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C. Schwerpunktsetzung des Sammelbandes

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Die hier vorgestellten Theorieansätze stimmen darin überein, dass die Herausforderung der Gegenwart in den Widersprüchen der Moderne liegt, in der großen Sprachverwirrung, die sich aus einer radikalen Vervielfältigung unterschiedlicher kommunikativer Anschlusszusammenhänge und einem gesellschaftlichen Polytheismus ergibt, dessen Vielheit nicht einmal mehr durch zwanglos geführte Diskurse der Götter im Olymp zur Einheit domestiziert werden kann[11]. Aktuelle Rechtstheorien kreisen damit um etwas, das Jean-Francois Lyotard in das Begriffspaar litige und différend gebracht hat, Niklas Luhmann als Vielheit selbstreferentieller Systeme beschreibt und Jürgen Habermas unvereinbare Diskursuniversen nennt[12]. Wie nun kann man mit der Unverträglichkeit verschiedener Diskurs- oder Sprachwelten umgehen? Wie ist angesichts der globalen Rechtsfragmentierung noch die Einheit der Rechtsordnung zu denken?

In der Beantwortung dieser Fragen nehmen die neuen Theorieansätze in ihrer jeweiligen gesellschaftlichen Kontextualisierung unterschiedliche Perspektiven ein. Diese Perspektivenvielfalt kommt in der Kapitelgliederung des Buches zum Ausdruck. Die Beiträge sind in fünf Bereiche aufgeteilt – (1) Ausdifferenzierung von Recht und Politik; (2) Rechtsverständnisse; (3) Politik des Rechts; (4) Fragmentierung des Rechts; (5) Transnationaler Rechtspluralismus. Alle fünf Betrachtungsdimensionen überschneiden sich, und die vorgestellten Großtheorien |6|haben ihrem Anspruch nach zu allen fünf Themenkomplexen etwas zu sagen. Dennoch bietet sich eine solche – kontingente – Systematisierung an, um die Zentralaussage der Theorien deutlich hervortreten zu lassen. Denn der Heterogenität der gesellschaftlichen Grundannahmen korrespondiert eine unterschiedliche Schwerpunktsetzung der jeweiligen Modellierung.

So sind die neo-kantischen Rechtstheorien von Jürgen Habermas und Ingeborg Maus (siehe hierzu den Beitrag von Peter Niesen und Oliver Eberl) wie auch das dekonstruktivistische Denken Jacques Derridas (Thomas M. Seibert), systemtheoretische Arbeiten in der Tradition Niklas Luhmanns und Gunther Teubners (Kolja Möller) und Theorien des Post-Juridischen (Hannah Franzki) von dem Bemühen geleitet, die Prozesse der Ausdifferenzierung von Recht und Politik, d.h. Trennung und Verknüpfung eigendynamischer Gesellschaftsbereiche, zu beschreiben. Die Einheit der Gesellschaft im Staat kann heute nicht mehr vorausgesetzt werden. Auch über die Definition des »Feindes« kann Homogenität in einer pluralistischen Gesellschaft nicht geschaffen werden. Selbst der Entwurf Rudolf Smends, wonach die Einheit des Rechts dadurch zustande komme, dass dieses ein »Wert- oder Güter-, ein Kultursystem« bilde[13], wird zunehmend unplausibel. Diese Utopie scheitert an der Unübersichtlichkeit und Vielfalt der Lebensverhältnisse. Die Gesellschaft bildet zwar einen einheitlichen Zusammenhang von Kommunikation, aber es gibt kein Ganzes, von dem aus man diese Einheit kontrollieren könnte. An die Stelle der Einheit tritt die Frage nach den Bedingungen von Vielfalt und danach, wie eine scheinbar holistische Totalität von einer radikaldemokratischen Allgemeinheit abgelöst werden kann. Im Recht tauchen diese Fragestellungen an zahlreichen Stellen auf, sie betreffen den Begriff des Rechts selbst, aber bspw. auch den Methodenstreit im deutschen Verfassungsrecht[14].

Die im Abschnitt Rechtsverständnisse vorgestellten Ansätze verbindet, dass sie die Rechtsform selbst anders als in klassisch systemischen Beschreibungen verstehen: Für postanalytische Ansätze (Jochen Bung und Markus Abraham), neuen Rechtsempirismus (Friedemann Vogel und Ralph Christensen), nachpositivistische (Nikolaus Forgó und Alexander Somek) sowie ästhetische Theorien des Rechts (Jörn Reinhardt und Eva Schürmann) ist die Rechtsform kein einheitliches System im Stufenbau nationaler Rechtsregeln und -prinzipien, sondern eine medial ausdifferenzierte soziale Form. So verstanden stellen sich die Fragen der Rechtskonstitution anders, ja radikaler als in klassischen Zugängen.

Die im Anschluss an diese Konzeptionen im Kapitel Politik des Rechts vorgestellten Autorinnen und Autoren bringen die blinden Flecke eines scheinbar unpolitischen Rechts zum Ausdruck, indem sie u.a. die gesellschaftlichen Kämpfe um Anerkennung[15] ins Zentrum ihrer Thematisierung stellen. Sie insistieren |7|darauf, dass das Recht kein neutrales Vermittlungsmedium ist, sondern immer auch eine »Technologie der Macht«, welche die gesellschaftlichen Institutionen und Subjekte erst produziert, die sie nur zu regulieren vorgibt. Weil jedoch zugleich eine instrumentalistische Auffassung abgelehnt wird, drehen sich die Auseinandersetzungen stets um das Verhältnis von rechtlicher Eigendynamik und Heteronomie. Die Konfliktizität des Rechts wird dabei insbesondere von der prozeduralen Rechtstheorie Rudolf Wiethölters (Andreas Fischer-Lescano und Gunther Teubner), den Critical Legal Studies (Günter Frankenberg), post-materialistischen Ansätzen (Sonja Buckel), der Rechtssoziologie Pierre Bourdieus (Soraya Nour) und der feministischen Rechtstheorie (Sarah Elsuni) analysiert, während die Arbeiten Michel Foucaults zur Gouvernementalität (Thomas Biebricher) die Frage aufwerfen, ob sich nicht längst eine »Biopolitik«, d.h. eine Machtform, die das Leben verwaltet, in den Nischen des formalen Rechts eingenistet hat oder sogar zu dessen verborgenem Fundament geworden ist.

Wenn man die Fiktion von Einheit und Homogenität der Gesellschaft aufgibt, tauchen neue Probleme auf: Wie können Koexistenz und Kooperation unterschiedlicher Sprach- und Lebensformen funktionieren? Die Frage nach Bedingung der Einheit wird ersetzt durch die Frage nach Bedingungen von Vielfalt. Problematisch wird ein Fundamentalismus, der behauptet, über die einzig richtige Lesart für den Text seiner Kultur zu verfügen. Denn er privilegiert seine eigenen Assoziationen und Kontexte, wodurch andere Lesarten unsichtbar werden. Die Tendenz zur Ausschließlichkeit und Absolutsetzung eigener Maßstäbe und Lesarten muss in einen friedlichen Wettstreit von Argumenten überführt werden, ohne dass schon zu sehen ist, wie dies geschehen kann. Hier stößt man auf das grundsätzliche Problem der Inkommensurabilität. Bei der Kollision unterschiedlicher Lebensformen oder sozialer Teilsysteme findet man zwar häufig eine Schnittmenge von Gemeinsamkeiten, aber eben nicht immer. Wenn eine solche Grundlage für die Verständigung nicht vorhanden ist, muss die Suche danach durch äußere Zwänge in Gang gesetzt werden. Hier stellt sich die Frage, was das Recht für die Lösung des Problems der Unverträglichkeit oder Inkommensurabilität leisten kann. Dies bildet den Kern des dritten Buchkapitels – Fragmentierung des Rechts – in welchem rechtsökonomische (Johan Horst), medientheoretische (Gianna Schlichte und Johannes Haaf) sowie neurowissenschaftlich (Malte-Christian Gruber) inspirierte Ansätze im Vordergrund stehen. Hier geht es um die Beschreibung und normative Einhegung gesellschaftlicher Fragmentierungsprozesse, die nicht nur Politik und Recht sondern in einem weitergehenden Sinn alle gesellschaftlichen Großbereiche, Kunst, Wirtschaft, Religion, Wissenschaft etc. gleichermaßen betreffen.

Eine ähnliche, aber in Transnationalisierungstendenzen eingebundene Fragestellung haben diejenigen Theoriemodelle, die abschließend im Kapitel transnationaler Rechtspluralismus vorgestellt werden. Gerade systemtheoretische Arbeiten haben den Blick für die Radikalität weltgesellschaftlicher Ausdifferenzierungsprozesse geschärft. So richten sich die Analysen in dieser Tradition auch |8|zunehmend auf das Weltrecht aus, wie am Beispiel der transnationalen Rechtsprozesse (Felix Hanschmann und Tim Wihl) deutlich wird, deren Herausforderung für die Rechtstheorie darin liegt, dass sich in ihnen offenbar gesellschaftliche Fragmentierungsprozesse mit operativen »Interlegalitäten« im Weltrecht verbinden[16]. Interlegalität bedeutet dabei mehr als nur eine statische Vielfalt gegeneinander abgegrenzter normativer Ordnungen, wie sie in der klassischen Rechtssoziologie von Eugen Ehrlich, Santo Romano, Maurice Hauriou, Georges Scelle und Georges Gurvitch beschrieben wurden[17]. Das wäre nur eine Strategie der Ontologisierung sozialer Beziehungen. Stattdessen thematisieren die zeitgenössischen Ansätze eine dynamische Vielfalt von normativen Operationen. In diesen regen sich parallele Normsysteme unterschiedlicher Herkunft wechselseitig an, greifen ineinander und durchdringen sich, ohne in einer gemeinsamen Metasprache oder gar in gemeinsamen Werten und Prinzipien kulminieren zu können. Das »Recht in globaler Unordnung«[18] ist vielmehr ein heterarchisches Gebilde. Dies abzubilden ist Ziel der Konzeptionen des globalen Rechtspluralismus, dessen Verwobenheiten mit der imperialen Lebensweise des Globalen Nordens (Miriam Saage-Maaß und Carolijn Terwindt) und den postkolonialen Realitäten (Maxim Bönnemann und Max Pichl) in den beiden abschließenden Beiträgen des Bandes aufgezeigt werden.

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