Читать книгу "...vergessen Sie nicht die chinesischen Nachtigallen." - Gusti Adler - Страница 15

Großes Schauspielhaus

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18. Mai 1918: Die Zirkusfront ist eingestürzt.

6. Juni 1918: R., ein Freund, ist mit Reinhardt am Großen Schauspielhaus vorbeigegangen. Wenn Reinhardt davon spricht, dass es mit dem Bau eventuell nicht klappen könnte, kommen ihm die Tränen in die Augen.

Aber Schwierigkeiten ließen Max Reinhardt seit jeher nur um so leidenschaftlicher danach streben, sein Ziel zu erreichen. Er hatte die Gabe, nachtwandlerisch die Menschen zu finden, die sich für die gegebene Aufgabe am besten eigneten. In Hans Poelzig zog er einen genialen Mitarbeiter heran. So wurde das Große Schauspielhaus nicht nur in architektonischer Hinsicht, sondern auch in Bezug auf alles Technische ein einzigartiger Wunderbau. Indirekte Beleuchtung in Zuschauerraum und Foyers schuf ein warmes Licht, das nicht blendete. Die Pfeiler in den Umgängen glichen Blumen in indischen Tempeln. Die Stalaktiten der Kuppeldecke des Zuschauerraumes unterstützten die Akustik. Das geflüsterte Wort war auf der höchsten Galerie noch hörbar. Reinhardts Traum eines »Theaters der Fünftausend« war erfüllt. (Das Haus fasst in Wirklichkeit 3200 Zuschauer.) Die Kluft zwischen Schauspielern und Publikum war überbrückt. Eine Auferstehung des Theaters der Antike. Mit der Orestie des Aischylos wurde das Haus am 29. November 1919 eingeweiht. In derselben Spielzeit folgten darauf, in ebenfalls glänzenden Besetzungen, Hamlet, Danton von Romain Rolland, König Ödipus und Jedermann.

Mit ungeheuren Kosten, allen Hindernissen zum Trotz, die sich in der chaotischen Nachkriegszeit einem solchen Unterfangen entgegenstellten (Streik, Kohlennot, Lichtmangel), war das Große Schauspielhaus fertiggestellt worden. Die Bedingungen für das Zusammenspiel von Schauspieler und Publikum, der Raum war geschaffen worden. Aber der Kurzsichtigkeit einer Schar von Kritikern, die sich jeder Neuerung eigensinnig verschloss, gelang es über ein Jahr lang, das theaterfremde Nachkriegspublikum zu beeinflussen und fernzuhalten. Nur wenige verständnisvolle, einsichtige, wichtige Schriftsteller traten für Reinhardts ,,Theater der Fünftausend« ein. Zögernd, aber von dem ewigen Zauber echten Theaters doch unwiderstehlich angezogen, folgte dann schließlich doch auch das neue Publikum. Die Suggestion des gedruckten Wortes verblasste neben dramatischem Geschehen, das die Zuschauer in seinen Zauberkreis riss und magisch bannte. Max Reinhardt hatte gehofft, dass eine neue Dichtergeneration der neuen Zeit, die hereingebrochen war, Stimme verleihen würde, dass er dem Drama dieser Jahre des Umschwungs ein Haus geschaffen habe. Aber auch hier erlebte er eine Enttäuschung: das Drama dieser Zeit war blutarm, erstickt in papierener Symbolik und Propaganda. In den Straßen, die zu den Theatern führten, war Revolution. Schauspieler und Zuschauer, die stundenweit zu Fuß gegangen waren, mussten oft zuletzt noch im Kugelregen über die Weidendammer Brücke oder über den Steg laufen. Die Folie der Wirklichkeit war zu stark. Nur echtes Drama hätte dagegen aufkommen können, aber die jungen Dichter versagten. Max Reinhardt hat oft über »die dramatischen Momente der Zeitgeschichte« gesprochen:

… der letzte Zar und seine Familie; der Tod Rasputins. Die Ermordung Lincolns im Theater. Die Abdankung des letzten Sultans. Die Rede Rathenaus. Der Frieden in Versailles. Das Eindringen des Mobs in Versailles, in die Tuilerien. Die Flucht des Königs und der Königin. Gerichtsszenen: Ideal der dramatischen Form (Mary Dugan).

Was damals Europa und die Welt zerriss, war noch zu nahe. Chaos barg Keime einer Saat, die einst grauenhaft aufgehen und Vernichtung bringen sollte. Gestaltung zerschellte an Ungeklärtem, vermochte das Ungeheure nicht zu fassen. Wohl schleppte sich expressionistisches Theater bis in die dreißiger Jahre, aber es war außerstande, sich über die Zeit zu erheben.

Krieg, Nachkriegsnot und Inflation hatten die Existenz der Bühnen untergraben. Nun bedrohte noch eine neue Gefahr das Theater: der Film. Die besten Schauspieler konnten den Lockungen des Films, der hohen Gagen nicht widerstehen. Obwohl Edmund Reinhardt seinem Bruder Direktionssorgen soviel als nur irgend möglich ersparen wollte, war es doch unvermeidlich, dass ihm die Freude an seiner Regiearbeit immer wieder durch Geldnot getrübt wurde, dass ihn die Unzuverlässigkeit der Schauspieler, die der neuen materiellen Anziehungskraft des Films erlagen, kränkte. Schon 1919 hatte Max Reinhardt in Salzburg gesagt:

Man wird so misstrauisch, weil es kaum einen Menschen gibt, der nicht etwas von einem will. Das lässt mich ja auch immer wünschen, alles niederzulegen. Es liegt mir gar nicht, das Schicksal für so und so viele Menschen zu sein. Ich möchte auf der Bühne gutes Theater machen. Mehr nicht. Nun bringt aber der ganze Apparat alles andre mit sich.

Am 9· Oktober 1920 legte er dann die Direktion seiner Theater nieder, behielt aber sich und seinem Bruder die letzte Entscheidung wichtigster Fragen vor. In einer Abschiedsrede an die Schauspieler des Deutschen Theaters erklärte er die Gründe für seinen Rücktritt. Felix Hollaender, sein langjähriger Mitarbeiter, übernahm die Direktion und leitete die Theater bis 1922.



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