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Die unsanfte Landung der Maschine weckte mich aus meinem tiefen Schlaf. »Morgen«, sagte Karl. Er lächelte, doch jetzt wirkte er doch etwas angespannt. Ich nickte ihm zu und gähnte. Wir waren in Kairo.

Die Umstände, unter denen ich den Transport unserer Ausrüstung organisieren musste, waren mir im Grunde von Anfang an suspekt gewesen. Doch mir war nichts anderes übrig geblieben. Meine Firma lief gut, sehr gut sogar. Von einer etwas instabilen Lage in einem Land wie Ägypten wollte ich mich da nicht aufhalten lassen.

Wäre ich alleine unterwegs gewesen, hätte ich mir kaum Sorgen gemacht. Ich konnte gut auf mich aufpassen. Das hatte ich mir in meinem Leben oft genug bewiesen. Bei Einsätzen mit dem Bundesheer in Problemregionen wie dem Kosovo zum Beispiel. Ich war dort einer von 466 Soldaten des österreichischen Bundesheeres gewesen, die zur Aufrechterhaltung der Sicherheit auf Basis der UN-Resolution 1244 aus dem Jahr 1999 unter anderem Überwachungs- und Sicherungsaufgaben übernommen hatte. Ich konnte auch die Risiken von maritimen Einsätzen inzwischen gut einschätzen. Doch für Karl war es der erste Einsatz dieser Art und ich war verantwortlich für ihn. Deshalb übertrug sich seine jetzt spürbare Unruhe auf mich.

»Es ist alles organisiert und abgesprochen«, sagte ich. »Wir haben alle notwendigen Papiere, unsere Ausrüstung ist ordnungsgemäß verstaut und gesichert und wir haben uns angekündigt. Ich bin in diesen Dingen genau. Deswegen hatte ich noch nie Probleme beim Transit, und glaub mir, ich bin schon durch gefährlichere Länder als Ägypten gereist.«

Das schien Karl zumindest ein wenig zu beruhigen.

Das Flugzeug kam zum Stillstand. Wir hatten unsere Parkposition erreicht. Ich sah auf die Uhr. Wir waren im Plan. Es war gegen 16 Uhr und wir hatten genug Zeit für den Transit.

Wir verließen das Flugzeug als letzte. Ralf war es offenbar nicht gelungen, unsere Abholung noch wie üblich für das Rollfeld zu organisieren. Weder Polizeioffizier Mohamed Diab noch seine Leute waren da. Damit hatte ich auch nicht mehr gerechnet. Also fuhren wir mit den wenigen anderen Passagieren im Bus zum Flughafengebäude.

Die internationale Ankunftszone war wie ausgestorben. Im gesamten Ankunftsbereich befanden sich höchstens dreißig Menschen. »Ägyptenurlaub ist wohl derzeit kein Kassenschlager«, sagte Karl.

Ich deutete zur Verkaufsstelle für Visa. Der Mann hinter dem Schalter sah müde aus. Alle in der Ankunftshalle wirkten müde, als hätte ganz Ägypten es aufgegeben, für ankommende Reisende eine schöne Fassade zu schaffen. Wir kauften unsere Visa, ohne dass der Mann ein einziges Wort verlor. Hinterher lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und beobachtete uns.

Wir sahen uns um. Weit und breit keine Spur von unserer Kontaktperson. »Warten wir. Wir haben Zeit«, sagte ich zu Karl. Ich hoffte, dass gleich eine Nebentür der Halle aufgehen würde und wir weiter konnten.

Wir gingen in der internationalen Zone auf und ab, doch niemand kam auf uns zu. Ich rief Ralf an, kam aber nicht durch. Seine Nummer war ständig besetzt. Ein einzelner Beamter lehnte mit verschränkten Armen an einer Säule und starrte in die Luft. Er trug eine vergilbte weiße Uniform. Vermutlich war er von der Flughafenpolizei. Auch er beobachtete uns nur gelangweilt.

Fünfzig Minuten vergingen. Obwohl ich unsere Reise mit diversen Puffern geplant hatte, hatten wir nicht den ganzen Tag Zeit. Unser Kunde am Port Suez sollte schließlich nicht auf uns warten müssen. Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit waren ein wesentlicher Teil von Edwards und meiner Geschäftsphilosophie.

Karl wollte Wasser kaufen, doch ich hielt ihn zurück. »Wir fragen den Mann da«, sagte ich. »Er macht zwar nicht den Eindruck, aber vielleicht kennt er sich aus.« Ich deutete auf den Uniformierten, der noch immer an seiner Säule lehnte.

»Excuse me, we are waiting for someone from the police, can you help me?«, sagte ich.

Er sah mich verwirrt an. »No english.« Er schüttelte den Kopf.

Mit Händen und Füßen machte ich ihm klar, dass wir auf einen Polizisten warteten, um unseren Transit abzuschließen. Als er verstand, wich endlich die Langeweile aus seinem Gesicht. Er riss die Augen auf. Aufgeregt redete er in arabischer Sprache auf uns ein und deutete uns, ihm zu folgen. Ich war erleichtert. Endlich kam Bewegung in die Sache.

»Also war er doch der Typ«, sagte Karl.

»Mal sehen.«

Wir folgten dem Beamten zu einer unscheinbaren Tür. Er sperrte auf und bat uns hinein. Der Anblick, der sich uns darin bot, vertrieb meine neugewonnene Zuversicht augenblicklich. Das Büro war klein. Es maß wohl nicht mehr als zehn Quadratmeter. Darin waren fünf Männer, alle in zivil gekleidet. Sie hantierten mit allerlei Gerätschaften herum. Mit unseren Gerätschaften.

In der Mitte des Raumes stand ein wackeliger Tisch. Darauf ausgebreitet lag unser gesamtes Gepäck. Unsere Taschen waren zerfetzt und meine Wäsche war im Raum verstreut. Die Waffentransportkoffer lagen aufgebrochen in einer Ecke. Die Gewehre waren zum Glück noch darin. Die Ägypter bestaunten indessen unsere GPS-Geräte und Ferngläser. Sie fotografierten mit einer kleinen Digitalkamera jedes Kleidungs- und Ausrüstungsstück aus jeder Perspektive. Dabei sagte niemand ein Wort.

Karl und ich sahen uns ratlos an. Ich hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit. »Excuse me«, sagte ich. »What are you doing? What the fuck are you doing with my stuff?«

Niemand beachtete mich. Ich konnte schlecht eine Prügelei mit sechs ägyptischen Flughafenpolizisten anfangen. Also nahm ich mein Mobiltelefon. Ich hatte für alle Fälle die Notrufnummer der österreichischen Botschaft eingespeichert. Jetzt wählte ich sie. Eine Frau meldete sich. »Notrufnummer der österreichischen Botschaft, was kann ich für Sie tun?«

»Ich sitze am Flughafen fest«, sagte ich, nachdem ich meinen Namen und den Sinn meiner Reise genannt hatte. »Ich bin am Transit nach Suez. Die zerstören alles.«

Die ägyptischen Beamten nahmen weiter die Sicherheitsausrüstung, die für mein Personal gedacht war, auseinander.

»Wie viel hat Ihr Flugticket gekostet?«, fragte die Frau am anderen Ende der Leitung.

Die Frage brachte mich aus dem Konzept. Ich nahm das Handy vom Ohr und sah auf die Nummer. Doch, das war die Notfallnummer der Österreichischen Botschaft in Kairo. Ich nahm das Handy wieder ans Ohr. »Wie bitte?«, fragte ich.

Die Frau wiederholte seelenruhig ihre Frage. »Wie viel hat Ihr Flugticket gekostet?«

»Das ist doch jetzt völlig egal«, sagte ich. »Ich bin hier am Flughafen und brauche dringend Ihre Hilfe.«

»Sind Sie österreichischer Staatsbürger? Wo sind Sie geboren und wo ist Ihr aktueller Wohnort?«

Während dem Telefonat trafen mich Karls fassungslose Blicke. Ich zwang mich zur Ruhe und beantwortete die Fragen der Frau. »Ja, ich bin österreichischer Staatsbürger, geboren in Österreich. Ich wohne in Wiener Neustadt.«

Die Beamten trugen inzwischen nach und nach unsere Sachen aus dem Zimmer. Als ich mich einem in den Weg stellen wollte, hielt mich der Mann in der vergilbten Uniform zurück und schüttelte den Kopf. Besser nicht, sollte das wohl heißen.

»Wie viel hat Ihr Flugticket gekostet?«, fragte die Frau am Telefon.

»Um Himmels Willen«, sagte ich. »Bitte schicken Sie endlich jemanden vorbei. Die stehlen hier mein ganzes Hab und Gut.«

»Ich werde sehen, was ich tun kann«, sagte die Frau und legte auf.

Inzwischen strömten immer mehr Menschen in das kleine Büro. »Was zum Teufel tun die da?«, fragte Karl.

»Ich habe nicht die geringste Ahnung«, sagte ich. »Aber wenn das so weitergeht, können wir den Auftrag vergessen.«

Fast unsere gesamte Ausrüstung war inzwischen verschwunden. Ein Ägypter probierte gerade die letzte kugelsichere Weste an und verließ damit das Büro.

Nach 15 Minuten wählte ich noch einmal die Nummer der Botschaft. Ich hörte die gleiche Stimme wie bei meinem ersten Anruf. »Notrufnummer der österreichischen …«

»Wo bleiben Sie? Meine gesamte Ausrüstung ist weg. Wissen Sie wie viele tausend Euro Schaden das bedeutet?«

Noch bevor ich eine Antwort bekam, deutete einer der Ägypter auf mich und schrie dabei herum. Anscheinend war bisher niemandem aufgefallen, dass ich telefonierte. Der Uniformierte riss mir das Handy aus der Hand und gab es einem anderen, der es einsteckte und den Raum verließ. Ich protestierte auf Englisch, aber niemand schenkte mir auch nur die geringste Beachtung.

Nach und nach verließen alle den Raum, bis nur noch der Uniformierte und zwei zivil gekleidete Beamte da waren. Niemand außer Karl und ich schien die Geschehnisse seltsam zu finden. Auf den Gesichtern der Ägypter zeigte sich wieder dieser gelangweilte Ausdruck.

Der Uniformierte deutete uns, auf den aufgebrochenen, inzwischen leeren Waffenkisten Platz zu nehmen. Er selbst setzte sich auf den einzigen Stuhl im Raum, der hinter dem Tisch in der Mitte des Raumes stand. Die beiden anderen Ägypter lehnten sich links und rechts neben der Tür an die Wand und unterhielten sich. Es klang, als würden sie über ihren letzten Urlaub reden.

Ich wollte mich wieder mit Händen, Füßen und englischen Wortbrocken verständigen, doch der Uniformierte reagierte nur mit einer abwiegelnden Geste. »Schhhh«, machte er und schnalzte mit der Zunge. Dann zündete er sich eine Zigarette an und starrte in die Luft.

Karl und ich saßen da und schwiegen. Wir hatten beide seit Längerem nichts getrunken und waren müde. Doch an Einnicken war nicht zu denken. Es mussten jeden Moment Mitarbeiter der österreichischen Botschaft kommen und dieses Missverständnis ausräumen.

Ich bemerkte, wie Karl seinen Kopf in die Hände legte. »Das ist alles ein Irrtum«, sagte ich. »Im schlimmsten Fall müssen wir den Auftrag eben auslassen.«

»Schhhh«, kam es von hinter dem Tisch.

Ich saß da, mit den Armen auf den Knien, auf den Überresten meiner Ausrüstung. Selten hatte ich mich so hilflos gefühlt wie in diesem verdreckten Hinterzimmer am Maţār al-Qāhira ad-duwalī, dem internationalen Flughafen von Kairo.

Nach einer gefühlten Ewigkeit verließ der Uniformierte das Zimmer. Es dauerte, bis er zurückkam. Offenbar hatte er jetzt einen Plan. Er bedeutete uns, aufzustehen. »Go, go«, sagte er.

Er führte uns durch den internationalen Bereich der Ankunftshalle zu einer fünfzig Meter entfernten anderen Tür. Zu dritt betraten wir den Raum. Der sah schon eher wie ein Büro aus. Er war aufgeräumter. An einer Wand hingen Notizen und eine Tafel. In zwei Ecken standen Schreibtische voller Dokumente. Hinter einem Schreibtisch saßen zwei Männer. »Airport police«, sagte einer von ihnen.

Beide Männer trugen schmuddelige Zivilkleidung und machten auch sonst keinen staatstragenden Eindruck. Als ich ihren überheblichen Gesichtsausdruck sah, wurde ich allmählich richtig wütend. Was zum Teufel glaubten diese Verbrecher?

Hinter uns ging die Tür auf und ein älterer Mann trat ein. Eine schmale Krawatte hing lose um seinen fleckigen Hemdkragen. Die wenigen Haare, die er noch am Kopf hatte, glänzten fettig. »Ich bin Ihr Anwalt«, sagte er in gebrochenem Deutsch. Er gab Karl und mir flüchtig die Hand.

»Wunderbar«, sagte ich. »Könnten Sie …«

Er unterbrach mich. »500 Euro«, sagte er. »Im Voraus bitte.«

Ich verkniff mir einen Wutanfall. In dieser Situation konnte ich mir keinen Fehler leisten. Widerwillig nahm ich fünf Hunderter aus meiner Brieftasche und reichte sie ihm.

»Sehr gut«, sagte er. »Ich treibe jetzt die Papiere für Ihre Weiterreise auf.«

»Was ist mit unserer Ausrüstung?«, fragte ich. »Wissen Sie, wie diese Polizisten uns behandelt haben? Das ist eine Frechheit.«

Er zögerte kurz, dann übersetzte er meine Beschwerde ins Arabische. Die drei Beamten zeigten keine Regung. Einer rümpfte nur die Nase. Er sagte etwas zu unserem angeblichen Anwalt. Der übersetzte es. »Sie brauchen für die Abwicklung der Weiterreise 5.000 Euro«, sagte er.

Meine Geduld neigte sich dem Ende zu. Andererseits war das vielleicht unsere letzte Chance, aus dem Schlamassel einigermaßen glimpflich herauszukommen. Im Oman hatte mich ein Transit samt Eskorte zum Hafen auch schon einmal 3.000 Euro gekostet. 5.000 Euro waren also gerade noch vertretbar.

Ich wollte schon zu meiner Brieftasche greifen, als sich zwischen den beiden angeblichen Flughafenpolizisten hinter dem Tisch eine angeregte Diskussion entspann. »Was besprechen sie?«, fragte ich den Anwalt.

Er zuckte nur mit den Achseln.

Die Diskussion zwischen den Polizisten wurde heftiger.

»Hören Sie«, sagte ich etwas lauter zu dem Anwalt. »Ich habe Sie etwas gefragt.«

»Nun«, sagte er betreten. »Es geht um den Teilungsschlüssel. Einer will 4.000 Euro behalten und dem anderen nur 1.000 Euro geben. Damit ist aber der andere nicht einverstanden. Sie verstehen?« Er zwinkerte mir zu.

»Ich gebe diesen Männern das Geld nicht einfach so«, sagte ich. »Ich brauche eine Zahlungsbestätigung.«

Der Anwalt übersetzte.

Die beiden unterbrachen ihren Streit, um herzlich zu lachen.

»Scheiße«, sagte Karl.

Es ist zwecklos, dachte ich. Wir waren tatsächlich ausgeliefert. Sie würden uns bis auf den letzten Cent ausrauben. Ich wusste, wie korrupt Ägypten war. Eine seriöse Transaktion konnte ich vergessen. Wie konnte ich uns aus dieser Zwangslage befreien? Wir brauchten unbedingt Hilfe.

Ich konnte mich nicht richtig konzentrieren, weil ich dringend aufs Klo musste. Ich bat Karl um eines seiner beiden Telefone und steckte es ein. Einer der Polizisten führte mich in eine Kammer neben dem Büro. Sie war leer bis auf einen Eimer in der Mitte. Er quoll von Kot und Urin über. Der ganze Raum stank furchtbar. Als ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, rief ich wieder die Botschaft an. Diesmal ließ ich die Frau nicht zu Wort kommen. »Wo zur Hölle bleiben Sie so lange?«

Sie erkannte offenbar meine Stimmte. »Beruhigen Sie sich bitte«, sagte sie. »Es kann Ihnen nichts passieren. Wir sind unterwegs.«

Das konnte nicht wahr sein. Ich legte frustriert auf und erleichterte mich über dem stinkenden Eimer, wobei ich darauf achtete, nichts zu berühren. Der Polizist führte mich ins Büro zurück.

Karl saß mittlerweile am Boden. Ich setzte mich neben ihn und lehnte mich wie er an die Wand. »Wo ist der Anwalt?«, fragte ich ihn.

»Abgehauen«, sagte Karl.

Der Anwalt hatte wenigstens Deutsch gesprochen. Nun waren Karl und ich wieder in einem Raum, den wir nicht verlassen durften, mit Menschen, die kein Wort von dem verstanden, was wir sagten. Ich rieb mir die Schläfen. Die Sache fühlte sich allmählich wie ein böser Traum an.

Die Müdigkeit machte mir wieder zu schaffen. Der Flug von München nach Kairo hatte mir nicht gereicht, um nach 72 Stunden fast durchgehender Arbeit wieder fit zu werden. Mein Zeitgefühl ließ mich allmählich im Stich. Irgendwann erhob sich einer der Polizisten ohne ersichtlichen Grund und winkte uns zu sich. »Let’s go«, sagte er.

Karl und ich folgten ihm. Er führte uns aus dem internationalen Bereich in die Zollzone. Wir gingen ohne Kontrolle durch die Sicherheitsschleuse und durchquerten die Empfangshalle. Schließlich blieb der Mann vor einem Western-Union-Stand stehen. Er zeigte mit dem Finger auf das Logo. »Money, money«, sagte er.

Abgesehen davon, dass ich diesem Betrüger keinen Cent geben wollte, hatte er offenbar etwas missverstanden. Wir standen vor einer Wechselstube, nicht vor einer Bank. Ich schüttelte den Kopf. »No money«, sagte ich.

Der Polizist wurde ungehalten. Er schimpfte auf Arabisch und gestikulierte. Karl und ich blieben stumm stehen. Nach einigen Minuten gab er auf und winkte uns weiter. Die Menschen um uns schienen sich nicht dafür zu interessieren, was mit uns passierte. Weder dem Flughafenpersonal noch den wenigen Reisenden schien aufzufallen, dass hier etwas falsch lief.

Wir folgten dem Polizisten hinaus aus der Halle ins Freie. Vor der Tür stand ein Pickup Truck, der einmal blau gewesen sein musste. Das Auto musste mindestens zwanzig Jahre alt sein. Der Polizist führte uns zur offenen Ladefläche und bedeutete uns, aufzusteigen.

Oben saß ein weiterer Mann, der zu meiner Überraschung wenigstens Englisch sprach. »Hallo, Airport Police«, sagte er. Er gab mir die Hand. »I bring you to Port Suez. Your Equipment will follow.«

Ich konnte es kaum fassen. Karl atmete hörbar auf. Wir fuhren los.

Bei einem Checkpoint der Polizei hielt der Truck. Der Fahrer stieg aus und lief hinein. Der Checkpoint sah aus wie eine Ruine. Ein verfallenes Haus. Nach einer halben Stunde kam der Fahrer zurück und wir fuhren weiter.

Der Polizist, der mit uns auf der Ladefläche saß, trug eine verspiegelte Sonnenbrille und kaute Kaugummi. Er saß entspannt da und genoss offenbar die Sonne. Jeden meiner Versuche, mehr zu erfahren, blockte er ab. »I don’t know«, sagte er. Das wiederholte er jedes Mal. »I don’t know.«

Immerhin hatte er uns mitgeteilt, dass ab jetzt alles planmäßig verlaufen würde. Also stellte ich meine Versuche ein und schwieg. Wir fuhren von Checkpoint zu Checkpoint, ohne dass jemand mit uns redete. Nach dem dritten Checkpoint fiel mir auf, dass wir die ganze Zeit in der näheren Umgebung des Flughafens blieben und dass keiner der ägyptischen Beamten bewaffnet war. Die Situation war absurd.

Während wir herumfuhren, fing es zu dämmern an. Wir waren inzwischen auch längere Strecken kreuz und quer gefahren, befanden uns aber noch immer in unmittelbarer Nähe des Flughafens. Nun erreichten wir eine Polizeistation, die größer war als die Checkpoints. Das Haus hatte vier oder fünf Stockwerke. Es war heruntergekommen und teilweise sogar ausgebrannt, aber im Gegensatz zu den anderen eindeutig als Polizeistation zu erkennen. »Come«, sagte unser Aufpasser und sprang von der Ladefläche.

Wir gelangten in ein Büro. Überall lagen Zettel und Mist am Boden, die Regale hingegen waren fast leer. Einige Polizisten lungerten herum. Keiner von ihnen schien etwas zu tun zu haben. Keiner von ihnen sprach mit uns. Dafür griff einer von hinten nach meinen Handgelenken. Er wollte mich offenbar fesseln. Ich riss meine Hände weg. Das war mir nun wirklich zu viel. Ich schrie ihn an. »Are you fucking crazy?«

Der Mann sah mich erschrocken an und verließ kommentarlos das Büro.

»Wo sind wir hier?«, fragte Karl. »Ist das ein auch nur im Ansatz funktionierender Staat?«

Ich benützte noch einmal eines seiner Telefone. »Die haben uns die ganze Zeit im Kreis herumgefahren, nachdem sie uns gesagt haben, dass jetzt alles in Ordnung ist«, erklärte ich der Frau in der österreichischen Botschaft.

»Das tut mir leid«, sagte sie. »Wir waren am Flughafen. Sie waren nicht da.«

Ich bekam Lust, das Handy an die Wand zu schleudern. »Wissen Sie, warum wir nicht da waren? Weil die uns eben den ganzen Tag im Kreis herumgefahren haben«, sagte ich.

Ich versuchte, mich zu beruhigen. »Hören Sie, wir sind jetzt in einer Polizeistation, die keine 300 Meter vom Flughafen entfernt ist«, sagte ich. »Das Gebäude ist halb ausgebrannt und vier bis fünf Stockwerke hoch. Ich kann den Flughafen vom Fenster aus sehen. Helfen Sie uns endlich, verdammt.«

»Okay«, sagte sie. »Wir sind gleich da.« Sie legte auf.

Ich wollte Karl das Handy zurückgeben, als mir Ralf einfiel. Ich wählte seine Nummer. Diesmal kam ich durch. »Hannes hier. Was zum Teufel ist hier los? Meine ganze Ausrüstung ist gestohlen, ich werde festgehalten und betrogen.«

Ralf lachte ins Telefon. »Weißt du Hannes, es ist schon alles so, wie es gehört«, sagte er.

»Was …?«

Er legte auf.

Hatte er mich absichtlich auflaufen lassen? Als kleine Rache, wofür auch immer? Was für ein Mistkerl. Ich konnte nichts dafür, dass Lisa mit ihm nicht mehr glücklich gewesen war.

Die Polizisten, die mit uns im Raum waren, hatten mein Gespräch mit völliger Gleichgültigkeit beobachtet. Ich hatte den Eindruck, Karl und ich hätten einfach hinausspazieren können, und niemand hätte uns aufgehalten. Da schwang die Tür auf. Ein groß gewachsener Mann betrat den Raum und bellte auf Arabisch Befehle.

Daraufhin drängten die Polizisten Karl und mich durch eine Tür an der Rückseite des Büros in eine Kammer. Sie stießen uns hinein und sperrten hinter uns ab. Hier stank es genauso wie in der »Toilette« im Flughafengebäude. Der Boden war mit Fäkalien verschmiert. Die stickige Kammer war vollkommen leer. Es war acht Uhr abends.

Ich wollte etwas Aufmunterndes zu Karl sagen, aber mir fiel nichts ein. Wir harrten still aus. Ich musste mich beherrschen, um nicht mit der Faust auf die Tür einzuschlagen. »Sie kommen bestimmt«, sagte ich erschöpft.

»Wer?«

»Die von der Botschaft.«

Karl murmelte etwas Unverständliches.

Ich glaubte selbst nicht mehr daran.

Irgendwann, als es draußen schon wieder hell geworden war, öffnete sich die Tür. Der groß gewachsene Mann trat ein. »There has been a delay«, sagte er. »We bring you to Port Suez now.«

Er führte uns aus dem Gebäude und wieder zu einem Auto. Ich hatte nicht mehr genug Energie, um auf Details zu achten. Alles, was ich wollte, war heim. Der Auftrag war gelaufen, die Ausrüstung mit Sicherheit verloren.

Nach zwei Stunden Fahrt erreichten wir ein unscheinbares Gebäude. Der groß gewachsene Polizist meinte, hier wäre ein Staatsanwalt, der unsere Papiere ausstellen würde.

Der Staatsanwalt hieß Ahmed El Mouhandes und schien uns nicht viel mehr Bedeutung beizumessen als den Fliegen im Zimmer.

»Wo sind unsere Papiere?«, sagte ich.

Er antwortete halb englisch, halb deutsch. So lange die österreichische Botschaft nicht da sei, könne er nichts machen, sagte er.

Also rief ich neuerlich bei der Botschaft an. »Wir sind mittlerweile bei einem Staatsanwalt, der angeblich Papiere für unsere Weiterreise ausstellen wird«, sagte ich. »Wo sind Sie?«

Ein junger Mann war jetzt am Notfalltelefon. »Hannes Führinger?«

»Genau. Wir waren die ganze Nacht in einer Zelle voller Scheiße. Wie lange muss ich noch auf Sie warten?«

Er räusperte sich. »Herr Führinger, es ist so, wir hatten leider kein Auto zur Verfügung. Wir beeilen uns.«

Ich wollte etwas sagen, ihn beschimpfen, ihm drohen. Stattdessen beschrieb ich ihm so detailliert wie möglich unseren aktuellen Aufenthaltsort und legte dann einfach auf. »Bitte ruf die deutsche Botschaft an«, sagte ich zu Karl. »Vielleicht tun die etwas.«

Ich gab ihm das Telefon. Karl telefonierte einige Minuten und berichtete mir hinterher. Die Diplomaten in der deutschen Botschaft hatten sich schockiert gezeigt. Lisa hatte sich dort bereits am Vorabend gemeldet, nachdem sie nichts mehr von mir gehört hatte. Die Deutschen hatten daraufhin mit den Österreichern Kontakt aufgenommen. Die Österreicher hatten ihnen zugesichert, sich um alles zu kümmern.

»Scheiße«, sagte ich zu Karl. »Die Österreicher sind völlig unfähig.«

Der Staatsanwalt sah uns misstrauisch an. Wir warteten und warteten. Es wurde immer später. Niemand kam. Gegen 19 Uhr redete der Staatsanwalt wieder mit uns. »Wir können nicht mehr davon ausgehen, dass Sie die Unterstützung der österreichischen Botschaft haben«, sagte er in gebrochenem Deutsch.

Karl und ich sahen ihn an. Er redete weiter. Er sagte noch einen kurzen Satz. »You are under arrest.«

»Was redet der da?«, fragte Karl.

Der Staatsanwalt holte Luft. »Sie verhaftet«, sagte er.

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