Читать книгу Blutiges Automatengeld oder Neid, Gier, Tod - Hajo Heider - Страница 6

Falscher Tag

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Bramerthal griff nach dem brummenden Handy und tauchte unter die Bettdecke. Er sog zuerst den erotischen Geruch der Nacht durch Mund und Nase. Seine linke Hand drückte das Handy ans Ohr, mit der rechten streichelte er Traudls glatten Bauch.

„Ich bin’s!“, meldete er sich.

„In der Lerchenberger Straße wurde ein Geldautomat gesprengt“, sagte die Chefin.

Traudl wälzte sich gegen seinen Körper, er grunzte lustvoll.

„Tut mir leid, wenn ich Sie bei der Abendgymnastik gestört habe“, sagte die Chefin. „In einer halben Stunde am Tatort.“

Er legte das Handy zurück, drehte sich auf den Rücken, Traudl legte sich auf ihn.

„Nichts soll zwischen uns stehen“, flüsterte sie.

Das Licht des Displays verlosch.

„Du kennst meine Chefin“, sagte er.

„Sie ist einen Monat jünger.“

Er schaltete das Nachtlicht an, um in ihre Augen zu schauen.

„Ein Geldautomat wurde gesprengt.“

Damit war der Zauber gebrochen. Sie huschte aus dem Zimmer.

Er nahm die Schlüssel von seinem Kleiderbündel, alles lag geordnet und griffbereit. Er würde jedes Kleidungsstück bei absoluter Dunkelheit finden. Er holte die Pistole aus dem Stahlschrank, legte sie zwischen die Schuhe.

Traudl zerwühlte ihr Bett, um ihre Töchter zu täuschen. Er packte sein Kleiderbündel auf einen Küchenstuhl, die Pistole schob er darunter. Das Magazin legte er im Bad neben die Dose mit Rasierschaum. Unter der grellen Deckenlampe strahlte sein Haar wie ein brennender Heiligenschein.

„In einer halben Stunde.“

Ihre Füße tappten über die kalten Fliesen der Küche, als er sich aus der Duschkabine herauszwängte. Er beendete das Lied, das er gesummt hatte. Traudl goss Kaffee in seine Trinkschale, er schüttete heiße Milch dazu. Sie trank eine Tasse Kaffee, später frühstückte sie ausgiebig mit ihren Töchtern.

„Brama, die Mädchen mögen dich sehr“, sagte sie.

„Es könnte nicht schöner sein. Ich schätze dieses wunderbare Gefühl von familiärer Geborgenheit. Ich mag deine Töchter, ich liebe dich, aber du weißt…“

Den abgebrochenen Satz sprach er selten in voller Länge. Er hatte den Satz auch nie hinterfragt, aber seit seinem sechzehnten Jahr ständig wiederholt.

„Schon wieder ein Geldautomat“, beendete sie das Thema. „Hoffentlich nicht bei meiner Filiale?“

„Diesmal ist die Volksbank betroffen.“

Die Nacht von Freitag auf Samstag versprach den höchsten Ertrag, weil die Schubladen fürs Wochenende gefüllt waren. Mit einer Explosion am Mittwoch hatten sie nicht gerechnet. Kurz vor halb elf Uhr ging der Alarm los, die Ringfahndung stand wenige Minuten später.

Aus zwanzig Metern wirkte der Tatort ungewöhnlich. Nicht fehlendes Glas irritierte, sondern die Umgebung. Der Automat hing in einer Nische, in der sich eine Person bewegen konnte. Der seitliche Sichtschutz war gewährleistet, die Handhabungen am Automaten blieben verborgen. Ein Vordach aus Kupferblech diente als Regenschutz für Mensch und Material. Ein Kollege der SpuSi beschäftigte sich mit dem grauen Blechteil, das in der Gosse lag. Die Explosionswirkung war optimal dosiert. Schroth schüttelte entrüstet den Kopf über die nachlässige Leerung der Schubladen.

„Nein!“, war Schnürles erster Kommentar. Sie überlegte weiter. „Da liegen noch ein paar hundert Mark. Was sollen wir davon halten?“

Der ältere Kollege im weißen Anzug näherte sich, breit grinsend.

„Können Sie schon etwas sagen?“, fragte Schnürle.

„Der Täter verwendete Feuerzeuggas.“ Er hielt eine Beweismitteltüre hoch.

„Sie vermuten einen Einzeltäter?“

„Die leere Kartusche lag im Rinnstein.“

„Gas“, sagte Schnürle, mit bedächtigem Kopfnicken. „Können Sie grundsätzlich erkennen, um welches Gas es sich handelte?“

„Butan wird unter anderem als Feuerzeuggas verwendet. Campinggas wäre das einfachste Sprengmittel, also Butan oder Propan. Industriegase sind schwer zu handhaben.“

„Lassen sich die Gase beim Flammverhalten oder …“ Sie hob fragend die Schultern. „… auf schnelle Weise unterscheiden?“

Schroth und Bramerthal näherten sich wie wissbegierige Schüler. Sie suchten eine Erklärung für die Frage der Chefin.

„Butan und Propan sind ähnlich. Sie haben sogar ein gemeinsames Sicherheitsdatenblatt. Vermutlich lässt sich kein Unterscheidungsmerkmal finden.“

Der Kollege zeigte schwarze Flocken, in einer Ecke der Automatennische.

„Zwei Meter zusammengedrehtes Toilettenpapier war die Lunte.“

„So eine Zündschnur scheint extrem schnell brennend, was sie extrem gefährlich macht“, sagte Schnürle.

„Die Brenndauer schätze ich auf eine Sekunde. Der Täter befand sich außerhalb des Gefahrenbereichs.“

„Fingerabdrücke?“, fragte sie.

„Vermutlich jeder Finger beider Hände.“

„Hallo!“, rief eine Männerstimme von gegenüber.

Schroth und Bramerthal gingen hinüber. Der Mann saß auf der Gartenmauer, dunkle Hauskleidung, ein Mittvierziger.

„Mein Name ist Müller, ich habe die Polizei angerufen.“

Sie schüttelten die Hände.

„Beschreiben Sie, was Sie gesehen haben“, bat Bramerthal.

„Ich ging hinters Haus, um nach der Waschbärenfalle zu schauen. Das Viehzeug hat mir schon das halbe Dach abgedeckt.“

Der Mann wollte zuerst allgemeinen Ärger loswerden.

„War die Jagd erfolgreich?“, fragte Bramerthal.

Sein Kopfschütteln verriet fehlendes Waidglück.

„Bevor ich das Haus verlasse, schaue ich mich um. Auf der anderen Straßenseite näherte sich ein Mann. Er führte ein Selbstgespräch. Weil die Falle leer war, kam ich nach kurzer Zeit zurück. Eine Explosion krachte. Ich wunderte mich, wohin der Mann verschwunden war. Ich versuchte zu begreifen, was geschehen war.“

Er legte eine Schockpause ein. Schnürle kam dazu.

„Ich sah den Mann im Rinnstein, dachte er sei verletzt, wollte losrennen, erkannte aber rechtzeitig, was da ablief. Er raffte Geld zusammen. Jetzt trug er ein weißes Unterhemd, der Pullover war zum Geldsack umfunktioniert. Er verschnürte ihn mit den Ärmeln. Ich fragte, was er da mache, und er schaute mich blöd an. Ich sagte, ich rufe die Polizei, da rannte er weg. Nach ein paar Metern fiel er in gemächlichen Trott. Ich wollte sehen, wo er verschwindet.“ Sein Arm blieb ausgestreckt. „In der zweiten Seitenstraße. Man kennt sich in der Gegend, aber ...“ Er schüttelte den Kopf.

„Herr Bramerthal, suchen sie den Mann“, forderte die Chefin.

Er folgte der Spur des Geldes, sammelte vier Scheine aus dem Rinnstein, andere lagen auf dem Gehweg. Die Nacht war windstill. Er betrachtete die Häuserfronten, sah ein beleuchtetes Fenster. Das Gartentor stand offen. Er stieg vier Steinstufen zur Haustür hoch. Bei beiden Klingeln stand Pechbrenner. Er drückte die Klingel des ersten Stocks. Nach einigen Minuten hörte er leise Stimmen. Ein Mann im Morgenmantel stand in der Tür, die rechte Hand in der Tasche.

„Sie wünschen?“, fragte er schroff.

Er war absolut nüchtern. Bramerthal stellte sich mit Dienstausweis vor.

„Sollte hier ein Mann wohnen, der vor wenigen Minuten heimkam, so muss ich ihn vermutlich festnehmen.“

„Mein Sohn!“, sagte der Mann ohne Überraschung. „Sperren Sie den Nichtsnutz ein!“

Der ältere Pechbrenner ging voraus die Treppe hoch.

„Marika mach auf. Hier ist die Polizei.“

Eine junge Frau öffnete. Sie hielt den Morgenmantel beidhändig zusammen, unter dem dünnen Stoff fröstelte sie.

„Ist ihr Mann vor wenigen Minuten heimgekommen?“, fragte Bramerthal.

Sie öffnete die Wohnzimmertür, der Mann schnarchte auf der Couch, die linke Wange auf ein Kissen gedrückt, das Gesicht zeigte zur Rückenlehne. Auf dem Boden lag ein dunkelblaues, verknotetes Wollbündel. Die Hände der Frau sanken vom Morgenmantel. Er betrachtete zuerst die Frau und anschließend galt dem Schläfer sein Mitleid.

„Haben Sie eine Tüte, in die ich den Pullover stecken kann?“

Sie brachte die Kleidertüte eines Kaufhauses, hielt sie mit beiden Händen offen.

„Ist Ihnen nicht kalt?“, fragte Bramerthal.

Er versenkte den Beweis und schaute sich nach verlorenen Scheinen um.

„Auf mich wartet ein heißes Bett“, sagte sie.

Sie rannte ins Bad, putzte die Zähne, schwankte aus dem Bad, ihr Schwiegervater hielt sie mit beiden Armen fest. Bramerthal gab ihr eine Karte, notierte die Personendaten.

„Wie reagiert Ihr Gatte, wenn er nüchtern ist?“

„Wie ein Säugling.“

Bramerthal ärgerte sich über die Leichtigkeit, mit der ein Geldautomat seines Inhalts beraubt werden konnte. „Wenn jeder frustrierte Mann zum Trinker und Automatensprenger wird …“ Er beendete den Gedanken nicht, wiederholte das Bruchstück aber zwei Mal.

Schroth war heimgefahren, Schnürle wartete unter dem Kupferdach.

„Der erste Trittbrettfahrer, der mitsamt dem Brett abgestürzt ist“, sagte Bramerthal.

„Wie hat er den Sturz überlebt?“

„Er wird morgen auf die Direktion kommen.“

Er verzog seinen Mund zu einer Fratze, hielt die Einkaufstüte hoch.

„Müssen wir das Geld zählen, bevor wir die Tüte asservieren?“

„Zählen!“

Die Frau brachte ihren Mann zur Direktion. Der Fall war eindeutig. Die Einlassungen eines Anwalts hätten nur verzögernde Wirkung gehabt. Der junge Pechbrenner unterschrieb sein Geständnis. Die Frau brach in Tränen aus. Pechbrenner reichte ihr sein Taschentuch, das sie ihm wütend aus der Hand riss.

„Wie ein Säugling“, sagte sie zu Bramerthal, „aber ich bin keine Amme.“

Er schaute in den großzügigen Ausschnitt, öffnete den Mund zum Widerspruch und schwieg.

Blutiges Automatengeld oder Neid, Gier, Tod

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