Читать книгу Niccoló und die drei Schönen - Gunter Preuß - Страница 13

8.

Оглавление

Am nächsten Morgen erwachte Niccolò ausgeruht und frohgestimmt. Nichts schien ihm heute unmöglich, er hatte noch das gute Gefühl des nächtlichen Traums in sich, als er bei einem Sprung die Arme ausbreitete und fliegen konnte.

In der großen Pause, als die Schüler wieder auf dem Schulhof versammelt waren und ihre angestammten Plätze belegten, ging Niccolò entschlossen auf Paula Klette zu und sagte: „Buon giorno, Paula. Come sta?“

Niccolò liebte die italienische Sprache, sie war wie Musik, und selbst wenn man italienisch fluchte, klang es noch fröhlich.

Paula reckte ihr Kinn vor, ihr Näschen stupste in die Luft, ihr Blick durch die Herzbrille war herablassend. Sie sagte ruppig, doch immerhin redete sie noch mit ihm: „Was quakst du mich an wie ein hässlicher Quakfrosch?“

Niccolò konnte gerade noch sein erstauntes „Ich?“, das ja schon Manuela in Wut brachte, unterdrücken. Er erklärte behutsam: „Das ist Italienisch und heißt: Guten Morgen, Paula. Wie geht es Ihnen?“

„Weiß ich doch“, erwiderte Paula geschmeichelt. „Denkst du vielleicht, ich bin dreimal bekloppt.“

„Denke ich nicht.“

„Denkst du doch. Denn sonst würdest du wie jeder normale Mensch deutsch mit mir reden. Redo hcstued sträwkcür.“

„Sprichst du vielleicht türkisch?“

„Himmel, seid ihr Männer viermal dumm. Das ist Deutsch rückwärts.“

„Deutsch rückwärts spreche ich nicht besonders gut“, gab Niccolò freimütig zu. „Aber Italienisch spreche ich schon einigermaßen. Das sagt jedenfalls meine Mutter. Wir lernen zusammen Italienisch.“

„Das finde ich ziemlich bekloppt.“ Paula trat bald einen Schritt nach links und dann wieder nach rechts, um an Niccolò vorbeizusehen, hinter dem René Kiekhahn einen Ball köpfte.

„Wer spricht denn schon Italienisch?“, sagte Paula Klette wegwerfend.

„Die Italiener natürlich“, sagte Niccolò, der sich von Paulas Hampelei nicht stören ließ.

„Was hast du eigentlich mit den Spaghettis zu tun?“

„Mein Vater – er könnte eventuell Italiener sein.“

„Du spinnst doch zehn Bund Wolle, Junge. Wie heißt er denn – dein Vater?“

„Er heißt – ich glaube – ich weiß nicht. Vielleicht – Luciano Laurana.“

„Onaicul Anarual also. Na so was. Mein Vater ist ein grünes Männlein vom Planet Pluto und heißt Chi ehcal hcim knark.“

Paula Klette piepste schrill auf und lachte sprudelnd. Sie schlug ihre Hände gegen die von Carola Sanddorn. Die Freundinnen stimmten in René Kiekhahns Fanchor ein, der seine Kopfstöße zählte: „ ... dreiundsiebzig, vierundsiebzig, fünfundsiebzig ...!“

Ole, den Godzilla hatte überraschend zu sich rufen lassen, kam zu Niccolò zurückgerannt und berichtete freudig: „Mensch, Niccolò, hast du das mitgekriegt? Godzilla hat mit mir gesprochen. Er mit mir. Nur Loreley war noch dabei. Was sagt der Mensch denn dazu?“

„Was wollte er denn?“, fragte Niccolò. Er überlegte, wie er das Gespräch mit Paula fortsetzen könnte.

Ole rieb seine Nasenspitze rot und flüsterte heiser: „Godzilla hat viel mit mir vor, sagt er. Ich wäre aus dem richtigen Material gemacht, sagt er. Erst einmal soll ich Loreleys Butler sein. Wenn sie pfeift, habe ich anzutanzen. Ich hab ein Glück, was?“

Er stellte sich mit dem Rücken zu Niccolò, dass er auf Godzillas Wink und Loreleys Pfiff gleich lossprinten konnte.

Niccolò schob sich zwischen Paula Klette und René Kiekhahn, der immer noch den Ball köpfte. Er sagte: „Weißt du, Paula, das Lied, das ich gestern im Unterricht gesungen habe – das habe ich nur für dich gesungen.“

„Stolpere mir doch nicht immer vor der Nase herum!“, rief Paula Klette wütend. „ ... siebenundneunzig, achtundneunzig, neunundneunzig! Hundert! Einhunderteins! ...“

„Hat es dir gefallen – ich meine, wie ich gesungen habe? Wenn du willst, kann ich dir noch viele andere Lieder vorsingen.“

Paula stöhnte auf, denn René Kiekhahns hundertneunter Kopfball war der letzte gewesen, dann hatte der Ball den Erdboden berührt. Sie sagte bissig: „Auf Italienisch, was?“

„Wenn du willst, auch auf Italienisch. Da klingt es besonders schön.“

„Komm wieder, wenn du auf Deutsch rückwärts singen kannst“, sagte Carola Sanddorn, und sie und Paula gaben sich lachend einen Hüftstoß.

„Bitte“, sagte Niccolò, als Paula sich beruhigt hatte, „bitte, nimm doch mal deine Brille ab.“

„Warum denn das?“ Paulas Misstrauen war hellwach.

Niccolò wollte gerade erklären, wie einwandfrei Paula geradeaus sehen konnte, da sagte Ole: „Er will ja nur sehen, ob du immer noch so seehundsmäßig schielen kannst!“

„Du blöd blöder und noch blöderer Blödmann!“

Paula Klette holte weit aus. Doch sie traf nicht Ole, denn der war unschlagbar im Ausweichen und Weglaufen. Die Ohrfeige traf wieder Niccolò, der dazwischen gehen wollte. Er sank – wie in Zeitlupe – vor Paula auf die Knie.

Der Gong kündigte das Ende der Pause an. Ole war wie von Geisterhand verschwunden. Während die Pampers in den Hort stürmten, schlenderten die Älteren gemächlich ins Schulhaus zurück.

Paula Klette streckte Niccolò ihre Hand hin und zog ihn hoch. Er stand noch etwas wackelig; aber es war wunderbar, von Paulas Hand gehalten zu werden. Das also war eine Mädchenhand, sie fühlte sich gut an: klein, warm und zappelig.

„Du bist selbst schuld.“ Paula Klette versuchte ihre Hand zurückzuziehen, aber Niccolò drückte unwillkürlich fester zu. „Warum stehst du mir in der letzten Zeit auch immer fünfmal vor der Nase herum.“

Jetzt waren sie allein auf dem Schulhof. Die Sonnenstrahlen fielen wie bunte Bänder aus den Kastanien. Von der Straße her roch es nach Benzin. Die nur selten abreißende Autokette erzeugte ein dumpfes Rollen, das manchmal von ungeduldigem Hupen unterbrochen wurde.

„Entschuldigung“, sagte Paula Klette. „Diesmal wollte ich deinen neunmal bekloppten Freund Grabow treffen.“

Niccolò nickte nur. In diesem Augenblick hätte er Paula alles verziehen, selbst wenn sie eine gesuchte Serienmörderin gewesen wäre. Ihre Stimme war noch piepsiger als sonst, einmalig ulkig, fand er. Paula hätte ewig mit ihm reden können, er hätte ihr zugehört.

„Könntest du mir meine Hand wiedergeben“, sagte Paula und zog sie mit einem kräftigen Ruck zurück. „Weißt du, ich brauche sie nämlich noch.“

„Klar“, sagte Niccolò. „Du hast eine wunderbare Hand, Paula.“

Paula sah erstaunt auf ihre Hand, die rote und blaue Tintenflecke und unter manchem Fingernagel einen dunklen Rand hatte. „Meinst du?“ Sie ließ beide Hände in den Hosentaschen verschwinden.

„Soll ich dir was sagen, Paula?“

„Sag’s oder sag’s nicht. Ich bin nicht neugierig. Also, sag’s schon.“

Plötzlich verließ ihn der Mut. Es war gar nicht so einfach, einem Mädchen etwas wirklich Wichtiges zu sagen. Er zeigte zu den Sperlingen hinauf, die im Geäst der Kastanie saßen und drauflos zwitscherten. „Hör doch mal. Hör nur, was die Vögel singen.“

Paula drehte erst ihr linkes und dann ihr rechtes Ohr den Spatzen zu, lauschte und sagte dann: „Ich höre nur: Piep, piep, piep.“

„Ja“, sagte Niccolò eifrig. „Das ist genau das, was ich dir sagen will.“

„Piep, piep?“

„Ja, und weißt du, was das heißt?“

„Was weiß denn ich.“ Paula zupfte ärgerlich an ihren Haarbüscheln. „Bin ich vielleicht ein dreimal blöder Vogel?“

„Bist du nicht“, beruhigte Niccolò. Seine Stimme sollte fest klingen, war aber doch ziemlich bröcklig. „Also, ich sage es dir jetzt auf Italienisch. Ich sage dir: Io ti amo.“

„Verstehe nicht die Erbse. Sag’s mir doch lieber auf Deutsch rückwärts.“

„Na schön. Ich werde es versuchen, Paula: Chi – ebeil – hcid.“ „Was höre ich da?“

„Chi ebeil hcid!“

„Na, du kannst vielleicht Witze machen, Niccolò Rosenbusch.“

Sie standen sich gegenüber mit glühenden Köpfen. Niccolò hörte aus dem Grün die Vögel singen. Und irgendwo mussten auch die Glocken läuten. Er drückte fest die Daumen und wünschte, dass jetzt die Zeit stehen bleiben sollte. Alles sollte so bleiben, wie es war. Denn es war genau richtig so.

Aber Paula atmete hörbar aus, rückte energisch ihre Herzbrille zurecht, ihre Stimme klang fraulich tief, als sie sagte: „Nur keine Aufregung. Es hat längst zum Unterricht geklingelt. Wir müssen zurück in das siebenmal verdammte Klassenzimmer.“

Paula Klette lief mit kleinen festen Schritten zur Schultür. Niccolò folgte ihr taumelnd. Bismarck hielt die Tür auf und ließ sie passieren, als hätte er nur auf ihr Kommen gewartet. Das Männlein stand stramm, die Enden seines überdimensionalen Schnauzbartes stießen spitz nach oben. Als Paula vorbei war, flüsterte er Niccolò ins Ohr: „Haltung, Junge.“ Das klang, als wüsste er über alles Bescheid.

Niccolò nickte verwirrt, ihm war, als sei er ein Kreisel, der von Paula Klette in Bewegung gesetzt, sich nun endlos drehen musste.

Niccoló und die drei Schönen

Подняться наверх