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Malatya

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Dennoch wäre er froh, wieder in seiner Heimatstadt Malatya sein zu können. Er betrieb ein kleines Hotel im Ort, „Gelbe Rose“ wäre sein Name. Dort würde ich ein Zimmer bekommen und wäre sein Gast. Das fand ich ausgesprochen nett von ihm. Ich hatte meinen Rucksack oben ins Gepäcknetz gelegt und zog aus der Seitentasche meine Kladde und den Kuli heraus. Dann fing ich mit meinem Reisetagebuch an. Der Anfang war immer schwer, als ich aber in Istanbul angekommen war, lief alles wie von selbst. Der Bus nahm die Strecke nach Adana. Weit vor Adana, circa hundertfünfzig Kilometer vorher, begann die Autobahn. Wir würden sie ungefähr zweihundertfünfzig Kilometer entlang fahren, bis wir den Abzweig nach Malatya nehmen würden, dann hätten wir noch einmal dreihundert Kilometer. Ich schrieb und schrieb, es machte Spaß, sich zurück zu erinnern, eigentlich war es doch schon eine Menge, die ich erlebt hatte. Ab und zu fragte Hassan, was ich gerade schrieb und ich erzählte dann ausführlich, wie ich in Istanbul ankam und bei den Eltern meines Klassenkameraden in Eminönü wohnen durfte. Hassan sagte, dass er Istanbul sehr europäisch fände. Das wäre okay, schließlich könnte man die Entwicklung der Stadt kaum steuern. Ihm wäre aber in Istanbul alles zu überlaufen, es herrschte zu viel Trubel.

Die Sonne schien in den Bus und wärmte die Luft im Businnern auf. Längst hatte ich die Jacke und meine Wanderschuhe ausgezogen, ich hatte meine Schlappen an. Gegen Mittag legten wir auf einem Rasthof bei Adana eine Pause ein. Es war richtig heiß geworden. Konya lag auf 1200 m Höhe, hier unten waren wir auf Meeresniveau. Alle gingen etwas essen, ich kaufte mir etwas Obst und ein paar Sesambrezeln. Dann füllte ich auf der Toilette meine Wasserflasche auf. Ich legte mich in Busnähe auf dem Rasen in den Schatten und döste vor mich hin. Hassan kam und setzte sich neben mich, er fragte, ob ich wirklich die Seidenstraße entlang reisen wollte. Ich bejahte seine Frage, er aber wollte wissen, warum ich eine solche Strapaze auf mich nehmen wollte. Ich antwortete, dass ich in mich gehen und über verschiedene Dinge, die für mein weiteres Leben wichtig wären, in Ruhe nachdenken wollte. Ich hätte einen bestimmten Lebensabschnitt beendet, das wäre meine durch mein Elternhaus behütete Schulzeit gewesen. Ich müsste von da an lernen, allein mit meinem Leben klar zu kommen. Dazu wollte ich mich auf die Probe stellen. Würde ich scheitern, bräche ich die Reise ab und flöge nach Hause. Wenn ich aber die Reise erfolgreich hinter mich brächte, wäre ich um viele Erfahrungen reicher, das wären Erfahrungen, die mir niemand nehmen könnte. Ich glaubte, diese Erfahrungen würden mich mein Leben lang begleiten. Im übrigen müsste ich darüber nachdenken, was ich nach meiner Rückkehr studieren wollte. Es wäre mit klar, fuhr ich fort, dass ich auf sehr privilegierte Weise reiste, ich hätte eine sehr gute Ausstattung und auch Geld, eigentlich könnte ich gar nicht scheitern. Im Extremfall würde ich einfach nach Hause fliegen. Dennoch gehörte einiges an Mut dazu, eine solche Reise zu unternehmen, meinte Hassan. Er wünschte mir auf jeden Fall viel Erfolg und Glück. Die Mittagspause war zu Ende, wir fuhren weiter. Am Nachmittag erreichten wir den Abzweig nach Malatya, ich packte meine Kladde und meinen Kuli wieder in den Rucksack und versuchte, ein kleines Nickerchen zu machen. Es wurde mit einem Male richtig gebirgig um uns herum, es waren wohl die Ostausläufer des Taurusgebirges, die uns die vielen Kurven bescherten. Am frühen Abend passierten wir Golbasi, wir hätten dann noch zwei Stunden bis Malatya. Um 22.00 h kamen wir an. Ich streckte meine Glieder, zog meine „Raichle“ und meine „Northface“ an und nahm meinen Rucksack auf. Dann stieg ich aus.

Hassan hatte einen kleinen Trolley-Koffer und kam zu mir. Wir müssten noch ungefähr zehn Minuten laufen, sagte er, die frische Luft würde uns bestimmt gut tun. Da hatte Hassan recht, die Busfahrerei hatte die Knochen ermüdet, es war gut, wieder ans Laufen zu kommen. Dann erreichten wir Hassans Hotel „Gelbe Rose“. Es war ein kleines Hotel mit zwölf Zimmern. Hassan hatte hauptsächlich Urlauber zu Gast. Die Umgebung Malatyas war sehr gebirgig und ein lohnendes Ziel für Wanderer. Es gab in erreichbarer Nähe sogar Schneegipfel und man konnte im Karakaya-Stausee baden. Hassan bot in seinem Hotel Vollpension an und nahm dafür 60 TL, was ungefähr 25 Euro entsprach.

Für unsere Verhältnisse war das ein extrem günstiger Preis, für Türken war das viel Geld, blieb aber bezahlbar. Hassans Frau stand in der Küche, sein Schwager, mit dem er in Köln gearbeitet hatte und seine Schwester arbeiteten auch in dem Hotel, sie wohnten unmittelbar nebenan. Ich saß mit Hassan noch einen Moment im Gastraum, wo er mir erzählte, warum er Derwisch war und was das für ihn bedeutete. Ganz so wie ich auch wäre er auf der Suche nach sich selbst und glaubte, als Derwisch fündig geworden zu sein. Er sähe seine Aufgabe darin, da, wo es möglich wäre, asketisch zu leben und den Mitmenschen zu helfen. Er wäre nicht so übertrieben orthodox, wie viele seiner Mitstreiter, glaubte aber fest an die Richtigkeit des Sufismus. Ein Sufi wäre die arabische Version des Derwisch, der persisch wäre. Ich fand es interessant, was Hassan erzählte, war aber mittlerweile sehr müde geworden.

Hassan zeigte mir mein Zimmer und sagte „gute Nacht“. Ich schlief wie ein Stein, Malatya lag 950 m hoch, es war wieder frisch geworden, ich zog mir die Decke über die Ohren. Am nächsten Morgen gab es ein ausgezeichnetes Frühstück. Es gab verschiedene Arten von Honig, Malatya leitete sich von dem hethitischen Wort „Melid“ für Honig ab. Die Stadt war uralt und in der bestehenden Form der dritte Wiederaufbau, sie war schon um 1710 v. Chr. Teil des Hethiterreiches. Die unterschiedlichsten Herrscher wechselten sich in Malatya ab, Hethiter, Römer, Byzantiner, Araber, Seldschukken und Osmanen.

Seit 1924 war Malatya türkische Provinz. Die Hauptstadt hatte 450000 Einwohner und eine mittelgroße Universität. Hassan hatte oft die Eltern von deren studierenden Kindern zu Gast. Er zeigte mir seine Heimatstadt und ging mit mir in eine Teestube. Dort grüßte er mehrere Bekannte und stellte mich ihnen vor. Einige kramten ein paar Brocken Deutsch hervor und begrüßten mich auf Deutsch. Sie hatten einige Jahre in Deutschland gearbeitet und das verdiente Geld gespart. In Malatya hatten sie dann für sich und ihre Familie ein Häuschen gekauft. Viele waren in Malatya mit dem Anbau von Aprikosen beschäftigt. Neunzig Prozent der weltweit produzierten Trockenaprikosen stammten aus Malatya. Auch Hassan hatte einige Aprikosenbäume in seinem Hotelgarten stehen. Die Früchte dienten aber ausschließlich dem Eigenbedarf. Hassan kannte jemanden, der am nächsten Tag einen LKW Aprikosen nach Bingöl bringen würde, er wollte ihn fragen, ob er mich nicht mitnehmen könnte. Alan hieß Hassans Freund, er war Vorarbeiter und LKW-Fahrer in der größten Aprikosenfabrik von Malatya. Alan war Kurde, seine Heimatstadt war Bingöl. Er war wegen seiner Arbeitsstätte nach Malatya gezogen.

Alan war um 16.00 h zu Hause, als wir bei ihm klopften. Er freute sich, Hassan zu sehen und begrüßte auch mich. Er lud uns ein, mit ihm Cay zu trinken, wir nahmen gerne an. Ich lief schnell auf die Straße, um Sesambrezeln zu kaufen. Hassan kam direkt zur Sache, ob Alan mich am nächsten Tag mit nach Bingöl nehmen könnte, ich müsste nach Täbriz und da läge Bingöl direkt an der Strecke. Das wäre kein Problem, sagte Alan, er würde allerdings schon um 7.00 h losfahren. Ich wäre dann bereit, sage ich, und dankte Alan im Voraus.

Um 17.00 h gingen Hassan und ich zum Hotel zurück, Hassan hatte mich zum Abendessen eingeladen. Ich freute mich riesig auf das Abendessen, denn ich hatte den ganzen Tag über nichts Richtiges gegessen. Ich lief schnell auf mein Zimmer und machte mich frisch, dann ging ich in den Gastraum, wo schon Hassans Familie und einige Gäste saßen. Es wurde aufgetischt: es gab Mercimek Corbasi – rote Linsensuppe, Iskender Kebap - Lammfleisch mit Tomatensauce, Brot, Joghurt und geschmolzener Butter, Sogan Salatasi - Zwiebelsalat und es gab zum Nachtisch Baklava - in Sirup getränkten Teig, der mit Pistazien und Nüssen versehen war. Es wurde nicht viel geredet, jeder aß mit Heißhunger. Auf dem Tisch stand sogar Wein aus Diyarbakir. Der Weinanbau war in der Türkei langsam im Kommen begriffen. Neben Diyarbakir gab es in Thrakien, Kappadokien und Izmir Weinanbau. Zum Raki, der auch auf dem Tisch stand, wurde eiskaltes Wasser gereicht. In dem Wasser fiel der Anis aus, sodass die „Löwenmilch“ entstand.

Ich hatte so viel gegessen, dass ich mich kaum noch rühren konnte. Von dem Wein und dem Raki wurde nur wenig getrunken. Fast alle tranken nach dem Essen Cay, ich auch. Ich hatte nie viel Alkohol getrunken, zu Hause mal ein, zwei Bier mit Freunden.

Einmal war ich betrunken, ich war sechzehn und auf eine Party eingeladen, der Martini hatte es mir angetan. Am nächsten Morgen hatte ich einen Brummschädel, den ich so schnell nicht vergaß.

Hassans Schwager, Fuat, holte plötzlich seine Saz und fing zu spielen an. Sofort verstummten alle und hörten zu. Als Fuat sein erstes Lied beendet hatte, klatschten alle Beifall Fuat verneigte sich und steckte sich eine Orientzigarette an. Alle rauchten am Tisch, auch die Frauen, was noch vor ein paar Jahren undenkbar gewesen wäre. Fuat setzte sein Sazspiel fort und unterhielt die Hotelgäste. Die hatten sich zu unserer Runde gestellt und klatschten kräftig mit den Händen, wenn das Lied zu Ende war. Fuat spielte den ganzen Abend durch, es herrschte eine tolle Stimmung.

Ich musste langsam daran denken, ins Bett zu gehen, denn am nächsten Morgen musste ich um 6.00 h aufstehen, Hassan wollte mich wecken. Ich verabschiedete mich von Hassans Familie und dankte für die herzliche Gastfreundschaft. Dann ging ich auf mein Zimmer. Am Morgen Klopfte Hassan um 6.00 h an meine Zimmertür und ich antwortete, dass ich aufstände. Wir frühstückten noch einmal zusammen. Dann brachte mich Hassan zu der Stelle, an der ich Fuat treffen würde. Der kam pünktlich um 7.00 h und nahm mich auf. Hassan und Fuat wechselten noch ein paar Worte, dann umarmte ich Hassan und versprach, ihm zu schreiben. Bei der Abfahrt winkte ich ihm zu, bis er außer Sicht war. Fuat war ein fröhlicher Mensch, er hatte den ganzen LKW voller Aprikosen und bot mir welche an. Sie schmeckten ausgezeichnet. In seinem gebrochenen Deutsch sagte er, dass wir für die Fahrt ungefähr sechs Stunden brauchen würden. Wir hätten zwar nur zweihundertfünfzig Kilometer, die Straße wäre aber sehr gebirgig und auch schlecht, außerdem wollte er gegen Mittag eine Pause machen. Ich war einverstanden, mich trieb niemand, ich hatte Zeit. Fuat sang ein Lied nach dem anderen, dabei schaute er mich an, als wollte er mich auffordern, mitzusingen. In Elazig machten wir eine ausgiebige Mittagspause, wir fuhren bis an den Keban-Stausee. Wir suchten und ein Plätzchen im Schatten, es war sehr heiß geworden.

Zum Mittagessen gab es Aprikosen, Fladenbrot und Wasser, mehr brauchte man wirklich nicht, wir legten uns unter einen Schatten spendenden Baum. Nach kurzer Zeit schnarchte Fuat mit offenem Mund. Nach exakt einer Stunde wurde er wieder wach und war wie ausgewechselt, während ich vor mich hin döste, war Fuat hellwach und wir nahmen unsere Fahrt wieder auf. Fuat sagte, dass er in Bingöl seine Eltern besuchen wollte, sie hätten außerhalb vom Ort eine Hofstelle und würden Ziegen züchten. Er hätte früher als Junge immer auf die Ziegen aufpassen gemusst. Seine Eltern würden sich bestimmt freuen, wenn er mich ihnen vorstellte, vor allem aber, wenn er ihnen von meinen Reiseplänen erzählte.

Paulo bereist die Seidenstraße (4)

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