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6. Körnerpark

Der Tag, an dem Uli und Hubert zum ersten Mal ohne die Eltern in den Körnerpark gehen, ist sonnig aber kalt. Sie tragen Wintermäntel.

Der Körnerpark liegt in einer Senke, einige Meter unterhalb der angrenzenden Straßen, geborgen im Schutz hoch aufstrebender, mit Blendarkaden verzierter Mauern und von Balustraden umsäumt.

Zwei frierende Konfirmanden posieren auf der monumentalen Treppenanlage zur Schierker Straße für ein bleibendes Foto. Das Mädchen hat seinen Mantel abgelegt und hält einen Strauß weißer Freesien im Spitzenschleier vor das schwarze Samtkleid, der Junge zupft an den Ärmeln seines Anzugs, die sichtbar zu lang sind. Uli mustert die beiden verstohlen und voller Ehrfurcht vor ihrem Erwachsensein. Bald werden auch die Erstklässler mit ihren glänzenden Schultüten an gleicher Stelle in die Kameras lachen, stolz auf ihre Zahnlücken.

Kaum haben Uli und Hubert den Park betreten, werden sie angehalten.

„Taschenkontrolle!“ Erschrocken starren sie in die Gesichter von zwei Halbwüchsigen. Aus den Blicken der beiden können die Geschwister es ablesen: Die machen keinen Spaß. Zu groß sind sie, um ihnen davonlaufen zu können, zu stark, um ihnen Widerstand zu leisten. Mit harten Fingern durchwühlen sie die Manteltaschen der Kinder, bis der Größere von ihnen zwei kleine Autos findet, die Hubert zum Spielen eingesteckt hat. Die lässt er in seinen Hosentaschen verschwinden.

„Was glotzt ihr so dumm?“ Die beiden ziehen davon. „Beim nächsten Mal müsst ihr bezahlen! In echt! Wehe, ihr habt kein Geld mit!“ Der Kleinere ruft es drohend über die Schulter zurück. Die Autos waren ganz neu und eine Belohnung für das gute Zeugnis vor den Osterferien. Ratlos und weinend machen Uli und Hubert kehrt.

„Für Diebstahl kommt man ins Gefängnis“, tröstet die Großmutter sie. Uli ist erleichtert, die Jungen eingesperrt zu wissen. Als ihr einige Tage später der Größere von Weitem begegnet, traut sie ihren Augen nicht.

Eine Weile noch denkt Uli mit Herzklopfen an den Vorfall, doch ohne den Körnerpark bliebe den Kindern kein anderer Platz als der Hinterhof und ein verkommenes Karree vor der Schierker Straße, mit einem rostigen Klettergerüst, schattig und voller Hundehaufen. Auf den kreuzweise zusammengezimmerten bunten Holzbänken mit einem winzigen Tisch in der Mitte sitzen rittlings alte Männer und spielen Skat. Zigarettenkippen liegen auch auf dem Boden.

In der warmen Jahreszeit ist der Körnerpark ein Lustgarten mit Rosenhecken, die duften, und Blumenrabatten, mit Wein- und Efeuranken, die das Elend des Krieges verdecken. Überall an den Mauern bröckelt der Putz neben breit gestreuten Einschusslöchern und legt rostige Eisenträger frei, brüchige Stellen sind hier und da notdürftig zugemauert. Von den Fensterrahmen und Flügeltüren der Orangerie blättert die weiße Farbe ab, drinnen stehen Spaten, Schaufeln und Laubbesen nebeneinander, dicke Wasserschläuche liegen am Boden, zusammengerollt wie träge Riesenschlangen.

Die Wasserspiele, das Herzstück des Parks, liegen brach. Die Rohre für die künstliche Kaskade und den Springbrunnen sind gebrochen, auf dem rissigen Grund des Beckens haben Mädchen mit weißer Kreide das magische Gitter für ein Hopsespiel gezeichnet: Himmel und Hölle. Rollschuhlaufen im Becken ist verboten, steht auf einem Schild, aber im Winter, bei Schnee, gleiten die Kinder über eine lange Schlitterbahn, die sie mit ihren Schuhsohlen und immer neuen Anläufen spiegelblank poliert haben.

Auf dem gewölbten Rand des Beckens balancieren Mädchen, eine ganze Runde, ohne herunterzufallen. Unten lassen sie ihr Springseil laut klatschend über den Steinboden kreisen oder treiben mit einer kleinen Peitsche ihre bunten Holzkreisel an. Triesel, sagen die Kinder.

„Triesel?“ Uli tippt sich an die Stirn. „Kreisel heißt das!“ Uli fühlt sich stark. Sie trägt die ersten Kniestrümpfe im Jahr und ist dementsprechend selbstbewusst. Ohne Kniestrümpfe dürfte sie gar nicht mitreden.

Wenn die Zeit der Maikäfer gekommen ist, kaufen die Kinder sie in einer Zoohandlung und beobachten, wie sich die plumpen Tiere, in Schuhkartons gepfercht, durch frisch gepflückte Kastanienblätter fressen. Vorsichtig betasten sie die kleinen Besen an ihren Fühlern. Später werden die Tiere zum Abflug in den Körnerpark gebracht. Sie entfalten die Flügel unter dem geöffneten Panzer und schwirren geräuschvoll von den Balustraden ins Grüne.

Zwei flach abfallende Wege führen von der Ostseite her in den Park. Hier geben mit pumpenden Armbewegungen die Kriegsversehrten ihren Rollstühlen Schwung. In den langen braunen Wagen sitzen sie wie in offenen Särgen, eine schwarze wasserfeste Kunststoffplane liegt über den Beinen oder dem, was von ihren Beinen übrig geblieben ist.

Auch die Figuren im Park haben einiges abbekommen. Am unteren Ende des Wasserfalls, auf den flachen Mauern, thronen zwei Sphinxe zu beiden Seiten: zwei Löwenkörper mit Widderköpfen, deren Nasen abgeschlagen sind. Mit dem Verlust ihrer mystischen Aura ertragen sie stumm die reitenden und johlenden Kinder auf ihren Rücken.

Am oberen Ende, in der niedrigen Grotte, die sich über verrostete Rohre wölbt, stinkt es nach Urin und verfaultem Laub. Wer von den Kindern als Erster die sechs hohen Stufen der Kaskade überwindet und oben an der stinkenden Grotte ankommt ist Sieger. Im Sommer behindern große Pflanzkübel mit bunter Kresse den Wettkampf. In dichten Ranken ergießen sich ihre Blüten über die Anlage. Uli und Hubert und andere aus der Nachbarschaft klettern zwischen den Blumen auf und ab. Sie wissen, dass es verboten ist.

Der hinkende Parkwächter trägt einen grauen Anzug und eine Dienstmütze mit schwarzem Lackschirm. Die Kinder nennen ihn Kanne.

„Kanne kommt!“ rufen sie, wenn er von Weitem Drohgebärden in ihre Richtung schickt und Anstalten macht sie zu verfolgen.

„Ich werde euch die Hammelbeine schon lang ziehen!“ brüllt er. Aber wie? Immerhin hält er seinen silbernen Spieß wie einen Degen in die Höhe. Der Spieß ist zum Aufsammeln von Papier. Einmal hing ein blassgelbes Gummistrümpfchen an der Spitze. „Für Puppen“, hat Uli gedacht und nicht verstanden, warum der Parkwächter anfing zu fluchen.

Benni, der Hilfsschüler aus dem Nachbarhaus, hat ein totes Mauswiesel im Gebüsch gefunden, mit rotbraunem Rücken und weißem Bauch. Der Körper ist biegsam, keine Totenstarre, das Maul mit den spitzen, gelben Zähnen ist leicht geöffnet. Benni wirft das Tier in die Luft, fängt es wieder auf und stopft es unter den Reißverschluss seiner Jacke. Oben schaut der Kopf heraus.

Uli geht Doris und Ingrid entgegen, den beiden Schwestern aus ihrem Haus, die im Erdgeschoss wohnen. Sie schieben ihre Puppenwagen an dem Jungen vorbei, bleiben neugierig stehen. Dann laufen sie vor dem toten Nager kreischend davon. Ingrids Puppenwagen kippt um. Benni nimmt ihre Puppe, zerrt sie aus dem Steckkissen und legt sein Mauswiesel hinein. Ohne zu zögern stürzen die beiden Schwestern sich auf den schmächtigen Jungen, werfen ihn zu Boden und reiben ihm Sand und Kies ins Gesicht. Zufrieden steuern sie ihre Wagen auf die Kaskaden zu. Doris hat sich ein Herz gefasst, das Mauswiesel am Schwanz gepackt und ins hohe Gebüsch geschleudert. Da hängt es irgendwo auf Nimmerwiedersehen im dichten Laub. Noch im Sitzen hat Benni sich den Kies vorsichtig von den Wangen gewischt.

„Was macht man in einer Hilfsschule?“ hat Uli ihn einmal gefragt und er hatte ihren Blick mit seinen braunen Teddyaugen ratlos erwidert und nach kurzem Bedenken geantwortet: „Nichts.“

Auf den Mauern zu beiden Seiten der Kaskaden, am Ende jeder Stufe, stehen steinerne Körbe, überquellend von Früchten, Überfluss vortäuschend, wo es nie welchen gab. Wunschbilder, wie die Fassade der Orangerie am anderen Ende des Parks, die vorgibt ein Schloss zu sein, solange man sie aus der Entfernung betrachtet. Die Körbe haben sich der Zerstörung widersetzt, als hätten sie ihre Sinnfälligkeit in eine neue Zeit hinüberretten wollen, in der alles besser werden wird, selbst in Neukölln, wo nur wenige Schritte vom Körnerpark entfernt der geschäftige Lärm der Karl-Marx-Straße ahnen lässt, dass es nun jedermann möglich sein kann einen Teil von dem neuen Wohlstand zu ergattern.

Neben den Körben richten die Mädchen ihre Puppenzimmer ein. Uli kann die Gesichter der Babypuppen und ihre Glatzköpfe aus gelblich schimmerndem Bakelit nicht leiden, die Mutter-und-Kind-Spiele von Doris, Ingrid und der kleinen Hanna, die im Haus gegenüber wohnt, verfolgt sie mit Staunen, ihre Verwandlung in Puppenmütter, die sich im Tonfall von Erwachsenen über Säuglingspflege unterhalten, bleibt ihr ein Rätsel. In Ulis Puppenwagen schlummern zwei Affen und ein Bär und sie weiß, dass sie als Puppenmutter nicht zählt. Wenn Frauen sich hin und wieder über die Kissen beugen, um die Puppenkinder der Mädchen zu bewundern, erntet Uli verständnisloses Kopfschütteln.

„Meine ist an den Masern gestorben“, erklärt sie einer Frau, die schnell das Weite sucht. Ihre einzige Babypuppe mit einem Kopf aus rosig bemaltem Porzellan hat Uli im Arm spazieren getragen, als sie vier Jahre alt war, oben, entlang der offenen Galerie an der Südseite des Parks. Da stolperte das Kind und fiel. Der Puppenkopf zerschellte auf den tückischen Pflastersteinen und zwei Glasaugen mit blauer Iris hüpften unter höhnischem Klack, Klack, Klack durch die Balustraden auf die Schierker Straße herunter und rollten auf die Fahrbahn.

Von der Galerie oberhalb der Schierker Straße blickt man ein paar Meter herunter in den dunkelsten Teil der Parks, abgelegen hinter undurchdringlichen Sträuchern und von hohen Baumkronen beschattet. Die Liebespaare, in dichten Efeunischen versteckt, bemerken nichts von den Kindern, die sie von oben beobachten und nebenbei voller Genuss ihre Zungen in kleine Tüten mit Brausepulver schieben. Die bunten Kristalle prickeln und schäumen. Nur einmal wurden sie entdeckt. Eine leere Brausepulvertüte segelte nach unten und der Liebhaber sprang auf und drohte ihnen mit der Faust. Unter Hohngelächter machten die Kinder sich aus dem Staub.

„Du musst die Beine breit machen und dich auf meinen Schoß setzen“, sagt der gleichaltrige Wolfgang zu Uli, als sie im Schutz des Efeus das Spiel der Erwachsenen imitieren, um zu ergründen, was die Paare aneinander finden.

„Und jetzt?“ Uli sitzt unbequem.

„Keine Ahnung!“ Wolfgang zieht Uli etwas dichter an sich heran. Sie nähert sich einem Fischkopf mit ratlos geöffneten Lippen. Als die Lippen sie küssen wollen, stößt Uli den Fischkopf zurück.

Auf den anderen Bänken, im Mittelteil des Parks, entlang der mit Erde aufgefüllten und Schwertlilien bepflanzten Wassergräben, die eine große Rasenfläche säumen, sitzen junge Mütter. An klappernden Stricknadeln lassen sie bunte Pullover, Schals oder Socken in die Länge wachsen, während die Kinderwagen mit einer Fußbewegung sanft vor- und zurückgerollt werden.

Uli hat nie eine strickende Mutter gehabt. Ihr eigener Umgang mit Nadeln, auf die Häkelnadel beschränkt, produzierte nichts als rosa Topflappen, die nach oben hin immer schmaler wurden. „Weißt du denn nicht was eine Luftmasche ist?“ So viel hatte die Mutter ihr dann doch noch beigebracht.

„Warum strickt deine Mutter nicht?“ will Hanna wissen. Sie hat ihr Strickzeug in den Körnerpark mitgenommen, hockt angespannt auf der Kante einer Bank und nimmt die Maschen auf. Uli wirft einen gelangweilten Blick auf das verbissene Herumstochern mit zwei Nadeln. Viel Übung scheint Hanna nicht zu haben.

„Weil meine Mutter zeichnet“, gibt Uli als Grund an. Die Eltern haben sich beim Zeichnen kennengelernt, als Teilnehmer eines Abendkurses.

„Nackte Männer und Frauen abmalen. So was erzählt man doch nicht“, denkt Uli.

„Und deine Oma?“ bohrt Hanna weiter.

„Auch nicht. Weil sie liest. Bücher und Zeitungen. Und weil sie Briefe schreibt“, erklärt Uli. „Lange Briefe. Wir haben so viele Verwandte im Osten.“

Hanna hat sich bei ihren Maschen verzählt und gibt Uli die Schuld daran. Überhaupt gibt sie gerne Uli die Schuld an allem Möglichen. Sie packt ihr Strickzeug ein.

Als Uli und Hanna auf der Treppe zur Jonasstraße zwei Mädchen begegnen, geht alles überraschend schnell. Die beiden tragen keine Kniestrümpfe mehr. Ein üppiger Busen zeichnet sich unter dem violetten Pullover der Größeren ab, eine Kette aus riesigen violetten Glasperlen liegt über ihrem Ausschnitt und rollt bei jedem Schritt ruckartig über die Rundungen.

Uli und Hanna werfen sich einen Blick zu, aber nur Hanna ist so töricht zu kichern. Den großen Mädchen ist es nicht entgangen, sie nehmen Hanna in die Zange.

„Sie hat über meinen Witz gelacht“, versucht Uli zu vermitteln und vermeidet es auf die Brüste der beiden zu schauen. Die körperliche Reife der Heranwachsenden hat etwas Bedrohliches.

„Dann erzähl mal deinen Witz!“ Höhnisches Lauern auf Ulis Versagen. Aber Uli zögert nicht, besinnt sich auf einen, den sie ihrem Paten abgelauscht hat, in den lehrreichen Besuchsrunden daheim, wenn sie unter dem Tisch kauernd die Schuhe der Verwandten und Bekannten betrachtet und ihre Gespräche zu entschlüsseln versucht hat. Sie erzählt von dem kleinen Mädchen, dem der Nachbarjunge etwas zeigt, das es von sich nicht kennt und von dem der Junge meint, die Kleine müsse neidisch darauf sein. Sie sei aber überhaupt nicht neidisch auf dieses Ding, denn wenn sie erst groß ist, wird der Junge belehrt, kann sie davon haben so viel wie sie will.

Uli ist fertig mit ihrem Witz, macht ein trotziges Gesicht und die großen Mädchen, nach einer längeren Pause, verächtlich: „Den verstehst du doch gar nicht.“

Uli verzieht keine Miene. Sie hat den Witz nie verstanden, sie weiß nur, dass die Erwachsenen sich amüsieren. Die großen Mädchen lachen nicht, doch immerhin lassen sie von Hanna ab und setzen ihren Weg fort, mit der üblichen Drohung, beim nächsten Mal gäbe es gleich eine Schelle.

Manchmal geschieht es, dass Kinder im Körnerpark in zwei Horden aufeinander losgehen. Nogatstraße gegen Emser Straße oder Schierker Straße. Uli und Hubert halten sich da heraus. Die alten Leute auf den Bänken, die ihre Ruhe haben wollen, drohen vergeblich mit welker Faust.

Die Alten verbringen oft Stunden im Park, blättern in einer Zeitung oder füttern Spatzen mit den Resten aus ihrer Schrippentüte. Sie reden nicht viel, starren ins Leere und malen mit den Enden ihres Krückstocks Kreise in den Sand. Die Alten tragen hässliche Sachen. Uli verabscheut ihre dunkle, verschlissene Kleidung und glaubt, sie hätten verlernt sich zu freuen. An hübschen Kleidern erfreut man sich doch. Die Alten aber sehen aus, als hätte der Winter sie aus Versehen sitzen gelassen.

„Auf was warten die?“ wollte Hubert als kleiner Junge einmal wissen und weniger ihm als sich selbst hatte die Mutter geantwortet: „Ich glaube, bis sie von innen ganz warm sind. Das dauert. Wie bei zähem Fleisch.“

Über dem Blumengarten hinter einer dichten, hohen Hecke liegt eine schläfrige Ruhe. An den Rosensträuchern haben sich die letzten Blüten geöffnet, kleine Köpfe in leuchtendem Rot oder Gelb, und an der mit Weinlaub berankten hohen Mauer stehen windgeschützte Bänke in Richtung Süden. Dann und wann ziehen die Propellermaschinen der Pan American Airways tief über den Körnerpark hinweg, aber niemand schaut ihnen hinterher. Zurückgelehnt, mit geschlossenen Augen dösen die Leute im Sonnenlicht und genießen die Wärme.

Irgendwann sind die Singvögel weg, nur noch Spatzen und Grünfinken hüpfen um die Füße der Leute herum. Etwas zum Aufpicken finden sie immer. Kanne mit seinem Spieß hat mehr als sonst zu tun. Unter dem lichter werdenden Gebüsch liegt der Abfall des Sommers.

Wenn es kalt wird, sitzt niemand mehr auf den Bänken und die Kinder flechten lange Ketten aus bunten Ahornblättern. Wer die längste geflochten hat ist Sieger. Doch bevor sich einer zum Sieger erklärt, treten die Verlierer mit einem Fuß auf das Ende der Siegerkette und die Kette reißt auseinander.

An frühen Herbstabenden schluckt der Abgrund des Parks alle Farben und der Wind schüttelt die Zweige der hohen Baumkronen. Dann steigt aus der Tiefe ein unheimliches Rauschen. Durch das schwarze Laub blinken wie kleine Leuchtsignale die Lichter der Straßenlaternen und die Lampen in den entfernten Wohnstuben, darüber das Lichtband der belebten Karl-Marx-Straße.

Nachts, wenn die Spatzen im Efeu schlafen, erwacht die Hexe in Ulis Traum und böse Zeiten brechen an. Um den ganzen Körnerpark herum fährt sie in rasendem Tempo, auf einem Rollbrett kauernd. Die knochigen Hände umklammern das Brett, ihr schwarzes Kopftuch flattert im Wind und mit zornigem Blick verfolgt sie das Kind. Aber das Kind kann ihr entkommen und hetzt nach Hause. Auf dem kurzen Weg durch die Rübelandstraße muss es an Panzersperren vorbei. „Ja“, sagt jemand, „wir haben wieder Krieg.“ Uli wacht auf und bevor ihr Herzklopfen sich beruhigt, weiß sie: „Wir haben keinen Krieg.“

Draußen fallen ein paar vorzeitige Schneeflocken. Im Körnerpark legen sie sich wie ein flüchtiges Gespinst über die entlaubten Sträucher und dürren Hecken, deren letzte Blätter im Wind rascheln.

Café Messerschmidt ist weggezogen

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