Читать книгу Blutiges Automatengeld oder Neid, Gier, Tod - Hajo Heider - Страница 9

Alte Liebe …

Оглавление

Schnürle pinselte, wie ein träumender Picasso, mit dem rot umwickelten Zopfende über den Mund, das Kinn, den Hals. Bramerthal erkannte Nervosität, die wohl mit dem erwarteten LKA-Mann zu tun hatte. Zweifellos kannte sie den Kollegen so gut, dass sie ihre Erinnerung gerne gelöscht hätte. Bramerthal fürchtet, die Ermittlung könne unter einer schlecht geendeten Beziehung leiden.

Er fragte angestrengt entspannt: „Wie lange kennen Sie sich schon?“

Sie war zu verwirrt, um wütend zu reagieren. Mit einem entschlossenen Wisch schob sie die Akte zur Seite, ein einziges Blatt, das sie sechs Mal gewendet hatte. Das rote Zopfende fiel ihr aus der Hand und versteckte sich erschreckt zwischen ihren Brüsten.

„Wen meinen Sie?“

„Sie kämpfen mit einem Problem, aber ich bin sicher, es handelt sich um eine Winzigkeit.“

„Ich überlege, ob ich ihn duzen soll. Wir waren damals Kommissaranwärter und irgendwie...“

Hinter dem Damals erlauschte er einen Unterton, den das Irgendwie zu einer Bedrohung verstärkte.

„Holen Sie ihn vom Parkplatz ab. Auf dem Weg lassen sich Fragen der korrekten Anrede klären. Ein überlebter Streit hat keinen Einfluss auf die Arbeit.“

„Es geht nicht um mich, es geht um Traudl“, sagte sie hastig.

Nach dem kleinen Dialog lächelte sie entspannt, allerdings grübelte jetzt Bramerthal, was das Problem der Chefin mit Traudl zu tun hatte. Schnürles Telefon klingelte. Sie erhob sich, nahm ihre Jacke vom Bügel, eilte zur Tür.

Sie zog die Tür bereits zu, als sie sagte: „Messinger ist gekommen. Ich stelle ihn dem LD und dem Staatsanwalt vor.“

Eine Stunde später führte die Chefin den LKA-Mann Messinger ins Büro. Bramerthal erkannte mit einem Blick, wie gut alles geklärt war. Sie stellte ihre Mitarbeiter vor. Messinger hätte in ein Modemagazin gepasst. Die knöpfbaren Ärmelmanschetten waren die Arbeit eines Maßschneiders. Sein dunkelblaues Hemd zierte eine pinkfarbene Seidenkrawatte. Das Gesicht kuschelte in einem dunkelbraunen, getrimmten Bart, das Haupthaar war nach hinten gezogen. Die Augenfarbe passte zum Haar. Messingers Handschlag hatte eine Pferdestärke.

Sie setzten sich zu viert an den Besuchertisch. Schnürle schilderte die bisherige Ermittlung. Messinger blätterte nebenher in der Akte. Er wiegte schwergewichtig den Kopf. Nachdem Schnürle das Ende ihres Vortrags mit einem Schluck Kaffee anzeigte, begann er mit bedächtig gesuchten Worten. Selbst seine schweigende Stimme erlaubte keine Unterbrechung.

„Das ist die Bande, die wir seit einem halben Jahr beobachten. In Freiburg konnte ich den blauen Mercedes mit einem Sender markieren. Leider war die Reichweite des Funksignals geringer als erwartet. Wir nahmen an, die Berglandschaft sei schuld. Im Neckartal entwischte uns das Signal. Jetzt ist klar, dass das Ziel des Wagens Göppingen war, womit wir nie gerechnet hätten. Bei Esslingen brachen wir die Suche ab“, sagte Messinger, trank einen Schluck Kaffee, verzog das Gesicht und sprach weiter: „Der Hauptteil der Bande beschäftigt sich weiterhin mit Einbrüchen in der Umgebung von Kehl. Wir haben Hinweise, dass die Bande europaweit operiert. Geldautomaten dienen vermutlich der schnellen Geldbeschaffung für ein großes Unternehmen, was dem bekannten Schema widerspricht.“

Er wartete auf Fragen. Es gab nichts zu fragen, über die Sprengungen wussten die Göppinger Ermittler mehr.

„Herr Bramerthal, können Sie mir die Tatorte zeigen?“

Bramerthal betrachtete seine Chefin fragend, weshalb sich Messinger vergewisserte: „Frau Kollegin, geht das in Ordnung?“

Sie nickte zustimmend und fragte: „Manne, soll ich dir ein Hotel buchen?“

„Zuerst die Tatorte, anschließend entscheide ich mich“, sagte er.

So leicht, wie ihr die Anrede über die Lippen gekommen war, wusste Bramerthal, dass das Problem keinesfalls in der Anrede bestanden hatte.

„Wir fahren mit meinem Wagen“, sagte Messinger. „Da der Mercedes in Göppingen gesehen wurde, kann er vielleicht geortet werden, die Senderbatterie müsste noch funktionieren.“

Bramerthal wollte den Beifahrersitz zurückschieben, aber Messinger stoppte ihn. „Fahren Sie, ich möchte die Gegend betrachten.“

Am ersten Tatort bestaunte Messinger die Wucht der Explosion, die an dem Gebäudeschaden deutlich sichtbar war. Bramerthal schilderte die Bergung der älteren Frau und die Gespräche mit den Zeugen. Sein Sahnehäubchen war die Begegnung mit dem jüngeren Mann, den die Chefin Reichsbürger genannt hatte.

Messinger las den Bericht und fragte: „Ich nehme an, Ihre Prognose zum Modus Operandi wurde beim zweiten Fall bestätigt?“

„Erschreckend gut.“

Sie fuhren zur Übergabestelle am Freibad, stiegen aus, Bramerthal beschrieb die Rekonstruktion der Fluchtstrategie.

„Wie sind Sie auf die Idee mit der Übergabe an ein Motorrad gekommen?“

Bramerthal fasste den gemeinsamen Denkprozess so zusammen: „Beute und Tatwerkzeug wurden in einen Rucksack gepackt. Dem Riesen hing er, wie ein Puppentäschchen, auf dem Rücken. Unsere Überlegungen stoppten bei dieser Feststellung, bis wir die Motorradkleidung der jungen Frau erkannten.“

„Sie haben hervorragend gearbeitet“, lobte Messinger.

Sie fuhren an dem Geldautomaten vorbei, den der Betrunkene gesprengt hatte.

„Man sollte schnellstens etwas dagegen tun!“, sagte Bramerthal.

„Was ist das gegen die Milliarden, die Banken bei Spekulationen verbrennen? Diese Schadensverursacher werden nach ihren Untaten großzügig belohnt.“

„Der Betrunkene wollte sein Eheproblem an dem Automaten abreagieren. Bei der Befragung hatte ich den Eindruck, er sehe im Gefängnis einen Ausweg. Wir hatten keine Handhabe, ihn einzusperren.“ Bramerthal machte eine kleine Pause, um seiner Schlussbemerkung Gewicht zu verleihen. „Der Mann hat sich am Abend an einem Nussbaum erhängt.“

Messinger reflektierte lang. Bramerthal war von der anhaltenden Resonanz überraschte. Natürlich war der Suizid schockierend, aber Messinger war kein Betroffener. Steckt der Kollege in einer ehelichen Klemme, fragte sich Bramerthal.

Bevor sich das Schweigen verfestigte, sprach Messinger. „Der Mercedes sowie der Riese beweisen die Aktivität unserer Bande. Das Motorrad könnte eine neue Errungenschaft sein. Uns ist nie eines aufgefallen.“ Er blätterte in der Akte. „Das Motorrad könnte unauffällig in einem Kastenwagen transportiert werden. Auch mit einem deutschen Kennzeichen wäre es unauffällig.“

„Kastenwagen hört sich gut an“, sagte Bramerthal.

„Reine Spekulation, eine Variante, die ich wählen würde.“

„Ihre Spekulation wirkt fundiert.“

„Ich werde ein paar Tage bleiben und Lissi bitten, mir ein Zimmer zu besorgen.“

„Muss ich Lissi kennen?“, fragte Bramerthal.

„Elisabeth Schnürle“, korrigierte Messinger. „Wir waren im selben Semester.“

Bramerthal war erleichtert, weil Messinger das Thema nicht vertiefte.

„Herr Bramerthal, haben Sie den langen Kerl gesehen?“

„Nein.“

Messinger klappte seinen Laptop auf. Das Foto eines Mannes erschien auf dem Bildschirm, aufgenommen auf einem Supermarktparkplatz.

„Er ist größer als Sie, ein Typ wie unsere besten Handballspieler, der trotz Körpergröße schleichen kann. Er hat volles schwarzes Haar, spricht mindestens drei Sprachen fließend.“

„Ist er erkennungstechnisch erfasst?“

„Wir haben nichts Verwertbares. Beim Anbringen des Senders konnte ich die ersten Fotos machen.“

„Welche Sprachen spricht er?“

„Seine Muttersprache ist Romani, außerdem spricht er bulgarisch und deutsch. Er war mit einer Deutschen verheiratet und hat auf Drängen seiner Frau einen deutschen Schulabschluss gemacht. Hier endet unser Wissen.“

Bramerthals gehobene Brauen interpretierte Messinger als eine Frage.

„Es gibt ungefähr dreißig Romani-Sprachen, die durch ihre Kontaktsprachen, also die jeweiligen Landessprachen, mehr oder weniger gravierend verändert sind.“

„Der Sender könnte entdeckt und vernichtet worden sein“, sagte Bramerthal.

„Viel eher wurde er in einer Waschstraße weggebürstet.“

Sie standen vor dem Tatort in der Nördlichen Ringstraße. Messinger stieg aus. Bramerthal blieb sitzen, weil er die Begrüßung durch Traudl vermeiden wollte. Sie kam aus ihrer Filiale, küsste Messinger auf die Wangen. Bramerthal sah sich genötigt, auszusteigen.

Er hörte den Rest der Begrüßung. „… Manne, wie geht’s dir?“

Sie kam zu Bramerthal und küsste ihn auf den Mund.

„Ihr kennt euch?“, fragte er.

Sein Gehirn arbeitete. Wangen und Stirn legten sich in Falten, er ordnete Schnürles Hinweis, begriff ihr Problem, das nie ein eigenes Problem war.

„Wir kennen uns schon lang. Wie du weißt, kenne ich auch Lissi“, erklärte Traudl.

„Das ist eine andere Geschichte, wie der Lord in >Irma la Douce< zu sagen pflegte“, sagte Messinger.

„Wer?“, fragte Bramerthal erstaunt.

Messinger sagte irritiert: „Wenn Ihnen der Film zu alt ist, suche ich nach einem Zitat in der >Unendlichen Geschichte<, was ohnehin passender wäre.“

Durch Schnürles Warnung wusste Messinger, dass Bramerthal bei Traudl wohnte. Der gesprengte Automat in Traudls Filiale musste beide irgendwann zusammenführen. Bramerthal begriff außerdem, weshalb Messinger von ihm kutschiert werden wollte. Beide schauten ihr hinterher. Sie winkte, ohne sich umzudrehen.

„Bramerthal, Ihre Überlegung ist zutreffend“, sagte Messinger, um nach einer Denkpause fortzufahren: „Ich hatte keine Vorstellung, wie unser Wiedersehen ablaufen würde. Von Lissi habe ich vor wenigen Stunden erfahren, dass Traudl Witwe ist. Der Tod meines Kollegen ist an mir unbemerkt vorbeigegangen.“ Er überlegte. „Ich war ein Jahr in den USA.“

Bramerthal spürte einen drohenden Verlust. Er dachte ernsthaft über seinen unvollendeten Satz nach. „Du weißt doch …“

Das Büro war abgeschlossen. Sie gingen in die Kantine. Auf dem normalerweise freien Platz saß Staatsanwalt Wahran. Bramerthals Stuhl war frei, den er Messinger anbot. Er lieh von den Streifenpolizisten einen Stuhl, den er ans Kopfende rückte. Der Staatsanwalt löffelte mit hoher Schlagzahl und verabschiedete sich. Bramerthal stellte den Stuhl zurück und setzte sich auf den gewärmten Platz.

„Alles gesehen?“, fragte die Chefin.

„Stellt euch vor, Herr Messinger kennt meine Zimmerwirtin", sagte Bramerthal.

Er spielte die Überraschung über den undenkbaren Zufall perfekt. Die Chefin schaute verlegen zur Seite, weil sein Blick in ihre Augen stach.

„Manne, hast du bezüglich des Hotels besondere Wünsche?“, lenkte sie ab.

„Abendessen, Fitnessraum ond I will zFuas ens Gschäft kommà.“

An Schwâb, dachte Bramerthal. Ein Schwabe, der seine Füße gebrauchen möchte. Er blies auf seine Suppe und wunderte sich, dass ihm der schwäbische Anklang entgangen war.

Blutiges Automatengeld oder Neid, Gier, Tod

Подняться наверх