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2.2 Gottesverständnis
ОглавлениеWenn der neue Atheismus den Gottesglauben verneint, so müssen wir natürlich fragen, gegen welches Gottesverständnis er sich richtet. Es könnte ja sein, dass gegen einen Gottesbegriff polemisiert wird, von dem sich ein aufgeklärtes Christentum längst verabschiedet hat.
Folgen wir DAWKINS, so besagt die „Gotteshypothese“, mit der er sich kritisch auseinandersetzt, „es gebe in der uns umgebenden Realität eine übernatürliche Handlungsinstanz, die das Universum entworfen hat und es – zumindest in vielen Versionen der Hypothese – auch verwaltet und sogar mit Wundern eingreift, das heißt mit vorübergehenden Verletzungen seiner ansonsten erhabenen, unabänderlichen Gesetze“59. Es ist die theistische Gottesvorstellung nicht nur der Kreationisten und der Vertreter des Intelligent Design, sondern auch der konservativen Kreise in unseren Kirchen, die Dawkins bekämpft. Und von einer solchen müssen wir uns als aufgeklärte Christen lösen. Denn:
„Die Vorstellung von einem Gott, der als ein persönliches, allmächtiges Wesen über der Welt und der Menschheit thront und sie von droben und draußen nach vorgesehenem Plan regiert, Gutes und Böses schickt, dabei auch in den Lauf der Welt und in das Leben des Einzelnen eingreift, besitzt keine Glaubenskraft mehr.“60
Mit DIETRICH BONHOEFFER weiß sich übrigens Dawkins einig in der Ablehnung eines Lückenbüßergottes.61 Am 29. Mai 1944 hatte nämlich Bonhoeffer aus der Haft im Wehrmachtuntersuchungsgefängnis von Berlin-Tegel an seinen Freund Eberhard Bethge geschrieben:
„Das Weizsäcker’sche Buch über das ‚Weltbild der Physik‘ beschäftigt mich noch sehr. Es ist mir wieder ganz deutlich geworden, daß man Gott nicht als Lückenbüßer unserer unvollkommenen Erkenntnis figurieren lassen darf; wenn nämlich dann – was sachlich zwangsläufig ist – sich die Grenzen der Erkenntnis immer weiter hinausschieben, wird mit ihnen auch Gott immer weiter weggeschoben und befindet sich demgemäß auf einem fortgesetzten Rückzug. In dem, was wir erkennen, sollen wir Gott finden, nicht aber in dem, was wir nicht erkennen; nicht in den ungelösten, sondern in den gelösten Fragen will Gott von uns begriffen sein.“62
Leider hat DAWKINS den damit verknüpften theologischen Denkimpuls Bonhoeffers nicht konstruktiv aufgenommen. Seine Kritik an einem supranaturalistischen und fundamentalistischen Gottesbegriff sollte uns aber Mahnung sein, in Theologie und Kirche nicht allzu selbstverständlich und unreflektiert von Schöpfung, Erlösung, Offenbarung und Heilsgeschichte zu sprechen63. Leider verhält es sich häufig so, dass unser christliches Reden von und mit Gott einem veralteten Weltbild verhaftet bleibt und damit nicht anschlussfähig ist für naturwissenschaftliche Theorien von Kosmologie und Evolution.
Das heißt nun nicht, dass seitens der Theologie ein völlig neues Gottesverständnis entwickelt werden müsste. Vielmehr gilt es mit HANS KESSLER an eine solche christliche Tradition anzuknüpfen, die „mit dem Wort Gott nicht ein von der Welt getrenntes, bloß im Jenseits sitzendes Wesen [meint], sondern eine total andere Dimension und Wirklichkeit, die nicht dort erst beginnt, wo die uns bekannten (4 oder 11) Dimensionen enden, sondern sie und alles (Raum, Zeit, Materie, Geist, Zufall, Notwendigkeit usf.) durchdringt und ihnen zugrunde liegt, allem ko-präsent, also ‚all-gegenwärtig‘ ist“64.
Mit IMMANUEL KANT ist daran festzuhalten, dass die Realität Gottes weder bewiesen noch widerlegt werden kann.65 Da Gott kein Ding ist, handelt es sich hier um eine Fragestellung, die sich nicht vergleichen lässt mit der von DAWKINS bemühten Pseudofrage BERTRAND RUSSELLs, ob es eine Teekanne in der Erdumlaufbahn gibt oder nicht.66 Vielmehr geht es um die weltanschauliche Entscheidungsfrage, „ob das Universum seinen Grund in sich selbst hat […] oder ob die Welt einen von ihr unterschiedenen (nicht: getrennten!) Grund hat“67.
Die von den neuen Atheisten vertretene These, „man brauche Gott nicht, um Existenz und Beschaffenheit des Universums zu erklären“, verkennt, dass der Atheismus keine überzeugende Erklärung dafür hat, dass überhaupt eine Welt existiert und nicht vielmehr nichts.68 Ebenso verhält es sich damit, „dass die grundlegenden physikalischen Naturkonstanten des Universums sich mit genau den Werten eingependelt haben, dass Leben und intelligentes Leben möglich wurde“69. Ist doch die Multiversum-Theorie, die eine Vielzahl von Urknallen und Universen annimmt, wodurch ebenfalls die Entstehung von Leben ermöglicht worden sei70, eine nicht verifizierbare Spekulation, die – selbst wenn sie zutreffen sollte – Gott als Urgrund eines solchen Multiversums nicht notwendigerweise ausschließt. Vollkommen haltlos ist daher die DAWKINS’sche Behauptung: „Gott existiert mit ziemlicher Sicherheit nicht.“71 Hinzu kommt, dass aus biblischer Sicht die Existenz Gottes „gerade keine wissenschaftliche Hypothese“ ist, die sich mit rationalen Gründen wahrscheinlich machen lässt; „ihr kann vielmehr immer nur aus einer in personalen Vollzügen gründenden Gewissheit heraus ‚nach-gedacht‘ werden“72.
Wie CHARLES DARWINs Evolutionsgedanke nach dem Erscheinen seines Werks „On the Origin of Species“ (Über die Entstehung der Arten) von sieben liberalen anglikanischen Geistlichen anerkannt wurde,73 gilt es auch in unserer Zeit, die Evolutionstheorie theologisch zu integrieren. Dies ist möglich, wenn wir mit WOLFGANG ACHTNER Schöpfung als einen offenen und kreativen Prozess verstehen, also nicht im Sinne einer göttlichen Blaupause, sondern einer creatio continua.74