Читать книгу Blutiges Automatengeld oder Neid, Gier, Tod - Hajo Heider - Страница 4
Der erste Automat
ОглавлениеKK Bramerthal trat vorsichtig an den glitzernden Glasteppich, sofern die Schuhgröße 48 vorsichtiges Auftreten erlaubt. Die Glasperlen waren in der Form eines aufgeklappten Fächers verstreut, der sich vom Automatenraum bis zum gegenüberliegenden Bürgersteig öffnete. Er betrachtete den Riss in der Hauswand, von der Türöffnung zum Fenstersims im ersten Stock. Die Führungsschienen der doppelten Schiebetür ragten aus der Wand, zu gewaltigen Haken verbogen. Mitten auf der Straße lag die gekrümmte Vorderfront eines Geldautomaten, daneben fünf leere Geldschubladen.
Die Stirn des Kommissars kräuselten Zornfalten. Jetzt bemerkte er KHK Schnürle, seine Chefin. Eine grüne Seidenbluse hing bis zur Hüfte über zerknitterte Jeans. Entweder zeigte sie die neueste Mode, oder eine Nacht der besonderen Art war vor dem lustvollen Finale unterbrochen worden. Ihren Kopf schmückte eine dunkelrote Strickmütze mit der Form einer Bettpfanne, unter der ihr Haar irgendwie verteilt war. Sie hoben gleichzeitig die Hände zum Gruß. In gleicher Weise grüßte er die Kollegen der SpuSi, weiße faserarme Anzüge. Er machte einen Rundblick, weil er seinen Kollegen Axel Schroth begrüßen wollte.
KHK Schnürle winkte ihn zu sich. Sie sprach mit einem älteren Mann im grünen Bademantel. Er zeigte zur Wand seines Hauses. Bramerthal schaute zum ersten Stock hoch. Licht strahlte aus faustgroßen Löchern im Rollladen. Schnürle machte Fotos.
„Sieht brutal aus“, sagte Bramerthal. „Wer kommt auf die Idee, einen Geldautomaten auszurauben?“
„Das waren Zigeuner!“, sagte eine aggressive Stimme in seinem Rücken.
Bramerthal betrachtete den blonden Stiernacken und fragte: „Sind Sie ein Augenzeuge und Kenner von Ethnien?“
„So viel habe ich erkannt.“
Schnürle sprach weiter mit dem Mann im grünen Bademantel, aber ein Ohr war bei ihrem Mitarbeiter, der den jungen Mann befragte.
Bramerthal klang bemüht: „Wo standen Sie, als Sie den Vorfall bemerkten?“
Der Zeuge zeigte dort hin, wo Bramerthals Wagen stand.
„Ich rauchte meine Abendzigarette, da sah ich den dunklen Mercedes, aus dem zwei dunkle Gestalten stiegen.“
„Können Sie uns helfen, Phantombilder zu erstellen?“
„Die trugen schwarze Strümpfe über dem Kopf.“
„Unter Strumpfmasken erkennen Sie …?“ Bramerthal rang um Fassung. „Ich kann auf die kurze Distanz nicht erkennen, welcher Ethnie Sie angehören.“
Der Zeuge stolperte zurück, wie vor die Brust gestoßen.
„Ich werde Ihre Personendaten aufnehmen.“
Der Zeuge reichte einen Ausweis.
„Deutsches Reich?“, las Bramerthal. „Sie sind kein Bürger der Bundesrepublik? Zeigen Sie Ihre Aufenthaltserlaubnis.“
„Wollen Sie mich verarschen?“
„Ich vermute, sie sind illegal eingereist. Ich nehme Sie fest, zur Feststellung ihrer Identität.“
Der Mann hatte keine Chance. Sein rechter Arm war mit dem Vorfahrtsschild mittels einer stählernen Handfessel verbunden.
„Fluchtgefahr“, erklärte Bramerthal und ging zum Automatenraum.
Einige Minuten später fragte Schnürle nach den Personalien des Stiernackens. Sie ließ sich den Führerschein zeigen. Bramerthal näherte sich auf ein paar Meter.
„Sie wissen, unter den gegebenen Umständen könnte ich einen Durchsuchungsbeschluss für Ihre Wohnung erwirken? Sie wissen hoffentlich auch, wie unangemessen Ihr Ton war.“
Der Mann knurrte mürrisch.
Sie öffnete die Handfessel.
„Wie kommen Sie auf die Vermutung, es handle sich um Roma?“
„Der Mercedes, mit bulgarischem Kennzeichen, fuhr an meinem Haus vorbei, als ich am Briefkasten stand.“
Der Mann verschwand in dem von ihm gezeigten Haus.
Bramerthal betrachtete sie erwartungsvoll.
„Ein sogenannter Reichsbürger, eine neue Spezies der Unzufriedenen“, sagte sie. „Die wollen unseren Schutz, sei es durch Polizei, Feuerwehr oder Gesundheitswesen, aber …“
„Auf der Straße liegt ein neues Geschäftsmodell“, unterbrach er sie.
„Was hat Sie so erbost?“, wollte sie wissen.
„Er sagte Zigeuner, er ist ein Rassist, und ich mag keine Rassisten.“
„Glauben Sie, er wäre weniger Rassist, wenn er Roma gesagt hätte? Das Wort Zigeuner ist keine Beleidigung. Andererseits bedeutet Rom Mensch. Wäre die Täterbeschreibung, das waren Menschen, für Sie akzeptabler? Wir sind Menschen, also sind wir Roma.“
Sie lachte über sein entsetztes Gesicht.
„Es war der widerliche Ton.“
„Unabhängig vom Ton frage ich Sie: Erkennt man einen maskierten Zigeuner am Kfz-Kennzeichen? Die Zeugenaussage ist unbrauchbar.“
Bramerthal wandte sich nachdenklich ab.
„Ich rechne in nächster Zeit mit Nachahmern. Kollege, Sie müssen gelassener werden.“
Auf der anderen Seite des Glasteppichs rief eine ältere Frau: „Über dem Automatenraum ist die Wohnung von Frau Tschech. Der Riss geht durch ihr Schlafzimmer. Ich habe die Feuerwehr alarmiert.“
„Gut gemacht“, lobte Schnürle.
Der Kollege im Automatenraum zeigte zum handbreiten Riss über seinem Kopf. Eine alte verängstigte Frauenstimme rief um Hilfe.
„Frau Tschech“, rief Bramerthal nach oben. „Rettungsdienst und Feuerwehr sind alarmiert. Ich höre bereits das Martinshorn. Können Sie den Rettungskräften die Tür öffnen?“
„Ich versuch‘s“, sagte sie.
Bramerthal sah zur bewegten Decke.
„Raus“, rief er und sprang mit einem Satz aus dem Automatenraum.
„Bleiben Sie im Bett, der Rettungsdienst wird das machen.“
Er rannte zur Feuerwehr, um die kritische Situation zu melden.
Abseitige Glasperlen knarrten unter Bramerthals Ledersohlen. Um die Geldschubladen war die Strahlenordnung der Perlen gestört, mehr konnte er nicht feststellen. Er ging zu Schnürle, die dem Mann am Gartentor lauschte.
„Gewöhnlich gehe ich um Mitternacht ins Bett.“ Er schnappte nach Luft und sprach weiter. „Ich putzte meine Zähne, da erschreckte mich der Knall, zwei Schläge. Die Straße funkelte durch ein Loch im Rollladen. Ein Mann hockte im Glas und sammelte etwas ein, das er in einen Rucksack stopfte. Geld war‘s. Eine zweite Person half ihm. Sie rannten an der Sparkasse vorbei nach hinten.“ Er zeigte die Fluchtrichtung. „Ich rief sofort die Polizei an.“
„Fiel Ihnen noch etwas auf? Erkannten sie die Gesichter? Können sie die Kleidung beschreiben?“
„Die hatten gar keine Gesichter“, sagte er. Er schüttelte den Kopf, als zweifle er an seiner Beobachtung. „Es ging sehr schnell!“ Der Mann überlegte weiter. „Entweder war der eine Mann sehr klein, oder der andere sehr groß. Der Größere nahm den Rucksack.“
Sie schauten zum Fenster hoch. Der Rollladen wurde bis zur Hälfte hochgezogen. Die Lamellen verhakten sich krachend. Eine ältere Frau beugte sich aus dem Fenster, wirres Haar, blasses Gesicht.
„Was ist los?“, fragte sie.
„Meine Frau ist wach geworden.“ Der Mann winkte. „Ich komme gleich. Der Geldautomat wurde ausgeraubt. Keine Angst, es war nicht unser Geld.“
Der Zeuge im Bademantel rieb sein Kinn und sagte nachdenklich: „Vor der Explosion fuhr ein Wagen mit dunklem Motorbrummen weg.“
Ein jüngerer Mann mit blauer Arbeitskleidung, auf der anderen Seite des Absperrbands, sagte: „Ich kam vom Schichtwechsel nach Hause. Nach der Detonation eilte ich aus der Garage und sah zwei Personen um die Ecke verschwinden.“
„Bemerkten Sie ein Fluchtfahrzeug?“
Er zeigte eine Richtung, mitten durch Häuser.
„Ein Benziner, vermutlich ein Sechszylinder.“
Die Feuerwehr hatte die Hausecke mit einer stählernen Stütze stabilisiert. Frau Tschech kam zwischen zwei Rettungssanitätern und wurde mit Blaulicht ins Krankenhaus gefahren. Der ältere Kollege arbeitete im Automatenraum, der jüngere wickelte das Vorderteil des Automaten in eine Plastikfolie.
„Ich bin hier fertig“, rief der Ältere.
Bramerthal betrachtete die Stahlstütze, bevor er den Raum betrat.
„Können Sie etwas Hilfreiches sagen?“
Der Kollege zeigte ein Stück elektrische Leitung in der Beweismitteltüte. Isolierband hielt die blanken Enden auf Distanz, am anderen Leitungsende war geschmolzenes Lot.
„Der Automat wurde mit Gas gesprengt.“
Der Kombi der SpuSi fuhr rückwärts an den Perlenteppich. Zu zweit wuchteten sie das größere Teil in den Wagen. Bramerthal reichte Schnürle die Beweismitteltüte. Mit Orkanstärke sog sie verbrannte Restluft durch ihre Nase. Bramerthal studierte die Rückwand des Automaten, die krumm, nach hinten geneigt, in der Wand hing. Er rüttelte, bis das Gehäuse aus der Wand kippte. Der blecherne Aufschlag war ein Lockruf für die Kollegen. Durch das Loch hätte er mühelos in den Kassenraum steigen können. Zur Demonstration setzte Bramerthal ein Knie auf die Öffnung. Die SpuSi wickelte auch dieses Teil in Noppenfolie und verstaute es. Die Heckklappe schlug zu.
Der junge Kollege bot an, den Ermittlern den Fluchtweg zu zeigen. Schnürle und Bramerthal folgten am Gebäude vorbei über einen gewässerten Rasen. Ein kompletter Schuhabdruck neben dem Rasenansatz war Beweismittel Nummer 10.
„Schuhgröße 36 - könnte von einem Kinder- oder Frauenschuh stammen.“
Eine niedere Buchsbaumhecke markierte die Grundstücksgrenze, direkt davor die Nummer 11, eine Glasperle. Auf der anderen Seite der Hecke steckte die Nummer 12, ein profilierter Schuhabdruck von beeindruckter Größe.
„Wir gehen von der Schuhgröße 49 aus, was einem Mann von mindestens zwei Metern entspricht.“
Der Kollege beobachtete, wie Bramerthal seinen rechten Schuh über dem Abdruck schweben ließ.
„Sonderanfertigung“, sagte er respektvoll.
Drüben, am Straßenrand funkelte eine Glasperle mit der Nummer 13. Sie gingen hinüber. Schroth trat aus dem Zweifamilienhaus und sagte, was er erfahren hatte.
„Nach der Explosion schaute Herr …“, er las den Namen aus seinem Notizbuch. „Schaute Herr Grumbowski auf die Straße, seine Frau war im Bad beschäftigt. Von links glitt ein Mercedes vors Haus und blieb stehen. Zwei dunkel gekleidete Personen eilten zum Wagen, stiegen ein, der Wagen fuhr sofort davon.“
„Farbe des Wagens?“, fragte die Chefin.
Schroth sagte enttäuscht: „Dunkel, könnte blau gewesen sein.“
Bramerthal schaute hoch. Zwei Fenster standen offen.
„Ein sehr großer Mann und eine kleinere Person, vermutlich eine Frau.“
„Kennzeichen?“, fragte Schnürle.
„Ein ausländisches Kennzeichen. Beide Personen trugen schwarze Skimasken. Das Gesicht des Fahrers blieb im Dunkel.“
Auf dem Rückweg sammelte der Kollege die Nummernschilder ein.
Der Filialleiter, dunkler Anzug, dunkles gescheiteltes Haar, wartete vor dem Tatortband, das den Eingang zum Automatenraum absperrte. Er starrte entsetzt. Das Loch zum Kassenraum wurde von der Feuerwehr mit einer Blechtafel verschlossen. Die SpuSi verabschiedete sich. Der Glasteppich war zu einem glitzernden Haufen zusammengekehrt. Schnürle riss das Tatortband ab. Sie zeigte dem gescheitelten Mann ihren Ausweis. „Geben Sie uns die Überwachungsvideos.“
Er verschwand in der Filiale, kam nach kurzer Zeit mit zwei Datenträgern.
„Rufen Sie uns an, wenn Ihnen oder ihrem Personal etwas zu dieser Tat einfällt. Wir müssen auch wissen, wie viel Geld fehlt.“
Es war kurz vor vier Uhr.
„Gehen wir eine Runde schlafen?“, fragte die Chefin.
Sie erhielt keine Antwort.