Читать книгу Blutiges Automatengeld oder Neid, Gier, Tod - Hajo Heider - Страница 7

Versöhnungstag

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Die Unruhe vor der Essenausgabe endete mit dem elektromotorischen Rasseln der Rollläden. Montags waren die Küchenfrauen makellos gekleidet, dunkelblaue Kittelschürzen, weiße Hauben. Ein Stich durch die knackende Panade, eine Kelle Pommes. Schnürle steuerte den Stammplatz an. Meist blieb der vierte Stuhl frei.

Montage nannte Bramerthal Versöhnungstage. In der Direktion arbeiteten drei Vegetarier und ein Muslim. Die Vegetarier lobten die Festigkeit des Imitats und der Muslim schwärmte vom Kalbsgeschmack. Man war von zwölf bis eins mit der Realität versöhnt, die Wahrheit war ein Staatsgeheimnis.

Staatsanwalt Wahran näherte sich. Beim Absetzen des Tellers, der mit Pommes frites überhäuft war, sagte er das obligate „Mahlzeit“. Er wandte sich an KHK Schnürle.

„Ist die Automatensprengung ein Übungsmatch für ihre Truppe, oder wird sich der Fall entwickeln?“

Schnürle hielt die Gabelhand vor den sprechenden Mund. „Wir erkennen bereits eine Entwicklung. Mittwochnacht hat sich ein Betrunkener erfolgreich mit der Sprengung versucht.“

Sie holte die Digitalkamera aus ihrer Jackentasche, suchte ein Foto und schob die Kamera neben Wahrans Teller. Er unterbrach den Kauprozess, um dem Anblick sprachlose Referenz zu zollen. Seine Brauen lagen wie der Strich eines schwarzen Textmarkers über den wasserhellen Augen. Er legte das Messer aus der behaarten Hand und strich das kurze Haupthaar nach hinten.

„Das Haus auf der anderen Straßenseite ist dreißig Meter entfernt.“ Sie suchte das Foto mit dem zerschossenen Rollladen. „Wenn ein Wagen oder Zweirad vorbeigefahren wäre …“

Er ergänzte ihren angebrochenen Satz. „… könnte ich ein Körperdelikt vor die Schranke bringen.“

Er nutzte das Schweigen zu hastigem Schlingen, aber nachdem er Messer und Gabel in den blanken Teller gelegt hatte, sagte er: „Ich sollte gründlicher kauen.“

Seit einer Woche hing in der Kantine eine vielseitige Kaffeemaschine, die über die Personalnummer abbuchte. Wahran lud zum Espresso ein. Neben der Maschine standen vier Stehtische.

Er wandte sich an Bramerthal. „Wie bewerten Sie die Automatensprengungen?“

Wahran hatte ihn noch nie nach seiner Meinung gefragt. Zuerst ergründete der Kommissar den Subtext der harmlosen Frage.

„Wir vermuten beim ersten Fall einen Test, welcher zur Optimierung weiterer Sprengungen dient.“

Wahran sagte: „Optimierung von Verbrechen könnte ein neuer Fachbereich für Wirtschaftslehrstühle werden.“

Schnürle und Schroth gingen ins Büro zurück. Bramerthal verließ das Gebäude, um in den kleinen Park zu gehen. Die Ruhe war angenehm, leichter Honigduft würzte die Luft, die wie ein Netz zwischen den Zweigen hing. Wenn er sich von einem mitgebrachten Brot ernährte, setzte er sich auf eine Bank. Spaziergänge waren eine Wohltat für Verdauung und Gehirn. Eine Runde auf dem schattigen Weg genügte.

Die Chefin wartete auf seine Rückkehr, nahm ein braunes Kuvert aus dem Eingangskorb. Zum Brieföffnen besaß sie ein winziges Samuraischwert, das sie zeremoniell aus der winzigen Holzscheide zog. Ratsch führte sie den Schnitt aus und schaute wie ein Chirurg, auf der Suche nach dem Blinddarm.

„Von der SpuSi“, erklärte sie. „Bei der Gelegenheit möchte ich etwas zu unserem Fall sagen. Die Ausführung einer effizienten Sprengung ist verlockend einfach.“ Sie machte eine Pause, stellte Schroth eine Testfrage: „Können wir das Aufspringen von Trittbrettfahrern verhindern?“

„Verhindern können wir das sicher nicht.“

Sie nickte zustimmend und sagte: „Damit lautet die nächste Frage: Wie können wir Trittbrettfahrer erkennen?“

„Am Modus Operandi“, sagte Bramerthal.

Wieder nickte sie zustimmend und ergänzte kritisch: „Intelligente Trittbrettfahrer versuchen, die Ersttäter fehlerfrei zu kopieren, um den Verdacht auf diese zu lenken.“

Die jungen Kommissare beobachteten erwartungsvoll, wie sie ihren Zopf auf den Rücken schleuderte. Manchmal schien ihr Haar ein Eigenleben zu entwickeln, wenn es sich über den Busen legte und bei jedem Wort mit der Spitze zuckte.

„Ich lese den Bericht der SpuSi vor und wir überlegen, ob sich daraus ein Ansatz bietet. Sie erinnern sich, wie ich nach dem verwendeten Gas gefragt habe? Hier ist die Antwort der SpuSi.“

„Der Bericht soll Antworten zum verwendeten Gas geben. Am Zündort (Primärflamme) tritt die größte Wärmeentwicklung auf. Der Vorteil von den Campinggasen Propan bzw. Butan liegt darin, dass sie sich problemlos beschaffen lassen und in einem großen Mischungsspektrum (Sauerstoff/Gas) gezündet werden können. Versengungen des Lacks und Anschmelzen eines Kunststoffteils sind, bei der Verwendung von Propan, an der Einführöffnung für die EC-Karte erkennbar (siehe beiliegende Fotos).“

Ihre Stimme krächzte, sie reichte Schroth die Fotos. Bramerthal ging zur Kaffeemaschine, wo er ihre Tasse füllte. Sie trank einen großen Schluck.

„Den technischen Teil werde ich Ihnen ersparen. Wer sich dafür interessiert, kann die Einzelheiten nachlesen.“

Sie beobachtete die Gesichter über den Rand ihrer Tasse hinweg, womit sie absolute Aufmerksamkeit forderte, die sie durch langsames Absetzen der Tasse steigerte.

„Im Versuch mit Butan tritt am Zündort keine Verbrennung auf, wofür noch keine Erklärung existiert. Es sei angemerkt: Eine Explosion ist keine kontrollierte Verbrennung. Nachtrag: Butan ist für den Wintereinsatz ungeeignet.“

Schroth zerstörte die unfertige Pause mit einer ungeduldigen Frage. „Was machen wir daraus?“

„Erinnern Sie sich an meine Bemerkung zu Trittbrettfahrern? Mit Butan gehen wir an die Presse. Nur die SpuSi und wir wissen, welches Gas bei der ersten Explosion verwendet wurde. Wir können Propan mit dem beschriebenen Schnelltest identifizieren und daran das Original von der Kopie unterscheiden. Wegen der strengen Geheimhaltung war das Kuvert verschlossen.“

Bramerthal betrachtete die Fotos, während die Chefin weiterlas:

„Der Zündmechanismus basierte beim ersten Fall auf einem Elektroschocker. Um das Einführen in den Kartenschlitz zu ermöglichen, wurden die Leitungsenden dünner gehalten.“

Sie betrachtete ihre Mitarbeiter in Erwartung eines Aha-Effekts.

„Damit ist der Modus Operandi weitgehend definiert“, sagte sie abschließend.

Die Ermittler stießen mit den Kaffeetassen an. Die dunkelblauen Tassen unterschieden sich durch den Anfangsbuchstaben der Vornamen, E war die Tasse der Chefin, A war Schroths Tasse, J war Bramerthals Tasse.

Die Chefin schloss träumerisch die Augen. „In Göppingen gibt es zwischen 50 und 100 solcher Automaten, in Baden-Württemberg abertausende und im Bundesgebiet …“ Leise murmelnd zählte sie alle Geldautomaten. „Unvorstellbar viele!“, stöhnte sie.

Sie überließ ihren Mitarbeitern die gedankliche Weiterführung des Gesagten.

„Hilft uns die Frage, weshalb dieser Automat gesprengt wurde? Will sagen: Erkennen wir was einen Automaten besonders attraktiv macht?“, fragte Bramerthal. Ohne eine Antwort zu erwarten, sprach er weiter: „Wir könnten überlegen, …“

„Herr Bramerthal, schreiben Sie Ihre Frage auf, damit sie nicht vergessen wird. Nach einem einzigen zerstörten Automaten können wir allerdings noch keine Gesetzmäßigkeiten definieren.“

Sie hoben ihre Tassen, stießen wieder an.

„Auf eine erfolgreiche Jagd.“

„Ich schreibe jetzt meine Vorgaben für die Pressemitteilung“, sagte Schnürle. Sie tippte und las laut: „Automatenraub in Göppingen: Eine Tätergruppe sprengte einen Geldautomaten mit Butan, das mit einer Zündschnur zur Explosion gebracht wurde. Ein Betrunkener hat diese Methode bereits nachgeahmt, wodurch er einen Geldautomaten und wahrscheinlich seine Zukunft zerstörte. Die Kripo ist auf eine Serie vorbereitet, die mit dem Automaten in der Karl-Schurz-Straße losgetreten wurde.“

„Weshalb weisen Sie auf die vermutete Serie hin?“, fragte Schroth.

„Es geht mir darum, mögliche Nachahmer auf die gewünschte Spur zu bringen. Gleichzeitig möchte ich die Bevölkerung, sowie die Mitarbeiter der Geldinstitute sensibilisieren. So können wir eher auf kompetente Zeugenaussagen hoffen.“

„Sofern überhaupt etwas gesehen wird“, schloss Bramerthal.

Die Nacht von Freitag auf Samstag. Wieder ein Alarm, Mitternacht, Geisterstunde. Bramerthal zog zum Telefonieren die Decke über den Kopf.

„Sparkassenfiliale in der Nördlichen Ringstraße“, sagte die Chefin.

Traudl wachte auf, als er seinen Kopf von ihrem Arm befreite.

„Was ist?“, fragte sie verschlafen.

„Ich muss weg.“

Die Schlitze zwischen den Rollladenlamellen waren schwarz.

„Die Filiale in der Nördlichen Ringstraße.“

„Das ist meine …“, hauchte sie erschreckt und schwieg. Ohnmacht oder Müdigkeit. Er deckte sie zu, schlich mit seinem Kleiderbündel hinaus.

„Ruf mich an, wenn ihr meine Hilfe braucht.“

Er hörte ihren gleichmäßigen Atem. Sie schlief wieder.

Zähneputzen, Frühstück, er zog die Wohnungstür behutsam zu, schlich auf Zehenspitzen hinab. Beim Schließen der Haustür dachte er an die Mädchen, die jeden Samstagmorgen ihre Mutter weckten. Es war zu spät Traudl zu erinnern, dass sie im falschen Bett schlief.

Die Kommissare erschienen im Minutentakt am Tatort. An diesem Geldautomaten hatte sich kein Betrunkener zu schaffen gemacht. Das Muster stimmte mit ihrer Hypothese überein. Auf der Straße glitzerte kein Glas. Die Vorderfront lag auf dem Gehsteig, die Gasmenge war reduziert worden. Bramerthal schaute sich nach Zeugen um. Niemand stand auf der Straße, weit entfernt leuchtete ein Fenster, andere verbargen sich hinter geschlossenen Fensterläden.

Die SpuSi untersuchte den Automatenraum, ohne eine relevante Spur zu finden, das Zündkabel war offensichtlich verbessert. Von der SpuSi wurde die Verwendung von Propan bestätigt. Weder Schuhabdruckspuren noch ein Reifenprofil; die Optimierung der Tat war frustrierend gut gelungen.

Die Glastür war, beim Eintreffen der SpuSi, geschlossen gewesen.

„Wie wurde die Tür offengehalten?“, wollte Schnürle wissen.

Eine Kollegin strich mit einem weißen Papierstreifen über die unteren Türkanten. Sie betrachtete den dunklen Abrieb, bevor sie das Papier in eine Beweismitteltüte steckte.

„Vermutlich gummierte Türkeile.“

Die SpuSi suchte Spuren mit Speziallicht, es war nutzlos. Die Kommissare betrachteten die Innenseite des Kartenschlitzes, die kleine Brandspur, das Erkennungszeichen für Propan. Die SpuSi wickelte die Teile in Noppenfolien.

Schnürle sagte den Kollegen, sie sollten anschließend den Park in der Mozartstraße nach Spuren untersuchen, die auf eine Übergabe der Beute an ein Motorrad hindeuten. Nachdem die SpuSi den Raum freigegeben hatte, schauten sich die Ermittler um.

Sie sagte „Propan!“, um anzudeuten, welcher Tätergruppe die Sprengung zuzuordnen war. „Wir werden diese Gruppe PROPAN nennen, in der Erwartung, diesen Namen nur einmal vergeben zu müssen.“

„Wir können das bestimmt allein lösen“, sagte Schroth.

„Noch so ein Fall wäre einer zu viel“, widersprach sie.

In der folgenden Nacht explodierte im Stadtteil Faurndau ein weiterer Geldautomat. Eine Zündschnur hatte sich unter dem Kartenschlitz in den Lack gebrannt. Hier wurde Butan verwendet. Die Ausführung der Tat hielt sich an Schnürles Beschreibung. Die Tatausführung ließ eine weitere Gruppe erwarten.

„Wollen Sie das LKA ignorieren?“, fragte sie in Schroths Richtung.

Er hob resignierend die Schultern.

„Wir können unmöglich an zwei Fronten kämpfen.“

Blutiges Automatengeld oder Neid, Gier, Tod

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