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Von Malern, Musikern und Literaten

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In einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung sagte Petzold: »Alexander Horwath hat einmal die Filmemacher eingeteilt in Maler, Musiker und Literaten, und ich hatte gehofft, ich sei ein Musiker, aber er sagte: ›Nein, du bist ein Literat.‹ Und es stimmt, für mich ist die Erzählung wichtig, auch wenn sie nur noch in Bruchstücken vorhanden ist. Ich glaube, man braucht eine Erzählung als mögliche Ordnung, die für einen Moment Schutz bieten kann.«7

Dass Petzold ein literarischer Filmemacher ist, lässt sich leicht belegen. Das detailliert ausgearbeitete Drehbuch, oft von der Literatur inspiriert oder adaptiert, steht am Beginn seiner Arbeiten. Hieraus erweitert sich das Ausdrucksspektrum dann über das Filmteam und die Dreharbeit hin. Eine verbale Signatur und das Wort tragen immer die Petzold’sche Erzählordnung, so wenig auch gesprochen werden mag, selbst im Schweigen.8 Immer wieder zeigt Petzold Menschen, die einen Moment still sitzen, äußerlich nichts sprechen. Dann aber enträtseln wir Zuschauer, was die Figuren wohl denken mögen. Sprache ist überall, ob innen oder außen.

Dazu kommt dann Stefan Wills reduziertes und dem Geräusch angenähertes musikalisches Hintergrundgewebe, Bettina Böhlers sperrige Montage mit kleinsten Anschlusssprüngen, die das Architektonische fortsetzende und an Yasujirō Ozus Filme und dessen Kameramann Yūharu Atsuta erinnernde Kamera Hans Fromms und natürlich das Schauspiel Paula Beers, Franz Rogowskis und vieler anderer, das mit seinen Gesten häufig den Worten widerstreitet oder sie zumindest in die Schwebe bringt. Dieses ästhetische Ensemble schmiegt sich mal an die verbale Schicht an, entfernt sich aber auch von ihr, auf andere Weise erzählend. Manchmal wird in den Erzählordnungen eine elementare Wahrheit behauptet, die dann aber auf der gestisch-schauspielerischen Ebene revidiert wird. Als Lösung motiviert Petzold, wie schon Alfred Hitchcock und Ingmar Bergman, einen angedeuteten, seelischen Innenraum. Aber gerade dieses Changieren ist es, das uns eine regelrechte Deutungshandlung erzeugen lässt, selbst wenn oberflächlich kaum etwas geschieht. In dieser Hinsicht steigert Petzold, der Kriminalliteratur sehr mag, dieses kriminalistische Moment auf den Alltag hin, verabsolutiert es. Bei Petzold geht es nicht mehr darum, wer der Täter ist, sondern darum, was passiert ist. Das vermeintlich Faktische steht in Frage.

Das filmische Medium bei Petzold hat etwas ›Laokoonhaftes‹, ganz im Sinne Lessings. In ihm können sich die diversen Ästhetiken und Traditionen der Malerei, der Architektur, des Theaters, der Belletristik, Musik und Lyrik wechselseitig medial bespiegeln und einander vertreten. Petzold deutet diese ästhetischen Traditionen aber nur an und setzt sie andeutend voraus. Er erkundet sie als ein Moderner, distanziert, zitierend. Wenn BARBARA (2012) mit dem Fahrrad in das Wäldchen fährt, ist im Wehen des Laubes gleichsam Michelangelo Antonionis BLOW UP (1966) wie die romantische Malerei und Siegfried Kracauers Bild »der im Winde sich regenden Blätter«9 mit assoziiert. Die Erzählhandlung also spiegelt sich regelrecht in der filmisch-visuell-akustischen Ordnung mit ihren angedeuteten Synästhesien und liefert ihre Referenzen mit. Auch wer diese Bezüge nicht kennt, kann Petzolds Filme genießen.

Petzold dreht nur wenige Takes, das entlastet die Schauspieler, führt zur Planbarkeit der Dreharbeiten. Seine Aufnahmen wirken dadurch aber auch viel frischer, behalten ein dokumentarisches Surplus, die Schauspieler werden nicht ›verbraucht‹.

Man erkennt einen Film von Christian Petzold auf den ersten Blick an seiner Sachlichkeit. Es gibt keine der von den Streaming-Serien gewohnten suggestiven kinematografischen Effekte, wie etwa spektakuläre Kamerafahrten, keine bombastischen Sounds, keine überpointierte Lichtsetzung und auch nur eine sehr begrenzte und oftmals semiotisch gesetzte Spannungsdramaturgie. Alles ist sehr zurückgenommen, am Alltag entlang, meistens chronologisch erzählt (mit experimentellen Flashbacks als Ausnahmen), und dadurch werden die Zuschauenden ernst genommen. Karl Prümm bringt das sehr pointiert auf die Formel, dass Petzold von Innen schaue und von Außen blicke.10 Dabei weisen seine Arbeiten, nicht nur durch das Team, sondern auch inhaltlich und erzählerisch, einen Ensemble-Charakter auf. Wie bei Ozu schlüpfen die Charaktere von Film zu Film, wiederholen und variieren sich Motive, so dass man von einem Petzold-Film sprechen könnte, der nur viele Titel hat, ein Lebenswerk. Folgen wir zunächst den Motiven Petzolds und kommen dann auf narratologische Eigenarten und Besonderheiten zu sprechen.

FILM-KONZEPTE 65 - Christian Petzold

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