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Qom

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Nach zweieinhalb Stunden waren wir in Qom.

Qom hatte mehr als eine Million Einwohner und wuchs weiter. Die islamische-theologiche Hochschule wurde vor allem durch Chomeini bekannt, der dort lehrte. Qom lag mit 978 m Höhe niedriger als Teheran. Wir stiegen am Bahnhof in ein Taxi, Daria nannte dem Fahrer die Adresse ihrer Eltern, wo wir nach einer fünfzehnminütigen Fahrt ankamen. Es war sehr heiß in Qom. Die Eltern von Arvid und Daria zählten offensichtlich zu den wohlhabenderen Iranern. Sie besaßen ein klimatisiertes Haus und hießen uns willkommen. Arvid stellte mich vor und sagte, dass ich Deutscher wäre. Die Eltern waren sehr nett und freuten sich, meine Bekanntschaft zu machen. Arvids Mutter klatschte einmal in die Hände und sofort servierte man uns Tee. Wir saßen in einem sehr angenehmen Raum mit Blick in einen schönen Garten, in dem ein Gärtner den Rasen wässerte. Dann erzählte Arvid von den Basiji, die sich wohl bald melden und berichten würden, dass sie im Wohnheim in Teheran Alkohol getrunken und getanzt hätten. Sie wollten jene Dinge den Eltern zuerst erzählen, deshalb wären sie nach Qom gekommen. Arvids und Darias Mutter, eine sehr elegante Frau, blickte auf und sah dann ihren Mann an.

Der wiegelte ab und sagte, dass er die Sache schon regeln würde, er müsste nur mit der Shoahada Street telefonieren und ging nach nebenan. Er ließ die Tür angelehnt, sodass man fast jedes Wort verstand, das er am Telefon sagte.

„Ja, ich möchte seine Exzellenz sprechen“, sagte er, „ich bin ein alter Kommilitone seiner Exzellenz.“

Arvid sah mich an und sagte, dass sein Vater früher mit Chamenei in Qom studiert hätte und ihn von daher kannte. Sein Vater wäre Professor für islamische Philosophie an der Universität in Qom, er hätte in Qom ziemlichen Einfluss. Dann kam der Vater zurück und sagte, dass sich Daria und Arvid keine Sorgen zu machen brauchten, die Sache würde geregelt. Darias und Arvids Vater war siebzig Jahre alt, genau wie Sayed Chamanei. Er kam aus sehr begütertem Hause, sein Vater war ein angesehener Teppichhändler. Sein Bruder führte das Geschäft in Isfahan weiter fort. Seine Frau und er wollten von mir wissen, was ich denn in Deutschland so täte. Ich antwortete, dass ich gerade meine Schulzeit beendet hätte und nach meiner Rückkehr wahrscheinlich ein Philosophiestudium aufnehmen wollte, es aber noch nicht genau wüsste. Ich würde auf meiner Reise in mich gehen.

Ich hätte vor, die Seidenstraße entlang zu pilgern und wollte versuchen, bis zu ihrem Endpunkt oder Anfangspunkt in Xian in China zu gelangen. Da schauten mich beide Eltern an, machten eine kurze Gedankenpause und entgegneten dann, dass sie mein Vorhaben sehr zu schätzen wüssten. Sie hofften nur, dass ich die nötige Stärke für ein solches Abenteuer besäße. Ich müsste von Teheran nach Mashhad. Darias und Arvids Mutter käme aus Mashhad, sie hätte eine Schwester dort wohnen, ich könnte sicher bei ihr übernachten, ich bekäme einen Brief mit, den ich nur vorzuzeigen brauchte, außerdem würde sie mit der Schwester telefonieren. Doch zuerst wollte man mir die heilige Stadt Qom zeigen.

Qom stünde in einem ständigen Konkurrenzkampf zu Nadschaf im Irak. In Nadschaf befände sich die Grabmoschee des für die Schiiten sehr wichtigen Imams Ali Ibn Abi Talib, des Schwiegersohnes und Nachfolgers des Propheten Mohammed. Chomeini hatte seit 1965 in Nadschaf gelebt, bevor er vor Saddam Hussein nach Paris geflohen war. Qom war am meisten wegen seiner theologischen Fakultät bekannt, sie zöge eine Menge Studenten an, aus dem ganzen Iran und auch aus der übrigen Welt, die Mullahs werden wollten. Aber es gab noch andere Dinge, derentwegen Qom für den Islam so bedeutsam war. Das Grabmal der Fatima, der Tochter des siebten Imam und der Schwester des achten Imam, es war das bedeutendste Grabmal in Qom. Nur der Schrein von Reza, dem achten Imam selbst in Mashhad, war bedeutender für die Schiiten. Wir waren um den Fatimaschrein herumgelaufen und ich hatte die wundervollen Mosaiken bewundert, die Minarette und die goldene Kuppel. In den meisten Reiseführern wurde gesagt, dass der Zutritt für Nichtmuslime verboten wäre, das stimmte, man sollte nie versuchen, den Schrein auf eigene Faust zu erkunden. Nach dem iranischen Reiseführer „A Travelguide to Iran“ von MT Faramarzi könnten Besuche des Schreins organisiert werden, von dem islamischen Kultur- und Reiseführerbüro, das in der Dowr-e Shar Street angesiedelt war.

Einige Hundert Meter vom Schrein entfernt lag der Friedhof der Gefallenen des Iran-Irak-Krieges. Der Friedhof war mit einem sehr schönen Wandgemälde ausgestattet. Qom wirkte wie eine Oase der Stille, jedenfalls im Zentrum, es gab sehr viele Geistliche, die durch die Straßen liefen. Die Menschen in den Straßen redeten kaum ein Wort miteinander, um nicht unnötig zu lärmen. Der Fatimaschrein war wirklich überwältigend, nie zuvor hatte ich so feine Mosaikarbeiten gesehen, die goldene Kuppel reflektierte das Sonnenlicht. Etwas abseits vom heiligen Zentrum setzten wir uns in ein Teehaus. Darias und Arvids Mutter bestellte einige Süßigkeiten zum Tee. Der Vater versuchte einen kleinen Vortrag über den Unterschied zwischen östlicher und westlicher Philosophie. Als er aber merkte, dass er auf wenig Interesse stieß, ließ er wieder davon ab und sagte, dass wir doch nach Isfahan fahren sollten und Daria und Arvid mir diese sehr schöne Stadt zeigen sollten. Wir könnten alle bei Onkel Mehmed schlafen, er würde ihn anrufen. Ich war nicht abgeneigt, mich trieb ja niemand, Daria und Arvid waren auch einverstanden, sie hatten Semesterferien.

Ihre Eltern sprachen gut Englisch, ich hätte keine Möglichkeit, mich zu verständigen, wenn niemand Englisch spräche. Farsi, die Landessprache, war mir ein Buch mit sieben Siegeln. Wir würden am nächsten Tag mit dem Zug nach Isfahan fahren, darauf freute ich mich schon. Die Eltern waren sehr entgegenkommend,, sie luden uns am Abend zum Essen ein und fragten, ob wir genug Geld hätten. Dann gaben sie ihren Kindern Geld für die Zugfahrkarten und den Aufenthalt in Isfahan. Wir saßen in einem der edelsten Restaurants in Qom und ließen uns bedienen. Es gab unglaublich viel zu essen und wir ließen uns Zeit. Aus welcher Stadt in Deutschland ich käme, wurde ich gefragt, ich antwortete, dass ich aus Essen käme. Der Vater kannte Essen als alte Industriestadt, der Name Krupp wäre doch unverrückbar mit Essen verbunden. Ich erzählte daraufhin etwas über den Strukturwandel im Ruhrgebiet und dass Essen im Jahre 2010 Kulturhauptstadt Europas werden würde, dass es kaum noch Schwerindustrie oder Zechen gäbe und dass sich Essen zu einer Dienstleistungsstadt verändert hätte. Wir hielten uns fast drei Stunden in dem Restaurant auf. Auf dem Weg nach Hause kamen wir am Bahnhof vorbei und kauften drei Tickets nach Isfahan mit Sitzplatzreservierung, die Fahrt würde sechs Stunden dauern. Zu Hause setzten wir uns noch eine Zeit lang zusammen, dann gingen wir ins Bett.

Unser Zug würde am nächsten Morgen um 8.15 h abfahren, es reichte, wenn wir um Viertel vor sieben aufstünden. Es gab am Morgen ein ausgezeichnetes Frühstück. Wir hatten alle noch geduscht, dann ging es los. Der Vater brachte uns mit dem Auto zum Bahnhof. Wir verabschiedeten uns von der Mutter, sie gab ihren Kindern einen Kuss auf die Wange, mich umarmte sie freundschaftlich.

Ich bedankte mich für die Gastfreundschaft, sie gab mir noch den Brief nach Mashhad mit. Ich steckte ihn in die Seitentasche meines Rucksacks. Daria zog wieder ein Kopftuch auf und einen Mantel an. Der Zug war pünktlich, es war gut, dass wir Sitze reserviert hatten, der Zug war brechend voll und selbst unsere reservierten Sitze mussten wir einfordern, weil sich dort schon jemand niedergelassen hatte. Daria hatte von ihrer Mutter für uns alle Reiseproviant mitbekommen, ich hatte meine Wasserflasche gefüllt. Wir waren alle Drei noch ein bisschen müde, sodass wir während der Zugfahrt eindösten. Nach vier Stunden, wir hatten den Großteil der Strecke hinter uns gebracht, holte Daria ihre Leckereien aus dem Beutel, den sie bei sich trug. Ihre Mutter hatte Kebap, Brot und Gurken eingepackt. Wir aßen still vor uns hin, die Sonne schien ins Abteil, während wir durch die iranische Hochebene und Steinwüste fuhren. Dann sagte Arvid, dass er seinen Onkel mindestens fünf Jahre nicht gesehen hätte, Daria auch nicht. Sie würden sich sehr freuen, ihn wiederzusehen.

Paulo bereist die Seidenstraße (4)

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