Читать книгу Im Felde unbesiegt - Gustaf von Dickhuth-Harrach - Страница 7
Feldartillerie im Bewegungskrieg. Von Hauptmann Walter Heiß, im Felde Batteriechef und Abteilungskommandeur in aktiven Feldartillerie-Regimentern.
ОглавлениеIn Ostpeußen.
Wieder war die Vierte vorn. So ging das nun schon seit dem ersten Gefechtstage.
Wisst Ihr noch, wie wir in Löbau ausgeladen wurden nach vollendeter Mobilmachung? Da wurde ein Bataillon der Grenadiere vorgeschickt zur Verstärkung des Grenzschutzes. Die vierte Batterie wurde ihm beigegeben. Was waren wir froh, dass wir als erste Batterie des Regiments einen Gefechtsauftrag erhielten. Voraus war das Bataillon bereits, die Batterie sollte ihm nach. Im „Richt Euch“ ging’s durch die Stadt. Stolz saßen die Reiter auf ihren Pferden, hoch reckten sich die Kanoniere auf ihren Geschützen. Nun konnten wir hoffentlich bald zeigen, was wir im Frieden gelernt. —
Vor der Stadt wurde geladen und dann ging’s mit Aufklärern rechts und links im schlanken Trabe der Grenze zu. — Bei Soldau lagen wir im Grenzschutz. Eingegraben stand die Batterie am Südrand der Stadt. Der „Alte“ mit seiner Beobachtung war dicht dabei, denn wir hatten ja damals noch wenig Telefondraht und konnten uns lange Verbindungen zwischen Feuerstellung und Beobachtungsstelle nicht leisten.
Schmalhans war Küchenmeister. Etappe und Nachschub gab es noch nicht. Feldküchen besaß ja die Feldartillerie nicht. Mit Neid schauten wir auf die „Gulaschkanonen“ der Infanterie. Für die Pferde wurde der Hafer vom Felde gemäht und für die Menschen trieb unser umsichtiger Staffelführer Brot und Hühner in der Stadt auf. Die kochte der Vizewachtmeister im Schweiße seines Angesichts in großen Kesseln. Das stillte den Hunger. Geschmeckt hat es wohl kaum. Die Federn klebten noch halb daran und das Fleisch war zähe und ausgekocht. Wir befanden uns eben im Anfang des Krieges und in den Anfängen unserer Kochkunst, die später sich zu ungeahnter Höhe entwickelte.
Wir hatten auch keine Zeit uns mit solchen Dingen zu befassen,
dazu war die Lage zu gespannt. — In der Nacht zum 12. August ging’s endlich vor in Feindesland. Bei Krempa überschritten wir mit Hurra die Grenze und bei Lewiczyn pfiffen die ersten Kugeln.
Eine russische Kavalleriedivision saß dort fest, gegen die das Grenadier-Regiment und die II. Abteilung zum Angriff angesetzt wurden.
Wisst Ihr noch, wie wir schnell hinter den Höhenrand in Stellung gingen und wie die „Vierte“ als erste Batterie des Regiments und des XVII. Armeekorps das Feuer auf den Feind eröffnete? Prasselnd schlugen die Schrapnells in das russische Gehöft, in dem die Feinde sich eingenistet hatten, und prasselnd schlug die Flamme zum Dach hinaus. Der Feind wich und die Batterie ging vor.
Wohl hatte das Vorderhandpferd vom ersten Geschütz einen schweren Brustschuss, aber treu und unermüdlich zog das brave Tier seine Last in die neue Stellung, dann brach es zusammen. Und wieder fuhren die Schrapnells in die Russen und wieder sprangen die Grenadiere und drängten den Feind.
Vorwärts! hieß es, vorwärts! Ran an die Infanterie und ran an den Feind! — Da vor uns der sumpfige Bach, da mussten wir hinüber. Die schmale Brücke lag unter den Schrapnells der Russen. Was half’s? Wozu hatten wir denn im Frieden geübt? Mit großen Abständen, im langen geräumigen Galopp ging’s hinüber. Sobald die Wattebäusche einer Schrapnellgruppe erschienen waren, brauste das nächste Geschütz hinüber und hindurch. Da hatten wir schon gleich unsere erste Kriegserfahrung erworben. — Dort an jenem Gehöft ging die wilde Jagd vorbei. Da stand der Kosak und stach mit seiner Lanze nach dem Führer des Beobachtungswagens. Aber der brave Sergeant nahm ihm die Lanze weg und stach den Kerl mit seiner eigenen Waffe über den Haufen.
Und hinein in den Talkessel. Wie pfiffen da die Kugeln der Karabiner und Maschinengewehre, wie krachten die Geschosse der russischen Batterien! Das war eine gründliche Feuertaufe. Aber geschafft wurde es. — Mit Pferd und Mann leuchten die Geschütze auf die Höhe und spien in den Russen hinein, bis er wich. Ringsum steckte er sich Dörfer und Gehöfte als Fackeln zu seinem Rückzuge an. Am Horizont sah man seine Schwadronen und Batterien von dannen eilen. Um uns her waren die Felder zertreten. Aus dem Roggen leuchtete der rote Mohn. Doch nein, es war ja nicht Mohn, es waren die roten Streifen an den Hosen der gefallenen Kosaken.
Als Sieger lagerten wir auf dem Schlachtfeld. Nachts ging es zurück, zurück über die brennende Brücke der Mlawka, wo als Wahrzeichen des Krieges schon tagelang der tote Schimmel lag und aus gedunsenem Körper seine blanken Eisen zum Himmel streckte.
Und hinein in die Bahn und in eiliger Fahrt an der alten Garnison vorbei, über Marienburg, wo der Geist der Hochmeister seine Jünger grüßte, über Elbing nach Insterburg.
Dort oben stand Rennenkampf und bedrohte Ostpreußen. Das I. Armeekorps band mit ihm an. — Hinunter nach Darkehmen zogen wir an die Angerapp. Das Bild des Krieges tat sich auf.
Endlos zogen die Flüchtlingskolonnen der Einwohner nach Westen. Hoch auf dem Wagen lagen die Frau und die Kinder, dabei die Nähmaschine, ein Vogelbauer und nutzloses Zeug, in eiliger Flucht wahllos zusammengerafft. Daneben trottete müde und verbissen der Mann und trieb die hungrigen Pferde an. Flüchtlingselend aus Hermann und Dorothea! Seitab vom Wege brüllten die Kühe nach der Melkerin und im Hintergrund brannte die Heimat der armen Vertriebenen.
Dann kam die Nacht zum 20. August. Dort oben bei Gumbinnen tobte die Schlacht und zog uns an. Im Morgengrauen waren wir heran. Wohl knurrte der Magen, keine Feldküche gab uns Kaffee. Aber vergessen war alle Entbehrung, als am Morgenhimmel die Wölkchen der russischen Artillerie hingen. —
Und wieder bekam die Vierte ihren Sonderauftrag. Mit einem Infanterieregiment zusammen sollte sie auf dem rechten Flügel des Armeekorps angreifen und die wankenden Russen werfen. — „Dort in jenem Grunde steht eine feindliche Batterie und hindert unser Vorgehen. Schießt sie mir weg!“ So lautete der Befehl. Hinein in die Stellung. Unter Bäumen am Wegrande standen wir hingeklemmt und in uns hinein funkte die russische Artillerie und pfiff das Infanteriefeuer. — Der Russe wich nicht. Eingegraben stand er bis an die Zähne und feuerte aus Schießscharten. Er hatte auf den mandschurischen Schlachtfeldern gelernt, was wir auf Ostpreußens Gefilden uns erst aneignen mussten. Tapfer hielten sich die Kanoniere. Gruppe auf Gruppe flog aus den Rohren. Dicht neben uns stand der „Alte“ hinter seinem Beobachtungswagen und leitete das Feuer. Die Mannschaften der Staffel waren bewundernswert. Im sprungweisen Vorgehen schleppten sie von rückwärts die Munition heran. Kein Pferd konnte in dem Feuer sich der Stellung nähern. — Dann kam der Abend und mit ihm der Befehl zum Rückmarsch. — Warum zurück? Wir hatten doch brav gefochten, kein Russe hatte auch nur einen Schritt vorwärts getan? Die Schlacht stand. Was ging’s uns an? Befehl ist Befehl. — Wie auf dem Exerzierplatz protzten wir auf. Die Staffel voran, dann die Geschütze, zuletzt der Batterietrupp, so ging’s hinein in den Abend.
Wir hatten Glück gehabt. Andere Batterien, die offen aufgefahren, lagen zerfetzt am Boden. Den Chef unserer Nachbarbatterie hatten die Russen von der Leiter heruntergeschossen. Wir waren verhältnismäßig gut weggekommen.
Die nächsten Tage ging es rückwärts. Nun war die Vierte in der Nachhut, denn der Feind war hinten. Die Munitionswagen hatten wir vorn, die Geschütze am Ende. Und dahinter ritt der Alte mit seinem Batterietrupp. Das passte ihm gar nicht, dass es rückwärts ging, arg brummig war sein Gesicht, er pfiff gar nicht mehr vor sich hin. —
Einmal tauchte der Stab des Generalkommandos neben uns auf. Die Feldmütze im Genick, ritt unser kommandierender General auf seinem hochbeinigen Schimmel. Bekümmert und bedrückt auch er. So war uns allen zu Mute. So zogen wir vier Tage nach Westen, der Weichsel zu.
Aber dann mit einem Male, wisst Ihr noch, bei Friedland, da bogen wir nach Süden ab. Wir bildeten wieder eine Vorhut und wieder war die Vierte in ihr. Nun hatten wir wieder die Geschütze vorn und die Staffel hinten. Seitdem geht es Gottlob wieder vorwärts. „Was mag denn nur los sein?“, so sprach der lange Cheftrompeter, der das Scherenfernrohr am Sattel trug, zu dem Sergeanten, der den Richtkreis I bediente.
Ja, was mag los sein? Eigentlich kann uns das ja ganz egal sein. Hauptsache, dass es wieder vorwärts geht und das tut es ja gründlich. Am 26. haben wir doch erst bei Lautern ein ganzes russisches Korps zu Paaren getrieben. Das war mal ein schöner Tag. Wir flitzten unsere Granaten hinein, als der russische Angriff über die Höhe kam. Seitdem geht es unaufhaltsam vorwärts, 50, 60 Kilometer den Tag. Unser Essen besteht aus Brot und rohen Rüben. Früher hätte man es für unmöglich erklärt, tagelang damit auszukommen. Aber man sieht, es geht. Unser nächstes Ziel muss aber eine Feldküche sein, die uns der Russe bei der nächsten Schlacht liefern soll.
Einen neuen Armeeführer sollen wir haben. Wer mag das sein? Das weiß ich nicht! Aber ein Ruf geht ihm voran, der besagt Gutes. Und einen Gehilfen soll er mitgebracht haben, einen General, der bei Lüttich in eigener Person mitgestürmt hat. Pass auf, die Beiden werden es schon schaffen. — Bei Lautern neulich, das war schon ein guter Anfang. Und heute liegt auch wieder etwas in der Luft. Wir sind doch nicht umsonst in der Vorhut. Der „Alte“ ist ja auch wieder ganz vergnügt, seit es vorwärts geht. Sieh doch, wie er da vorn auf seiner kleinen Halbblutstute sitzt und sein Lieblingslied in den frühen Morgen pfeift: „Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt.“
Am Morgen des 30. August 1914 war es, da zog die vierte Batterie in der Vorhut der Division von Passenheim nach Süden auf Jedwabno. Die Seenge von Burdungen hatten wir gerade durchschritten, da kam der Ordonnanzoffizier des Regiments angebraust und meldete, aus Jedwabno heraus bewege sich starke russische Kavallerie. Die Batterie solle sofort in Stellung gehen und die Kavallerie zusammenschießen. Das war mal wieder ein Auftrag! — Schon sprengt der Batteriechef mit seinem Trupp im Galopp von dannen und auf das Zeichen des nachführenden Offiziers folgt die Batterie im schlanken Trabe ihrem Führer. Hinauf auf die Höhe fegt zum Schluss die wilde Jagd. Da unten traben die Russen, allerlei Wagen schleppen sie mit sich, lange Reihen.
Da fegt der Bleihagel unserer Schrapnells hinein. Was nicht fällt, schlägt mit der Nagaika auf die Pferde ein und sucht zu entkommen. Die Kanoniere verfolgen das seltene Wild am Rundblickfernrohr. Noch mancher Schuss schlägt hinein und holt Feinde aus dem Sattel. Blau und Rot blinkt das Feld wie Kornblumen und Mohn von den farbigen Hosen der russischen Reiter.
Der Regimentskommandeur ist bei uns und auch der Brigadekommandeur kommt hinzu. Das war mal ein Ziel für einen Feldartilleristen. Ganz anders war das wie bei den Schießübungen in Hammerstein und Arys. Dort liefen die Scheiben so schnell und es waren ihrer so wenige. Hier aber quoll Welle auf Welle aus dem Ort heraus und suchte nach Osten zu entkommen. Vergeblich! Was unserem Feuer entkam, preschte anderen deutschen Batterien vor die Rohre.
Doch was ist das? Hinter den Reitern kommt Fußvolk und läuft jetzt in eiligem Lauf den Hang hinauf, der Batterie entgegen. Ein Angriff? Aufgepasst Kanoniere! Schon fliegen die Geschütze herum. Da zeigt das gute Glas, dass es waffenlose Menschen sind, die mit Armen und Tüchern winken im Näherkommen.
H—a—l—t, h—a—l—t gellt es durch die Batterie. Nur schwer lässt der entfesselte Jagdeifer der Leute sich bremsen. — Dann flutet’s heran. Deutsche sind es, an die zweihundert deutsche Soldaten, die jubelnd und winkend auf uns losstürmen. Vom XX. Armeekorps sind sie, in den schweren Kämpfen bei Waplitz am Tage vorher gefangen. Unser Feuer hat sie befreit. Aus Freude fielen sie uns um den Hals. Nie werde ich vergessen, wie ihr Führer, ein Major, mir voll Dankbarkeit die Hand drückte und ich in ihm einen alten Bekannten aus Danziger Tagen entdeckte, mit dem ich vor wenigen Wochen in Zoppot friedlich am Strande gelegen.
Nun sickerten auch schon allerlei Nachrichten durch. Der Russe sei eingekreist. Eine ganze Armee stecke in dem Kessel drin, den die deutsche Führung geschlossen. Unsere Division hätte durch ihre Erfolge bei Lautern und am heutigen Tage wesentlich zum Gelingen beigetragen. — Hindenburg hieß unser Armeeführer. Hindenburg! Das klang wie Trotz und Zuversicht. Und das war doch ein Westpreuße? Natürlich! Gar nicht weit von unserer Garnison, bei Freystadt, da lag ja Neudeck, das Familiengut der Hindenburgs. Wenn uns hier im heiligen Osten, wo des Reiches Kraft und Wurzel lag, ein Sohn der Heimat führte, dann müsste Alles gut werden!
Darum also unsere Zuversicht, als wir am 24. bei Friedland nach Süden abbogen und aus dem Rückmarsch ein Vormarsch wurde. Und es war alles gut geworden. — Hin und her irrten vor uns im Waldgelände große schwere Staubwolken. Wie ein Tier im Käfig, das mit der Nase ans Gitter stößt, zurückschreckt und in anderer Richtung von neuem vergeblich sucht auszubrechen, so irrten russische Kolonnen in Wald und Heide umher, verzweifelt nach einem Ausweg suchend aus diesem Kessel. Überall sperrte ihn Maschinengewehr und Feldgeschütz. Kein Entrinnen gab es.
Noch eine Nacht hindurch galt es dem Durchbruch des Feindes zu wehren. Wir sperrten die schmale Seenge bei Warschallen mit unseren feuerbereiten Geschützen hinter schnell gezogenem Draht. Dann war’s geschafft. Am 31. August 1914 war der Sieg unser. Einer der gewaltigsten Siege der Weltgeschichte war gegen starke Übermacht errungen. Deutsche Feldherrnkunst und deutsche Soldatentapferkeit hatten ihn erstritten. — Tannenberg!
Nach Wochen unerhörtester Anstrengungen und gewaltigster Kämpfe trat ein Augenblick der Ruhe ein. Die Nervenanspannung ließ nach. Der Körper verlangte sein Recht.
Abends im Biwak bei Neuhof lagen Kanonier und Offizier am Wachtfeuer, wie wir es den ganzen Krieg hindurch gehalten haben. Da klangen all die alten Soldatenlieder in die Sommernacht, die schon unsere Väter 1870/71 begeistert hatten, und die neuen dazu: „O Deutschland hoch in Ehren, Du heil’ges Land der Treu.“ Und dann nach einem brausenden Hurra auf unsern geliebten Obersten Kriegsherrn die jubelnde Weise:
„Heil Dir im Siegerkranz,
Herrscher des Vaterlands,
Heil Kaiser Dir.“
Die vier Trompeter der Batterie traten in den Lichtkreis des Feuers. Laut und feierlich erklang die harmonische Retraite, jener herrliche Zapfenstreich der Feldartillerie, der im Frieden unseren patriotischen Festtagen stets den Abschluss gab!
„Ruf zum Gebet.“ Vom Kopfe flogen die Mützen. Erst leise und suchend, dann lauter und immer lauter schwoll von Batterie zu Batterie, von Regiment zu Regiment zu gewaltigem Brausen an der Choral von Leuthen:
„Nun danket alle Gott
Mit Herzen, Mund und Händen . . .“
Ins Herz des Feindes.
„Der Generalfeldmarschall von Hindenburg beobachtet von den rückwärtigen Höhen den Angriff der Division.“ So meldet der Fernsprecher in der Nacht vom 12. zum 13. Juli 1915 an den in seiner Beobachtungsstelle liegenden Batterieführer. Der gibt es weiter an die am Waldeshang stehende Batterie.
So sollen wir denn heute unter den Augen des seltenen Mannes kämpfen. Das gibt ruhige Gewissheit. Sein Name bedeutet Sieg und seine Anwesenheit spornt zu erhöhten Leistungen.
Auch sonst haben wir Grund zum Vertrauen. General v. Gallwitz ist unser Armeeführer, unser alter Inspekteur aus dem Frieden. Seine Befehle zeichnen sich durch besonders klare artilleristische Anordnungen aus. Mit Zuversicht gehen wir an den schweren Auftrag heran, die russischen Stellungen bei Prasznysch zu durchbrechen.
„Wie spät ist es?“ „3 Uhr, Herr Hauptmann.“ Der Batteriechef steckt seinen Kopf über die Böschung und äugt umher. Unaufhörlich strömt Regen, schon die ganze Nacht. Man ist abgestumpft dagegen. — Noch ist nichts zu sehen. Aber die Beobachtungsstelle ist glänzend. Vor zwei Tagen ist sie erkundet und ausgebaut worden. Ein langer Gang führt zum vorderen Hang der Höhe. Dort liegt sie. Vor ihr fällt das Gelände steil ab zur vordersten Infanterielinie, um jenseits von dieser emporzusteigen zur russischen Front. Die liegt mit ihren Gräben terrassenförmig übereinander.
Günstig ist das, sehr günstig. Man kann aus geringer Entfernung die feindlichen Stellungen beobachten und man kann das Feuer beim Sturm der Infanterie auf wenige Meter vor ihr herrollen lassen, weil das feindwärts jäh aufsteigende Gelände die Streuungen verringert.
Jetzt dringt ein schwacher Lichtschein aus Osten her. Im Regenschleier beginnen sich die Umrisse der russischen Gräben abzuheben. Bald wird es losgehen. Heute soll der Stoß beginnen, der bis ins Herz des Feindes führen soll.
Leise summt der Fernsprecher. Die Batterie meldet Feuerbereitschaft und dass die Protzen im Walde hinter der Stellung eingetroffen sind. Es ist alles in Ordnung.
Der Hauptmann lächelt vor sich hin. Er weiß, er kann sich auf seine Batterie verlassen. Fast ein Jahr steht er jetzt mit ihr im Felde. Damals in Ostpreußen, bei Gumbinnen, Tannenberg und gegen Rennenkampf. Dann nach Südpolen, über Radom auf Warschau und zurück nach Schlesien. Aus Posen wieder vor auf Lodz und an die Rawka und Bsura. Ein atemloses Hasten und Ringen war’s. Aber schön war’s. Hart machte es und erfahren in den Listen und Schlichen des Krieges.
Nun ist die Batterie nach Norden herausgekommen mit der Division, um mitzuwirken bei dem großen Stoß gegen Russland. Der einzige aktive Offizier ist der Hauptmann, obgleich es eine aktive Batterie eines aktiven Regiments ist. Alle übrigen Offiziere sind Reserve-Offiziere. Gutsbesitzer in Westpreußen ist der Oberleutnant, Regierungsassessor der mittlere und Regierungsbauführer der jüngste Offizier. Doch das liegt weit zurück, der Privatberuf. Jetzt sind sie Soldaten und Offiziere, mit ganzer Seele und mit ganzem Herzen. Tüchtig sind sie und kriegserfahren. Der Hauptmann hat in jedem eine wertvolle Stütze. Und alle Vier umschlingt eine treue Kameradschaft. Gemeinsame Gefahren und Strapazen, Kugelregen und Hunger, Nässe, Kälte, Nächte am Holzfeuer und im Zelt und fröhliche Stunden im Unterstand, die schweißen zusammen. — Auch unter den Unteroffizieren ist mancher, den der Krieg aus bürgerlicher Beschäftigung rief. Auch sie stehen ihren Mann. Ein alter Stamm ist aber noch da. Der brave Sergeant, der den Richtkreis l bedient, der hat sich schon lange sein „Eisernes Kreuz“ in Ehren erworben. Unerschrocken ist er und tüchtig. Der lange Cheftrompeter, der das Scherenfernrohr am Sattel trägt, ist auch noch da. So müde war er oft, wenn es vom Morgen bis zum Abend dauerte. Sein langer Körper braucht Schlaf. Aber tapfer zwingt er ihn nieder. Und der tüchtige Sergeant, der den Beobachtungswagen führt. Bei Lewiczyn stach er den Kosaken über den Haufen. Er hält das Fernsprechgerät in liebevoller Pflege und betreut die Geschütze. — Namen hat er ihnen gegeben. Anna, Berta, Cäcilie und Dora. Wenigstens etwas Weiblichkeit im rauen Kriege! Seiner Fürsorge ist es zu danken, dass bisher noch kein Geschütz der Batterie unbrauchbar geworden ist. Das will etwas heißen bei den überstandenen Leistungen. — Die Geschützführer verstehen ihren Kram. Und hinten bei den Protzen da sorgt der Wachtmeister für die Leute und der Futtermeister für die vierbeinigen Kameraden. Nur wenige tragen noch den alten Friedensbrand. Die meisten der alten braven Friedenspferde rafften Eisen, Seuche und Hunger hinweg. Aber auch der Ersatz tut seine Pflicht. Gut gepflegt ist er und ausgebildet während des Stellungskrieges. Nun soll er zeigen, was er kann. — Acht Pferde liegen vor dem großen Packwagen und sechs vor der Feldküche. Der russische Sand ist tief. Und die große deutsche Feldküche, die längst gegen die bei Tannenberg erbeutete kleine russische vertauscht wurde, muss mit. Sie ist gas fünfte Geschütz der Batterie. Sie hält die Stimmung aufrecht und schafft neue Kraft. Auf ihr sitzt der „Schmor“, der Liebling der Batterie. Alle Gesichter verklären sich, wenn er dampfend herankommt und sein Ruf erschallt: „Küche ist da!“ Heute strahlt er. Nun hat die Konservenesserei mit „Stacheldraht“ bald ein Ende. Im Bewegungskrieg da gibt es wieder frisches Fleisch, da wird der Alte schon dafür sorgen.
An den Geschützen stehen die Mannschaften. Die Laternen an den Festlegepunkten brennen. Die Richtkanoniere wischen den Regen von den Rundblickfernrohren. Fast zärtlich blicken sie auf ihr Geschütz. Bald werden sie sie wieder zum Tanze führen, die Braut des Artilleristen. Tüchtig und brav sind sie. Die bringt kein Feuer mehr aus der Ruhe. Gefreite sind sie alle vier. In mancher Schlacht bewährt tragen sie mit Stolz das schwarzweiße Band im Knopfloch. Ihrer Zuverlässigkeit und Tüchtigkeit dankt die Batterie manch schönen Erfolg.
Tü—tü—tü, summt der Fernsprecher. „Um 3 Uhr 30 Min. Feuereröffnung.“ Paul, der treue Bursche, der immer mit auf der Beobachtung ist, reicht dem Hauptmann die Feldflasche mit dem warmen Kaffee. Nun los, in Gottes Namen.
Aus Feldgeschütz, Haubitze und Mörser rast der Eisenhagel auf die Stellungen des Feindes. Dort fliegen die Balken wie Streichhölzer durch die Luft. Fünf und eine halbe Stunde lang. Die Steilfeuergeschütze drücken die Deckungen ein und die Flachbahngeschütze der Feldbatterien durchschlagen die Brustwehren von vorn und kämmen sie ab. Nichts regt sich beim Gegner, er schweigt und duldet. Dazu rinnt der Regen, stetig und unaufhörlich. Um 9 Uhr vormittags schwillt das Artilleriefeuer zu größter Stärke. Der Sturm beginnt. Vor ihm rollt das Feuer der Batterien den Hang hinauf. Zum ersten Graben, zum zweiten und jetzt nach längerem Verweilen auf dem dritten über diesen hinweg ins Hinterland und klammert sich am Waldesrand fest, der rückwärtige Stellungen in sich birgt. Das erste Stellungssystem ist genommen, die Infanterie ist durch! — Durch! Was das heißt, nach mehr als halbjährigem Stellungskrieg. Jetzt endlich geht es wieder vorwärts.
Protzen heran und Stellungswechsel! Bald windet sich die schmale Schlange der Batterie durch das Grabengewirr der eigenen und die Trümmer der feindlichen Stellung. Weit voraus der Batterietrupp. Drahtscheren und Spaten tragen seine Reiter am Sattel. Sie erkunden die besten Übergangsstellen, räumen den Draht weg und werfen Gräben und Trichter zu. Was übrig bleibt, füllt die Batterie mit ihren Faschinen. Langsam frisst sie sich durch das Graben- und Trichterfeld. Nun ist auch sie hindurch.
Da kommt schon der Meldereiter des Batteriechefs, der sie in die neue Stellung führen soll. Mehrmals stößt der nachführende Offizier den Arm in die Luft. Antraben! Willig legen sich die Pferde in die Kumte. Endlich mal wieder ein Trab im freien Gelände! Vorwärts auf den Feind. Leicht rollt die Batterie. In jene Wiese hinein. Da stehen schon die beiden Fähnchen, die die Flügel der Stellung bezeichnen, da steht schon der Richtkreis Ü und da liegt schon die Fernsprechleitung zur Beobachtungsstelle, von den berittenen Fernsprechern gebaut. Häufige Übung gab ihnen Sicherheit darin.
„Batterie zum Feuern halt! Nach rechts protzt ab!“ Rasch fliegen die Geschütze herum, die Protzen verschwinden, die Staffel fährt ein. Schnell werden die Richtungen genommen und kurz darauf bellen die Kanonen des rechten Zuges.
Befriedigt nickt der Hauptmann vorn. Sein Richtkreis I hat wieder mal saubere Arbeit geleistet. Gerade vor dem Feinde platzen die Schrapnells. Schnell ist die Batterie eingeschossen. Nun speien alle vier Rohre Gruppe auf Gruppe. Bald weicht der Feind, verfolgt von den Bleikugeln der Schrapnells und von der nacheilenden Infanterie.
Glänzend ist die Stimmung. Zwar strömt der Regen unaufhörlich und unbarmherzig. Was tut das im Rausch des Erfolges! Vorwärts, nur vorwärts, dort vorn winkt der Sieg!
Die Nacht gibt kurze Ruhe an den Geschützen. Sandsäcke und Torfstücke schaffen notdürftigen Schutz gegen die klatschenden feindlichen Infanteriegeschosse. Der Morgen treibt uns weiter vor, von Stellung zu Stellung, von Kampf zu Kampf, von Sieg zu Sieg.
Südlich an Prasznysch vorbei und durch das brennende Leschno. Ein Graben sperrt den Weg. Hinüber! Zwei Deichseln brechen dabei. Das darf keinen Aufenthalt geben“ Wozu haben wir Äxte und Sägen, Stellmacher und Schreiner? Im Stellungskrieg lernte jeder das Handwerkszeug gebrauchen. Wozu stehen dort die leeren Telegraphenstangen der Russen? Herunter mit ihnen. Beil und Säge formen sie zu rohen Deichseln, dann geht es weiter, der Batterie nach.
Die Wengierka legt sich quer vor uns. Breit ließ der Regen den Fluss anschwellen. Der Russe brannte die Brücke ab. Also hindurch! zweifelnd blickt der Oberleutnant den Hauptmann an. Der lacht und spornt seine Stute in die. Fluten. Wozu ging sie im Frieden so viele Jagden! Und es gelingt. Zwar tauchen die Rohre bis unter die Fluten, aber die Batterie kommt durch. Auch der große achtspännige Vorratswagen schwankt schwerfällig aber unbeschadet hinüber. Unser wartet ja nur Biwak und Kampf, nicht Friedensquartier und Damengesellschaft. Da kann auch das Gepäck ruhig nass werden, es wird schon wieder trocknen.
Auf Krasne geht es vor. Das soll schon genommen sein. Auf Befehl der Abteilung geht es in offene Stellung am Waldrande. Aber Krasne ist nicht genommen und aus tausend Meter Entfernung spritzt das Gewehr- und Maschinengewehrfeuer des Gegners von der Gutsmauer auf uns herab. Manch braver Mann büßt das mit seinem Blute. Dann aber beißen sich die Geschütze fest. Stück auf Stück legen sie um von der Mauer. Wie die Hasen springen die Russen von Lücke zu Lücke. Am Abend ist auch diese Arbeit geschafft, der Ort genommen. Vorwärts dem Narew zu, über Makow und Schelkow, Tag und Nacht in Kampf und Marsch.
Am Narew ist kurze Rast vor neuen Taten. Wie wohl tut sie nach den ununterbrochenen Kämpfen und Märschen der letzten Wochen. Die Kleider vom Leibe, die Sättel und Geschirre von den Pferden, gepflegt und geputzt, gefuttert und gegessen und hinein in den Orzyc zu köstlichem Bad.
Am Morgen des 23. Juli steht die Batterie im Walde bereit. Sie soll als erste Batterie über den Narew, sobald drüben ein kleiner Brückenkopf gewonnen. Die übrige Artillerie steht bereits im Wirkungsschießen. Etwas zurück eine 10 cm-Batterie. Ihre zahlreichen Frühkrepierer heulen über uns hinweg.
Um 8 Uhr greift das brave Graudenzer Infanterieregiment an, mit der wir jetzt fast ein Jahr in treuer Waffenbrüderschaft zusammen kämpfen. Einzelne Schützen durchschwimmen den Fluss, andere werden mit Kähnen übergesetzt. Unter dem Schutze des mächtigen Artilleriefeuers gelangen sie hinüber und drängen den Gegner eine Strecke zurück.
Jetzt kommen die westpreußischen Pioniere, die der Batterie die Brücke schlagen sollen zum Übergang. Schneidig und Unerschrocken gehen sie ans Werk. Doch eine russische Batterie ist neu ins Gefecht getreten und schießt von der Flanke her den Narew entlang und in den Brückenschlag hinein. Hoch auf spritzen die Wassersäulen, gurgelnd versinken die durchlöcherten Pontons in den Fluten. Manch tapferen Pionier tragen sie hinweg. — Es geht nicht. — Das Gut dort drüben ist noch besetzt und hält die Infanterie auf.
Also her mit der Batterie! Am toten Narew zwischen Sanddünen schleicht sie in Stellung. Das Gut fliegt in Trümmer. Die Infanterie nimmt es.
Wieder braust der Divisions-Brückentrain heran, wirft seine Pontons ans Ufer. Wieder versuchen die Pioniere mit Heldenmut den Brückenschlag. — Wieder vergeblich! Die Flankierungsbatterie schießt sie zusammen. Äußerst geschickt steht sie im jenseitigen Buschgelände, weit seitwärts der Übergangsstelle, im Narewbogen versteckt. Nicht zu finden.
Am Waldrande jenseits des Flusses klebt die Infanterie. Dicht vor ihr liegt ein langgestreckter Ort. Gespickt mit Russen sind die Häuser. Sie wehren dem Ansturm. Die Lage wird kritisch. Nicht zu sehen ist der Ort. Der Wald liegt zwischen ihm und der Batterie. Und doch muss er in Brand geschossen werden, um den Gegner auszuräuchern. Wie soll das gemacht werden?
Doch halt, der Batteriechef, der hat ja einen Kartenwinkelmesser, mit dem er schon so viel Erfolge erzielt hat. Vielleicht kann der es. Befehl ergeht an die Batterie! Der Hauptmann nimmt seine Karte heraus, misst auf ihr mit dem Kartenwinkelmesser den Abstand vom jetzigen Ziel nach jenem Dorf und die Entfernung nach dort und schickt mit dem rechten Zuge ein paar hohe Brennzünder in die Luft. Über dem Walde links erscheinen die Schüsse. Dort muss also das gesuchte Dorf liegen. Richtig, da sind ja auch die hohen Pappeln, die als charakteristische Wahrzeichen an allen polnischen Dörfern stehen. Nun ein Paar Gruppen im Aufschlage mit verteiltem Feuer und auf verschiedene Entfernungen dorthin. Pfeifend fliegen sie aus den Rohren. Kurz darauf geht der Ort in Flammen auf. Der Russe weicht. Die Infanterie gewinnt Boden und erweitert den Brückenkopf. Auch die Flankierungsbatterie feuert nicht mehr. Vielleicht stand auch sie bei jenem Dorf.
Der Brückenschlag wird wieder begonnen und teilweise vollendet. Er genügt, um der Batterie den Uferwechsel zu ermöglichen. Bis zu jener Sandinsel im Fluss führt die schwankende Brücke, dann geht’s durch das Wasser zum jenseitigen Ufer. Hinauf und herangeklemmt an die kleine Böschung, die ans Ende der Niederung sich hinzieht. Gering ist die Deckung, die sie bietet. Doch muss sie genutzt werden. Mit seinen Scharfschützen streut der Russe das Flussbett ab.
Im Westen sinkt die Sonne. Der Hauptmann ist schon auf seiner neuen Beobachtung. Der Verbindungsoffizier läuft mit seinem Draht zum Bataillonsstab der Brückenkopfbesatzung. Rasch wird die Batterie noch auf ihren Sperrfeuerraum eingeschossen. Dann kommt die Nacht. Still wird die Front. Der Mond spiegelt sich in den Fluten des bezwungenen Stromes, an dessen Feindesrand die Vortruppen die Wacht halten für die Division, die ihn morgen überschreiten wird. Ein Fisch springt, eine Rohrdommel pfeift ihren letzten Ton. Leise murmeln die Wellen. Hin und wieder zerreißt ein Büchsenschuss die Nacht. Eine Leuchtkugel steigt zitternd am Himmel empor.
Gespannt steht der Leuchtkugelposten in der Feuerstellung. Wohl drohen ihm die Augen zuzufallen vor Müdigkeit. Aber er bezwingt sich. Er zieht an seiner geliebten Pfeife und kämpft gegen den Schlaf. Weiß er doch, dass von seiner Wachsamkeit das rechtzeitige Einsetzen des Sperrfeuers abhängt, das die Infanterie vor feindlichem Durchbruch bewahren soll.
Wie die Mücken spielen und wie schwül die Nacht ist. Daheim an der Weichsel, da steht sein Häuschen. 2luch so am Strom. Davor liegt der Kahn mit den Netzen. Und in dem Hause, da sitzt sein Weib mit dem blonden Knaben.
„Steh ich in finst’rer Mitternacht . “
Dort das rote Licht, das ist gewiss die Seitenlaterne eines Dampfers, der nach Graudenz fährt. Da noch eine und noch eine. So rege war der Verkehr selten.
Jäh fährt der Posten aus seinen Träumen empor. Herrgott, das sind ja keine Schiffslaternen, das sind ja rote Leuchtkugeln. Fünf, sechs, zehn, zwanzig. Hilfeschreiend steigen sie in die Nacht empor.
„Alarm“, „Sperrfeuer“, schreit der Posten, stürzt zum nächsten Geschütz und reißt es ab. „Krach“ fährt der Feuerblitz in die Finsternis. Hoch taumeln die Kanoniere aus ihrem Halbschlummer. „Sperrfeuer“, gellt die Stimme des Hauptmanns dazwischen. Schuss auf Schuss fliegt ins Rohr und hinüber zum Feinde. Bange Minuten! Werden wir es. schaffen? Hinten gähnt der Narew und vorn stürmt der Russe. —
„Munition her! Raus auf den Feind!“ Da endlich verstummen vorn die roten Leuchtkugeln und nach leisem Zirpen meldet der Verbindungsoffizier durch den Fernsprecher, dass ein russischer Angriff im Sperrfeuer der Batterie zusammenbrach.
Der Hauptmann nimmt den Helm ab, wischt sich den Schweiß von der Stirn und drückt dem Leuchtkugelposten die Hand: „Brav gemacht, mein Sohn!“
„Und nun hinlegen, Leute, zu kurzer Ruhe. Morgen geht’s weiter. Hinein in des Feindes Herz!
Mit Gott für König und Vaterland!“
Über den Damenweg.
Hinter der Champagnefront liegt die dritte Abteilung des westpreußischen Feldartillerie-Regiments in Ruhe. Wahrlich, sie hat’s nötig. Am 21. März 1918 hatte die große Schlacht in Frankreich begonnen. Da stieß die Division bei St. Quentin vor. Die Abteilung half in vorderster Linie der Infanterie. War das ein Ringen! Alle Wege waren vorher genau erkundet vom Abteilungskommandeur bis zum Geschützführer. Bis ins Niemandsland wusste jeder Bescheid. — Doch am Angriffstage, am Frühlingsanfang, da schufen Nebel und Gas solch undurchdringliche Wand, dass man die Ohren des eigenen Pferdes nicht sehen konnte. Dazu die Gasmasken vor dem Gesicht! Wie keuchten die Pferde, deren Nüstern in Fressbeuteln mit nassem Heu steckten. Wie brüllte die Batterie neben uns, die Niemand im Nebel gesehen und die nun mit steilem Rohr dicht über unsern stöhnenden Vormarsch hinweg die Walze schoss.
Wie auf hoher See tastete der Kompass uns vorwärts. Verwünscht wurde der Nebel. Und doch rettete er uns. Die Mulde entlang strich der Tommie mit Maschinengewehr und Feldgeschütz. Zu hoch schoss er. Auch er sah nichts. Das wurde unsere Rettung. Scharf knallte sein Abschuss, dicht vor uns. Im Nebel baute der Bautrupp vorn beim Stabe seine Brücken, warf Gräben zu und Faschinen in die Trichter.
Als der Nebel zerflog, war’s geschafft. Vorwärts kamen die Batterien. Sie halfen der braven Infanterie aus Graudenz in ihrem zähen Ringen von Stellung zu Stellung. Zum Krosat-Kanal und über ihn hinweg, über den „Kanal im Bau“, durch Roye und bis vor Montdidier.
Durch Schlamm und Regen, unaufhörlichen Regen, Stellungsgewirr aus früheren Jahren, baumlose Wüste und Trichterfeld. Schwer war es, maßlos schwer. Aber ein Geist beseelte die Truppe wie 1914. Mit Jauchzen ging es vorwärts.
Teuer war der Sieg. Offiziere, Mannschaften und Pferde wiesen klaffende Lücken. Aber Sieg war es, Sieg im freien Felde. Wie das wohltat nach jahrelangem Stellungskrieg.
Nun liegt die Abteilung in Ruhe.
Seit Herbst 1915 steht die Division im Westen. Bis ins Herz des russischen Feindes hatte sie im September 1915 gestoßen, bis zum Oberlauf des Njemen und bis zur Beresina. Dann ging’s in ratternder Fahrt nach Westen
Fast nichts haben wir dort versäumt. Das Artois und die Somme, Siegfriedbewegung, Arras und Flandern sind die Marksteine unseres Weges. Überall liegen die Tapferen. „Pro gloria et patria“ und „ultima ratio regis“. Sie haben es wahr gemacht.
Wie wohl tut die kurze Ruhe. Morgen ist Pfingsten. Schon ist der Befehl da, dass wir in dieser Nacht nach vorn rücken sollen zu neuer Verwendung. Aber heute noch will uns der Kronprinz sehen. Zwar ist es weit bis zum Sammelplatz. Nicht alle Leute können dorthin. Doch jeder will dem Thronfolger ins Auge sehen. Wer zurückbleiben muss, ist enttäuscht.
Hohenzollernsonne scheint auf französische Flur und spiegelt sich in den Stahlhelmen des Regiments. Wie stolz sind die Braven, denen der Kronprinz das Eiserne Kreuz an die Brust heftete. Zu Hause im Rahmen wird es hängen und Enkel und Urenkel werden’s bezeugen: „Das gab der Kronprinz meinem Ahn!“
Nun ist die Ruhe vorbei, gefüllt sind die Lücken. Vorwärts zu neuen Taten.
In den Pfingstmorgen hinein marschiert die Abteilung. Das jüngste Kind des Regiments ist sie. Im Dezember 1916 erst ist sie aufgestellt. Aus Koblenz, Hamburg und Oldenburg kratzte man die Batterien zusammen. Nicht leicht war es sie zusammenzuschweißen. — Nun ist es geschafft. Das Feuer der Schlachten formte sie zu einheitlichem Guss. Zwei Batterieführer sind Kaufleute. Alten Hansageist atmen sie, aus Danzig und Hamburg. Der dritte Gutsbesitzer in Ostpreußen. Wohl ihm, dass er so gute ostpreußische Knochen hat. In Flandern warf ihn eine Granate hoch in die Luft, ihn und seinen Burschen. Dem armen Burschen brach das Genick. Den Oberleutnant trug man bewusstlos vom Platz. Wochenlang lag er im Lazarett, ohne sich zu rühren. Dann siegte der ostpreußische Dickschädel. Nun ist er wieder an der Front und schäumt vor Rache- und Tatendurst. Alle Drei verstehen ihre Sache. Nicht leicht haben sie es gehabt mit der neuaufgestellten Truppe. Aber zähe Arbeit gab den Erfolg. Nun ist alles aus einem Guss.
In den Pfingstmorgen hinein marschiert die Abteilung. Jede Batterie für sich und der Stab. Man ist ja noch hinter der Front. Schön ist solch ein Ritt in den erwachenden Frühlingsmorgen. Wilde Tauben sitzen am Weg, der Rotdorn blüht. schmückt das Land und bald auch die Pferde.
Beim Stabe sucht der Adjutant nach der Karte den Weg. Klar steht sein scharfes Gesicht gegen den Morgenhimmel. Die Schmisse leuchten, Zeichen aus fröhlicher Burschenzeit. Viermal ist er verwundet. Die letzte Kugel traf ihn im feindlichen Drahtverhau bei nächtlicher Erkundung. Dem Regiment und seinem Korps macht er Ehre. Dahinter reitet der Beobachtungsoffizier. Fast kratzen seine langen Beine den Boden. Der Verpflegungsoffizier hat Vorsprung. Er sorgt voraus. Auch die Bagage ist vorausgeschickt. Der Abteilungsschreiber führt sie. Als Vorderreiter zog er ins Feld. Eine russische Kugel warf ihn vom Pferde. Jetzt sitzt er am Schreibtisch und trägt mit Stolz sein eisernes Kreuz und das Verwundeten-Abzeichen.
Als die Sonne am Himmel erscheint, verschwindet die Truppe im Walde und rastet dort bis zum Abend. Feindlicher Fliegersicht muss sie entzogen bleiben. In der Nacht geht es weiter. Strahlenförmig, von allen Seiten kommen die Batterien heran zur Bereitstellung zum Durchbruch. Je näher der Front, umso behutsamer wird der Vormarsch. In der Nähe der schon erkundeten Feuerstellungen werden die Geschütze in Bisschen versteckt, die Protzen verschwinden. Nichts verrät die Bereitstellung von mehr als tausend Geschützen. Nur am Abend beginnt emsige Tätigkeit. Dann steigen graue Männer aus Buschwerk und Unterstand, richten Geschützstände her, bergen Munition und strecken die Leitungen.
In der Nacht zum 27. Mai ist alles bereit. Die Batterien sind in Stellung, geladen und gerichtet, die Schießgrundlagen für das nächtliche Wirkungs- und Walzeschießen genau errechnet. Der Abteilungsstab führt die Untergruppe und ist auf seinem Gefechtsstand. Dort laufen die Leitungen der acht ihm unterstellten Batterien zusammen.
Noch bei Tageslicht geht der Abteilungskommandeur mit seinem Adjutanten auf die vorgeschobene Beobachtung. Die liegt auf hohem Bergrücken. Jäh fällt das Gelände von dort herab zur Aillette.
Im Tale vollführen die Frösche gewaltigen Lärm. Als ob sie mit uns verbündet seien!
Sie füllen mit ihrem Quacken und Quarren den Abend und verdecken die unvermeidlichen Geräusche der letzten Vorbereitungen.
„Sehen Sie nur, wie steil dort jenseits des Baches das Zertrichterte Gebirgsmassiv des ,Chemin des dames’ aufsteigt.“ Wie eine Mondlandschaft sieht es aus. Beulen und Löcher schlug ihm der Krieg. Und doch verdankt er friedlichen Zeiten seinen Namen. Irgendein französischer König fuhr dort oben auf der Passhöhe mit ihren herrlichen Blicken seine Geliebten nach Schloss Craonne. Welch anderen Zwecken diente der Weg im Kriege. Seit Jahren rollt der Kampf über ihn hin. Bald hierher, bald dorthin. Ein Meer von Männerblut trank der Damenweg in unersättlicher Gier. Überall ragen die Kreuze.
Da sollen wir morgen hinauf, die steilen Gebirgshänge hinauf, mit Geschützen sogar.
Fast scheint es unmöglich. Und doch muss es gehen und wird gehen. Gut, dass wir vorbereitet sind und schon Übungen mit 12 Pferden vor dem Geschütz gemacht haben.
Mit letztem Schein übergießt die Abendsonne das Gebirge. Rosig schimmern die Kreidewunden, die das Artilleriefeuer ihm schlug. Kein Schuss zerreißt die Stille des Abends. Nur die Frösche quarren unaufhörlich. — „Auf Morgen!“
Gegen Mitternacht wird der Feind unruhig. Er vergast unsere Batteriestellungen. Dort rührt sich scheinbar noch nichts. Hin und wieder nur huscht der Blitz einer Taschenlampe auf.
Um 2 Uhr morgens zerreißt ein gewaltiges Krachen die Nacht. Tausend und abertausend Rohre auf der ganzen Armeefront speien ihren Eisenhagel auf den Feind. Pfeilschnell und pfeifend sausen die Geschosse der Feldgeschütze, mit gurgelndem Ton orgeln die schweren Granaten der Mörser hinüber.
Höllenlärm der Walpurgisnacht. Auch die Frösche schweigen vor dieser gewaltigen Sinfonie der Schlacht.
Um 430 zieht sie die stärksten Register. In dichter Wand schlägt das Eisen in den vordersten Graben des Feindes. Mit gewaltigem Sprunge springt es aufbäumend zum zweiten Graben und mit der letzten Granate ist die erste Infanterie in der feindlichen Stellung.
Mit geringen Verlusten kam sie hinein und mit geringen Verlusten klimmt sie weiter den steilen Hang hinan. Die Feuerwalze zerschlägt vor ihr den Feind.
Hinten am Gefechtsstand der Untergruppe sind die Pferde des Abteilungsstabes eingetroffen. Leise knarrt das Lederzeug. Den Stahlhelm im Gesicht stehen die Reiter, die Gasmaske hängt vor der Brust. Bleich und übernächtig sehen sie aus. Sie sind fast alle Familienväter, der Scherenfernrohrträger, der Meldereiter, die beiden berittenen Fernsprecher. Der Krieg forderte das letzte von Deutschlands Männern. Der Führer des Unterstabes trägt den Stabswimpel, die kleine, dreieckige, gelbe Flagge am Lanzenschaft. Ohne sie würde im Gewirr des Angriffs niemand den Stab finden.
Der Abteilungskommandeur steht am Fernsprecher und erteilt seine letzten Weisungen. Der Adjutant unterrichtet den ablösenden Stab der Heeresartillerie, der die Feuerwalze der stehenbleibenden Batterien weiter leiten soll. Ein letzter Händedruck, dann los!
Auch die Batterien sind bereits fertig und haben sich in Marsch gesetzt. Sie klimmen den steilen Hang empor, auf dem die Beobachtungen lagen. Steil ist er und zerklüftet. Die Wege wurden noch gestern gebessert, heut sind sie wieder zerschossen. Jetzt belohnt es sich, dass Vorspann vor den Geschützen liegt. Schnaubend stemmen sich die 8—10 Pferde gegen die Last. Unter den greifenden Hufen zersplittert der Fels. In Falten legt sich die Haut. Mit langen Zügeln und vorgebeugtem Oberkörper helfen die Fahrer. Langsam keucht die Last bergan.
Auf der Höhe liegt französisches Fernfeuer. Mit Abständen geht es hindurch und hinunter ins Tal der Aillette. Dort quarren die Frösche nicht mehr. Es ist ihnen vergangen. Die Brücke zerschlug das feindliche Eisen. Der Bautrupp her! Gebaut und hinüber.
Jetzt geht es zum Damenwege hinauf. Noch steiler ist der Aufstieg als vorher.
Es ist klar geworden. Mit großen Abständen sieht man Geschütze und Munitionswagen sich zur Höhe emporquälen. Schließlich gelingt auch das. An getrennten Punkten sammeln sich die Batterien und ordnen sich. Der Abteilungskommandeur blickt umher. Bis hierher ging alles gut. Die feindlichen Stellungen sind wie umgepflügt. Vorzüglich lag das eigene Feuer. Nur wenig Widerstand fand die Sturmtruppe. Auch jetzt kommt sie flott vorwärts. Über uns hinweg heult noch die Feuerwalze und schlägt ihr den Weg. Schon streben die alten Kampfgenossen der Aisne zu. Entfaltet folgt die Abteilung, der Stab und die Batterieführer voraus. Das längste Plateau von Norden nach Süden geht es entlang. Nur einen kurzen Aufenthalt gibt es. Schnell bricht eine Batterie den Widerstand.
Eigenartig ist die Gebirgslandschaft. An tiefe Höhlen sind die Häuser angebaut. Der Krieg riss die Häuser hinweg. Weit klaffen die Eingänge zu den Höhlen. Es sind die berühmten Weinkeller der Champagne.
Auch das Nordufer der Aisne hat der Gegner geräumt. Hinunter geht der Abstieg vom Dorf auf der Höhe in langen Schlangenlinien zur Niederung. Endlos windet sich Bataillon auf Bataillon und Batterie auf Batterie hinab. Das macht sich der Gegner zunutze. Er schießt mit seiner Nachhutartillerie von den Höhen südlich der Aisne in die Kolonnen hinein. Die spritzen auseinander, verschwinden im Grunde und finden dort Deckung.
Bald ist der Übergang geöffnet und weiter geht der rastlose Vormarsch. In eiliger Flucht ist der Gegner. Überall sieht man seine Nachhuten rückwärts fluten. Überraschend und gar zu heftig traf ihn der deutsche Stoß. Über den Damenweg rollt er, hinab zur Aisne, herüber und wieder hinauf und wieder hinab in rastlosem Drängen bis zur Vesle. An einem Tage! 28 Kilometer sind gewonnen mit geringen Verlusten.
Dicht am Feinde sieht uns die Nacht. Gegen die Häuser, die kurzes Obdach gewähren, klatschen die Flintenkugeln. Eine tiefe Schlucht deckt die Pferde. An den Ausgängen stehen Geschütze auf Wache.
Nach kurzer Ruhe treibt uns das Morgenrot in die Höhe. Die Division greift an, über die Vesle hinüber. In Bodenwellen und Kornfeldern geht die Abteilung in Stellung. Weit auseinander stehen die Batterien. Auch die einzelnen Geschütze haben große Zwischenräume. Nach vorn deckt sie der Höhenrand, nach oben Buschwerk und Roggen.
Auf der Höhe liegen die Batterieführer mit ihren Beobachtungen, der Abteilungsstab zwischen ihnen. In schmalem Erdloch sitzt der Kommandeur am Scherenfernrohr, das über den Roggen herausäugt. Etwas zurück, auch im Erdloch, ist die feldmäßige Vermittelung eingebaut. Von ihr laufen die Drähte zu den Beobachtungsstellen der Batterien, zum Regiment und zum Verbindungsoffizier, der bei der Infanterie im Veslegrund sich aufhält. Der meldet die Lage der eigenen Infanterie und ihr Angriffsziel. Nach diesen Meldungen und auf Grund der eigenen Beobachtungen leitet die Abteilung das Feuer.
Der hohe Schornstein jener Ferme dort ist der Hauptrichtungspunkt. Rechts und links von ihm haben die Batterien ihre Zielräume. Die decken sich mit den Gefechtsstreifen der angreifenden Infanterie.
Prächtig ist die Beobachtung in der Morgensonne. Ganz deutlichsieht man drüben die französischen Schützen in ihren blaugrauen Kitteln. An Wege, Gehöfte und Feldraine klammern sie sich an. Gut fasst sie das Feuer der Batterien.
Die feindliche Artillerie will ihnen helfen. Sie will unsere Beobachtungsstellen zerschlagen, die sie ganz richtig auf unserer Höhe vermutet. Gelingt es, dann sind die Batterien blind. Dem Angriff der Infanterie fehlt dann die Unterstützung.
Sie lässt es sich etwas kosten, die französische Artillerie. Viel Eisen werfen ihre Feuerstöße zu uns herüber. Unangenehm ist das Krachen der Melinitgranaten. „Ratscher“ nennt sie der Soldatenmund. Bei leisester Berührung des Bodens krepieren sie und jagen ihre zahlreichen messerscharfen Sprengstücke flach nach allen Seiten hin. Sehr übel sind die Verwundungen, die sie hervorrufen. Aber diesmal geht alles gut. Die schmalen Erdlöcher geben gute Deckung. Wenn der Feuerüberfall abgeebbt ist, heben sich die Köpfe. Der Fernsprecher ruft und Gruppe auf Gruppe fliegt wieder in den Feind. Das nutzen die braven Graudenzer. Unter dem Schutze unseres Feuers arbeiteten sie sich heran. Dann weicht der Feind. Eine Entscheidung wartet er nicht ab.
Staffelweise wird die Abteilung vorgeworfen. Zuerst der Stab und die 8. Batterie. Der junge Hamburger Kaufmann führt sie. Weit voraus ist er auf seinem Goldfuchs. Hinunter ins Tal klimmt die Batterie, über den Fluss und jenseits wieder hinauf. Dann prasselt ihr Feuer in die abziehenden Kolonnen. Ein hoher Strohstaken gewährt glänzende Übersicht. Dort oben liegen der Abteilungs- und der Batterieführer und leiten das Feuer. Auch die beiden andern Batterien, die aus der bisherigen Stellung den Vormarsch gedeckt, eilen heran. In Waldrändern protzen sie ab. Auf Scheunendächern liegen die Beobachtungen. Gut geleitetes Feuer beschleunigt den Lauf des Feindes.
Das Tal des Orillon-Baches weist feindwärts. Dort stößt das Graudenzer Regiment vor. Die Abteilung mit ihm. Dicht aufgeschlossen sind die Bataillone. Bei jedem eine Batterie. Die räumt die Widerstandsnester weg und hilft der Schwesterwaffe nach vorn. Beim vordersten Bataillon ist der Abteilungsstab, beim Regimentskommandeur der Infanterie.
Der steht nun schon seit Frühjahr 1915 an der Spitze des Regiments. Sein scharfes Gesicht und sein klarer Befehl wies es stets zum Siege. Seine Leute vertrauen auf ihn, sie vertrauen auch auf die Abteilung, die nun seit Jahren mit ihnen zusammen ficht. Manch schönen Erfolg haben die beiden Waffen miteinander errungen. Treue Waffenbrüderschaft verbindet sie.
Schon dunkelt es. Die Reiter sind abgesessen und führen ihre Pferde. Das verringert die Trefffläche. Vom nahen Buschwerk des jenseitigen Bachrandes knipsen die Schützen des Feindes.
Die steile Höhe hinauf klimmt unsere Schützenkette. Maschinengewehrfeuer zwingt sie zu Boden. Die beiden Führer klettern hinauf. Dort vorn sprühen die Blitze aus dem Gebüsch. Das kann die Infanterie nicht schaffen. Hilf, Barbara!
Der kleine Leutnant von der Neunten bekommt den Auftrag. 10 Pferde legt er vor seine Geschütze. Die zwingen sie nach oben. Dann pirschen sich die Geschütze zum Höhenrand und „krach, — krach“ fahren die Granaten ins Gebüsch. Stille! Der Feind ist erledigt. Dankbar drücken die beiden Führer dem Leutnant die Hand. Der strahlt, und seine Leute mit ihm.
Posten bleiben auf dem Berg. Dabei die Geschütze. In der Schlucht dahinter zwingt Nacht und Müdigkeit Alles zu kurzer Ruhe bei Gewehr und Geschütz.
Um 1 Uhr morgens schon klingt Räderknarren und Rossegestampf. Die ganze Abteilung klimmt zur Höhe empor, protzt dort ab. Im ersten Morgenstrahl bellen 12 Rohre und scheuchen den Feind. Jäh springt er empor und weicht. Ihm nach die Musketiere. Von Abschnitt zu Abschnitt geht der Siegeslauf. Gemeinsam gehen und reiten die Führer der Truppen. Von Höhen herab halten sie Umschau und leiten den Angriff. Sprungweise begleitet die Artillerie den Siegeslauf und schlägt ihm die Bahn. Im Trabe eilen die Batterien nach vorn, manchmal sogar im Galopp, dicht hinter und vor der Infanterie her. Wie 1914 ist das. Die helle Siegesfreude blitzt aus allen Augen, keiner denkt an Gefahr und Strapaze.
Kurze Rast gibt es am Mittag. Die Gulaschkanonen entleeren sich. Gesang erschallt. Die Pfeifen brennen. Mit neuer Kraft geht es voran.
Ganz vorn steht die Neunte, noch vor der Infanterie. Die lange Drahtleitung führt zur Waldeshöhe. Dort liegt ihr Batterieführer.
Jene Straße entlang, vom Kirchdorf her, muss die feindliche Nachhut kommen, vor seitlichem Druck nach Osten weichend. Aufgepasst, Kanoniere! Der ostpreußische 2lgrarier lächelt. Jetzt kommt die Rache für Flandern! Dort warfet Ihr mich in die Luft, heut geige ich Euch zum Tanze! Nach genauer Berechnung gibt der Fernsprecher das Kommando. Wie der Jäger auf Anstand, lauert die Batterie. Da fegt es heran von Westen her. Drei Panzerautos und Radfahrer, ein, zwei Kompagnien. Dem Straßenkreuz nähern sie sich. „3 Gruppen!“ Pfeifend schlägt es hinein. Ein Auto kippt um. Mit blauen Tupfen besät sich das Feld. Der Rest springt vom Rad und eilt in das Korn. Das Eisen verfolgt sie und lässt sie nicht los, bis der wogende Acker den letzten verschlang. Dann wieder nach vorn, ins Dorf hinein und jenseits hinaus.
Da packt den Franzosen die Wut. Seine eigenen Granaten zerschlagen sein Dorf. Der Kirchturm zersplittert, ein Feuer loht auf. Schieße nur Franzmann! Ein Neuling nur ginge dorthin. Der erfahrene Krieger bleibt draußen. Im Wiesengrunde stehen die Batterien, auch die Nacht hindurch. Über ihre Köpfe hinweg zermalmt der Franzose den Ort.
Am 30. Mai, früh morgens um vier geht’s weiter. Wieder wie gestern. Sprungweise vor schreitet der Sieg. Nicht mehr fern ist die Marne. Sie lockt und zieht.
Jener Wald vor dem Ort ist stark besetzt. Zäh wehrt sich der Gegner. Doch muss er heraus. In Obstgärten, auf 1500 Meter Entfernung, schleicht sich die Abteilung. Sie fasst den Wald und treibt ihn durch mit Granaten von vorwärts und rückwärts, wie im Kesseltreiben der Hasenjagd. Das zerreißt den Verteidiger. Doch es frisst Munition. Erst Mittag ist es, noch lang ist der Tag.
Wenn doch jetzt die Kolonne käme! Da taucht schon im Buschwerk das fröhliche Gesicht des jungen Offiziers auf, den der tüchtige Rittmeister nach vorn sandte. Bald führt er selbst seine Wagen in die feuernden Batterien und stopft die gierigen Mäuler der Rohre.
Jetzt reift die Saat. Im Walde bersten die Stämme, sie zertrümmern, was übrig blieb. Mit lichten Schützenlinien treibt die Infanterie ihn durch, die Batterien dicht auf. Furchtbar wirkte das Feuer im Wald. Reihenweise liegen die Feinde dahingerafft.
In rastlosem Drängen geht es hindurch. In den Ort hinein, auf die Höhe. Da dehnt sich der Blick.
Hell blitzt dort unten die Marne. Zwischen Weinbergen und Obstgärten, tief eingeschnitten strömt sie dahin. Sie müssen wir haben! —
Ganz vorn reitet der Stab. Er steckt die Nase aus dem Wald. Da prasselt ganz nahe aus der Ferme Gewehrfeuer. Ekelhaft ist das Klatschen der Geschosse im Wald. Kurz kehrt und zurück. Na warte Du Bursche! Die vorderste Batterie geht auf einer Waldblöße in Stellung. Sie zerschlägt die Ferme. Der Franzose ergibt sich.
Hinunter zur Marne stürmen die Musketiere. Nichts hält sie mehr auf. Wir haben ihn, den sagenhaften Strom! Wir sind am weitesten vor von der ganzen Armee!
Heiß und ehrlich ist der Dank der Infanterie an die Abteilung. Von Herzen kommt er und zu Herzen geht er.
80 Kilometer in 4 Tagen! In treuem gegenseitigen Zusammenwirken wurde es geschafft. Nun ist das Kampfziel erreicht. Stolz und Freude strahlen aus allen Augen. Wieder haben wir gesiegt:
„Für Kaiser und Reich“