Читать книгу Niccoló und die drei Schönen - Gunter Preuß - Страница 14

9.

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Niccolò hatte sich viel vorgenommen. Er wollte Paula in die neu eröffnete Eisdiele „Italienische Küsse“ zum Spaghettieisessen einladen. Das Ballköpfen und Elfmeterschießen würde er ihr beibringen, damit sie René Kiekhahn nicht mehr anstaunen musste. Am Sonntag dann wollte er mit ihr ins Kino gehen.

Aber am nächsten Tag fehlte Paula in der Schule. Donnerhall sagte, sie sei krank. Der Schulalltag ging weiter, als sei nichts geschehen, dabei war doch für Niccolò die halbe Welt zusammengebrochen. Er war doch Paula schon so nahe gewesen, und nun war sie wieder unerreichbar weit weg.

Nach dem Unterricht schlenderte Niccolò am Siedlungshaus der Klettes vorbei. Er hypnotisierte die Fenster, von denen die meisten durch Tannen verdeckt wurden, dass sich eines öffnen und Paula herausschauen sollte. Aber wieder versagte die Hypnose, und er nahm sich vor, das Buch „Die Kraft der Gedanken“ noch einmal gründlich zu lesen und sich im Internet über das Thema zu informieren.

Niccolò hatte versucht, Ole zu überreden, ihn zu Paulas Haus zu begleiten; aber der hatte abgewinkt und gerufen: „Keine Zeit heute.“ Die Spitznase des Freundes glühte, er war mit schlenkernden Armen davongerannt.

In den Pausen stand Ole unruhig bei den Halben Pfunden, wohl um auf einen Wink Godzillas sofort reagieren zu können. Im Unterricht schien er mit seinen Gedanken weit weg zu sein.

Auch Niccolò sinnierte vor sich hin. Seit Paula Klette sich nicht mehr sehen ließ, bereitete ihm alles keine rechte Freude mehr. Er dachte, dass es ihm vielleicht besser gehen würde, wenn er inzwischen mit Imke Liebstöckel ein paar Worte wechselte. Mal sehen, ob die Schöne für ihn zu sprechen war.

In der Mittagspause ging er zu ihr und sagte betont fröhlich und als würden sie sich schon lange kennen: „Grüß dich, Imke.“

Die Schöne hatte wie immer die Kopfhörer auf den Ohren und war gerade dabei, sich ihre langen Fingernägel schwarz zu lackieren. Sie pustete auf den frischen Lack, hielt ihre gespreizte Hand von sich weg und blickte kritisch auf ihr Werk.

„Was hörst du denn da so?“, fragte Niccolò, als die Schöne ihm endlich einen Blick schenkte.

„Hä?“ Sie rückte die Hörmuscheln etwas von ihren Ohren, dass Geräusche zu hören waren, als schepperten Eisenstücke gegeneinander.

„Was ist das denn für – Musik?“

„Nichts für Pampers, Halbe Pfunde und Hauspflaumen.“

„Aber sie hat doch einen Namen. Oder?“

„Heavy Metall ist wieder angesagt“, sagte Imke nun gönnerhaft. „Motörhead. AC/​DC, et cetera pp.”

„Ah, so.“

Mit rauer Stimme sagte sie ohne Niccolò anzusehen: „Und?“

„Nichts“, sagte Niccolò und betrachtete bewundernd die in ein langes schwarzes Kleid gehüllte Schöne. Zu ihren dreizehn schwarzen Ringen war noch ein vierzehnter dazugekommen, der durch die Unterlippe gepierct war. Er hätte sich gern aus ihren dunkelblauen Haaren ein glitzerndes Sternchen herausgezupft. Imke erschien ihm wie aus einem Märchenbuch herausgetreten, eine Zauberin aus alter Zeit.

„Was nichts?“

Imke Liebstöckel streckte noch immer beide Hände von sich, sie lehnte sich zurück an die Hauswand und schloss die Augen. Die Schöne wandte ihr Gesicht der Sonne zu, die gerade zwischen zwei weißen Wolken auftauchte.

„Einfach nichts“, sagte Niccolò. „Ich wollte nur mal sehen, wie es dir so geht.“

Imke gähnte. Niccolò sah es kurz in ihrem Mund aufblitzen. Er fragte sich, ob das eine Zahnspange oder vielleicht gar eine Perle war.

„Geht so“, sagte Imke nach einer Weile.

„Mit geht’s auch so“, sagte Niccolò. Am liebsten hätte er ihr sein Herz ausgeschüttet: wie sehr ihm Paula Klette fehlte.

„Ich meine“, sagte Imke, die bei ihrem gemächlichen Sprechen manchmal lispelte, so dass Niccolò doch auf eine Zahnspange tippte, „beschissen geht’s.“

„Das meine ich doch auch. Beschissen. È uno schifo. Total beschissen. Proprio uno schifo.“

„Das klingt ja galaktisch. Einwandfrei galaktisch.“ Imke kippte ihren Kopf nach vorn, öffnete die Augen, schenkte Niccolò einen Blick, als wäre er eine Katze, die plötzlich gebellt hat, und kehrte in ihre Ausgangsposition zurück.

„Spanisch oder so?“

„Italienisch.“

„Tatsächlich galaktisch“, meinte Imke Liebstöckel. „Lass doch mal hören!“

„Was denn?“

„Na was man so lallt eben.“

„Und was lallt man so?“

Imke konnte über so viel Unwissen nur den Kopf schütteln. Sie sagte: „Na eben Scheiße.“

„Das heißt Cacca.“

„Tatsächlich Kacka?“

„Ja, cacca.“

„Und wie heißt: Fettauge?“

„Warte mal. Ja. Vielleicht: Occhio di grasso.“

„Bohrend. Genial bohrend sogar. Occhio di grasso. Und: Am Arsch?“

„Sul culo, natürlich.“

Imke hatte wieder die Augen geschlossen, doch ihr Kopf pendelte, als wollte sie etwas aus ihm heraus schütteln. Aber es gelang ihr wohl nicht, sie sagte: „Ich hasse das ganze total beschissene Leben. Kannst du mir das übersetzen?“

„Nein.“

„Willst du oder kannst du nicht?“

„Ich will nicht.“

„Und wenn ich dich bitte. Ich bitte dich, dass du mir diesen verdammten Satz übersetzt.“

Nur widerwillig gab Niccolò nach. Er sagte stockend: „Io odio questa schifosissima vita.“

Imke Liebstöckel stieß sich von der Hauswand ab, riss die Arme hoch und rief, dass Schüler und Lehrer erschrocken zu ihr sahen: „Io odio questa schifosissima vita!“

Ein Lehrer kam und wollte wissen, ob was nicht in Ordnung sei? Imke Liebstöckel drehte sich mit dem Gesicht zur Hausmauer, stützte sich mit den Händen ab und spreizte die Beine, als wäre sie von der Polizei gestellt worden und sollte nun nach Waffen abgetastet werden.

Der Lehrer schüttelte den Kopf und ging zur Tür zurück, von wo aus er den besten Überblick auf das Geschehen hatte.

Niccolò fragte vorsichtig: „Warum findest du alles schifoso?“

„Weil es schifoso ist“, sagte Imke, die sich zu ihm herumdrehte und nun wieder lässig an die Wand lehnte. „Es ist und bleibt: beschissen. Aber das verstehst du nicht.“

„Warum denn nicht?“

„Bist noch ein Küken.“

„Ich bin doch kein Küken mehr.“

„Ein halber Hahn eben“, sagte Imke Liebstöckel und lachte, dass Niccolò mitlachen musste.

Als Niccolò dann wieder im Klassenzimmer saß, fühlte er sich etwas besser. Zum Unterrichtende freute er sich auf den Nachhauseweg mit Ole, doch der rannte mit dem Klingelzeichen gleich davon. Imke Liebstöckel stieg in ein Auto, das mit quietschenden Reifen losfuhr.

Da entdeckte Niccolò an der Haltestelle Frau Mandelstern. Sie wartete mit anderen Fahrgästen auf die Straßenbahn in Richtung zur Großstadt.

Niccoló und die drei Schönen

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