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H. Europarechtliche Bezüge des Raumordnungsrechts
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Der zunehmende Einfluss des Unionsrechts blickt auf eine längere raumordnungspolitische Diskussion auf europäischer Ebene zurück. Die Grundlage für europäische Raumentwicklung und für die Entwicklung hin zu einem europäischen Raumdenken kann bereits in dem Streben nach einem „Raum ohne Binnengrenzen“ in den 80-er Jahren gesehen werden[218]. Die Idee grenzüberschreitender raumordnungspolitischer Zusammenarbeit war dagegen schon 1970 durch die Europäische Raumordnungsministerkonferenz des Europarats (CEMAT) geboren. Die Struktur des Gesamtraums der EG, später EU, war jedoch von Anfang an äußerst heterogen und wies große wirtschaftliche und soziale Unterschiede in den einzelnen Gebieten auf. Trotz der aktiven Förderung ihrer schwächsten Regionen durch die Europäische Gemeinschaft und nunmehr durch die Europäische Union entsprechend ihres Ziels des sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhalts gem. Art. 2 EUV a.F. mittels diverser Instrumente der Struktur- und Regionalpolitik[219] verspürten die zuständigen Akteure – analog zu dem Problem der unkoordinierten einzelnen raumrelevanten EU-Fachpolitiken – das Bedürfnis nach einer übergeordneten Abstimmung. Ein Meilenstein dieser Entwicklung ist das 1993 von der Kommission vorgelegte Papier „Europa 2000“[220]. Hier vertrat die Kommission bereits die Ansicht, dass zur Lösung von grenzüberschreitenden raumordnerischen Problemen eine Koordination der Raumordnungspolitiken der Mitgliedstaaten geboten erscheint. Darauf aufbauend folgte der unverbindliche und uneigentliche Ratsbeschluss[221] des Europäischen Raumentwicklungskonzepts 1999 (EUREK), welches bereits von der „Vision vom künftigen Raum der EU“[222] spricht. Das EUREK war insoweit eine selbstverpflichtende Agenda zwecks Abstimmung der raumrelevanten Politiken bzw. Politiken mit „territorialer Auswirkung“ der Mitgliedstaaten. Basierend auf diesem Konzept und den darauf gefolgten Kommissionberichten in den folgenden Jahren einigten sich die Mitgliedstaaten schließlich 2007 auf eine Territoriale Agenda der Europäischen Union (TAEU), in der sie zwar festhalten, dass die nationalen Raumordnungspolitiken nicht von einer übergeordneten europäischen Instanz kontrolliert werden sollen; inhaltlich geht sie jedoch weiter als das EUREK[223].
Dieser politische Diskurs, der auch auf Ebene des Europarats geführt wurde[224], korreliert dabei mit den unionsrechtlichen Aspekten der Raumentwicklung. Dass die einzelnen Fachkompetenzen der EU insbesondere in der Agrar- (Art. 38 ff. AEUV), Struktur- (Art. 174 ff. AEUV), Umwelt- (Art. 191 f. AEUV) und Verkehrspolitik (Art. 90 ff. AEUV) bereits erheblichen Einfluss auf die Raumplanung und -entwicklung der Mitgliedstaaten haben, wurde bereits dargelegt. Mit dem EU-Verfassungsvertrag 2004 (VVE) sollte darüber hinaus gem. Art. I-3 Abs. 3 Unterabs. 3 VVE der territoriale Zusammenhalt als Ziel der Union festgeschrieben werden. Dieses so genannte Konzept der territorialen Kohäsion wurde schließlich durch den 2009 in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon in den Vertrag über die Europäische Union (EUV n.F.) und in den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) integriert: Die EU fördert nunmehr gem. Art. 3 Abs. 3 EUV den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt zwischen den Mitgliedern, wobei ihr diesbezüglich gem. Art. 4 Abs. 2 lit. c AEUV die geteilte Zuständigkeit mit den Mitgliedstaaten übertragen wurde. Die Strukturpolitik wurde ebenfalls um den Aspekt des territorialen Zusammenhalts erweitert (Art. 174 Abs. 1 AEUV), was nun auch die eingangs erwähnten Instrumente der Struktur- und Regionalpolitik wie z.B. den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung gem. Art. 176 AEUV betrifft. Basierend auf dieser Einführung des EU-Ziels des territorialen Zusammenhalts wurde schließlich am 19. Mai 2011 die TAEU aus 2007 überprüft und neu ausgearbeitet (Territoriale Agenda der Europäischen Union 2020); sie geht auf die obig dargestellten neuen europarechtlichen Rahmenbedingungen für die Raumentwicklung, sowie auf die neuen Herausforderungen für die europäische Raumordnung im Einzelnen ein – so z.B. auf die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise für die Raumentwicklung[225] – und konkretisiert die Ziele aus der TAEU 2007; außerdem gibt sie klare Handlungsvorschläge für alle Raumordnungsakteure, wie die Ziele in die raumwirksamen Politiken und Aktionen der Union sowie der Mitgliedstaaten wirksam integriert werden können.
Inwieweit die Einführung des Konzepts der territorialen Kohäsion jedoch tatsächlich die europäische Raumentwicklung voranzubringen in der Lage ist, bleibt abzuwarten[226]. Vieles spricht dafür, dass einerseits eine erfolgreiche, europäische Raumentwicklungspolitik wohl weiterhin von dem Willen und der Rücksichtnahme der Mitgliedstaaten abhängen wird, zumal eine umfassende Raumordnungskompetenz der Europäischen Union kaum mit ihrer subsidiären Natur und dem dezentralen Charakter der bisherigen regionalen Strukturförderung vereinbar erscheint[227]. Auf der anderen Seite kann sich die europäische Raumentwicklungspolitik auf das bereits 2002 gegründete und bewährte European Spatial Planning Oversation Network (ESPON) als raumordnerisches Informationsnetzwerk stützen und hat im Rahmen ihrer Strukturförderungsmaßnahmen nach Art. 174 ff. AEUV bereits konkrete Erfolge zu verzeichnen[228]. Mit Blick auf die zunehmenden grenzüberschreitenden raumordnerischen Herausforderungen bleibt die politische Debatte um die zukünftige Rolle einer europäischen Raumordnung als rechtlicher Rahmen für die teils sehr unterschiedlichen Raumordnungspolitiken der in ihrem raumordnerischen Entwicklungsstand auseinanderfallenden Mitgliedstaaten jedoch aktuell.