konzil von Ephesus (431)

Auch wenn dieses Verständnis eines ökumenischen Konzils die Christen außerhalb des Imperium Romanum außer Acht ließ, hat sich die Sichtweise des Nicaenums als eines ökumenischen Konzils im vierten und fünften Jahrhundert in der Reichskirche des Imperium Romanum durchgesetzt (vgl. [1–6], S. 75–77). Für die weitere Kirchengeschichte ist bedeutsam geworden, dass das von Cyrillus von Alexandria dominierte (vgl. S. 32–33) (Teil)-Konzil von Ephesus (431) bestimmte, „dass es niemandem erlaubt sei, ein anderes Glaubensbekenntnis vorzubringen oder auch abzufassen oder zusammenzustellen als das, welches von den in Nicaea mit dem Heiligen Geist versammelten heiligen Vätern festgelegt worden ist“ (DH, Nr. 265). Die Anhänger des Cyrillus von Alexandria haben nämlich immer wieder auf diese Festlegung hingewiesen und eine jede neue Formulierung des Glaubens der Kirche abgelehnt. Noch heute erkennen die orientalischen Kirchen der Syrer, Kopten und Armenier, die in der theologischen Tradition des Cyrillus von Alexandria stehen, unter Berufung auf diese kirchenrechtliche Bestimmung nur die drei Synoden von Nicaea (325), Konstantinopel (381) und Ephesus (431) als allgemeine an.

Die Herausforderung für die reichskirchliche Seite

Wie schwer sich die Bischöfe der Reichskirche angesichts dieser kirchenrechtlichen Vorgabe damit taten, ein neues Glaubensbekenntnis vorzulegen, zeigt sich daran, dass die Teilnehmer am Konzil von Chalcedon (451) ihrer Definition des Christusgeheimnisses den Satz voranstellten, dass der Glaube des Konzils von Nicaea (325), die fides Nicaena, „zur vollständigen Erkenntnis und Festigung des Glaubens […] genüge“, weswegen „dieses hier versammelte heilige, große und allgemeine Konzil“ beschließe, dass „vornehmlich der Glaube der 318 heiligen Väter unangetastet bleibe“ (DH, Nr. 300). Weil trotz dieser Berufung auf das Nicaenum eine Mehrzahl der Christen in Ägypten, Syrien und Armenien die Synode von Chalcedon (451) unter Verweis auf einen Verstoß gegen den Kanon der ‚cyrillischen‘ Synode von Ephesus (431) ablehnte (vgl. S. 36–37), zwang dies die Verteidiger des Chalcedonense dazu, eine eigene Konzilstheologie zu entwickeln.

Der horizontale und der vertikale Konsens

Zu diesem neuen Konzilsverständnis haben in erster Linie lateinische Theologen des Westens beigetragen. Zu ihnen zählt Papst Leo I. (440–461), der zwischen einem horizontalen und einem vertikalen Konsens der Kirche unterschieden hat (vgl. [1–7], S. 103–147). Den vertikalen Konsens der Kirche sah der römische Papst dadurch verwirklicht, dass der Apostolische Stuhl (Sedes Apostolica) in Rom die Tradition der Apostel unverfälscht bewahrt habe. Der horizontale Konsens sei jedoch dadurch verwirklicht, dass der apostolische Glaube auf dem ganzen Erdkreis bestätigt worden sei (vgl. [1–7], S. 139). Daher sei die Synode von Chalcedon (451) anzunehmen, weil sich in ihr alle drei Autoritäten (auctoritates) der Kirche vereinigten: der römische Papst, eine allgemeine Synode sowie der christliche Kaiser (ACO II/4, S. 108,7–10).

Die Theorie von neuen Konzilien

Am Ende des fünften Jahrhunderts führte der Nordafrikaner Vigilius von Thapsus († ca. 490) diese Gedanken weiter. In seiner Schrift „Gegen Eutyches“ (Contra Eutychetem) legte er dar, dass es für katholische Konzilien (conciliorum catholicorum) eine Regel (regulam) und Gewohnheit (consuetudinem) gebe, angesichts von ‚neu‘ auftretenden Häretikern (necessitas emergentium haereticorum) durch neue Dekrete (decreta) das zu sichern, was auf früheren Konzilien (antiquioribus conciliis) gegen die ‚alten‘ Häretiker (contra veteres haereticos) verkündet worden sei (PL 62, S. 135 D). Damit aber war die Möglichkeit theoretisch begründet, durch neue Konzile den alten Glauben neu zu bekräftigen. Hermann Josef Sieben hat daher festgehalten: „Damit ist die fides Nicaena grundsätzlich relativiert. Der Schritt ist getan vom ‚Konzil der 318 Väter‘ zu den ‚katholischen Konzilien der Kirche‘“ (vgl. [1–7], S. 268–269).

Kriterien für eine gute Synode

Diesen ekklesiologischen Schritt vollzog für die lateinische Kirche Papst Gelasius (492–496), indem er Kriterien für gute – und deshalb von der gesamten Kirche anzunehmende – Synoden aufstellte: Diese müssten (i.) mit der Heiligen Schrift übereinstimmen; (ii.) sich mit der Tradition der Väter decken (secundum traditionem patrum); (iii.) unter Wahrung der rechtlichen Bestimmungen der Kirche zustande gekommen sein (secundum ecclesiasticas regulas); (iv.) von der ganzen Kirche angenommen (quam cuncta recepit ecclesia) und (v.) vom Apostolischen Stuhl bestätigt werden (quam maxime sedes apostolica conprobauit) (CSEL 35, S. 380, 5–9). Mit dieser Konzilstheorie des Gelasius waren am Ende des fünften Jahrhunderts für den lateinischen Westen Kriterien formuliert, mit denen die Päpste Synoden maßen, um zu entscheiden, ob diese als allgemeine, d.h. ökumenische, anerkannt werden könnten.

Die Sichtweise des Ostens

Für den chalcedontreuen Osten stellten sich diese Kriterien für eine von der ganzen Kirche anzunehmende Synode nicht. Dort war es der christliche Kaiser in Konstantinopel, der allgemeine Synoden einberief. Wie in der Auseinandersetzung um die Synode von Hiereia (754) dargestellt werden wird (vgl. S. 55–56), wurde es aber ab dem fünften Jahrhundert als notwendig erachtet, dass die Erzbischöfe von Rom, Konstantinopel, Alexandria, Antiochia und Jerusalem vertreten sein sollten (vgl. [1–7], S. 76–77). Nach dieser Maßgabe gibt es heute sieben Konzile, die vom griechischsprachigen Osten wie vom lateinischsprachigen Westen beiderseitig anerkannt werden.

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