Читать книгу FILM-KONZEPTE 65 - Christian Petzold - Группа авторов - Страница 14
Geräusche und Atmosphären. Immersive Sound, Ambience Sound und Musik
ОглавлениеEin guter Teil der subliminalen Atmosphäre vermittelt sich bei Petzold über den Ton und die Musik. Da sind die Geräusche, die von Komponist Stefan Will leicht überpointiert, verstärkt und moduliert werden, so dass sich eine Ahnung ergibt. Es entstehen dadurch geisterhafte Klangkörper, Hintergrund-Klanglandschaften, die dem Optisch-Unbewussten eine akustisch-unbewusste Schicht hinzufügen und aus dieser heraus erzählen. Alan J. Pakulas Komponisten trieben diese Idee weiter als Will, bis in das Hypnotische, Paranoide hinein, so etwa John Williams bei PRESUMED INNOCENT (AUS MANGEL AN BEWEISEN, 1990) und Michael Small in KLUTE (1971) und THE PARALLAX VIEW (ZEUGE EINER VERSCHWÖRUNG, 1974). Multitalent John Carpenter experimentierte in den 1970er und 1980er Jahren mit seinen minimalistischen Kompositionen mit diesem paranoide Stimmung erzeugenden Horror-Sound. Aber bei Pakula wie bei Carpenter entstehen so Werke, bei denen die Musik sich mit ihrer Ästhetik oftmals sehr in den Vordergrund rückt. Will arbeitet in seinen anderen Filmprojekten durchaus ähnlich, etwa in 4BLOCKS (2017–2019), indem er musikalisch stärker akzentuiert. Bei Petzold aber deutet er seine Melodien bloß in leisesten Tönen an, bleibt subtil, auch wenn seine Kompositionen von vielen Zuschauern vielleicht gar nicht als solche wahrgenommen werden, weil sie zu unscheinbar sind. Wie Iakovos Steinhauer in diesem Band ausführt, sind es auch Kompositionen wie die von Toru Takemitsu, die man als Bezugsgrößen nennen könnte. Man wird wiederum an Ozus Komponisten Kojun Saitō, Takanobu Saitō und Senji Itō erinnert, die diese Kunst des Klingens im Hintergrund meisterlich ausführten, indem sie in diesen hineinkomponierten. Will referiert auch auf Johann Sebastian Bach. In einer der schönsten Szenen hören wir in GESPENSTER Bachs Bäche von gesalznen Zähren unerwartet während einer städtischen Autofahrt im Cabriolet, intradiegetisch.33 In einem Gespräch, das wir in Vorbereitung dieses Bandes mit Christian Petzold geführt haben, verwies er selbst auf die Wichtigkeit der Wiederholung. Aus der Differenz zwischen Moment A und B ergebe sich die Narration und bilde sich in der Erinnerung, so auch beim Einsatz der Musik. Petzold erwähnte auch die Musik, die beim Verlassen der Kirche immer erklinge. Das Ritual des Kinobesuchs wird dadurch zu einem quasi-sakralen Ereignis.
Petzolds Faible gilt musikalisch aber den Jazz-Balladen und dem Soul. Immer wieder stiftet die Musik assoziative Brücken zwischen den Figuren, den Erzählebenen wie auch zwischen Gegenwart und Erinnerung. Diese Lounge- und Barmusik im Film darf nostalgisch sein und abschweifen, Erzählpausen inklusive, manchmal ist sie sehr präsent, wie I’m Not in Love von 10cc in POLIZEIRUF 110: KREISE. Oder etwa Julie Londons Song Cry Me A River (1955), den Johannes in seinem Zivi-Zimmer im Schwesternwohnheim Ana vorspielt und tanzend mit ihr ins Deutsche übersetzt. Natürlich lässt sich Petzold die Gelegenheit nicht entgehen, den Song auch am Ende des Films einzuspielen, als Johannes mit Sarah Auto fährt. Dadurch wird die Handlung ironisch eingefärbt und die Zuschauer leise in die Wirklichkeit entlassen, die wie eine Kippfigur wirkt. Ähnlich verfährt Petzold in DIE INNERE SICHERHEIT (How Can We Hang On To A Dream, 1967, von Tim Hardin), YELLA (Road to Cairo von Julie Driscoll, 1969, von Brian Auger & The Trinity), TOTER MANN (What the World Needs Now Is Love, 1965, von Burt Bacharach sowie dessen (There’s) Always Something There to Remind Me), POLIZEIRUF 110: WÖLFE (Anyone Who Had A Heart, 1963, von Dionne Warwick) und bedingt in PHOENIX (Kurt Weills Speak Low, 1943; Night and Day, 1932, von Cole Porter u. a.). Jenseits einer Erzählfunktion gelingt es Petzold so, beinahe vergessenen Liedern eine neue Bühne zu bereiten.