Читать книгу Der Diskursmensch - Hannes Mie - Страница 10

2.3 Überzeugende Konflikte – Bedrohte Ideale

Оглавление

Sind die Bürger zu nachsichtig gegenüber ihren Politikern, wird vermutlich Eigeninteresse und Lobbyismus die Politik maßgeblich mitbestimmen. Sind die Bürger zu streng gegenüber ihren Politikern, wird vermutlich Unverbindlichkeit und Populismus noch dazu kommen. Jede dieser Anzeichen kommen als Phänomene bereits bekannt vor. Da ist Misstrauen auf der einen und Misstrauen auf der anderen Seite. Dass das nicht gerade förderlich für die verhältnismäßige Gesundheit zwischen Bevölkerung und Politik ist, liegt auf der Hand. Dass auch die Medien an solchen Diagnosen, besser noch: Zuständen nicht ganz unschuldig sind, wurde bereits angesprochen, lässt aber die Frage zurück, wie eindeutig denn nun eigentlich die medial inszenierten Inhalte Anteil haben an der – vorrangig bürgerlichen – Wahrnehmung politischer Unstimmigkeiten und der darauf folgenden diskursiven Auseinandersetzung. Gilt doch:

➢ Je umfangreicher ich mich informiere und informiert werde, desto authentischer kann mir die Komplexität der Sachlage einsichtig werden.

Es kommt doch nicht von irgendwo her, dass erst nach wochenlanger Berichterstattung über ein Ereignis die Eindeutigkeit des fachspezifischen Standardwissens als Selbstverständlichkeit zu Tage tritt. Diverse Vorwegnahmen politstrategischer wie medienwirksamer Kalkulationen verfehlen in beschämender Weise den Auftrag der Öffentlichkeitsarbeit und des investigativen Journalismus. Aufklärung stand schon immer auf der Liste bedrohter Ideale. Dabei gewinnt man vordergründig den Eindruck, dass die neuen Ideologien, die auf die totale Vernichtung dieses Wertes ausgerichtet sind, vielmehr als alt ängstlich denn als neu innovativ gegolten werden können. Und hintergründig, dass die mangelnde Bewusstmachung über die Wichtigkeit wertneutraler Erklärungen auch zu mangelnder Verteidigung ehrbarer Aufklärung in der berufspflichtigen Praxis führt. Ein Umstand, der genau an dem Punkt Misstrauen auslöst, an dem Vertrauen als letzte Bastion gegen Verdruss und Radikalisierung wichtig wäre. Der Bürger ist immer auch Wähler und hat infolgedessen auf der einen Seite eigentlich die Pflicht, nicht nur seine eigene Meinungsbildung kritisch zu hinterfragen, sondern auch noch die veröffentlichten Quellen quasi grundsätzlich anzuzweifeln. Auf der anderen Seite, stehen diesem Wähler selten die Kapazitäten zur Verfügung, die ihm überhaupt eine solch intensive Auseinandersetzung gestatten. Kommt es also aufgrund dieser realistischen Umstände zu einer unrealistischen Politisierung der Sachlage, definiert sich diese politische Kultur als Bestandteil einer Praxis der Gegenaufklärung (!). Oder als Hypothese:

➢ Je mehr Politik – gegen die Aufklärung gerichtet – gemacht wird, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass die Politisierung der Sachlage seitens des Volkes unrealistisch verläuft.

Soll das typisch sein oder werden? Für das Wahlverhalten in Zukunft, für die Qualität unserer Entscheidungen, für das Ansehen von Politikern, für die Bildung unserer Kinder, zum Wohle des Volkes? Wieso nicht? Aber Politik als verstecktes Versteckspiel erscheint nicht nur als übelriechende Fleischwerdung einer hierarchischen Überzeugung, sondern sollte in seiner tiefsitzenden Feindlichkeit vor dem Kulturmenschen zwar angeprangert aber eben auch erläutert werden.

Max Weber definiert uns als Kulturmenschen, „begabt mit der Fähigkeit und dem Willen, bewußt zur Welt Stellung zu nehmen und ihr einen Sinn zu verleihen.“5

Denn der Urnengang des Bürgers soll nur musterhaft sein, wenn dieses Tun mit seiner eigentlichen Überzeugung in Einklang gebracht werden kann. Sowohl von ihm selbst, als auch für die Einschätzung der politischen Lage im Allgemeinen. So macht typische Politik als institutionalisierte Gegenaufklärung meistens mehr kaputt, als es auch nur ein Politiker allein vollbringen könnte.

Ästhetisch benannt ist auch das nur eine Perspektive der Irritation. Da es sich dabei aber oft genug um eine tödliche, um nicht zu sagen: vernichtende Irritation einer a priori verweltlichten Realität handelt, bin ich der Meinung, dass Aufklärung als „guter Wert und bestes Ziel“ die oberste Berechtigung verdient. Unberührt, aber angetastet.

Wir aber leben nicht nur mit diesen Trümmern, sondern bauen auch darauf auf. Wir weben sie ein, integrieren sie, gewöhnen uns daran und geben sie als Selbstverständlichkeit an Generationen weiter; in der Hoffnung, dass der Konflikt darin über die Jahre erstickt wurde. Das Menschsein wird wieder suspendiert, die Aufgabe für gescheitert erklärt. Unser Verhalten gibt zu: Der Humanismus ist im Kleinen allgegenwärtig und im Großen von jeder Macht befreit.

Der Diskursmensch

Подняться наверх