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Gespensterhaftigkeit
Оглавление»Gespenster und Halbwesen bevölkern alle Filme von Christian Petzold«13, heißt es bei Prümm, das »Reale gewinnt phantastische, das Phantastische reale Konturen«14. Petzold spricht auch selbst über seine ›Gespensterfilme‹, so etwa im Bonusmaterial der TRANSIT-DVD: »Und dieser Kampf von Menschen, die auf der Kippe sind, die im Begriff sind, Gespenster zu werden und sich dagegen zur Wehr setzen, das ist das, was ich ›Gespensterfilme‹ nenne. Ich will nicht arbeitslos werden, ich will nicht von der Frau oder von dem Mann verlassen werden, ich kämpfe um meine Liebe, ich kämpfe um das Geld, um meinen Status, um meine Identität, weil wenn ich das nicht bekomme, dann bin ich tot. Dann löse ich mich auf. Deshalb hat das Kino immer etwas mit Werden und Kämpfen und Arbeit zu tun und nicht mit Zuständen.«15
Es fiele sehr leicht, C. G. Jungs Konzept der Synchronizität16 bei Petzold zu finden, ebenso die Weise, wie der Realraum spirituell aufgeladen wird, durch einfachste Techniken, Geräusche, unvorhersehbare Handlungen etc. Wir kennen dieses Kippen aus Ingmar Bergmans späten Filmen, in denen ebenso Traum und Wachwelt ununterscheidbar werden. Tetsuya Shibutani hat dieses faszinierende Feld in seinem Beitrag »Die Untote in der Nachkriegslandschaft. Bemerkungen zu Christian Petzolds PHOENIX« in den Blick genommen und in dem vorliegenden Band mit Rainer Werner Fassbinders Filmen in Bezug gesetzt.
Gespensterhaftigkeit bei Petzold meint weniger die Welt der Toten als die mediale Welt der Überwachungskameras und Suchbilder, die in den Realraum driften und diesen nachhaltig verändern. Die Menschen in der Gegenwart werden gespenstisch, wollen aber physisch bleiben. Wo andere, etwa der späte Ozu oder Kiyoshi Kurosawa, die Gespenster vom Jenseitigen her fassen, als Wiedergänger der Toten, wie sie überhaupt in der japanischen Kultur zum Alltag gehören, deutet Petzold diese aus dem Hier-und-Jetzt kommend an. Nina (Julia Hummer) in GESPENSTER wird zu demselben, weil sie das nicht hat, was der Staat als Identität definiert, ein Bild ihrer Herkunft. Oftmals tauchen die Figuren regelrecht aus dem Nichts auf, etwa Thomas in JERICHOW, oder sie scheinen, wie UNDINE, über übersinnliche Fähigkeiten zu verfügen, die von den Bild- und Vorstellungsräumen ausgehend mit der Realität interferieren. Petzold projiziert hier einen Diskurs, der dem Kino, dem ›Geisterbild‹, von Beginn an mitläuft, intradiegetisch. Der Zivildienstleistende Johannes erwacht zu Beginn von DREILEBEN – ETWAS BESSERES ALS DEN TOD vor den Überwachungsmonitoren des Provinzkrankenhauses, wie YELLA, in eine alptraumhafte Realität mit einem »gespenstischen Klanggefüge«17 hinein. Außer durch die schemenhaften Bilder Angst zu erzeugen, scheint die Kontrollstation im Krankenhaus ihre eigentliche Aufgabe gerade zu verfehlen, denn der Sexualstraftäter entflieht ungesehen. Johannes lässt Molesch (Stefan Kurt) aus dem Trauerraum des Krankenhauses entkommen, aus Unachtsamkeit, ohne es zu bemerken (und auch ohne zu bereuen, was er da tat, vielleicht erklärt das das irritierende Ende). An der Schaltstelle der visuellen Kontrolle verfolgt er lieber seine Ex-Freundin Sarah (Vijessna Ferkic) per Video. Petzold löst das hier angedeutete Voyeur-Motiv aber zugleich auf. Weniger sieht als fantasiert Johannes sie im groben Raster der Bildpunkte – wie wir als Zuschauer. Und diese Deutung weiterführend zeigt Kameramann Hans Fromm die nächsten Ansichten des Krankenhauses wie zuvor die Monitor-Schaltung. Überwachung scheint mehr als ein Reflex, eine Weise, die Realität konform aufzufassen, sich ihren Hierarchien vorauseilend zu ergeben, denn als ein Weg, Sicherheit zu verleihen. Gespensterhaftigkeit wird bei Petzold zu einer Wahrnehmungsform des Selbst. Ein observativer Imperativ, handle stets so, als würdest du technisch beobachtet, scheint dem parallel zu laufen. Kontrolle und Gespensterhaftigkeit gehen bei Petzold Hand in Hand. Die Fehler, die da geschehen, machen bei aller Tragik Hoffnung.