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Eindrücke des Weltkrieges. Von General-Feldmarschall August v. Mackensen.1

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Von vielen Seiten bin ich gefragt worden, was im Weltkriege auf mich den größten Eindruck gemacht habe.

Ein weltgeschichtlicher Vorgang von der Dauer und der Bedeutung und mit den Überraschungen des seit August 1914 die Welt bewegenden und trotz des sogenannten Friedens von Versailles heute von Deutschlands Feinden noch keineswegs beendeten Krieges hat eine solche Fülle von Tatsachen eindrucksvollster Größe und verschiedenster Art gezeitigt, dass es schwer fällt, eine einzelne derselben als die eindrucksvollste hervorzuheben. Den Umschwung, der, alles in der Kriegsgeschichte bisher Dagewesene überbietend, im Herbst 1918 dem Ausgang des Waffenganges das Mal aufdrückte, stelle ich dabei außer Wettbewerb. Sein Eindruck ist unerreicht. Er hat die ganze Welt in Erstaunen versetzt und seine Folgen sind noch nicht abzusehen. Die mir gestellte Frage bezog sich auch wohl nur auf Vorgänge im Kriege selbst, auf Tatsachen, die von unmittelbarem Einfluss auf dessen operativen Verlauf gewesen sind.

Da muss ich zunächst gestehen, dass nach erfolgter Kriegserklärung die Erkenntnis auf mich tiefen Eindruck machte, dass wir nicht nur mit Franzosen und Russen, sondern mit der Feindschaft der halben Welt zu kämpfen hatten, dass König Eduards VII. Geist noch umging, und dessen von Northcliffes Zeitungshetze unterstützte Machenschaften tatsächlich den Erfolg hatten, der Welt eine Meinung über Deutschland einzuhämmern, die in ihrer lügenhaften Gehässigkeit uns kaum einen Freund übrig ließ. Dass man unserem jeder Grenzerweiterung abgekehrten Volke, unserem nur auf Frieden und Volkswohlfahrt bedachten Kaiser die Schuld am Kriege zusprechen, dass gebildete Ausländer ihr Besserwissen von Deutschlands Kultur und Wesen einer bezahlten Presse opfern, Worte wie „Barbaren“ und „Hunnen“ den rachsüchtigen, eitlen Franzosen nachbeten konnten, — dieses und all die anderen Begleiterscheinungen der sich offenbarenden Weltpsychose, riefen in mir einen Eindruck hervor, der mich an dem gesunden Menschenverstand und vielem anderen zweifeln ließ.

Als dann das Kämpfen wirklich begonnen hatte, und das deutsche Heer in Ost und West des Vaterlandes Grenzen geschützt und in Feindesland eingedrungen war, und ich die Ereignisse bei Tannenberg, an den masurischen Seen und bei dem wirksamen Stoß in die Flanken der „russischen Dampfwalze“ über Wloclawek und Kutno nach Lodz und Lowicz erlebt hatte, da war es das Heldentum des deutschen Soldaten vom General herunter bis zum vordersten Streifreiter und Musketier, Kanonier und Pionier, dessen erhebender Eindruck alle anderen beherrschte. Felix Dahns Mahnruf „Der Sieg ruht in der Zukunft dunklem Schoß, doch in uns selbst das Heldentum!“ war nicht verhallt. Ein durch Vaterlandsliebe und Erziehung tief gewurzeltes Heldentum war es, welches der russischen Übermacht nicht nur Stand hielt, sondern sie siegreich überwältigte. In meinem Herzen stellte ich schon damals auf das Siegesmal, dass ich in Gedanken auf dem Tempelhofer Felde erstehen sah, die Gestalt eines schlichten, deutschen Soldaten, dem, stürmend, das Gewehr in der Hand, der unerschütterliche Wille zum Siege aus dem Gesichte sprach.

Und dieser Eindruck vom Heldentum des deutschen Soldaten in der Front hat im Laufe des Krieges sich immer wieder erneut. In der Glut der Sonne und unter dem Druck des Staubes hielt dieses Heldentum mit frohem Mute durch von Gorlice über Jaroslaw, Rawa Ruska und Krasnostav bis über Brest Litowsk hinaus; im Sturm der Kossova auf der Donau, im Schlamme des Moravatales, wankte es nicht, und in den vom frühen Winter mit Schnee bedeckten Gebirgsketten zwischen Semendria und dem Amselfeld, sowie endlich in den unter gleicher Witterungsungunst kaum gangbar gebliebenen, zerklüfteten Waldgebirgen und deckungslosen, lehmigen Ebenen Rumäniens überwand es jede Schwierigkeit. Und das alles im fast ununterbrochenen Kampf mit einem tapferen, durch von langer Hand vorbereitete Feldbefestigungen zu zähem Widerstand befähigtem, an Zahl fast immer überlegenen Gegner. Fürwahr! Das unbeugsame Heldentum, das sich da im deutschen Soldaten offenbarte, erreichte in seinem Eindruck das Höchste, was mir bis dahin aus der Kriegsgeschichte bekannt geworden war. Mit Führern und Soldaten solcher Art war das Kühnste zu wagen und zu erreichen. Da waren Selbstvertrauen und Verantwortungsfreudigkeit des höheren Führers kein Verdienst mehr. Dieses herrliche Vertrauen zu dem kriegerischen Manneswert des deutschen Soldaten hat mich im Verlauf der Operationen nicht einmal getäuscht. Auf fünf Kriegsschauplätzen, in welchem Gelände, unter welchen Witterungsverhältnissen und gegen welchen Feind auch immer — stets hat ihm die Truppe Bestätigung errungen. Deutschlands treu gebliebener, ausländischer Freund und Augenzeuge mancher Kriegstat, Sven Hedin, hat Recht, wenn er unter deren Eindruck von „märchenhaften Großtaten“ berichtet.

Solchen Eindrücken selbst mit Kopf und Herz ergeben, musste ich das Ende des Jahres 1918 erleben! Unmöglich Gehaltenes vollzog sich wie im Umschwung eines Augenblicks. Unfasslich war mir, was ich, — fern von den Brennpunkten des Umsturzes, — hiervon hörte, unerklärlich, was ich dann nach und nach selbst in der eigenen Heeresgruppe bei den Formationen der Etappe, des Verwaltungs- und des technischen Hilfsdienstes an plötzlicher Zuchtlosigkeit und Wankelmütigkeit neben gewohnter Betätigung unerschütterlicher Treue, Mannszucht und Hingabe für das Ganze erleben musste. Ein Reich, dessen Volk in Waffen sich vier schwere Jahre hindurch als das stärkste unter den Kämpfern erwiesen hatte, gab sich selbst dem Untergange preis und zog seine Armee, „im Felde unbesiegt“, mit in den Abgrund!

Ich vermag bei diesen erschütternden Eindrücken nicht zu verweilen. Der begeisterte Schüler preußischer Geschichte, der alte Soldat von 1870/71, der Zeuge der wilhelminischen Zeit Deutschlands und jener märchenhaften Großtaten von 1914/18 möchte sie vergessen.

Der erhebende Eindruck von dem Heldentum, das meine Soldaten, ihrer Vorfahren würdige Söhne, mit der Waffe in der Hand bewiesen haben, soll mich begleiten bis in meine letzte Stunde. Möchte das ganze deutsche Volk dieses Heldentum nicht vergessen! Deutsche Jugend! Richte dich daran auf!

Deutscher Idealismus hatte es nicht zu erdenken vermocht, dass der Erbe König Karols von Rumänien — wie dieser ein Hohenzoller und ehemaliger preußischer Offizier — dem Lande seiner Geburt und dessen Kaiser aus Hohenzollernstamm Krieg ansagen könne. Die am 27. August Tatsache gewordene Kriegserklärung überraschte daher weite deutsche Kreise und schuf eine kritische Lage bedrohlichster Art. Sie war nur durch schnelles Handeln zu überwinden. Die Weisungen der Obersten Heeresleitung entsprachen dieser Auffassung. Unverweilter Angriff in der Dobrudscha wurde Losung und wieder einmal fand der friderizianische Grundsatz, „allemal zuerst zu attackieren“, seine Bestätigung. Der am 6. September geglückte Angriff auf Tutrakan drückte dem rumänischen Feldzug von vornherein das Mal auf. Er störte den Entwurf der rumänischen Heeresleitung, schuf dort Ratlosigkeit und Verwirrung und setzte in Deutschland Siegeszuversicht an die Stelle ernstester Beklemmungen.

Ein Detachement von 4 Bataillonen, 3 Batterien und 4 Schwadronen preußischer Truppen war es, das entschlossen längs der Donau in die rechte Flanke der Befestigungen von Tutrakan eindrang und die darin überraschten 28 000 Rumänen einer bulgarischen Division in die Arme trieb, während eine andere Dobric besetzte. Als jenes Detachement auch Silistria genommen hatte, war fester Fuß in der Dobrudscha gefasst und der Teil gewonnen, den die Bulgaren erstrebten. Allerdings war damit auch deren Tatendurst befriedigt. Fortan hatten wir bei ihnen kaum noch hingebende Leistungen zu erwarten, wohl aber mit Ansprüchen zu kämpfen.

Die völlige Sicherung unserer rechten Flanke für Operationen auf der nördlichen Seite der Donau, in dem eigentlichen Rumänien, wurde durch die Schlacht bei Topraisar-Cobadino und die Verfolgung der geschlagenen Rumänen und Russen über Constanza und Czernawoda hinaus bis zur schmalsten Einschnürung der Dobrudscha zwischen Meer und Donau erreicht. Auch in dieser Schlacht hatten wiederum deutsche Truppen den entscheidenden Stoß geführt.

Ich hatte die Schlacht von einem der vielen Tumuli, die ein Kennzeichen der Dobrudscha-Landschaft sind, geleitet. Der gewählte Hügel hob sich aus der leicht gewellten, baumlosen Ebene besonders hervor und führte den Namen Taslijuk. Am Tage des Sturms auf die befestigte Stellung von Topraisar verlegte ich meinen Standpunkt weiter nach vorn auf einen anderen hervortretenden Tumulus und als die Verfolgung einsetzte, wurde ein neuer Sprung vorwärts unternommen auf einen Tumulus, der während der Schlacht anscheinend einem höheren rumänischem Stab als Standort gedient hatte.

Als ich letzteren erreichte, fuhr gerade links davon eine verfolgende Batterie auf und rechts trabte die bulgarische Kavallerie-Division heran, mit deren bewährtem Führer, General Koleff, ich kurz Meldung und Befehl wechselte. Eine leichte Nebelschicht lag über dem weiten Gefilde und ließ die Linie des nach der Karte unweit vor uns sich hinziehenden Trajansu alles mehr ahnen als erkennen. Dieser wurde, wie das Verhalten unserer Infanterie bewies, vom Feinde nicht verteidigt. Nur vor einem einzelnen, landeinwärts aus dem Dunst ragenden Petroleumtank suchte seine Nachhut-Infanterie sich zu setzen. Dieser galt der erste Schuss der Batterie; aber er traf den Tank.

Eine gewaltige Flamme schlug daraus gen Himmel und wuchs sich aus zu einer tief schwarzen Rauchwolke, die wie eine Riesenflagge sich ostwärts verlängerte. Der Feind verschwand. Die breite Senke nahm ihn auf, in der einst ein Mündungsarm der Donau seinen Lauf genommen hat und heute die Eisenbahn von Gzernawoda nach Constanza entlang führt. Aber Truppen aller Waffen sah man dem Feinde nachsetzen. Der Nebel lichtete sich und wie eine Fata Morgana entschleierte sich allmählich, anfangs über dem Nebel schwebend, vor unseren Blicken Constanza mit seinen weißen Minaretts und Gebäuden aller Art. Aus seinem Hafen flüchtete, der hohen See zu, die russische Schwarze Meer-Flotte. Aus dem Dunst, der noch auf dem Wasser lag, sah man ihre Breitseiten blitzen; aber die Geschosse erreichten weder uns, noch hielten sie die auf Constanza vorgehenden Truppen des rechten Flügels auf.

Niemals werde ich von dem Eindruck dieses Bildes mich losmachen. Kampf zu Lande und zu Wasser; alle Waffen in Tätigkeit und im Vorwärtsgehen. Vor mir das weiße aus dem Nebel auftauchende Constanza, darüber bis zum Meere hin die schwarze Rauchfahne. Und dazu Siegesstimmung! Es war der 22. Oktober, der Geburtstag der Kaiserin! Was mit den geringen, verfügbaren Kräften in der Dobrudscha erreicht werden konnte, war erreicht: der Feind entscheidend geschlagen, seine Verbindung über See ihm genommen, eine große Menge von Kriegsmitteln aller Art in Constanza sichere und willkommene Beute und — die Vorbedingung zu einem Donauübergang, zu dem mit der 9. Armee vereinten Angriff auf die Masse des rumänischen Heeres errungen.

Zum zweiten Male — dieses Mal von rechts nach links — war ein Donauübergang geglückt. Die bei Sistow am 23. November über den Strom gesetzten Truppen der Donauarmee waren mit dem linken Flügel über Alexandria auf Bukarest angesetzt; sie hatten Anschluss an die nach Überwindung bisher kaum gekannter Schwierigkeiten unter General v. Falkenhayn über die Karpathen gekommene 9. Armee gewonnen. In heißen, an Zwischenfällen reichen Kämpfen vom 1. Bis 4. Dezember — Schlacht am Arges — war der rumänischen Armee eine entscheidende Niederlage beigebracht worden. Mit dem Oberbefehl über beide Armeen betraut, hatte ich das Hauptquartier von Sistow nach Alexandria verlegt und folgte von da den Truppen auf der Straße nach Bukarest.

Die Frage, wird dieser Platz von den Rumänen verteidigt werden, beherrschte alle Erwägungen. Gerüchte gingen um, es sei nicht armiert.

Als junger Generalstabsoffizier hatte ich in der Zeit als König Karol nach den Plänen des Erbauers von Antwerpen, des Generals Brialmont, Bukarest zu einer Gürtelfestung auszugestalten begann, die Balkanstaaten zu bearbeiten gehabt und wusste daher, welcher Art die Befestigung von Bukarest war. 18 mit Panzertürmen ausgerüstete Forts und ebenso viele Zwischenwerke bildeten, 9-13 km von dem Rande der Stadt entfernt und in der walachischen Ebene fast jede natürliche Unterstützung durch das Gelände entbehrend, einen durch Ring-Chaussee und Eisenbahn verbundenen Kranz meist gleichmäßiger, hoch aufgezogener Werke. Eine Kern-Umwallung war nicht vorhanden. Die Westfront, auf welche die Straße von Alexandria führte, war der schwächere Abschnitt des Fortgürtels.

Um diesen möglichst schnell zu durchbrechen, wurden alle Vorkehrungen so getroffen, wie die Erfahrungen es geboten, die der gegenwärtige Feldzug gezeitigt und die ich 1915 namentlich bei Przemysl gesammelt hatte. Diese Vorkehrungen konnten nicht überlegt und umfassend genug sein, wenn Bukarest verteidigt wurde. Denn für die Rumänen handelte es sich nicht nur um die mit großen Geldopfern geschaffene Zentralfestung, nicht nur um die Landeshauptstadt, sondern um den Hauptwaffenplatz und die Seele des Landes. Alle Aushilfen mussten bedacht, schwerstes Geschütz und ausreichende Munition zur Stelle und für den eigentlichen Einbruch mindestens 3 Divisionen unmittelbar bereitgestellt sein. Der Chef des Generalstabes, General Tappen, hatte mit peinlichster Sorgfalt daran gearbeitet. Unmöglich war es nicht, dass die Rumänen geneigt sein könnten, ihre Landeshauptstadt nicht dem Geschick einer Berennung und eines Kampfes preiszugeben; aber ein Truppenführer soll niemals das ihm Willkommene vom Feinde erwarten. Die Spannung, im Grunde auf einen harten Kampf gestimmt, wuchs daher, je näher wir Bukarest kamen.

Am Morgen des 6. Dezember meldete der Tags vorher dahin entsandte Parlamentär, dass er westlich Bukarest von rumänischen Truppen angenommen und unter den üblichen Formen nach langer Fahrt auch zu einem höheren Stabe gebracht, aber hier die Annahme des an den Kommandanten von Bukarest gerichteten Schreibens verweigert worden sei. Bukarest sei keine Festung und habe keinen Kommandanten.

Das klang nach Räumung, entspannte aber die Lage nicht. Es hieß selbst sehen.

Ich begab mich zur Avantgarde. Diese hatte die schon in Galizien und Serbien mir als besonders kriegstüchtig bekannt gewordene und bei der Eroberung von Przemysl bewährte bayerische II. Division des Generals von Kneußl inne. In ihrer Vorhut fand ich das ihr zugeteilte, von mir gleichfalls sehr geschätzte Deutsch-Ordens-Infanterie-Regiment Nr. 152. Das Regiment war gerade im Begriff, mit Patrouillen an die Fortlinie heranzufühlen. Kein Schuss war bis dahin gefallen, weder aus den von Baumbeständen verdeckten, nur mit einzelnen Stellen ihres hohen Aufzuges erkennbaren, nächstliegenden Forts- und Zwischenwerken, noch aus den Gehölzstreifen, welche Ring-Chaussee und Eisenbahn und das Hinterland der Sicht entzogen.

Sollte Bukarest uns wirklich ohne neue Blutopfer ausgeliefert werden?! — Der Augenschein spricht mit jeder Minute mehr dafür.

Wir verfolgen die Patrouillen von den Häusern des Dorfes Bragadiro aus, schließlich kaum 2 km von der Fortlinie entfernt. — Die Patrouillen verschwinden in den Gehölzen des Fortgürtels! — Wir rüsten uns, ihnen zu folgen — Da erscheint ein Deutsch-Ordens-Musketier, die Mütze schwenkend neben dem leeren Flaggenmast des Forts links der Straße! „Vorwärts Kraftfahrer!“ heißt es und in schnellster Fahrt erreichen wir, — d. h. mit mir General Tappen, Major Krahmer und der des Rumänischen mächtige Leutnant Sladek — die Ringstraße. Wir biegen auf dieser nach dem Fort links ein. — Nichts von Armierung, nichts von Verteidigung! Die Panzertürme ohne Geschütze! In Richtung auf Bukarest nichts vom Feinde zu sehen, auch nichts von der in einer leichten Senke der Dambowitza liegenden, turmlosen Stadt. In unbegrenzt scheinender Feldflur tiefer Frieden! Eine eingehende Meldung sagt, dass die Kavallerie des rechten Flügels der 9. Armee an den Forts auf Bukarests Nordfront — hier das starke Chitilla — nur Nachtrupps getroffen, die Forts selbst verlassen gefunden habe. Letzteres bestätigt das eigene Erleben. Eine Festung Bukarest ist also nicht zu stürmen Und die Stadt? Wer den Fortgürtel preisgibt, wird es auch nicht zum Kampf um die offene Stadt kommen lassen.

Das Herz jubelt vor Erleichterung und Dankbarkeit. Also: „Zurück zur Alexandriastraße und vorwärts nach Bukarest!“

Die Avantgarden-Schwadron — bayerische Chevaulegers — trabt gerade in dieser Richtung über die Ringeisenbahn. An ihr vorbei saust der Kraftwagen der rumänischen Hauptstadt zu. Führer entgegenkommender Landfuhrwerke sagen aus, dass rumänische Infanterie und Artillerie in der Nacht, Kavallerie vor zwei Stunden durch Bukarest abgezogen sei. — In der schnurgeraden, breiten Straße werden nach und nach die ersten Häuser der Stadt sichtbar. Keine Kugel pfeift. Die Stadt scheint in der Tat nicht besetzt! Kaum gedacht, sind wir auch schon am Eingang der Vorstadt! Hier und da stehen Menschen vor den niedrigen Häusern. Sie scheinen teilnahmslos.

Am Ende der breiten Vorortstraße sehen wir einen Reiter. Sollte noch Kavallerie im Ort s ein? Aber die Silhouette des Reiters sieht nicht aus wie ein Soldat in Feldausrüstung. Wir bleiben in voller Fahrt. Der Reiter kommt uns entgegen. Es ist ein Schutzmann. Er pariert sein Pferd und meldet, dass er beauftragt sei, den deutschen Soldaten den Weg — zur Bürgermeisterei zu zeigen. Wie höflich, wie umsichtig und vorbedacht! Sicherlich sitzt ein Kenner deutscher Ordnung und Sitte im Bukarester Stadtregiment. Aber ich strebe nicht nach dem Rathaus, sondern nach dem Königlichen Schloss. Angesichts dessen will ich meinem Allerhöchsten Kriegsherrn die Inbesitznahme von Bukarest melden. Der berittene Schutzmann weist auf die am Ende der Vorstadtstraße haltenden Wagen der elektrischen Straßenbahn und empfiehlt, den Geleisen der letzteren zu folgen, und wir verweisen ihn auf die im Anmarsch befindlichen, in einer Stunde zu erwartenden deutschen Truppen.

Dann geht die eigenartige Fahrt weiter. Aber wie wird sich der Janhagel der Großstadt dazu verhalten? Er neigt zu Ausschreitungen und der Bukarester zum Chauvinismus. Wir achten solcher Gedanken nicht und treffen da, wo unsere Einfahrtsstraße die eigentliche Stadt erreicht und sich teilt, auf die Straßenbahn. Ihr folgen wir. Sie ist im Betrieb und gut besetzt. Je tiefer wir längs ihrer Geleise in die Stadt eindringen, umso mehr wächst das Bild großstädtischen, friedlichen Lebens und Treibens. Offene Läden, gefüllte Caféhäuser! Wir werden gegrüßt. Kleidsam uniformierte Schutzleute regeln in tadelloser Haltung den Verkehr. In Berlin kann es nicht geordneter zugehen. — Vereinzelt ertönen Hurras und deutsche Zurufe. Ja, befinden wir uns denn nicht inmitten der Bevölkerung einer feindlichen Hauptstadt? Ist denn nicht Krieg? Ist es ein Traum, der uns verblendet? Sahen wir nicht noch vor wenigen Stunden schweren Kämpfen entgegen? Und jetzt? — Statt feindlicher Kugeln trifft uns — eine Blume! Am Justizpalast vorbei sind wir über die Dambowitza nach der Calea Viktoria gelangt, die den jenseitigen Hauptteil von Bukarest durchzieht. Aus einer Verengung der Straße herauskommend, sehen wir uns plötzlich vor dem Königlichen Schloss.

Wir erkennen ein schmuckloses Gebäude als solches an Schilderhäusern, dem von einem Geschütz flankierten Wachtgebäude und dem hohen Gitter, das einen mit Ziersträuchern geschmückten, kleinen Vorhof abschließt. Auch fällt die stärkere Ansammlung von Menschen auf der zu einem Platz sich erweiternden Straße auf. Wir lenken in den Vorhof ein und machen vor einem Portal Halt. Zwei Herren erscheinen auf der Freitreppe, stellen sich der eine als Schlosshauptmann, der andere als Verwalter des Königlichen Privatbesitzes vor und bieten — ein Frühstück an. Kaum sind die ablehnenden Worte nach rechts gewechselt, da tritt links ein deutscher Offizier an den Wagenschlag, — ein Leutnant mit 10 Mann! Pommersche Königs-Grenadiere! Der Offizier meldet sich von Norden her als Patrouille der 9. Armee in die Stadt entsandt, und bestätigt, dass der rechte Flügel der Armee den Fortgürtel im Norden gestreift und nur noch mit Nachzüglern Schüsse gewechselt habe. Eine Seitenabteilung sei hinter der Patrouille nach der Stadt abgezweigt. Ich übergebe dem Offizier bis zu dem in 1—1½ Stunden zu erwartenden Eintreffen der Spitzen der Donauarmee den Schutz des Schlosses, zu dessen Plünderung eine gewisse Schicht der Großstadtbevölkerung bereit sein könnte, um sie nachher den Deutschen in die Schuhe zu schieben — die Ansammlung vor dem Schloss legte den Gedanken nahe — und befehle dem Schlosshauptmann, alle Zugänge zum Schloss zu schließen. Während ich dann die — auf der Rückfahrt dem ersten Feldtelegraphen zu übergebende — Meldung von der Einnahme Bukarests an Seine Majestät diktiere, ist die Volksmenge vor und im Schlosshof gewachsen. Das Hurrarufen nimmt zu. Der Kraftwagen füllt sich mit Blumen. Meine Begleiter haben Mühe, die Trittbretter freizuhalten, und — deutsche Laute klingen vermehrt an unser Ohr. Wir sehen uns umringt und bestürmt von einer Menge, in der Deutsche und Österreicher die Oberhand haben. Diese Männer und Frauen und Kinder sind wochenlang interniert gewesen, nun freigelassen, soeben aus übelstem Unterkommen und scheußlicher Behandlung in die Stadt zurückgekehrt und geben jubelnd ihrer Freude Ausdruck, in das eigene Heim zurückkehren zu können und deutscher Truppen Schutz zu genießen.

Letzteren entgegenzufahren und ihnen zu verkünden, dass sie in Bukarest einmarschieren können, wie nach einem Manöver in einen Unterkunftsort, ist meine nächste Aufgabe. Am Ende der Vorstadt treffe ich die Avantgarden-Es-kadron, nicht weit von den letzten Ausbauten die vorderste Infanterie und bald darauf höhere Stabe und die Gros der über Bragadiro anmarschierenden Truppen. Sie werden nicht in einen Kampf geführt. Als Siegespreis der Schlacht am Arges winkt ihnen das offene, vom Kriege unversehrte Bukarest! Frohsinn beflügelt ihren Marsch.

Ich eile, das Hauptquartier zu erreichen, wo es nun gilt, der so glücklich gewandelten Lage mit neuen Befehlen und Weisungen Rechnung zu tragen. Beim einfachen Abendessen berichten meine Begleiter von unserer Fahrt. Statt Geschütz- und Gewehrfeuer Hurras und Blumen, statt erwartetem zähen Widerstandes und heißer Kämpfe eine unverteidigte Festung und Hauptstadt und in dieser vorbereitete Quartiere! Und der Oberbefehlshaber, nur von drei Offizieren begleitet, seinen Truppen 10 km voraus als Erster in dem vom Feinde kaum geräumten Mittelpunkt des Landes! Es fällt das Wort: „Husarenstreich!“ Ein Pessimist unkt leise: „unüberlegt“. Mag sein! Es war jedenfalls mein für die eigene Erinnerung eindrucksvollster und — mein letzter. Ich hatte am gleichen Tage mein 67. Lebensjahr vollendet.

1 Abschnitte aus seinem der Familie bestimmten Niederschriften, von dieser dem Herausgeber zur Verfügung gestellt.

Im Felde unbesiegt

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