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4. Eine Skizze zur Geschichte des literarischen Dialogs bis zur Neuzeit

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Auch und gerade bei Platon zeigt sich die Form des Dialogs als angemessenster Träger seiner Inhalte, ja, sie prägt diese mit, wodurch sie erst zu ‚dialektischer‘ Philosophie werden. Diese Dialektik preist Platon selbst als Königsweg an einer Schlüsselstelle für seine Hochschätzung des Gesprächs und dessen Vorrang vor Verschriftlichtem: In den Kapiteln 59 bis 61 seines „Phaidros“ lässt er Sokrates den Mythos vom ägyptischen Gott Theuth erzählen, der nach anderen Wissenschaften die Schrift erfindet und in ihr ein Mittel zur Steigerung von Weisheit und Gedächtnis bei den Menschen sieht. König Thamus widerspricht ihm: Die Schrift werde den Menschen vergesslicher machen, zudem vermittle sie nur Scheinwissen. Geschriebenes, so in der Folge Sokrates selbst, kann keine Antwort auf Nachfragen zu dem von ihm Behaupteten geben und bietet, getrennt von seinem Urheber, keine Hilfe. Das Gespräch hingegen falle in die Seele des Partners wie der Same des Bauern in fruchtbaren Boden und bringe reichen Ertrag.

Dieses Eingehen auf Fragen und Einwände des Gesprächspartners lässt diesen am Prozess des Erkennens mitwirken, Sokrates hilft ihm gleichsam, es ‚auf die Welt zu bringen‘, weshalb man von „Maieutik“, „Hebammenkunst“ spricht. Der Prozess kann allerdings auch unvollendet bleiben oder sogar scheitern und in der Aporie enden, was ein Offenhalten der Debatte oder auch eine ironische Brechung ihrer Ergebnisse nach sich ziehen kann.

Viele wichtige Fragen und Probleme, die in diesen Zusammenhang gehörten, müssen hier beiseite bleiben, vor allem jene, wie Platon mit seiner eigenen Schriftlichkeit verfährt. Alle Nachfahren sind ja nicht Teilnehmer, sondern eben nur lesende Nachvollzieher seiner Dialoge. Es gibt einige wenige Indizien, dass er dieses Problem sehr wohl gesehen und seine zentralen Botschaften gar nicht der Schrift anvertraut, sondern nur mündlich verkündet habe.

Die Gattung des Dialogs gilt in der Antike weiterhin als taugliches und damit kennzeichnendes Gefäß philosophischer Inhalte, sosehr, dass z.B. Senecas philosophische Monographien dialogi heißen, obwohl sie, von einer einleitenden Anrede an einen Adressaten abgesehen, gänzlich ohne dialogische Elemente sind.

Das dialogische Element nimmt schon beim ersten bedeutenden Nachfolger Platons, bei Aristoteles, stark ab. Wir haben von den Dialogen, die Aristoteles veröffentlicht hat, allerdings nur Fragmente, seine uns erhaltenen Texte sind Lehrschriften für den internen Gebrauch und waren nicht zur Veröffentlichung gedacht. So wissen wir vor allem aus Cicero, der angibt, seine Dialoge „nach Art des Aristoteles“ (u.a. Ad familiares 1, 9, 23) verfasst zu haben, dass hier der rasche Sprecherwechsel Platons durch längere Lehrvorträge ersetzt wird, die nur kurze Einwürfe von Gesprächspartnern unterbrechen.

Cicero kann als Begründer des literarischen Dialogs in der lateinischen Literatur gelten und, analog zu Platon, zugleich auch als dessen Meister, mit einer gewaltigen Wirkung auf die Dialogliteratur späterer Zeiten. Sein formaler Anschluss an Aristoteles hat im Verein mit der Gräkomanie des Neuhumanismus seinen Rang und seine Bedeutung in dieser Gattung eine Zeit lang verdunkelt. Heute ist seine Wertschätzung wieder im Steigen.

Wir wissen aus Äußerungen in seinen Briefen, dass er zur Szenerie und den Teilnehmern seiner Dialoge ausgiebige Überlegungen angestellt hat, und sehen deren überaus stimmigen Ergebnisse. In „De oratore“ und „De re publica“ zum Beispiel stehen die jeweiligen Hauptunterredner Crassus bzw. Scipio kurz vor ihrem Lebensende, sodass ihre Beiträge zum Thema gleichsam als Vermächtnis an die Nachwelt zusätzliches Gewicht erhalten. Das Gespräch „Über den Redner“ findet unter einer Platane statt, ein Schauplatz, der an Platons „Phaidros“ erinnert, wo es auch um Rhetorik geht. In der Staatsschrift wollte sich Cicero zuerst selbst als Hauptunterredner einführen, entschied sich dann aber für eine Rückverlegung in die Zeit des jüngeren Scipio, als erstmals römische Politik und griechische Philosophie in eine engere Verbindung traten. So thematisiert schon die Szenerie eine zentrale Botschaft dieses Dialogs insgesamt.3

Der Historiker Tacitus fügt sich im 1. Jh. n. Chr. mit seinem „Dialog über die Redner“ in die Nachfolge Ciceros ein, der Platoniker Plutarch folgt in seinen Dialogen der peripatetischen, von Aristoteles gestifteten, z.T. aber auch der platonischen Tradition. Im zweiten Jahrhundert verbindet der griechische Satiriker Lukian die Gattungen der Komödie und der menippeischen Satire zu sehr wirkungsreichen Dialogen. In einem davon, dem „Doppelt Angeklagten“, lässt er gegen Ende den „Dialogus“ selber auftreten und klagen, dass ihn der „Syrer“ (also Lukian) aus den Höhen der Philosophie zu niedrigen Gattungen heruntergezogen habe.

Es entwickeln sich spezielle Untergattungen: Vom gleichnamigen Dialog Platons ausgehend die des „Symposions“, welche gelehrte oder auch heitere Gespräche im Rahmen eines abendlichen Gelages wiedergeben. Hierher wären etwa die „Cena Trimalchionis“ in den „Satyrica“ des Petron zu rechnen oder die „Saturnalien“ des spätantiken Autors Macrobius. Ihren lehrhaften Charakter teilen diese mit einer anderen Untergattung, dem „katechetischen Dialog“, einem Lehrer-Schüler-Gespräch. Hierher gehören etwa die ungemein wirkungsreiche Grammatik des Donat und dann viele Texte christlicher Autoren. An deren Beginn steht mit dem „Octavius“ des Minucius Felix aus dem frühen dritten Jahrhundert wieder ein Meisterwerk, mit reizvoller Einkleidung und bewusstem Anschluss an Cicero und Seneca.

Der bedeutendste und wirkungsreichste Dialogschriftsteller der christlichen Antike, Augustinus, verfasste seine Dialoge vor allem in der Phase nach seiner Bekehrung im Cassiciacum bei Mailand. Sie spiegeln schön die heitere und gelöste Atmosphäre wider, die Augustinus dort zu Gesprächen im Freundeskreis nutzte. Zumeist ist Cicero als formales Vorbild sichtbar, in den zwei Büchern „Soliloquia“ hingegen findet er zu einer neuen Form, einem Selbstgespräch zwischen seiner sinnlichen und seiner rationalen Seite über die Begriffe deus und animus.

Über ein Jahrhundert später findet sich in einem weiteren Meisterdialog mit ähnlich nachhaltiger Wirkung eine ähnliche Konstellation: In der „Consolatio Philosophiae“ des Boethius erscheint dem eingekerkerten Ich (zumeist einfach mit dem Autor Boethius gleichgesetzt, dem ja dieses Schicksal widerfuhr, gleichwohl müsste man zwischen ihm und der persona des Dialogs unterscheiden) die eindrucksvolle Gestalt der Philosophie und kündigt ihm Tröstung durch Hinführung zur Erkenntnis der Wahrheit an. Nicht die wankelmütige, unbeständige Fortuna führt zum Glück, sondern nur Gott und eine auf ihn bauende innere Einstellung. Er ist das höchste Gut, seine Vorsehung lenkt die Welt, auf der es daher letztlich nichts Böses gibt. Im inneren Dialog wird der Gesprächspartner hier durch eine Allegorie vertreten, durch die Tiefe und den Reichtum seiner Gedanken, aber auch durch die glanzvolle Form, in der Prosateile mit Gedichten in verschiedenen Maßen wechseln, wird dieser Text am Ausgang der Antike zu einem ihrer bedeutendsten.

Das Mittelalter pflegt die Gattung in einigen von der Antike übernommenen Formen weiter, auch in ihrer ursprünglichen Ausformung des philosophischen Disputs, der nun natürlich immer auch eine theologische Ausprägung erfährt, etwa bei Anselm von Canterbury oder Petrus Abelardus. Beliebt ist auch das Lehrer-Schüler-Gespräch in der Tradition des Donat und wohl auch als Reflex auf gängige mündliche Formen des Unterrichtens.

Der Neueinsatz der Gattung in der Renaissance beginnt gleich mit einem ihrer Mitbegründer, mit Petrarca, von dem insbesondere zwei Dialoge zu seinen wirkungsreichsten Schriften gehören, das „Secretum“ und „De remediis utriusque fortunae“. Die erstgenannte Schrift, „De secreto conflictu curarum mearum“ oder auch „De contemptu mundi“, verweist deutlich auf die beiden großen antiken Vorbilder Boethius und Augustinus. Als Allegorie erscheint hier die veritas, ebenfalls in Gestalt einer schönen Frau, die allerdings kaum ins Gespräch eingreift, sondern zwei anderen dabei zuhört, Franciscus selbst und Augustinus, der ihm quasi die Beichte über sein bisheriges Leben abnehmen und Hilfe leisten soll. Dessen bohrende Untersuchung bringt als Hauptschwäche des Franciscus seine acidia zutage, eine atra quaedam voluptas („Schwermut“, „eine Art schwarzen Vergnügens“), hinter der als tiefste Ursachen amor und gloria stünden, die Liebe zu Laura und zum Lorbeer (laurea) des Ruhmes. Augustinus empfiehlt diverse Heilmittel, wobei er die gegen die Liebe vor allem dem hier zuständigen Klassiker Ovid, aber auch Vergils Bukolik entlehnt, die gegen die Ruhmsucht aus gängigen Topoi vom eitlen Diesseits (von daher auch der alternative Titel „Von der Verachtung der Welt“), wie man sie bei Boethius oder etwa auch in Ciceros „Somnium Scipionis“ findet, aus dem der Hinweis auf die angesichts der Größe des Kosmos auf einen Punkt geschrumpfte Ausdehnung der Erde und damit des menschlichen Ruhmes stammt. Die Heilmittel verfangen allerdings nicht, Franciscus will seiner poetischen und damit äußerlich-weltlichen Existenz treu bleiben, was man wohl treffend als neuartiges Bekenntnis im Geiste der Renaissance und als Absage an eine vollständig auf Gott und das Jenseits ausgerichtete mittelalterliche Lebenseinstellung gedeutet hat.4

Der zweite der beiden hier genannten Dialoge hat „Heilmittel gegen die beiden Arten der Fortuna“ als Titel, also solche gegen Glück und Unglück. Das erste Buch enthält 122 Kurzdialoge zwischen ratio, gaudium und spes, das zweite 132 zwischen ratio, dolor und metus. Wir sehen schon an dieser Konstellation, dass die Instanz der Vernunft zur Bewältigung von guten und schlechten Lebenslagen verhelfen soll. Bei guten scheint das auf den ersten Blick entbehrlich, weshalb auch Petrarca darin die schwierigere Übung sieht. Hier warnt daher die Vernunft vor jeglichem Überschwang und weist auf die Unbeständigkeit und stete Gefährdung menschlichen Glücks hin. Im Unglück vermag schon die alte Erkenntnis Heraklits omnia secundum litem fieri („dass alles im Streit geschehe“, was seinem bekannteren Satz vom Krieg als dem „Vater aller Dinge“ entspricht) zu helfen, die dann an vielen Beispielen aus der Natur, der Menschen- und sogar der Himmelswelt verdeutlicht wird. Auch in der Fülle der menschlichen Unglücksfälle, vom Zahnschmerz bis zum Verlust der Lieben, findet die Vernunft immer irgendeinen Trostgrund. So wie hier die antike und christliche Trostliteratur, steht im ersten Buch das reiche Arsenal der literarischen Tradition zur Relativierung menschlicher Glücksgüter zur Verfügung, wobei Ciceros Tusculanen und Seneca herausragen.

Die Fülle der Kurzdialoge führt zu einer gewissen Eintönigkeit, zu der auch der erwartbare stete Sieg der argumentativ überlegenen Vernunft beiträgt. Vor allem aber diese einfache Struktur hat den Dialog zu einem vielbenutzten „Handbuch der Weltweisheit und zu einer Hausapotheke gegen die Gefahren der Auslieferung an die Macht des Unvorhersehbaren“5 gemacht, der im Verlauf der folgenden drei Jahrhunderte an die dreißig Auflagen und Übersetzungen in mehr als fünfzig Sprachen erreichte. Der stete Sieg der Vernunft und die damit einhergehende Schwäche seiner Gegner hat aber auch zur Einschätzung geführt, hier handle es sich um einen „Undialog“6, was an entsprechende Bewertungen erinnert, wie wir sie oben beim Melierdialog des Thukydides gesehen haben: Wenn der Redekampf bereits entschieden und der Ausgang nicht mehr offen scheint, sind manche Interpreten geneigt, dem Dialog sein Eigentliches, sein Wesen abzusprechen, auch wenn das bei dessen klassischstem Vertreter, bei Platon, nicht anders ist, weil auch dort Sokrates letztlich immer als Sieger feststeht. Das führt hin zum zweiten Teil dieses Vortrags, der über das Ende des Dialogs in der modernen politischen Auseinandersetzung räsoniert, sich dabei aber bewusst halten muss, dass der grundsätzlich offene Ausgang eines Streitgesprächs möglicherweise ein nie erreichbares Ideal darstellt.

Das Dialogische Prinzip

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