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Teheran

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Wir kamen am morgen des nächsten Tages in Teheran an.

Jean-Jacques, Pierre, Steve, so hießen meine Zugbekanntschaften und ich stiegen aus setzten uns im Bahnhof in eine Teestube. Die Zugfahrt steckte uns in den Knochen, obwohl der Zug eigentlich ganz angenehm war. Es fiel sofort auf, dass etwas anders war in Teheran als zum Beispiel in Istanbul, es war die Stimmung. Eine Unmenge von Menschen lief über den Bahnhofsvorplatz, die Frauen trugen Schleier und Mäntel, die bis über die Knie reichten. Die Männer trugen schlecht sitzende Anzüge und die Jugendlichen bunte Kleidung, die sich an den neuesten Modetrends orientierte. Man hatte zu Hause viel über das repressive System im Iran gehört, dort im Bahnhof merkten wir davon nichts.

Teheran wies ein Nord-Süd-Gefälle auf, die Reichen wohnten im Norden in Villen, die nach Außen hin islamische Architektur zeigten mit vielen Schnörkeln, Säulen und Bögen, im Innern aber westlichen Lebensstil imitierten. Hoch oben im Norden war die Luft sehr gut, man befand sich dort an den Hängen des Elbrus-Gebirges, der Süden erstickte fast im Abgasqualm der Millionen Autos. Teheran lag im Schnitt auf 1200 m Höhe.

Der Süden grenzte an die Salzwüste Dascht-e Kavir. Man sah von Teheran aus die schneebedeckten Gipfel des Elbrus, sechsundsechzig Kilometer nördlich lag der 5671 m hohe Damavand, der 3975 m hohe Towchal grenzte an das Stadtgebiet und konnte mit der Seilbahn erreicht werden. Teheran hatte schon mehrere schwere Erdbeben erlebt, das letzte lag allerdings hundertfünfzig Jahre zurück, es kostete 45000 Menschen das Leben. Die Seismologen rechneten deshalb in der nächsten Zeit wieder mit einem schweren Beben. Bei Teheran stießen die Indisch-Australische und die Arabische Kontinentalplatte auf die Eurasische Platte. Es herrschte in Teheran Kontinentalklima, der Norden war kühler als der Süden, der am Rand der zentraliranischen Wüstenregion lag. Die Sommer waren trocken und heiß, die Winter kühl und nass. Der Süden war im Schnitt fünf Grad wärmer als der Norden. Die Flüsse Karadsch im Westen und Djadjrud im Osten versorgten die Stadt mit Wasser.

Teheran hatte eine geschätzte Bevölkerungszahl von vierzehn Millionen Einwohnern. Die Hauptstadt des Iran war jung, siebzig Prozent der Einwohner waren unter dreißig Jahre alt. Vom Bahnhof aus führte eine wichtige Straße nach Norden, die Valiasr-Straße, die unter Reza Schah Pahlavi gebaut worden war und ursprünglich Pahlavi-Straße hieß. Nach der Revolution von 1979 erhielt sie zunächst den Namen Mossadegh-Straße und später den bestehenden Namen. Valiasr bedeutete: Prinzip der Zeit.

Jean-Jacques, Pierre, Steve und ich liefen die Valiasr-Straße hoch und schauten uns die sich bietenden Blickfänge an, Cafes, Boutiquen, Kinos, Parks, Geschäfte. Auffällig war sofort der höllische Verkehrslärm in der Straße. In Teheran fuhr ungefähr ein Drittel aller 7.5 Millionen Autos des Iran, wovon etwa vierzig Prozent zwanzig Jahre und älter waren und deshalb keine modernen Abgasfilter hatten. Das erklärte den Smog, der permanent im Süden der Stadt herrschte. Der wegen seiner sehr guten Luft begehrteste Stadtteil Teherans war Tajrish im Norden. Das war das älteste Stadtviertel Teherans und besaß einen großen Basar. Wir kamen an einer Tourist Information vorbei und fragten nach einem billigen Hotel. Die Dame bedauerte, uns kein billiges Hotel anbieten zu können, es gäbe ein Hotel für uns in Tajrish, das Zimmer für fünfzig Euro die Nacht. Wir schluckten alle, als wir den Zimmerpreis vernahmen, aber was sollten wir machen? Wir konnten uns schlecht im Schlafsack in den Park legen, dazu fehlte uns der Mut und das wäre auch zu gefährlich gewesen. Hätte uns die Polizei erwischt, wären wir ins Gefängnis gekommen und dort gegrillt worden, bis sich jemand unserer erbarmt hätte.

Also ließen wir die Dame vom Reisebüro im Hotel anrufen und Zimmer für uns reservieren. Wir bedankten uns und fuhren dann mit der U-Bahn hoch bis zur Endstation Mirdamad. Von dort fuhren wir mit einem Taxi bis zum „Hotel Azadi“. An der Rezeption tat man sich schwer, sich mit uns zu verständigen, es fand sich dann aber jemand, der Englisch sprach. Man musterte uns von oben bis unten, gab uns dann aber unsere Zimmer. Das Hotel war sehr komfortabel, was bei dem Preis auch zu erwarten gewesen gewesen war. Wir wollten uns eine Stunde ausruhen und uns dann in der Halle wiedertreffen. Ich ging duschen und legte mich anschließend auf mein Bett. Ich träumte kurz von Ayse, vielleicht würde ich ihr an jenem Tag eine Karte aus Teheran schreiben. Es war inzwischen früher Nachmittag geworden und wir wollten mit der U-Bahn wieder ins Zentrum zurück. Der Große Basar in Teheran war der größte Basar der Welt. Den wollten wir zumindest einmal gesehen haben.

Wir nahmen also wieder die U-Bahn zurück und liefen ein Stück Richtung Osten bis zum Basar. Mir fiel auf, dass der größte Teil der Basarbesucher junge Leute waren, die sich gaben wie wir, gute Kleidung, gegelte Haare, Handy. Aber es gab auch die Basiji, das war eine Art paramilitärische Miliz, deren Aufgabe es war, auf Einhaltung von Sitten und Gebräuchen zu achten. Das waren junge Männer mit Flaumbärten, Palästinensertüchern und Cargohosen, die Frauen zur Rede stellten, wenn sie zu bunte Kopftücher trugen oder zu viel Bein zeigten. Die Jugend machte sich über sie lustig, trieb es damit aber nicht zu toll. Die Gefahr, verhaftet zu werden, bestand immer. Diese Basiji durchstreiften den Basar, immer auf der Suche nach Sittenverstößen, wenn sich ein junges Paar zum Beispiel küsste oder auch nur berührte. Jungen und Mädchen flirteten im Auto oder in der Waschstraße. Man fuhr auf den großen Avenuen parallel und flirtete bei geöffneten Wagenfenstern. Die Situation war ein wenig beängstigend, so richtig ernst schien sie aber niemand zu nehmen. Wir kamen zu den Gewürzhändlern, die ihre Gewürze in offenen Säcken anpriesen, wobei die Farben der Gewürze ins Auge stachen. Ganze Basarstraßen zogen sich die Reihen der Gewürzsäcke lang, der Basar war riesig. Dann waren wir mit einem Mal im Teppichviertel gelandet, die Verkäufer bemühten sich aber nicht, uns einen Teppich aufzuschwatzen, sie sahen uns an, dass wir keinen kaufen würden. An einer großen Kreuzung der Basarstraßen gab es ein Cafe, das von Jugendlichen bevölkert wurde. Wir setzten uns an einen Tisch, an dem noch vier Stühle frei waren. Jean-Jacques, Pierre und Steve steckten sich Zigaretten an, wir bestellten uns jeder einen Espresso.

Sofort wurden wir angesprochen, woher wir kämen, wir antworteten aus Frankreich, England und Deutschland. Die jungen Leute waren in etwa so alt wie wir. Wo wir in Teheran wohnten, wir sagten im „Azadi Hotel“.

Das wäre aber teuer, ob wir nicht etwas Billigeres haben wollten, natürlich wollten wir. Wir unterhielten uns auf Englisch, das die jungen Leute gebrochen, aber gut verständlich sprachen, alte Teheraner sprachen nur Farsi. Wir wollten wissen, was mit den Basiji los wäre, ob man sich vor ihnen fürchten müsste. Wir brauchten keine Angst zu haben, sagten die jungen Leute, so lange wir bei ihnen wären, würde uns nichts passieren. Fast alle waren Studenten, sie hätten Ferien, weshalb viele nach Hause gefahren wären, sie könnten uns deshalb für wenig Geld im Wohnheim unterbringen, da gäbe es genügend freie Betten. Wir sagten, dass wir schon eine Nacht im „Azadi“ gebucht hätten, am nächste Tag würden wir aber gerne zum Wohnheim kommen. Wir unterhielten uns ausgiebig mit unseren neuen Freunden, meine drei Bekannten aus dem Zug sagten, dass sie über Pakistan nach Indien wollten, ich sagte, dass ich die Seidenstraße entlang pilgern wollte. Damit zog ich die Blicke aller Anwesenden auf mich. Warum ich eine so anstrengende Reise machen wollte. Ich antwortete, dass ich versuchen wollte, zu mir selbst zu finden, sie verstanden, was ich meinte und nickten mit den Köpfen.

Wir sahen am Nebentisch jemanden essen und fragten, wo man etwas zu essen bekäme. Was wir denn essen wollten und wir sagten, dass wir Reis, Fleisch und Gemüse haben wollten, genau das gleiche, das am Nebentisch gegessen würde. Dann ging jemand ins Cafe und bestellte unser Essen. Wir saßen bis zum frühen Abend in dem Cafe, an der Kreuzung war eine Menge los, die Menschen eilten vorbei und trugen ihre Neuerwerbungen nach Hause, es wurden viele Teppiche vorbei geschleppt. Später bestellten alle Falude, ein beliebtes persisches Eis in Form von Nudeln mit Zitronenaroma. Was wir denn am Abend machen wollten, wurden wir gefragt. Das wüssten wir noch nicht, sagten wir. Wenn wir Lust hätten, könnten wir doch zu einer Party kommen, die jemand zu seinem zwanzigsten Geburtstag im Wohnheim gäbe. Wir nahmen die Einladung dankend an. Bei uns saßen auch einige Mädchen, die sich die ganze Zeit zurückgehalten hatten. Sie trugen Kopftücher und einen Mantel, einen schlichten knielangen Mantel. Sie kicherten untereinander, beteiligten sich aber nicht an unseren Gesprächen.

Wir verabschiedeten uns bis zum Abend, ließen uns die Adresse vom Wohnheim geben, wo die Party gefeiert werden sollte und verschwanden. Nette Leute, dachten wir und liefen zur Valiasr-Straße zurück. Es hatte angefangen zu nieseln und um nicht allzu nass zu werden, fuhren wir wieder hoch zum Hotel und legten uns eine Stunde hin. Jean-Jacques, Pierre und Steve waren in Ordnung, ich hatte schon Adressen mit ihnen getauscht, die beiden Franzosen kamen aus Aix-en-Provence, Steve kam aus Brighton, wir wollten uns alle zu Hause treffen, auch bei mir in Essen. Ich musste merkwürdigerweise an Frau Aldenhoven denken, was sie wohl zu Teheran gesagt hätte?

Um 19.30 h trafen wir uns wieder in der Halle und wollten dann zur Party fahren. Wir nahmen wieder die U-Bahn in die Stadt und liefen dann noch ungefähr dreißig Minuten bis zum Wohnheim. Der Junge, mit dem wir im Basar am meisten geredet hatten, hatte uns einen Zettel mit der Adresse geschrieben, sein Name war Arvid. Die Namen der anderen mussten wir noch in Erfahrung bringen. Als wir an dem Wohnheim ankamen, war fast alles ganz dunkel. Wir fanden aber hinein und mussten nur der Musik folgen. Dann kamen wir in einen großen Partyraum, es waren bestimmt dreißig Personen dort versammelt. Es waren auch viele Mädchen dabei und siehe da, ohne Kopftuch und Mantel sahen die richtig hübsch aus. Es war eine ganz andere Szene als im Basarcafe, es gab Alkohol, es wurde getanzt und es wurde geknutscht, man traute seinen Augen kaum. Arvid kam auf uns zu und hieß uns willkommen. Sofort bot er jedem von uns eine Dose Bier an, er sagte, wir sollten Musikwünsche äußern. Wir gingen zu den CD-Ständern und fanden alles, was bei uns zu Hause auch auf Parties gespielt wurde. Dann kamen auch die anderen aus dem Basarcafe und begrüßten uns. Wir prosteten uns zu und riefen unsere Vornamen, wir riefen Jean-Jacques, Pierre, Steve und Paulo und hörten Arian, Sami, Farid und Amon. Auch die Mädchen nannten ihre Namen, Nina, Kira, Daria, Tara, Samira und Dilara. Natürlich konnten wir uns die Namen nicht sofort alle merken. Dann wurde getanzt, ich tanzte mit Daria und sagte ihr, dass ich Paulo wäre. Sie sah sehr gut aus und lachte mich an, ich lachte zurück, das wäre im Basar undenkbar gewesen. Wir tanzten sogar einen sehr engen Schmuseblues zusammen. Daria rieb ihre Brüste an meinem Oberkörper, wir küssten uns. Die anderen nahmen das zur Kenntnis, schenkten dem aber keine weitere Bedeutung. Als wir zu Ende getanzt hatten, setzten wir uns zusammen und erzählten uns alles Mögliche. Darias Englisch war ganz in Ordnung, wir verstanden uns jedenfalls gut. Steve und die beiden Franzosen unterhielten sich auch prächtig. Die Musik war inzwischen mächtig laut geworden und Daria und ich setzten uns im Raum nach hinten, um uns unterhalten zu können. Wir schauten uns ständig an, als Daria anfing, mich zu streicheln. Wir küssten uns und küssten uns und küssten uns. Gegen Mitternacht erschienen plötzlich zehn Basiji, stellten die Musik leise und konfiszierten den Alkohol. Sie schrieben die Namen aller Partygäste auf, nur Daria und ich, wir hatten uns hinten im Raum hinter einem Schrank versteckt und uns mit einer Decke zugedeckt, wir wurden nicht aufgeschrieben.

Die Basiji waren alle um die fünfundzwanzig Jahre alt, sie kamen sich unglaublich wichtig vor, man war drauf und dran, ihnen Kontra zu geben, wir hielten uns aber zurück. Wer der Verantwortliche des Festes wäre, wollten sie wissen. Da trat Arvid hervor und fragte, was denn verwerflich daran wäre, eine Party zu feiern. Der Anführer der Basiji, ein stämmiger Bursche mit Vollbart sagte, dass unsere Art von Musik mit dem islamischen Geist nicht vereinbar wäre, Alkohol wäre ohnehin verabscheuenswert und unser freizügiger Umgang mit den Mädchen wäre sexuell verwerflich. Darauf wusste Arvid nichts zu antworten, er gab bereitwillig seinen Namen und seine Heimatadresse preis, er kam aus Qom, der heiligen Stätte der Schia. Als der Anführer der Basiji hörte, dass Arvid aus Qom stammte, sagte er, dass er als Schiit doch erst recht wissen müsste, was er falsch gemacht hätte. Arvid gab klein bei. Man würde seine Eltern in Qom benachrichtigen und ihnen mitteilen, was ihr Sohn in Teheran so triebe. Die Ankündigung machte Arvid sehr betroffen und er schaute zu Boden.

Er beschloss, mit seiner Schwester Daria am nächsten Tag nach Hause zu fahren, um der Benachrichtigung der Eltern zuvorzukommen. Daria bat mich, doch mitzukommen, sie würde mir Qom zeigen. Ich sagte zu und unterrichtete meine drei Freunde, dass wir uns am nächsten Tag trennen würden. Sie waren traurig, genau wie ich, wünschten mit aber auf meiner langen Reise viel Glück und freuten sich auf ein Wiedersehen in der Heimat.

Die Party war zu Ende, die Basiji wieder abgezogen und wir fuhren mit dem Taxi zu unserem Hotel. Ich verabredete mich vorher mit Daria und Arvid am Bahnhof. Am nächsten Morgen frühstückte ich zusammen mit meinen drei Freunden, dann brach ich zum Bahnhof auf. Ich wartete eine halbe Stunde in dem Cafe, in dem ich schon bei meiner Ankunft in Teheran gesessen hatte, dann kamen Daria und Arvid. Wir begrüßten uns und schauten auf den Fahrplan. Wir mussten noch eine Stunde warten, bis der Zug nach Qom abfuhr. Daria hatte ein Kopftuch um und einen schlichten Mantel an, der ihr bis über die Knie reichte. Sie sah nicht gerade hässlich aus, aber am Vorabend hatte sie mir besser gefallen.

Daria bemerkte meine Blicke und sagte, dass sie in Qom alles wieder ablegen würde. Wir gingen wieder ins Cafe zurück, wo wir die Wartezeit verbringen wollten. Arvid begann, von Qom zu erzählen. Qom war, neben Nadschaf im Irak, wichtigstes Zentrum der Schiiten. In Qom befand sich die wichtigste islamische Hochschule des Landes, an der auch Ayatollah Ruhollah Chomeini gelehrt hatte. Unter anderem wäre Ali Chamenei, der Führer der iranischen Republik, sein Schüler gewesen. Nach dem Tode Chomeinis wäre Ali Chamenei zu dessen Nachfolger mit noch größerer Kompetenz gewählt worden, nach seiner Zeit als Ministerpräsident wäre er zum Ayatollah befördert worden. Als solcher hätte er im Iran quasi diktatorische Vollmachten, er stünde sozusagen über dem Gesetz. Seine Macht stützte sich vor allem auf den Wächterrat, der 1980 die Funktion des Revolutionsrates übernommen hatte und in dem zwölf schiitische Geistliche sämtliche politischen Vorgänge überwachten. Parlamentsbeschlüsse würden kontrolliert, Wahlen durch Nichtzulassung reformerischer Kandidaten beeinflusst, politische Opposition würde klein gehalten, die Medien würden einer strengen Zensur unterworfen. Chamenei selbst konnte die Hälfte der Mitglieder des Wächterrates bestimmen, er wurde als Fühungspersönlichkeit des konservativen Establishments im Iran angesehen. Nachdem Muhammad Chatami 1997 zum iranischen Präsidenten gewählt worden war, keimte reformerische Hoffnung auf, die aber nach den Parlamentswahlen von 2005 wieder zerstob, als die Konservativen die Mehrheit der Mandate erhielten. Die offizielle Anrede des Staatsoberhauptes war: His Excellency Ayatollah Sayed Ali Chamenei, Leader of the Islamic Republic of Iran.

Wenn die nächsten Parlamentswahlen anstünden, kandidierte wieder Chatami, aber gegen Ahmadinedshad. Sein Versuch, die Macht des Wächterrates in der iranischen Verfassung zu begrenzen, scheitere am Widerstand der Geistlichen. Vonseiten der Staatsoberen wurde alles versucht, Chatami von einer Kandidatur abzubringen. So wurde ein Hetzbuch, das ein vertrauter Journalist Ayatollah Chameneis verfasst hatte, in Umlauf gebracht, in dem behauptet wurde, Chatami stünde im Zentrum einer internationalen Verschwörung und wollte aus dem Iran einen säkularisierten Staat machen. In Teheran traten zum dreißigsten Jahrestag der Iranischen Revolution Schlägertrupps mit dem Ruf: „Tötet Chatami!“ auf. Man würde abwarten müssen, welche Ergebnisse die Parlamentswahlen brächten.

Arvid hatte etwas Warnendes in der Stimme. Die Basiji wären Kinderkrams gegen die offizielle Polizeigewalt. Daria schaute mich ängstlich an, ich sollte auf keinen Fall politisch öffentlich in Erscheinung treten, flehte sie mich an. Dann gingen wir auf den Bahnsteig. Der Zug kam pünktlich und wir stiegen ein, er fuhr über Qom nach Isfahan. Der Zug war gut gefüllt mit Geistlichen, aber auch mit normalen Passagieren. Wir bekamen nach einigem Suchen auch noch Plätze.

Arvid setzte seine Einschätzung über das politische System im Iran fort. Nach der islamischen Revolution gegen Schah Reza Pahlavi 1979 durch Ayatollah Chomeini wurde Abu Hasan Banisadr Staatspräsident im Iran, er blieb es für eineinhalb Jahre bis zum Jahre 1981, ihm folgten bis in unsere Zeit Mohamed Ali Radascha-i, Sayed Chamenei, Ali Akbar Rafsandschani, Mohamed Chatami und Mahmud Achmadinedschad. Der absolute Machtfaktor im Staate wäre aber Chamenei, er folgte als Schüler Chomeinis in Qom jenem im Amte nach, genoss aber nie den Rückhalt, den jener im Volke hatte. Auch in der Schia-Geistlichkeit erfuhr er nie Chomeinis Achtung. Nachdem Rafsandschani eine erneute Kandidatur für das Präsidentenamt 1997 versagt worden war, kam mit Chatami der große Reformer. Der Wächterrat ließ ihn trotz seiner politischen Vergangenheit zu. Er erhielt siebzig Prozent der Stimmen und schaffte damit einen überwältigenden Wahlerfolg.

Mit seinem reformerischen Eifer machte sich Chatami sofort Gegner. Mehr und mehr griff der Wächterrat direkt in seine Regierungsgeschäfte ein, er machte sogar verabschiedete Gesetze rückgängig.

Chatami hatte zwei Amtszeiten und durfte deshalb 2005 nicht noch einmal kandidieren. Sein Nachfolger Achmadinedschad machte innerhalb kürzester Zeit die außenpolitischen Erfolge, die Chatami verbuchen konnte, wieder zunichte. Mitglieder seines Kabinetts waren ehemalige Mitglieder der Revolutionsgarden, Hardliner, Radikalislamisten. Jüngste Kapriolen Ahmadinadschads waren die Leugnung des Holocausts und sein Ausspruch, Israel müsste von der Landkarte verschwinden.

Ich wollte wissen, warum die Jugend nicht gegen das diktatorische Regime und seine Schergen demonstrierte. Arvid sagte, dass es sehr schwer wäre, in der Öffentlichkeit Protest zu erheben. Der Geheimdienst wäre überall und auch die Basiji würden öffentlichen Protest im Keim ersticken. Es blieb eigentlich nur, die restriktive Politik im Privatraum zu umgehen, wie am Abend zuvor auf der Party. Oder man träfe sich an Orten, die unbeobachtet wären, wie zum Beispiel in der Waschstraße.

Daria sagte nichts und schaute zum Fenster hinaus.

Ich enthielt mich weiterer Kommentare.

Paulo bereist die Seidenstraße (4)

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