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B. Gesellschaftliche Herausforderungen als Herausforderungen für die Rechtstheorie

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Das Buch reagiert auf die starke Zunahme rechtlicher Theorieproduktion. Heute findet man in früher weitgehend theorieresistenten Bereichen, wie dem Internationalen Recht und dem internationalen Wirtschaftsrecht, plötzlich eine hektische Produktion neuer Theoreme. Auch im Gebiet des Europarechts, des Kartellrechts und des europäischen Zivilrechts stellt sich in der Konsequenz der vielen Rechtsreformen zur Anpassung des nationalen Rechts an internationale Märkte plötzlich ein Bedarf für Theorie ein. Dies ist Ausdruck eines sozialstrukturellen Wandels. Man könnte ihn grob als Übergang von der nationalen Industriegesellschaft zu globalisierten Produktionsnetzwerken beschreiben. Konkret betrifft dies vornehmlich zwei Bereiche: Einmal die neue mediale Infrastruktur des Rechts im Kontext der Zunahme der immateriellen Arbeit mit der leichten Verfügbarkeit von immer mehr Informationen im Hypertext des Rechts, die die Fragmentierungen im Innern des Rechts sichtbar machen. Gleichzeitig wird mit der Globalisierung auch das Recht von einem Sog erfasst, der zu immer schnelleren Umwälzungen seiner Regelungsmassen und Grenzen führt.

Traditionelle Rechtskonzeptionen und die darauf bezogene Einführungsliteratur bleiben in der Regel hinter der Komplexität dieser Probleme zurück. Das Recht wird im »alteuropäischen Denken« als Hierarchie von Normen oder Rechtsquellen begriffen. Dahinter steht die große Erzählung des einheitlich durchorganisierten und hierarchischen Nationalstaats, der seine Normen nach einem Top-down-Modell zu produzieren vorgibt. An der Spitze thront die Idee der Gerechtigkeit. Sie ist umgeben vom Adel der Prinzipien und blickt hinunter auf das Volk der Rechtsbegriffe. Man kann, wenn es einen Fall zu entscheiden gilt, immer von den Rechtsbegriffen zu den Prinzipien gelangen. Wenn diese Prinzipien nun untereinander im Streite liegen, nimmt man Zugriff auf die zentrale Idee der Gerechtigkeit. Daraus ergibt sich ein mehrstöckiges Gebäude, worin im obersten Stockwerk die Rechtsphilosophie residiert, welche die Frage beantwortet: »Was ist Recht?«. Im Stockwerk darunter sagt die juristische Methodik, wie das Recht angewendet wird, während im Erdgeschoss die Dogmatiker vorgegebene Rechtsinhalte am Fall erkennen. Das ist das Bauwerk des »alteuropäischen Rechtsdenkens«.

Die Fundamente dieses Bauwerks sind brüchig geworden[8]. Die gesellschaftliche Ausdifferenzierung und die Globalisierung des Rechts schaffen neue, |5|vielfältige Rechtsarenen sowie neue gesellschaftliche Akteur*innen jenseits der alten nationalstaatlichen Apparate. Es wird offensichtlich, was sich im Zeitalter der westlichen Nationalstaaten noch hinter der Fassade der Bürokratie verstecken konnte: dass die hierarchische Produktion des Rechts durch das Quasi-Subjekt Staat eine Selbsttäuschung der Moderne war[9]. Recht wird vielmehr von einer Multitude von Akteur*innen, Apparaten und Systemen in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um dessen Bedeutung[10] permanent aufs Neue produziert. Heute geht es darum, das Recht als ein dynamisches System zu begreifen, das nicht einfach in einer hierarchischen Normstruktur schon vorgegeben ist, sondern hergestellt wird. Dies erfolgt in Rechtsverfahren, im Streit der Beteiligten, in richterlichen Begründungen, in Skandalisierungsprozessen, politischen Interventionen, insgesamt also in lokalen und globalen Netzwerken der Rechtskreation.

Neue Theorien des Rechts

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