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3. Einwirkungen des Beihilfenregimes

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Art. 107 Abs. 1 AEUV erklärt „staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, … soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinflussen“ als mit dem Binnenmarkt unvereinbar. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH wird der Beihilfebegriff sehr weit verstanden, aus der Formulierung „Beihilfen gleich welcher Art“ wird gefolgert, dass nicht nur positive Leistungen des Staates, sondern ebenso Maßnahmen, welche die Belastungen verringern, die ein Unternehmen normalerweise zu tragen hat, Gegenstand der Beihilfenkontrolle sein können[1268]. In jüngerer Zeit wird berechtigte Kritik an einer zu extensiven Interpretation geübt[1269]. Die Befreiungen von Steuern oder Abgaben, sog. Verschonungssubventionen gelten als klassischer Anwendungsfall dieser Rechtsprechung und sind dem Grunde nach von Art. 107 Abs. 1 AEUV erfasst[1270].

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Die in der Praxis behandelten Fallkonstellationen befassen sich durchweg mit steuerlichen Maßnahmen, aber auch eine Gebührenordnung war bereits Gegenstand einer Entscheidung des EuG[1271] sowie EuGH[1272]. Nach ständiger Rechtsprechung ist freilich bei der Überprüfung der Beihilfeneigenschaft nicht nach der Rechtsform der konkreten Begünstigung zu unterscheiden[1273], vielmehr ist erneut die offene Formulierung in Art. 107 Abs. 1 AEUV, in welchem von „Beihilfen gleich welcher Art“ die Rede ist, zu berücksichtigen. Die das Unionsrecht insgesamt prägende funktionale Betrachtung setzt sich auch hier durch, so dass der Wirkung, nicht der Form der konkreten Maßnahme entscheidende Bedeutung zukommt. Dadurch bleibt die Beihilfenkontrolle unabhängig von der konkreten Ausgestaltung des nationalen Steuer- und Abgabensystems. Umgekehrt soll es den Mitgliedstaaten nicht möglich sein, durch die Wahl einer bestimmten, ungewöhnlichen Abgabenform das Beihilfeverbot zu umgehen[1274]. Konsequenterweise können somit grundsätzlich jegliche Formen von Abgaben, die das deutsche Recht kennt, unter Art. 107 Abs. 1 AEUV fallen, es bestehen keine Unterschiede in der europarechtlichen bzw. beihilferechtlichen Beurteilung von Steuern und anderweitigen Abgaben.

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Entscheidendes Kriterium in Steuer- und Abgabenfällen ist die „Selektivität“. Wie Art. 107 Abs. 1 AEUV formuliert, muss die Beihilfe „bestimmte[r] Unternehmen oder Produktionszweige“ begünstigen. Solange also eine Maßnahme auf „alle Unternehmen oder Produktionszweige, die sich in einer im Hinblick auf das verfolgte Ziel vergleichbaren rechtlichen oder tatsächlichen Situation“ befinden, anwendbar ist, wird sie nicht als bestimmt gewertet und stellt somit keine Beihilfe dar[1275]. Dementsprechend ist die Maßnahme selektiv, sobald solche Unternehmen, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden, unterschiedlich behandelt werden. Nach der jüngeren Rechtsprechung und der Mitteilung der Kommission zum Beihilfebegriff[1276] ist im Rahmen dieses Tatbestandmerkmals zumindest in Steuerfällen eine insgesamt dreistufige Prüfung[1277] vorzunehmen: Zunächst gilt es, eine allgemeine Regelung, von der die untersuchte Maßnahme möglicherweise abweicht, zu identifizieren. Als nächster Schritt wird das Vorliegen einer Ungleichbehandlung von Unternehmen in einer im Hinblick auf das verfolgte Ziel vergleichbaren Situation untersucht. Schließlich erfolgt als drittes, gleichsam als Korrektiv eine Prüfung, ob nicht eine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung durch die Logik des Systems vorliegt[1278]. Denn eine solche Maßnahme ist nicht selektiv.[1279]

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Zunächst bedarf es somit zur beihilferechtlichen Beurteilung einer steuerlichen Maßnahme der Feststellung des steuerlichen Normalfalles (der sog. Referenzregelung)[1280]. Maßgeblicher Bezugspunkt ist einzig das in Rede stehende Regelungswerk, der EuGH hat insofern klargestellt, dass der wirtschaftliche Vorteil stets nach einem „Bezugspunkt in einem gegebenen rechtlichen System“ zu bestimmen sei, damit es nicht zu einem Vergleich von aufgrund fehlender steuerrechtlicher Harmonisierung auf Unionsebene bestehenden, unterschiedlichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen komme[1281]. Daraus folgt, wie der EuGH jünst klarstellte, dass zur Bildung des Referenzsystems nicht einfach einzelne Regelungen künstlich aus einem breiteren Rahmen herausgelöst werden dürfen[1282]. Bei bestehender europäischer Harmonisierung kann die Referenzregelung zudem auch aus dem Europarecht selbst entnommen werden[1283]. Seit dem Urteil des EuGH im sog. Azoren-Fall steht auch außer Frage, dass Anknüpfungspunkt für die Bewertung einer Steuerbefreiung in einem autonomen Gebiet nur das allgemeine Steuersystem dieses Gebietes und nicht etwa das Steuerregime des gesamten Mitgliedstaates zu sein hat[1284]. Geht es um die Benutzung einer bestimmten Einrichtung, kann die Referenzregelung sogar nur so groß sein, wie es die gegenwärtigen und potenziellen Nutzer dieser Einrichtung erlauben[1285].

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Als zweiter Schritt gilt es zu ermitteln, ob der steuerliche Ausnahmetatbestand bestimmte Unternehmen im Vergleich zu anderen Unternehmen, die sich im Hinblick auf das von dieser Regelung verfolgte Ziel in einer tatsächlich und rechtlich vergleichbaren Situation befinden, besserstellt. Nicht entscheidend ist, dass die Privilegierten eine in sich geschlossene Gruppe, die sich nach einem wie auch immer gearteten Kriterium abgrenzen lässt, darstellen[1286]. In einer jüngeren Entscheidung hat der EuGH zudem darauf hingewiesen, dass die Bestimmung der Bemessungsgrundlage sowie die Verteilung der Steuerbelastung unter die Steueratonomie der Mitgliedstaaten falle, sodass diesen ein Ermessensspielraum zustehe, der nur begrenzt vom EuGH überprüft werden könne[1287]. Die ausdrückliche Betonung der Steuerhoheit der Mitgliedstaaten und die damit einhergehende Zurückhaltung des EuGH wird von der Literatur durchweg begrüßt[1288].

An dieser Stelle muss das Ziel des zu untersuchenden Ausnahmetatbestands identifiziert werden. Zu bedenken ist allerdings, dass die von der in Frage stehenden Maßnahme verfolgten Ziele als solche für deren rechtliche Beurteilung nicht von Bedeutung sind[1289]. Selbst begrüßenswerte sozialpolitische oder umweltpolitische Motivation kann somit einer die Merkmale des Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllenden Maßnahme nicht ihren beihilferechtlichen Makel nehmen. In diesem Kontext sei besonders auf das Urteil des EuGH in der Rechtsmittelsache British Aggregates hingewiesen[1290]. Hier hebt der Gerichtshof erneut ausdrücklich hervor, dass „staatliche Maßnahmen […] nicht nach den Gründen oder Zielen, sondern einzig und allein nach ihren Wirkungen“ zu beurteilen seien[1291]. Die Verfolgung von Umweltschutzzielen rechtfertige es nicht, wettbewerbsverzerrende staatliche Maßnahmen dem Verbot des Art. 107 Abs. 1 AEUV zu entziehen.

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Als Korrektiv wird in einem dritten Schritt der Selektivitätsprüfung abschließend das mögliche Vorliegen einer Rechtfertigung der Ungleichbehandlung durch das Wesen bzw. die allgemeinen Struktur des Steuersystems untersucht[1292]. Die Beweislast liegt diesbezüglich beim Rechtfertigungsgründe anführenden Mitgliedstaat[1293]. Während der EuGH in der Verfolgung systemimmanenter Ziele, wie z.B. dem Grundsatz der Steuerneutralität, der Steuerprogression[1294] oder der Umverteilungslogik[1295], stets einen Rechtfertigungsgrund sieht, ist die Behandlung von externen, dem Regelungswerk zugewiesenen Zielen nach dem EuGH und der Kommission abzulehnen[1296]. Gerechtfertigt sind nach der Bekanntmachung der Kommission zum Beihilfenbegriff auch Maßnahmen zur Bekämpfung von Betrug oder Steuerhinterziehung, Maßnahmen die sich aus der Notwendigkeit der Beachtung besonderer Rechnungslegungsvorschriften ergeben aber auch Maßnahmen mit dem Ziel der bestmöglichen Einziehung von Steuerschulden[1297].

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Die Zahl der auf Art. 107 AEUV gestützten abgabenrechtlichen Judikate nahm erst im Zuge der Debatte des Ministerrates für Wirtschafts- und Finanzfragen vom 1. Dezember 1997 und dem in diesem Zusammenhang aufgestellten Verhaltenskodex zur Bekämpfung des schädlichen Steuerwettbewerbs[1298] deutlich zu[1299]. Durch den Kodex wurde eine Verbindung zwischen schädlichem Steuerwettbewerb und Beihilferegelwerk hergestellt. Anlass zu dieser Initiative hatte die zunehmende Praxis von „Steueroasen“ gegeben, durch die grenzüberschreitende Investitionen angezogen werden sollten[1300]. Zwar steht außer Frage, dass ein Wettbewerb grundsätzlich wünschens- und erstrebenswert ist, allerdings geht es der Initiative um die Bekämpfung einzelner Praktiken, die darin bestehen, dass ein Mitgliedstaat durch ungerechtfertigte steuerliche Vergünstigungen die Attraktivität eines bestimmten Standortes für internationale Investoren zu steigern versucht[1301]. Negative Folgen solcher Vorgehensweise sind eine Kettenrektion und ein Verdrängungswettbewerb, die Gefahr eines „race to the bottom“ zwischen den Mitgliedstaaten. Dies könnte zu einer Erosion des staatlichen Steuersubstrats führen – wobei freilich die Finanzwissenschaften über einen derartigen Befund uneins sind[1302]. Zudem kommen in der Regel nur einzelne Unternehmen, Branchen oder ausländische Investoren in den Genuss der Steuervorteile, d.h. Wettbewerbsverzerrungen sind vorprogrammiert[1303]. Daher setzte sich die gemeinsame Auffassung durch, dass es einer bestmöglichen Kontrolle des schädlichen Steuerwettbewerbes bedarf. Ziel ist es nicht, den System- und Preiswettbewerb zu bekämpfen oder einheitliche, harmonisierte Steuersätze zu schaffen, vielmehr soll der lautere und gesunde Wettbewerb gesichert werden[1304]. Konsequenz dessen war eine strengere Haltung der Kommission unter dem seinerzeitigen Wettbewerbs-Kommissar Mario Monti gegenüber steuerlichen Beihilfen bei der direkten Besteuerung; Steuervergünstigungen gelangten mehr und mehr in den Fokus der Beihilfenkontrolle[1305].

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Während eine Harmonisierung auf dem im Vertrag vorgesehenen Weg[1306] nicht zuletzt aufgrund der strengen Einstimmigkeitserfordernisse „sanft“ und konsensual erfolgt, bietet das Beihilferecht – ähnlich wie die Anwendung der Grundfreiheiten – der Kommission eine effektive Möglichkeit, auf nationale Abgabenregelungen unmittelbaren Einfluss zu nehmen. Wenn ein Verstoß gegen Art. 107 Abs. 1 AEUV festgestellt wird, beschließt die Kommission gemäß Art. 108 Abs. 2 AEUV, dass der jeweilige Mitgliedstaat binnen einer festzulegenden Frist die Regelung aufzuheben oder umzugestalten hat[1307]. Rückwirkend sind sämtliche Auswirkungen der Beihilfeauszahlung bzw. Abgabenbefreiung zu beseitigen, der gewährte Betrag ist samt Zinsen zurückzufordern. Die Brisanz einer solchen Entscheidung liegt auf der Hand, eine Abgabenregelung nachträglich zu verwerfen kann zu tiefgreifenden Eingriffen in das Steuer- und Abgabenrecht eines Mitgliedstaates führen, ungeachtet der mitgliedstaatlichen Vorbehalte und der fehlenden Harmonisierung in diesem Bereich. Hinzu kommen praktische Herausforderungen, denn die Rückforderung der Beihilfe vom Empfänger bzw. Begünstigten hat der Mitgliedstaat nach nationalem Verfahrensrecht – unter Berücksichtigung des effet utile – eigenständig durchzuführen[1308].

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Das unionale Beihilfenregime bezieht sich stets auf einzelne, selektive steuerliche Maßnahmen, nicht auf das mitgliedstaatliche Steuersystem als solches. Das Kompetenzdefizit der Union in Puncto Harmonisierung lässt sich so kaum aushebeln[1309]. Die Intensivierung der Beihilfenkontrolle in Bezug auf steuerliche Regelungen als Folge der Monti-Initiative zur Bekämpfung des schädlichen Steuerwettbewerbs hat verdeutlicht, dass das Unionsrecht, insbesondere der Gedanke des unverfälschten Wettbewerbes im Binnenmarkt, in das Steuer- und Abgabenrecht der Mitgliedstaaten strahlt, und dass Art. 107 Abs. 1 AEUV für die Unionsorgane potenziell ein scharfes Schwert darstellt. Gleichwohl haben noch immer die Mitgliedsstaaten die exklusive, wenig harmonisierte Kompetenz im Bereich der Besteuerung inne. Es steht ihnen frei, neue Steuerregelungen zu schaffen, Steuersätze zu erhöhen und zu senken, oder steuerliche Systementscheidungen zu modifizieren,[1310] solange kein Verstoß gegen europäisches Beihilfenrecht oder sonstiges Unionsrecht erfolgt[1311]. In den Worten Wolfgang Schöns: „Der MS [Mitgliedstaat] trifft autonom die grundlegenden Belastungsentscheidungen, wird aber kraft europäischen Rechts zu ihrer gleichheitskonformen Ausgestaltung gezwungen“[1312].

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Die Vorschriften der Art. 107 ff. AEUV sind neben den steuerlichen Vorschriften anwendbar, Maßnahmen sind ggf. unter beiden Aspekten zu prüfen. In der Judikatur des Gerichtshofs verzichtet dieser freilich auf eine Prüfung anhand von Art. 107 AEUV, wenn ein Verstoß gegen Art. 110 AEUV festgestellt werden konnte[1313].

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