Читать книгу Bunty - Halwart Schrader - Страница 8

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Chips ohne fish

Februar 1971. Ich hatte mich in London mit dem Fotografen Charles Wilp verabredet; wir kundschafteten Plätze für Gauloises-Werbemotive aus und besprachen tausendundein Detail. Ein Perfektionist wie Wilp (»alles ist in Afri-Kola«) überließ nichts dem Zufall des Augenblicks. Während meines dreitägigen Aufenthalts war ich auch auf einer Oldtimer-Auktion. Mich hat es nicht überrascht, Bunty dort zu begegnen. Für Britanniens prominentesten Rolls-Royce-Gebrauchtwagenhändler ist der Besuch einschlägiger Versteigerungen eine Pflicht.

»Oh, how nice to see you again! Bernard hat in meinem Auftrag den grünen Silver Wraith dort drüben und den schwarzen Bentley R-Type ersteigert. Bernard kennst du doch?«

Ja, ich kenne Bernard.

»Ich habe zwar viel zu viel Geld für die Schlitten ausgegeben, weil der Auktionator wieder mal alles rausgeholt hat … aber es ist verdammt gut angelegt, weißt du, diese wunderschönen Autos werde ich nach Amerika verkaufen …« und es folgt ein langer Exkurs über die interessanten, höchst aufnahmefähigen Rolls-Royce-Märkte in Kalifornien, in Texas, in New Jersey, Oklahoma, Illinois, Louisiana und vor allem in Arizona: »Mein Lieber, da wartet man nur so auf meine Ware!«

Die Auktion ist zu Ende, Bernard ist dabei, ein Auto nach dem anderen irgendwohin zu fahren. Ladies and Gentlemen – das Haus Christie’s übernimmt keine Verantwortung für nicht abgeholte Ware! hat der Auktionator The Right Hon. Patrick Lindsay nach dem letzten Zuschlag verkündet. Patrick ist ein Ass in seinem Job, besitzt selbst einige antike Bentleys und hebt hin und wieder mit einem seiner kleinen Flugzeuge ab – Aufklärungsmaschinen der Royal Air Force aus dem Zweiten Weltkrieg. Patrick ist auf der britischen Oldtimerbühne fast ebenso berüchtigt wie Bunty, und deshalb gehen sie einander auch nach Möglichkeit aus dem Wege.

Meine Zeit drängt, ich muss zur Victoria Station und möchte meinen Zug nach Dover nicht verpassen. »Frank Dale wird dich hinbringen, ich mache dich mit ihm bekannt, und Victoria liegt genau in seiner Richtung! Franks Geschäft ist am Sloane Square, weißt du! Wenn wir aber noch ein Stündchen Zeit haben sollten …«

Aber wirklich nur ein Stündchen, mehr nicht, sage ich zu Bunty, die 20-Uhr-Fähre ist meine letzte Chance! In Oostende möchte ich den Mitternachtszug nach Brüssel erwischen.

»Oh wie wundervoll, dann gehen wir jetzt erst einmal etwas essen … Frank kennt sicher ein gutes Lokal in der Nähe. Ich kann ihn nur gerade nirgendwo entdecken, wo steckt der gute Junge nur …«

Frank Dale wird wohl ebenfalls ein von ihm ersteigertes Auto in Sicherheit bringen, nehme ich an. Also ein Taxi! Es dauert und dauert, ehe eins hält. Natürlich reicht die Zeit nicht mehr für einen Lunch, denn der Verkehr ist dicht, und für die letzten Meter zur Victoria Station benötigen wir eine Ewigkeit. Bunty ist wie immer nicht gut zu Fuß, besteht aber darauf, mich bis an den Zug zu begleiten. Und dann geschieht das Unerwartete: »Mein guter Junge, ich schulde dir ja so viel, du warst neulich in München so spendabel. Ich hätte dich wahnsinnig gern zu einem Lunch eingeladen. Ich bin traurig, es betrübt mich aufs Tiefste, dass dazu nun keine Zeit mehr ist, das musst du mir glauben.«

Die Tränen, die ihm dabei in den Augen stehen, sind sicher nicht solche der Rührung, eher der Zugluft auf dem Bahnsteig. So wie der Dauertropfen an seiner Nase nicht unbedingt ein Zeichen von Erkältung ist.

Ich besteige den Zug; es sind noch etwa fünf oder sieben Minuten bis zur Abfahrt. Buntys Redefluss, so sehr er auch durch viele lange, klangvolle »hmmms« und »ääähs« durchsetzt ist, plätschert ohne Unterlass; heute ist er besonders gesprächig, der Gute. Wahrscheinlich hat er auf der Versteigerung einen Superdeal landen können und schon die Dollars errechnet, die ihm der Weiterverkauf der beiden alten Autos nach Amerika bringen wird.

»Du bist hungrig, dessen bin ich mir ganz sicher, und ich habe dich nicht zum Lunch einladen können! Aber ich weiß, was sich gehört, du kennst mich gut genug, nicht wahr? Also warte bitte einen kleinen Moment, mein Junge, so lasse ich dich nicht einfach zurück nach Deutschland fahren!« Dreht sich um, humpelt davon, kehrt Sekunden vor dem Abpfiff mit einer Tüte zurück und reicht sie mir herauf: »Endlich kann ich all das wieder gut machen, was ich dir schuldig bin! Und ruf’ mich an, wenn du zu Hause angekommen bist, aber nicht vor fünf Uhr bitte, ich habe dir noch so unendlich viel zu erzählen! Hast du zum Beispiel gewusst, dass Frank den Phantom Two Continental, der vorhin für zwanzigtausend wegging, für nur siebentausendfünfhundert hereingenommen hatte? Soll ich dir verraten, was ich geboten hätte? Keine zwölf! Das war nämlich das Auto der Lady Ashcroft, du weißt schon, die ihre beiden Chauffeure umgebracht hat, alle beide vergiftet! Oder hast du das nicht gewusst? Keine zwölf hätte ich geboten, äääh, hmmm, vielleicht dreizehn. Vergiftet hat sie alle beide, einen nach dem anderen. Das wird sie natürlich niemals zugeben, der Staatsanwalt hatte ja auch keine echten Beweise, aber auf dem Wagen lastet jedenfalls ein Fluch! Hoffentlich widerfährt dem guten Frank kein Unglück, er schuldet mir schließlich noch zwanzig Pfund … Ach, und versuch doch bitte, ob du in dem Geschäft in der Schwanthaler Straße noch einmal zwei Dutzend von diesen Zündkerzen auftreiben kannst. Sie müssen dir Rabatt geben. Nenn’ einfach meinen Namen! Und wenn du anrufst, vergiss nicht, mich auf meine geplante Reise auf der Donau anzusprechen. Ich brauche da deinen fachmännischen Rat, ich bin doch jetzt Besitzer eines Schiffes, äääh – und mein Neffe in der Royal Geographic Society …«

Es ist das erste Mal, dass Bunty mir gegenüber ein Schiff erwähnt. Was für ein Schiff? Hat er es für einen seiner Rolls-Royce-Veteranen in Zahlung genommen?

Auch ich war ja mal Besitzer eines Motorkutters (wenn auch leider ohne Motor) gewesen und interessierte mich daher für dieses Thema. Hätte ich etwas früher erfahren, dass Bunty und ich eine weitere Passion teilen, wäre ich bereit gewesen, meinen Aufenthalt zu verlängern, um mir sein Schiff anzusehen. Ich musste meine Neugier nun erst einmal im Zaume halten und beschloss, Bunty per Brief umgehend nach Einzelheiten zu fragen, zumal er ja vorzuhaben schien, sich damit auf Europas Binnenwasserstraßen zu begeben. Für heute war es zu spät, und erfahrungsgemäß hätte Bunty sehr weit ausgeholt, um mir die Schiffsgeschichte zu erzählen. Denn dieses Schiff war ja auch keineswegs sein erstes, wie ich später in Erfahrung brachte.

Noch bevor ich all das, was Bunty von der Bahnsteigkante zu mir hoch fistelt, zu sortieren vermag, setzt sich der Zug in Bewegung – »don’t forget those spark plugs, and ask for a decent discount!«, höre ich Bunty noch rufen; ich schließe das Abteilfenster, winke ihm noch einmal zu und widme mich dem lauwarmen, kräftig gesalzenen Inhalt der Papiertüte. Fish and chips sollen es sein, leider without fish. Pappige, muffige Pommes. An Bord der Fähre habe ich zum Glück Zeit und Gelegenheit, etwas ausgiebiger zu dinieren. Ich leere dazu eine halbe Flasche St. Emilion – drei Gläser auf das Wohl des Schiffseigners Bunty. Und freue mich auf ein baldiges Wiedersehen mit dem schrulligen Gentleman von Rock Cottage, dem alten Geizkragen, den wir alle so sehr mögen. Warum nur? Wegen seines Charmes? Wegen seiner Witzigkeit und seiner Begabung, lustige Geschichten zu erzählen, wegen seiner mit so viel Liebenswürdigkeit dargebotenen Unverschämtheiten, seiner gern provozierten Situationskomik, seiner Kunst, sich zu verstellen und immer wieder so überzeugend den Ahnungslosen zu spielen?

Bunty

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