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III.

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Die Beiträge des vorliegenden Bandes bieten einen ersten, orientierenden Einblick zu ausgewählten Themen des Denkens Martin Luthers. Für ihre Auswahl war der Gesichtspunkt leitend, daß möglichst unterschiedliche repräsentative Ansätze der Forschung vertreten sind. Die Texte entstammen sowohl der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als auch der jüngeren Debatte.37 Deren problemgeschichtlicher Kontext ist im Folgenden kurz zu skizzieren.

Die beiden Beiträge des ersten Abschnitts Reformatorische Erkenntnis von Volker Leppin Ein reformatorischer Durchbruch? und Bernd Hamm Naher Zorn und nahe Gnade widmen sich einem Thema, welches die Auseinandersetzung um Luther seit den 1960er Jahren beherrscht hat. Es handelt sich um die Frage, wann der Wittenberger seine durchschlagende reformatorische Entdeckung gemacht hat und worin sie eigentlich bestand. Die ältere Forschung war im Anschluß an Holl vor dem Hintergrund der Edition der frühen Vorlesungen nahezu einhellig davon ausgegangen, Luther sei während der ersten Vorlesung über die Psalmen, wenn nicht schon kurz zuvor, zu einem von der Lehrtradition abweichenden neuen Verständnis der Gerechtigkeit Gottes als einer Gabe gekommen.38 Dem hatte nach dem Zweiten Weltkrieg Ernst Bizer energisch widersprochen und die reformatorische Wende auf das Jahr 1518 angesetzt. Zudem machte er das eigentlich Reformatorische in einem spezifischen Verständnis des Wortes Gottes aus.39 Daran entzündete sich eine langanhaltende Kontroverse über die Früh- oder Spätdatierung von Luthers reformatorischer Entdeckung.40 Im Fokus dieser Debatten stand vor allem ein Text des Reformators, seine Vorrede zum ersten Band seiner lateinischen Schriften aus dem Jahre 1545.41 In ihr, dem sogenannten ‚großen Selbstzeugnis‘, gibt er einen Überblick über die Ereignisse im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts und kommt in diesem Zusammenhang auch auf sein neues Verständnis der iustitia dei zu sprechen. Zu Röm 1, 17 – „Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben“ – bemerkt er hier, die iustitia, von der der Apostel spricht, sei diejenige, „durch die der Gerechte als durch Gottes Gabe lebt, nämlich durch den Glauben“42. Jene Erkenntnis bewirkte, daß er sich „völlig neugeboren und durch geöffnete Tore in das Paradies eingetreten“43 fühlte.

Luthers Bericht über sein neues Verständnis der Gerechtigkeit Gottes in der Vorrede von 1545 ist indes nicht ohne Probleme. Sie hat zunächst die Funktion einer Einleitung in seine lateinischen Werke. Sodann ist aufgrund der in dem betreffenden Abschnitt gebrauchten Zeitformen (doppeltes Plusquamperfekt44) nicht deutlich, auf welchen Zeitpunkt sich seine Angaben über sein Neuverständnis der iustitia dei beziehen. Und schließlich nimmt die Vorrede aus einem Abstand von mehr als 30 Jahren Rückblick auf den fraglichen Zeitraum. So verwundert es auch nicht, wenn der Reformator seine entscheidende exegetische Einsicht zu dem Verständnis von Röm 1, 19 mit dem Begriff einer „passiven Gerechtigkeit“ wiedergibt und damit in einer Terminologie, die sich erst ab 1525 in seinen Texten nachweisen läßt. Hinzu kommt, daß die Beschreibung seines Neuverständnisses des christlichen Glaubens auf eine in der Christentumsgeschichte seit Paulus geprägte und stilisierte Darstellungsform zurückgreift – das Bekehrungserlebnis.45 Die neuere Forschung hat deshalb Bedenken an dem Konstrukt eines reformatorischen Durchbruchs geltend gemacht, da es die komplexen und sich überlagernden Entwicklungen auf ein fixierbares Ereignis bzw. eine teleologische Entwicklungslinie reduziert.46

Luther hat seine Theologie in einer Vielzahl von Gelegenheitsschriften zu sehr unterschiedlichen Anlässen ausgeführt und nicht in einem System oder einer Summe zusammengefaßt. Die Eigenart des theologischen Denkens des Reformators beleuchten die Beiträge des zweiten Abschnitts Theologie als Kunst des Unterscheidens. Unterscheidungen sind wie für jede Theologie so auch für die des Wittenbergers konstitutiv. In seinem Werk ist man mit einer Vielzahl von ihnen konfrontiert: der zwischen Gott und Welt, Gesetz und Evangelium, verborgener und sichtbarer Kirche, Geist und Buchstabe etc. Deren Spezifikum besteht darin, daß sie nicht vorliegen, sondern vorgenommen werden müssen. Sie lassen sich auch nicht ein für allemal fixieren. Gerhard Ebelings Aufsatz Das rechte Unterscheiden. Luthers Anleitung zu theologischer Urteilskraft beleuchtet die von dem Reformator geltend gemachte Kunst, die zu beherrschen erst den Theologen ausmacht.47

Luthers theologische Unterscheidungslehre expliziert sein Verständnis der Rechtfertigung. Der Mensch wird allein durch den Glauben gerecht und nicht durch seine Werke. Die iustificatio steht im Zentrum seiner Theologie.

„Von diesem Artikel kann man nichts weichen oder nachgeben, es falle Himmel und Erden oder was nicht bleiben will; denn es ‚ist kein ander Name, dadurch wir konnen selig werden‘, spricht S. Petrus Act. 4. […] Und auf diesem Artikel stehet alles, das wir wider den Bapst, Teufel und Welt lehren und leben. Darum mussen wir des gar gewiß sein und nicht zweifeln. Sonst ist’s alles verlorn, und behält Bapst und Teufel und alles wider uns den Sieg und Recht.“48

Unterschiedlich wird indes die Frage beurteilt, wie dieser Grundgedanke genauer zu explizieren sei.49 Handelt es sich bei der iustificatio, wie der Reformator in der Römerbriefvorlesung ausführt, um ein Urteil Gottes über den Menschen,50 oder ändert sich durch sie etwas im Menschen? Im ersten Fall ist der Mensch gleichsam für Gott gerecht und für sich ein Sünder,51 und im anderen markiert die Rechtfertigung den Anfang eines Besserungsprozesses beim Menschen. Mit der Rechtfertigungslehre des Reformators sind noch weitere Fragen verknüpft, die in der Forschung kontrovers diskutiert werden, etwa die nach der Funktion der Christologie oder wie sich die Glaubensgehalte aus der Perspektive dieses Grundartikels verstehen lassen.

Mit dem Glaubensbegriff, der in der mittelalterlichen Theologie eher randständig ist,52 rückte der Wittenberger Theologe seit 1517/18 einen Aspekt in den Fokus seines theologischen Denkens, der auf die innere Begegnung von Gott und Mensch zielt. Vorbereitet wird diese Innenverlagerung der Religion durch seine Umprägung des mittelalterlichen Bußverständnisses seit den Dictata super psalterium. Dadurch wird der Individualität des Glaubens ein prinzipielles Recht eingeräumt. In der Betonung von Individualität und Subjektivität wurden immer wieder moderne Elemente ausgemacht und in der Reformation der Durchbruch der Moderne erblickt. Andere, wie Ernst Troeltsch,53 betonten eher die mittelalterlichen Elemente in dem Denken des Reformators. Aus dieser Konstellation entspann sich eine lang anhaltende Kontroverse über die geistesgeschichtliche Einordnung des Wittenberger Theologen.54 Gehört er ins Mittelalter, oder repräsentiert er den Beginn der Moderne? Freilich ist diese Alternative, wie schnell deutlich wird, völlig ungeschichtlich. In ihr überlagern sich auf fatale Weise normative und historische Perspektiven. Eine geschichtsmethodologisch reflektierte Sicht, wie sie durch den Aufsatz von Ulrich Barth Die Entdeckung der Subjektivität des Glaubens. Luthers Buß-, Schrift- und Gnadenverständnis in dem Band repräsentiert wird, kommt zu einer differenzierten geschichtlichen Einordnung des Reformators.

Umstritten in der Forschung sind Luthers Gotteslehre und Christologie. Fraglich erscheint schon, ob man bei diesen Themenfeldern von einer systematischen Lehrform sprechen kann.55 Diesem Komplex ist der dritte Abschnitt Gottesanschauung und Christusbild gewidmet. Die Kontroversen um Luthers Gottesbild entzündeten sich vor allem an dem von ihm in seiner Auseinandersetzung mit Erasmus von Rotterdam 1525 in De servo arbitrio ausgeführten Gottesgedanken. Der Reformator spricht hier nicht nur von einer Verborgenheit Gottes in seiner Offenbarung unter dem Gegenteil (sub contrario), wie in den kreuzestheologischen Texten des Frühwerkes,56 er behauptet vielmehr eine über diese hinausgehende Verborgenheit.

„Anders ist über Gott oder über den Willen Gottes zu disputieren, der uns gepredigt, offenbart, dargeboten und von uns verehrt wird, und anders über Gott, der nicht gepredigt, nicht offenbart, nicht dargeboten, nicht verehrt wird. So weit also Gott sich selbst verbirgt und von uns nicht gekannt werden will, geht er uns nichts an. Hier hat wahrlich jenes Wort Geltung: ‚Was über uns ist, geht uns nichts an.'"57

Der deus absconditus, von dem hier die Rede ist, unterscheidet sich von dem Gott, der sich in seiner Offenbarung verbirgt. In den Untersuchungen zu Luthers Gottesbild wurden hier nicht überwundene nominalistische Reste, wenn nicht gar ein Anklang an die zwei Götter des altkirchlichen Ketzers Marcion, kritisiert.58 Für eine solche Deutung kann man sich auf Aussagen in De servo arbitrio beziehen, denen zufolge das gut ist, was Gott will.59 In einer kurzen, aber dichten Studie mit dem Titel Luthers Gottesanschauung, unternahm es Emanuel Hirsch im Jahre 1918 anhand der Streitschrift von 1525 und der zweiten Psalmenvorlesung, Luthers Gottesbild als in sich bündig herauszuarbeiten.60 Der Holl-Schüler machte in dem Gottesgedanken des Reformators eine Antinomie aus. Gottes Allmacht und seine Liebe stehen gedanklich unvermittelbar nebeneinander. Allein im Akt des Glaubens löst sich diese Spannung auf. Nachdem Walther von Loewenich das Thema der Verborgenheit Gottes 1929 in seiner Schrift Luthers theologia crucis im Horizont der Kreuzestheologie des Reformators behandelt hatte,61 legte in den 1950er Jahren Hellmuth Bandt eine umfangreiche, werkgeschichtlich angelegte Studie zu Luthers Lehre vom verborgenen Gott vor.62 Unterschiedlich bewertet wird in der Forschung die Frage, in welchem Verhältnis der deus absconditus aus De servo arbitrio zu der Verborgenheit Gottes in seiner Offenbarung steht, wie sie für die theologia crucis konstitutiv ist.63 Martin Seils nimmt in dem in diesen Band aufgenommenen Beitrag Die Sache Luthers die Gottesanschauung des Reformators aus der Perspektive des Gedankens des sich-Gebens in den Blick.

Ähnlich wie die Gotteslehre hat auch die Christologie des Reformators sehr unterschiedliche Interpretationen erfahren.64 Bedingt ist das vor allem durch drei Aspekte. Einmal hat der Wittenberger Theologe in sein Christusbild sehr heterogene traditionelle christologische Motive aufgenommen. Sie reichen von altkirchlichen Vorstellungen über mystische Figuren bis hin zur Versöhnungslehre Anselm von Canterburys. Sodann hat er sich in sehr unterschiedlichen Kontexten zu christologischen Fragen geäußert. So sind seine Predigten eine wichtige Quelle für sein Christusbild. Daneben stehen nicht weniger bedeutend die Abendmahlsschriften der 1520er Jahre, in denen sich grundlegende Überlegungen zur Christologie finden. Gerade Letztere wurden für die Lehrentwicklung im Luthertum entscheidend, insofern die Christologie die systematische Grundlage für das Abendmahlsverständnis bildet. Hinzu kommt schließlich drittens eine gewisse Diskrepanz in den Aussagen über Christus beim jungen und beim alten Luther. Während das Christusbild des Wittenbergers in der Formierungsphase seines theologischen Denkens sehr unbekümmert mit den dogmatischen Lehraussagen der Tradition umgeht und den Menschen Jesus Christus in den Mittelpunkt rückt, sucht er in seinen späteren Schriften den Anschluß an das Dogma zu wahren.

Angesichts der angedeuteten Komplexität von Luthers Aussagen über Christus ist es nicht verwunderlich, wenn deren Interpretationen sehr divergent ausfallen. Umstritten bleibt in der Forschungsliteratur die Stellung des Reformators zum christlogischen Dogma. Zwar hatte er zeitlebens an ihm festgehalten, ihm aber vor dem Hintergrund seines Neuverständnisses des Glaubens eine neue Deutung gegeben. Deutlich ist, daß sein Christusbild einer Entwicklung unterliegt und die Akzentsetzungen sich im Laufe der Jahre verschieben.65 Die ältere Forschung arbeitete vor allem diejenigen Aspekte in seinem Christusbild heraus, die es von der Lehrtradition unterscheiden. Diese sind seine Betonung des Menschen Jesus Christus sowie dessen Anfechtung.66 Beide Aspekte halten sich vor allem in Luthers Predigten durch. Sein neues Verständnis des Glaubens schlägt sich freilich auch in seinem Umgang mit dem christologischen Dogma nieder. Darauf hat bereits Reinhard Schwarz in einer umfangreichen Studie aus dem Jahre 1966 zur Christologie des Wittenbergers vor dem Hintergrund der mittelalterlichen Christologie hingewiesen.67

Ganz neue Akzente hat die jüngste Forschungsgeschichte zu dem Christusbild des Reformators gesetzt, wie sie in diesem Band durch den Aufsatz von Jens Wolff Luthers Arbeit an christologischen Metaphern repräsentiert wird.68 Sie wendete sich mit dem Bildbegriff sowie dem Metaphernverständnis einem Themenfeld zu, welches in der bisherigen Debatte weitgehend ausgeblendet wurde. Verantwortlich hierfür war vor allem die Überzeugung, der Reformator hätte mit der Verabschiedung der mittelalterlichen Lehre vom vierfachen Schriftsinn auch die allegorische Auslegungspraxis aufgegeben und an deren Stelle den historischen sensus verborum der biblischen Schriften gestellt. Dadurch kam die Bedeutung des Bildbegriffs und seiner Verwandten in den Texten Luthers nicht in den Blick.69 Nicht nur für die Rekonstruktion seiner Christusanschauung ist die Berücksichtigung von Metaphern ein weiterführender, unglückliche Alternativen überwindender Zugang.70

Der letzte Abschnitt des Bandes Christliche Freiheit und Handeln in der Welt widmet sich den Konsequenzen des reformatorischen Verständnisses des Glaubens für das Handeln in der Welt. In der Forschungsgeschichte wurden insbesondere drei Aspekte aus diesem Themenkomplex intensiv diskutiert: zunächst das Freiheitsverständnis des Reformators, sodann das Verhältnis von Glaube und Handeln und schließlich seine politische Ethik. In seiner 1520 publizierten reformatorischen Programmschrift Von der Freiheit eines Christenmenschen hatte Luther den Glauben als die wahre libertas christiana verstanden.71 Die Streitschrift gegen Erasmus von Rotterdam, nur fünf Jahre später erschienen, scheint durch ihre Behauptung, Freiheit sei allein ein göttlicher Name,72 sowie die These, in der Welt geschehe alles nach einer unverbrüchlichen Notwendigkeit, den Freiheitsgedanken aufzuheben. Umstritten ist, wie sich beide Aussagenreihen in einen kohärenten systematischen Zusammenhang bringen lassen können.73

Vergleichbare Interpretationsprobleme treten bei der Rekonstruktion der Ethik des Reformators auf. Nicht nur in dem Freiheitstraktat, auch in anderen Texten behauptet Luther, aus dem Glauben folgen die guten Werke unmittelbar von selbst. Wie der gute Baum, so das vielfach zitierte Argument, gute Früchte hervorbringt, so fließen die guten Werke sua sponte aus dem Glauben. Die systematische Verzahnung des Handelns mit dem Glauben ist in den Texten allerdings alles andere als klar. Schon Max Weber hatte darauf hingewiesen, der Reformator folge in dem der Ethik gewidmeten zweiten Teil der Freiheitsschrift monastischem Gedankengut.74 Und das Beispiel, an dem der Zusammenhang von Glauben und Handeln exemplifiziert wird, stammt aus der Natur und läßt sich kaum auf die geistige Sphäre der Ethik übertragen.

An der politischen Ethik des Wittenberger Theologen wird deren ideengeschichtlicher Hintergrund diskutiert,75 auch die Frage, ob sie nicht eine Untertanenmentalität mit fatalen Konsequenzen befördere, ist umstritten.76 Die sogenannte Zwei-Regimenter-Lehre Luthers baut auf seinem Verständnis der Kirche und der für dieses konstitutiven Unterscheidung zwischen einer sichtbaren und einer verborgenen Gemeinschaft auf.77 Die wahre Kirche ist die Gemeinschaft der Heiligen. Aufgrund ihrer Innerlichkeit ist sie verborgen. Von der Kirche unterschieden ist die weltliche Obrigkeit. Diese und ihre Gewalt erstrecken sich auf das äußere Zusammenleben der Menschen. Das Gewissen ist ihr entzogen. Über es herrscht Gott allein. Diese modern anmutende Unterscheidung wird indes bei Luther überlagert durch eine sündentheologische Begründung der Obrigkeit sowie die These, daß der wahre Christ des staatlichen Rechtes nicht bedarf. Er erduldet alles Leid und Unrecht in dem Jammertal der Welt als gottgewollt.

Die beiden in den Band aufgenommenen Beiträge von Dietrich Korsch Freiheit als Summe. Über die Gestalt christlichen Lebens nach Martin Luther sowie von Reinhard Schwarz Luthers Lehre von den drei Ständen und die drei Dimensionen der Ethik diskutieren – vor dem skizzierten problemgeschichtlichen Hintergrund – Luthers Verständnis des christlichen Lebens in der Welt in einer systematischen und einer kirchengeschichtlichen Perspektive.

Martin Luther

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