Читать книгу Im Felde unbesiegt - Gustaf von Dickhuth-Harrach - Страница 9
Ich hatt’ einen Kameraden — Von Hanns Gustaf v. Dickhuth-Harrach, damals Leutnant im Königin Augusta Garde-Grenadier-Regiment Nr. 4.
ОглавлениеAn einem sonnigen Frühlingstage des Jahres l9l2 kehrte das II. Bataillon des Königin Augusta Garde-Grenadier-Regiments Nr. 4 im Fußmarsch aus Döberitz zurück. Vor der Wache im Kasernenhof stand der neue Fahnenjunker v. Schubka, um sich das militärische Schauspiel des Einmarsches der Grenadiere anzusehen. Ein kahlgeschorener Studentenschädel auf dem gar nicht dazu passenden bunten Rock. Ein uniformierter Zivilist. Bald sollte er einer unserer Besten werden. Ich war damals auch Junker. Abends im Kasino saßen wir zusammen. Auf der Grundlage humanistischer Bildung und arischer Weltanschauung fanden wir uns bald. Er hasste die Verflachung des modernen Weltstadt-Lebens als eine Folge der tonangebenden, die Seele des Deutschen vergiftenden, jüdischen Presse. Sein Streben war die Ausbildung aller männlichen Tugenden in sich und bei seinen Grenadieren.
In Straßburg war er ein fröhlicher Bursch gewesen und hatte dort die Gelegenheit benutzt, als Hochtourist in den nahen Alpen seinen Körper zu stählen. Die Aussicht auf ein Leben am Schreibtisch behagte ihm nicht. So gab er das Studium auf, und nachdem er sich als Student das Leben angesehen hatte, wählte er den schönsten Beruf der Welt und wurde Königlich preußischer Offizier. Ein Friedensjahr lang waren wir zusammen Leutnants und die schönsten Stunden verlebten wir, wenn wir an dienstfreien Tagen zusammen wandern konnten. Dann sahen wir uns die märkische Heimat an, die so arm ist und doch so schön. Vieler Worte bedurfte es dabei unter uns nicht. Wir wussten, dass wir die Natur in gleicher Weise empfanden und in uns aufnahmen.
Im Morgensonnenschein des 10. August 1914 marschierten wir durch das Brandenburger Tor zur Verladung, und Alle hatten wohl den Gedanken: „Wann und wie werde ich hier wieder durchkommen?“ Ein gütiges Geschick hat mich davor bewahrt vor einem der Herren Volksbeauftragten präsentieren zu müssen.
Wundervoll und herzerhebend waren die begeisterte Begrüßung und die Segenswünsche des deutschen Volkes auf der Fahrt zum Rhein. Kein Übermut herrschte in unserem Abteil, wir wussten, es galt einen ernsten und schweren Kampf, aber wir wollten siegen. In ernster feierlicher Stimmung fuhren wir auf einer Maschinengewehrprotze über den Rhein. Wir tranken das Bild mit deutscher Seele und von Stand an gaben wir unserer Freundschaft auch den äußeren Ausdruck, indem wir uns mit dem brüderlichen Du nannten.
Das Garde-Korps war in der 2. Armee mit auf dem schwenkenden Flügel, der nach Schlieffens Plan berufen war, die französischen Armeen zu umfassen. Also musste die ersten zehn Tage der Krieg mit den Beinen gewonnen werden. Vom frühen Morgen bis spät in die Nacht wurde marschiert. Die heiße Augustsonne lastete brütend auf den belgischen Straßen. Unerhörte Marschleistungen wurden in diesen Tagen spielend vollbracht. Der Wille: „Ran an den Feind!“ beherrschte die Massen. Durch den schönsten Teil Belgiens ging es von Malmedy über Huy nach Namur.
Am 21. und 22. August stießen die Armeen südlich Namur auf den Feind, der in starker Stellung den Übergang über die Maas wehrte. In ungestümem Anprall wurde der zähe Verteidiger überrannt.
Die englisch-französischen Armeen des Nordflügels waren um diese Zeit noch im Aufmarsch begriffen, mit der Absicht, später zum Angriff überzugehen; da fielen schon die 1. und 2. deutsche Armee über sie her. Hierbei traf unsere 2. Armee auf die französische 5. Armee des General Lanrezac, die zwischen Mons und Namur in sehr starken Stellungen hinter der Sambre stand.
Für den 21. August hieß es: „Das X. und Garde-Korps werden mit der Front nach Süden so bereitgestellt, dass sie die Offensive über die Sambre gegen den südlich Namur stehenden Feind ergreifen können.“
Das Regiment Königin Augusta war an diesem Tage in der Vorhut.
Gegen Mittag erreicht das Regiment den Nordrand des Sambre-Tals und entfaltet sich in Deckung rechts und links der Straße zu zweistündiger Rast, während Offizierpatrouillen in das Tal hinabsteigen, um die Übergänge über die Sambre zu erkunden
Drüben sollte also der Feind sein. Erst allmählich drang so etwas auf dem eiligen Vormarsch bis zu uns Leutnants und Zugführern herab, die wir keine Karte besaßen und weder wussten, wo wir waren, noch was gespielt wurde. Dass etwas los war, merkten wir an dem toten Pionierleutnant, der da am Straßenrand lag. Er war auf Patrouille unten an der Brücke gefallen. Seine Leute hatten ihn wieder mit herausgebracht. Neugierig standen wir umher und suchten mit dem Glase das Gelände ab. Auch die Stäbe hoch zu Ross hielten auf der kleinen Anhöhe rechts der Straße, die durch das Dorf La Sarte herunter nach Auvelais führt. Später nannte man solches Verhalten „gefechtsdumm“. — Wir, das II. Bataillon, lagen links der Straße an den ersten Häusern von La Sarte. Von hier fiel das Gelände steil zur Sambre ab, in zwei Stufen. Von oben bis zur ersten Terrasse reichte La Sarte. Unten im Grunde zu beiden Seiten der Sambre lag der große Fabrikort Auvelais. Das andere Ufer ist von der Talsohle ab genau so steil, dann zieht es sich aber in sanfter Steigung von etwa 2 km Länge zu einem Höhenrücken hinauf, der höher liegt, als wir, und auf dem die Dörfer Arsimont und Aisemont liegen. Das ganze Gelände bildet für den Gegner sehr starke natürliche Verteidigungsstellungen. Nur sehen kann man nichts von ihm. Im Dunst der Augusthitze ist alles nur undeutlich zu erkennen. Ab und zu hört man Gewehrfeuer von unten aus dem Grunde, wo sich die Patrouillen herumschießen. — Allmählich hat sich unsere Feldartillerie, Haubitzabteilung 4. Garde-Feld-Artillerie-Regiments in dem Waldstück links der Straße eingerichtet und eröffnet das Feuer auf ein angeblich besetztes Fabrikgebäude in Auvelais.
Feindliche Feldartillerie schießt sich auf unsere Höhe ein. Man merkt, es wird ernst.
Die gegenüberliegenden Höhen scheinen von schwachen feindlichen Kräften besetzt zu sein. Das Regiment bekommt daher den Befehl, mit Artillerieunterstützung den Übergang in Besitz zu nehmen: l. Bataillon mit unterstellter 6. Kompagnie und Maschinengewehr. Kompagnie beiderseits der Straße, Füsilier-Bataillon rechts, II.Bataillon links gestaffelt. Der Regiments-Kommandeur Oberst v. Walther reitet an die Kompagnien heran und ruft: „Das Regiment tritt als erstes des Garde-Korps ins Feuer, eine hohe Ehre für uns; ich erwarte, dass das Regiment in altgewohnter Weise seine Pflicht tun wird!“
Nun kommt Leben in das schlafende Heer. Fertig machen! — An die Gewehre! — tönt es von allen Seiten. Ich bin bei der 6. Kompagnie, die in der Mitte des Regiments die Hauptstraße herunterzugehen hat. So muss ich getrennt von meinem Freund Schubka kämpfen, der bei der 5. Kompagnie steht. Eine abgeprotzte Kanone, von der Bedienung am langen Seil geschleppt, wird der 6. Kompagnie zur Verfügung gestellt. So treten wir an. In Gruppenkolonne geht’s die Hauptstraße hinab.
General Ludendorff, der als Oberquartiermeister der 2. Armee vorgefahren war, schreibt hierüber: „Die Entwickelung der 2. Garde-Division zum Gefecht war ruhig Es war erhebend, die schönen, stattliches! Leute des Augusta-Regiments in den Kampf ziehen zu sehen.“ —
Kaum sind wir 100 m die Straße hinab, da beginnt es zu knallen, zu pfeifen und zu zwitschern. Dachziegel splittern, von den Hauswänden prallen Geschosse ab und es gibt Verwundete. Infanteriefeuer! Feind nicht zu sehen. Also weiter auf der Straße in Gruppenkolonne. Jetzt sind wir gleich im Grunde. 100 m weiter hören die Häuser auf und da pfeift es ganz bedenklich um die Ecke. Also „Kompagnie Halt! — Gewehr ab! — Rührt Euch!“ — Ich werde rechts heraus geschickt in die Gärten, um festzustellen, woher das Feuer kommt. Da ist ein lustiges Infanteriefeuer im Gange. Unser I. Bataillon arbeitet sich den Hang hinab durch die Gärten, und drüben jenseits eines kleines Baches auf einer Anhöhe die Kirche von Auvelais gibt Stockwerkfeuer. Mit meinen scharfen Augen habe ich die zahlreichen Abschusswölkchen am unteren Rande der Kirchenfenster sofort erfasst. Ich melde meine Beobachtung meinem Hauptmann Houben, der inzwischen auch nachgekommen ist. „Die schießen wir mit unserer Kanone heraus!“ sagt er. Also schnell zurück und wieder weiter die Straße herunter. Unten angekommen Kanone vor und vorsichtig aufgebaut, dass sie gerade noch an der letzten Hausecke vorbeischießen kann. Ein wunderbares Ziel! Die Kirche auf 500 m breit vor uns. Ahnungslos schießen die lieben Franzosen immer munter aus den Kirchenfenstern und fühlen sich hinter der starken Steinwand sehr wohl und sicher. Ruhig zielt der Richtkanonier über Visier und Korn. „Schuss!“ kommandiert der Leutnant und Bautz! fährt die erste Granate aus dem Rohr. Zwei weitere folgen, das feindliche Infanteriefeuer verstummt und kurz darauf sehen wir die Rothosen in wilder Flucht aus dem Hintereingang die Kirche verlassen. Das gab Luft. Nun geht’s wieder glatt vorwärts bis an die ersten Häuser von Auvelais. Links der Straße liegt da die 5. Kompagnie im Feuer. Leutnant v. Schubka ruft uns zu, die Kirche sei noch besetzt. Ich bekomme den Befehl mit den beiden ersten Gruppen die Kirche zu nehmen. Der Hauptmann kommt mit. An der Kirchentür angelangt bekommen wir aus den Nachbarhäusern Feuer. Drei Grenadiere stürzen mit lautem Aufschrei zusammen. Schnell schlagen wir die Kirchentür hinter uns zu. In der Kirche kein Feind mehr. An sämtlichen Fenstern des Turmes und des Kirchenschiffs läuft ein Holzgerüst entlang und auf diesem liegt noch überall! reichlich Munition, die der Feind auf
seiner plötzlichen Flucht liegen ließ. In der Kirche sieht’s natürlich wüst aus. Die Granaten haben einige Pfeiler zerschlagen, deren Trümmer den Boden bedecken. Als wir wieder herauskommen, erhalten wir sofort Feuer und nun entwickelt sich in Auvelais ein regelrechter Häuserkampf. Aus Kellern und Luken blitzt es. Türen werden eingeschlagen, Häuser gehen in Flammen auf, hier und da fällt einer, von unsichtbarem Schützen getroffen; dazwischen jammernde Weiber, schreiende Kinder und betende Priester. In aufgelösten Trupps arbeitet sich die Kompagnie von Haus zu Haus und findet sich schließlich am Südausgang von Auvelais wieder. „Können Sie noch?“ sagt der Hauptmann zu mir. „Jawohl!“ sag ich. „Also weiter! Jetzt nehmen wir den Steilhang vor uns. Und wenn wir den Südrand des Sambre-Tales haben, rufen wir Hurra, damit uns nicht die eigenen Leute in den Rücken schießen“ In fünf Minuten hatten wir den südlichen Talrand. Der Feind war abgezogen. Frei lag vor uns auf der Höhe Arsimont. In schwachem Maschinengewehr-Feuer arbeiten wir uns noch etwa 400 m weiter vor. Dann bleiben wir liegen, um die anderen Teile des Regiments abzuwarten.
Es ist Nachmittag geworden. Gegen 3 Uhr mag es sein. Wir liegen gut gedeckt, vom Feinde ist nichts zu sehen. Über unseren Häuptern tobt der Artilleriekampf. Hin und her ziehen die Geschosse ihre Bahn.
Inzwischen schließen links II. Bataillon, rechts I. und Füsilier-Bataillon in Schützenlinie mit uns auf und nun wird das feindliche Feuer stärker. Der diesseitige Rand von Arsimont ist besetzt.
Plötzlich wird es drüben lebendig. Der Feind erhält Verstärkung. Gruppenweise springt seine Infanterie von Haus zu Haus uns entgegen. Über den Höhenrücken links von Arsimont kommen mehrere dicke Schützenlinien hintereinander im Marsch Marsch. Er will uns in die Sambre zurückwerfen.
Rasendes Infanteriefeuer empfängt ihn. Die Artillerie schießt Vernichtungsfeuer mit Granaten auf die Kolonnen zwischen den Häusern. Sprungweise arbeiten wir uns dem Feind entgegen.
Die 6. Kompagnie wird Bataillonsreserve hinter einigen Häusern vor Arsimont. Immer lebhafter wird das Infanteriefeuer. Die Luft ist von unheimlichem Sausen und Pfeifen erfüllt. Wie Peitschenknall klingen die nahen Schüsse über die Dächer. Die Häuser, unsere Deckung, brennen. Die Glut der Flammen schlägt zusammen mit dem Blutrot der untergehenden Sonne. Ängstlich flattern Hühner und Tauben um den brennenden Stall. Ich habe Deckung hinter einem hundehütte-ähnlichen Verschlag, in dem eine schwere dicke Sau als willkommener Kugelfang liegt.
Vor mir im Feld sehe ich unsere Schützenlinien vorwärtsspringen Dort geht mein Freund Schubka mit seinem Zuge vor. Weit ist er seinen Grenadieren voraus. Er hat die Richtung genau auf die ersten untersten Häuser von Arsimont. Ein wilder Schmerz packt mich, dass ich hier untätig liegen muss. Ich will zu ihm, mit ihm kämpfen! —
Ich schicke zum Hauptmann, der ein paar Häuser weiter beim Bataillonsstab liegt, ob ich vorgehen darf. —
„Nein. Bataillons-Reserve“ — Wieder vergehen nervenerregende Minuten des Wartens.
Endlich werde ich losgelassen zur Unterstützung, der rechts an der Straße schwer kämpfenden Schützenlinie.
Sprungweise geht es in Gruppen von Haus zu Haus. Da ertönt das Hornsignal „Seitengewehr pflanzt auf!“ und hundertfach wird es aufgenommen und wiederholt.
Blitzend fliegt das Bajonett aus der Scheide und nun erhebt sich Alles wie ein Mann. Da braucht es keines Befehls. Das sitzt drin in den Friedenssoldaten. Die schwarz-weißen Fahnen flattern im Abendrot und der schwarze Adler trägt uns hinein in den Feind zum letzten Kampf, zum Sieg. —
An den ersten Häusern von Arsimont ruft mich ein Grenadier an: „Herr Leutnant, der Leutnant von Schubka ist gefallen, dort rechts an dem Haus!“ Ich eile hin.
Es ist nichts mehr zu retten.
Vor meinen Füßen liegt die entseelte Hülle dessen, der mir der liebste war unter meinen Kameraden. Die Züge seines Gesichtes sind erstarrt in dem Ausdruck männlicher Entschlossenheit. Der Körper zeigt mehrere Schusswunden und eine tödliche Stichwunde. Neben ihm liegt seine Pistole, deren Patronen bis auf zwei verschossen sind; um ihn herum ein ganzer Knäuel sterbender und toter Franzosen. Offenbar war er seinem Zuge allein zu weit vorausgeeilt, war hier hinter dem Hause überraschend auf eine größere Zahl von Feinden gestoßen, hatte sich tapfer zur Wehr gesetzt, und war schließlich dem Degenstoß eines französischen Offiziers erlegen. Die Hand, die eben noch den Degen führte, der nun rot von frischem Blut und verbogen neben ihm liegt, birgt ein Blatt Papier.
Ein letztes Wort. An wen richtet sich dieser letzte Gruß? „Aus dem Hause, vor dem ich liege, ist nicht geschossen worden. Die Leute sind unschuldig.“
Die erlöschende Kraft des schnell fliehenden Lebens hat er mit äußerster Anstrengung zusammengerissen, um unbekannte Menschen, feindliche Bewohner vor unrechtem Verdacht und vor Gewalttat zu schützen — ein „deutscher Barbar“.
„Ich habe jetzt keine Zeit zu trauern, der Dienst verlangt mich. Leb wohl, lieber — lieber Freund!
Im ersten Anlauf wird der Feind überrannt. Einige wütende Gegenstöße brachen in unserem Feuer zusammen.
Es wird still. Die Flammen des brennenden Arsimont erleuchten das Schlachtfeld. Rot und blau leuchten die Uniformen der gefallenen Franzosen. Die Offiziere mit ordengeschmückter Brust. Eine französische Linienbrigade ist hier verblutet. Darüber die Sterne und die Nacht. Da hört man von Ferne den Choral von Leuthen und die Grenadiere stimmen ein: „Nun danket alle Gott“!
Heiß war dieser erste blutige Schlachttag, der nächste brachte weiteren schweren Kampf. Eine Zuavenbrigade, frisch aus Afrika ausgeladen, wurde in Eilmärschen herangeworfen. Wie Panterkatzen sprangen die kriegsgewöhnten Afrikaner an. So mancher verlor seinen besten Kameraden. Doch der Sieg blieb unser.
Die Pall Mall Gazette meldete: „Die preußische Garde hat den Ruf ihrer Vorfahren gewahrt und kämpfte mit der Todesverachtung, die sie schon 1870 auszeichnete. Sie ist jenen Tapferen gleich geblieben, deren Kolonnen beim Sturm auf die Höhen von St. Privat unter dem französischen Feuer dahinschmolzen.“ —