Читать книгу Sammelband "Tatort Hunsrück" Teil 1 - Hannes Wildecker - Страница 13
Kapitel 7
ОглавлениеKriminaloberrat Peter Krauss eilte durch den Flur der fünften Etage des Trierer Polizeipräsidiums und blieb schließlich vor der Tür mit den Namensschildern KHK Spürmann und KOK`in Schiffmann stehen. Er schüttelte unwillig den Kopf, als er das Schild mit dem Namen Spürmann mit den Fingernägeln herauszog und in seiner Hand zerknüllte.
Spürmann gab es nicht mehr hier in Trier, nicht mehr in diesem Zimmer. Die Position des Leiters der Mordkommission der Trierer Kriminalpolizei war seit über einem Monat vakant. Kriminalhauptkommissar Heiner Spürmann hatte der Ruf einer Dozenten-Stelle im Ausbildungszentrum der Bereitschaftspolizei in Hahn ereilt und er hatte angenommen. Mit Lisa, seiner Lebensgefährtin hatte er seine Zelte in Forstenau abgebrochen und sich seiner neuen Aufgabe als Lehrer für den polizeilichen Nachwuchs zugewandt. Lisa war glücklich über diese Entscheidung. Das ständige Alleinsein an den meisten Wochenenden und vielen Abenden würde Vergangenheit sein. Die geregelte Arbeitszeit auf dem Hahn würde nicht mehr den jährlichen Urlaubswünschen im Wege stehen, die in Forstenau immer in den Hintergrund getreten waren.
Auf der anderen Seite fiel es Lisa schwer, die vertraute Umgebung, die Freunde und besonders ihrem geliebten Kirchenchor Adieu zu sagen.
Heiner Spürmann würde seinen Stammtisch im Hochwaldstübchen vermissen. Es gab noch eine Sause zum Abschied und alle waren gekommen. Förster Florian Glasheber, Ortsbürgermeister Detlef Hildebrandt, Feuerwehrchef Siegfried Brandel und Heimatforscher Dieter Lauheim. Pastor Adalbert Schaeflein verkündete bei dieser Gelegenheit, dass er demnächst seine Pensionierung antreten und im Saarland Wohnung beziehen werde.
Besonders herzlich wurde Spürmann von Siggi und Lissy Vollmann, den Betreibern der kleinen Gaststätte, verabschiedet. Zu ihnen bestand eine echte Freundschaft, seit sich Spürmann nach dem Todesfall Rietmeier für Siggi stark gemacht hatte. Er hatte damals nachweisen können, dass Siggi nicht der Mörder des Toten im Tann war.
Auf der Dienststelle ließ Spürmann seine Kollegin Leni Schiffmann zurück, mit der er seit Jahren ein funktionierendes und erfolgreiches Team gebildet hatte. Spürmann hatte sie vor vollendete Tatsachen gestellt, sie und Heinz Peters vom Erkennungsdienst, mit dem ihn eine freundschaftliche Beziehung verband. Doch das war nun mal des Lebens Lauf. Es würde weitergehen, auch ohne Spürmann.
Krauss als verantwortlicher Leiter der einzelnen Inspektionen hatte sich um Ersatz bemüht. Der Neue würde heute seinen Dienst antreten. Kraus schaute auf seine goldene Armbanduhr, die sich mit ihrem Glanz von dem dunkelblauen Ärmel seines feinen Tuchanzugs abhob und schüttelte ärgerlich den Kopf. Schon neun Uhr. Ein Dienststellenleiter, der gleich am ersten Tag zu spät kam. Das waren ja schöne Aussichten. Womöglich machte er gleich am ersten Arbeitstag von der gleitenden Arbeitszeit Gebrauch.
Krauss schüttelte erneut verständnislos den Kopf, klopfte kurz an und öffnete die Tür zum Büro.
„Na, Frau Schiffmann. Noch in Trauer?“, sagte er, bevor er ein Guten Morgen hinzufügte. „Um diese Zeit“, er sah erneut auf seine Uhr, „um diese Zeit wird Ihr Ex-Kollege Spürmann bereits die Schulbank mit dem ihm anvertrauten Nachwuchs drücken. Was glauben Sie? Ist es das, was er immer wollte? Sagen Sie nichts. Ich werde es Ihnen sagen: Ich habe das Gefühl, er hat einen Fehler gemacht.“
Als Leni nicht antwortete und ihn nur ansah, fügte er hinzu: „Ich kann Ihren Kollegen nicht verstehen. Einer, der die Praxis so liebte wie er, macht sich zum Theoretiker auf einer Polizeischule.“
„Heiner ist kein Theoretiker“, nahm Leni ihren Ex-Kollegen in Schutz. „Aber vielleicht ist es ja von Vorteil, wenn auf einer Polizeischule auch einmal praxisorientiert geschult wird. Es müssen ja nicht immer Dozenten unterrichten, die gleich nach ihrem Examen, ohne jegliche Praxis, vor eine Klasse mit Polizeischülern gestellt werden.“
„Haben Sie solche Erfahrungen gemacht, Frau Schiffmann? Vergessen Sie nicht: Ich war auch ein paar Jahre als Dozent tätig.“
Leni schwieg und vertiefte sich in ihre Akten. Ihr war es nicht verborgen geblieben, dass auch Krauss einer derjenigen war, die nur mit der Praxis der zum Praktikum abgeordneten Beamten glänzen konnten.
„Ich hörte, wir bekommen einen neuen Kollegen?“, fragte Leni und hob ihren Blick wieder aus dem Aktenbündel.
„Sie bekommen einen neuen Chef, Frau Schiffmann.“ Krauss sah wiederum auf seine Uhr. „Er müsste eigentlich schon hier sein. Gleich am ersten Tag zu spät zu kommen, das ist auch keine Art.“
„Er wird sich auf die gleitende Arbeitszeit eingerichtet haben. Das ist sein gutes Recht“, sagte Leni und es klang irgendwie vorlaut.
In die Bemerkung hinein klopfte es und die Tür wurde eine Körperbreite weit geöffnet. Ein männlicher Kopf mit einem freundlichen Gesicht und dichtem, nach hinten gekämmtem dunkelblonden Haar erschien in der Öffnung und schaute erst auf Leni, dann auf Krauss. „Sie sind …?“, fragte Kraus verunsichert.
Dann erschien die ganze Gestalt des Mannes in der Tür, die er mit seinem rechten Fuß ganz aufstieß. Der Grund dafür wurde sogleich offenbart. Unter den rechten Arm geklemmt schleppte er eine mannshohe, braune Puppe aus Leder in den Raum. Er schaute sich kurz um, wobei er einen Zopf offenbarte, in dem er seine langen Haare gefangen hatte. Er stellte die Puppe neben der Tür gegen einen Aktenschrank. Dann wandte er sich den beiden staunend Zusehenden zu.
„Overbeck. Kriminalhauptkommissar. Tut mir leid, ich habe mich etwas verspätet. Kein Navi. Muss mir schnellstens eines zulegen. Brauche ich hier mit Sicherheit.“
Er gab Krauss, dessen Gesicht sich angesichts der kraftvollen Begrüßung leicht verzerrte, die Hand und steuerte auf Leni zu, die wegen seines fragenden Gesichtsausdrucks grinsen musste.
„Leni Schiffmann. Sie sind der Neue? Mein neuer Chef?“
„Mein Name ist Krauss. Peter Kraus. Kriminaloberrat. Ich bin hier der Inspektionsleiter und warte schon … “, unterbrach Krauss das Vorstellungsgespräch und sah demonstrativ auf seine Uhr, „seit eineinhalb Stunden auf Sie.“
„Ich sagte es bereits: Kein Navi“, antwortete Overbeck und Leni stellte mit Vergnügen fest, dass ihm die Autorität Krauss` nicht in seiner Art behinderte. Er deutete auf den freien Bürostuhl Leni gegenüber. „Das ist mein Platz?“
„Als Chef steht Ihnen ein Einzelzimmer zu. Wenn Sie mit mir kommen, ich zeige es Ihnen“, sagte Krauss und machte Anstalten, den Raum zu verlassen.
„Warten Sie, Herr … Krauss. Eine Frage: Wo hatte mein Vorgänger seinen Platz?“
Bevor Krauss antworten konnte, zeigte Leni mit ihrem ausgestreckten Arm auf den Schreibtisch, der dem ihren gegenüber stand. Er war leer, nicht ein Blatt Papier lag darauf, ein bequemer Sessel stand davor.
„Dann möchte ich hier bleiben“, stellte Overbeck fest, ließ sich auf den Bürostuhl fallen und rollte, auf ihm sitzend, hinter Spürmanns ehemaligen Schreibtisch. „Es sei denn, Sie würden lieber auf meine Anwesenheit verzichten.“ Fragend sah Overbeck Leni an.
„Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist …“, versuchte Krauss ihn umzustimmen, doch Leni ergriff die Initiative.
„Ich freue mich auf eine gemeinsame Zusammenarbeit.“ Dann hielt sie ihm ihre Hand hin. „Unter Kollegen ist man per Du. Ich heiße Leni.“
„Overbeck. Ich freue mich ebenfalls. Ich glaube, wir werden ein gutes Team.
„Overbeck? Und wie noch?“
„Einfach Overbeck. Alle sagen nur Overbeck.“
Hinter ihnen schloss sich die Tür. Krauss hatte das Zimmer verlassen.
„Warum hast du dir gerade Trier ausgesucht?“, fragte Leni, um keine Debatte über den Namen Overbecks zu beginnen. Das würde sie sich für später aufbewahren, nahm sie sich vor. „Was war deine letzte Dienststelle?“
„Ludwigshafen. Mordkommission Ludwigshafen. Du heißt also Leni?“
Leni nickte.
„In Ludwigshafen kannte ich eine Lena Odenthal. War aber nicht in meinem Team. Eine Streberin. Arbeitet dort mit einem Deutsch-Italiener zusammen. Warum ich weg wollte? Du wirst es nicht glauben, es hat ganz einfach damit zu tun, dass mir die Luft dort im wahrsten Sinne des Wortes zu dick wurde. Die Industrie, verstehst du?“
„Verstehe. Erzähle mir mehr über dich.“
„Freut mich, dass du dich für mich interessierst. Ich bin sechsunddreißig, einen Meter und zweiundachtzig groß, wiege 80 Kilo und bin Single, also noch zu haben.“
„Was schleppst du denn da mit dir rum?“
Leni zeigte auf die lederne Puppe, die Overbeck neben dem Aktenschrank abgestellt hatte.
„Ach das. Das ist Billy, meine Trainingspuppe.“
„Du boxt?“
„So etwas Ähnliches. Karate, Aikido, Judo. Kampfsport eben. Das dort ist mein Trainingspartner.“
„Was macht er hier in diesem Büro?“
„Ich hatte ihn eigentlich nur für das Büro gedacht. Für meine Wohnung habe ich noch einen. Mal sehen, wo ich ihn hinstellen kann“, sagte er nachdenklich.
Overbeck sah sich im Raum um, der im Vergleich zu den meisten Büros im Präsidium das doppelte Volumen hatte.
„Ach ja, dort hinten in der Ecke, das wäre ein guter Platz. Allerdings nur, wenn du nichts dagegen hast?“
Overbeck sah Leni fragend an.
„Nee, nee, mach du nur“, antwortete Leni irritiert und sah ihm dabei zu, als er die Puppe, der man ihr Gewicht nicht ansah durch den Raum zog. Dann stemmte er sich mit dem Rücken gegen den Schrank, der in der von ihm ausgewählten Ecke stand, und schob ihn soweit zur Seite, wie er glaubte, dass es nötig sei. Dann stellte er die Puppe, die etwa seine Körpergröße hatte, in der Ecke ab und trat ein paar Schritte zurück. Er schien zufrieden, denn er nickte und drehte sich lächeln zu Leni um.
„Ist ein angenehmer Zeitgenosse“, sagte er lachend. „Er ist stumm und verschwiegen. Und er schlägt nicht zurück.“
„Jetzt sag mir doch mal, wozu der gut ist? Hast du vor, hier in diesem Raum zu trainieren?“
„Nein, wo denkst du hin. Trainieren tue ich in einem Dojo in der Stadt. Das heißt, ich muss mich erst nach einem solchen umsehen. Hatte noch keine Gelegenheit dazu.“ Overbeck streichelte Billy über die rechte Wange.
„Dojo?“, fragte Leni gedehnt.
„Dojo nennt man einen Trainingsraum für asiatische Kampfsportarten. Du kannst natürlich auch Trainingsraum dazu sagen. Aber wenn man Traditionen im Kampfsport pflegt, dann macht man sich auch die entsprechenden Namen und Ausdrücke zu Eigen. Das gilt für jede Technik, die Räumlichkeit und deine Lehrer.“
„Wer ist dein Lehrer?“, wollte Leni wissen. Sie wollte eigentlich mehr wissen von Overbeck und dem, was er tat. Es faszinierte sie. Kampfsport, dachte sie. Müsste ich auch mal drüber nachdenken.
„Ich unterrichte selbst“, sagte Overbeck und es klang ohne Angabe, einfach als Feststellung. „In Ludwigshafen hatte ich ein eigenes Dojo. Gesponsert zum Teil. Anders geht das nicht. Vielleicht ergibt sich ja hier auch die Möglichkeit dazu. Wir werden sehen.“
„Und diese Puppe, die haust du dann windelweich?“
Overbeck antwortete nicht. Leni, die links neben ihm stand, sah plötzlich, wie sein rechtes Bein in die Höhe schnellte und er ein wenig in der Hüfte einknickte. Dann traf der Spann seines Fußes den Schläfenbereich der Puppe, die seitlich wegkippte und auf den Boden schlug. Overbeck stand da, als sei nichts gewesen.
„Ich muss sie noch befestigen“, sagte er schließlich. „Ein Haken an der Decke und ein Seil, das ich am Kopf befestigen kann. Dann fällt sie nicht mehr um.“
Leni stand mit weitgeöffnetem Mund da und sah ihren neuen Kollegen staunend an. Vor ihr stand ein junger drahtiger Mann, in den Hüften schmal, die Schultern breit, die unter den kurzen Hemdsärmeln hervorlugenden Unterarme waren sehnig und muskulös.
„Was … was war das?“
„Das war ein Mawashi-Geri, um es genau zu sagen, das war ein Mawashi-Geri Jodan, ein Halbkreistritt in den oberen Körperbereich.“
„Hä?“ Leni verstand nichts.
„Ich sagte doch eben: Jede Technik hat ihren Namen. Wenn man den Sport gerne macht, identifiziert man sich mit ihm, seiner Geschichte, mit allem eben. Ich kenne Kampfsportler, die leben in ihren vier Wänden sogar auf asiatische Art. Mit Räucherstäbchen, Teezeremonie und allem, was dazugehört.“
„Und du?“
„Ich nicht.“ Overbeck hob die Puppe wieder auf und stellte sie an ihren Platz. Dann richtete er seine Haare, denn bei dem schnellen Fußtritt hatte sich das Band, das den Zopf zusammenhielt, verschoben.
„Ich lebe den Sport, nicht die Tradition. Das reicht.“
„Vielleicht … vielleicht kannst du mir ja mal einige dieser Techniken beibringen?“
Overbeck musste Leni die Antwort schuldig bleiben, denn die Tür öffnete sich und Krauss trat erneut ins Zimmer.
„Machen Sie sich bereit, meine Herrschaften. Es gibt Arbeit. Herr Overbeck, für Sie ist das eine gute Gelegenheit, einen Teil unseres wunderschönen Hunsrücks kennenzulernen. Wir haben eine Leichensache. In Hermeskeil. Ein Mann. Erschlagen. Der Kollege, der mich anrief, schien schockiert. Eine Identifizierung sei noch nicht möglich gewesen. Der Kopf und das Gesicht des Toten seien bis zur Unkenntlichkeit deformiert. Der Tote wurde am Rande der Stadt aufgefunden. Funken Sie die Kollegen unterwegs an, sie werden ihnen den Weg beschreiben.“
„Die Spurensicherung?“, fragte Leni, während sie ihre Pistole ins Halfter unter der Achsel schob.
„Peters ist verständigt. Er ist mit seinem Team schon auf dem Weg.“
„Gut, wir fahren über Forstenau“ sagte Leni. „Habe dort noch was zu erledigen.“
„Forstenau? Weit von hier?“ Overbeck sah Leni fragend an.
„Nicht so weit wie Hermeskeil. Zwanzig Minuten Fahrzeit. Wir nehmen meinen Wagen mit. Du kannst mit Peters zurückfahren.“
„Deinen Wagen? Was soll das? Mit Peters zurückfahren? Wir fahren zum Tatort.“
„Ich weiß“, sagte Leni trocken. „Aber ich möchte mir heute Abend eine unnötige Fahrt nach Trier zurück ersparen. Ach ja“, sagte sie mit einem verschmitzten Lächeln um die Lippen „Ich wohne in Forstenau. Hatte ich das nicht erwähnt?“
„Ich glaube, wir sind da. Dort scheint es zu sein.“
Leni zeigte nach vorne durch die Windschutzscheibe und Overbeck nickte.
„Kein Menschenauflauf, Gott sei Dank. Hat sich wahrscheinlich noch nicht bis in die Stadt herumgesprochen, dass hier etwas passiert ist.“
Das Haus lag einen guten Kilometer hinter der Stadt Hermeskeil, idyllisch gelegen, wie Overbeck für sich feststellte. Ein massives, zweistöckiges Gebäude mit einem angrenzenden Schuppen, der bis zur Decke mit Brennholz angefüllt war.
„Welcher Sterbliche erhält hier eine Baugenehmigung?“, fragte Overbeck, doch er erhielt keine Antwort.
„Die Kollegen.“ Leni zeigte auf die rechte Seite des Anwesens. In der Nähe des Schuppens standen ein blauweißer Dienstwagen und davor ein Notarztwagen. Auch das Fahrzeug der Spurensicherung stand dort. Heinz Peters war nicht zu sehen.
Overbeck parkte sein Fahrzeug neben dem der Kollegen. Sie stiegen aus und hörten Stimmen, die von der Rückseite des Hauses kamen. Eine davon erkannte Leni. Es war Heinz Peters, der, auf welchen Wegen auch immer, vor ihnen angekommen war.
Als Peters die beiden ankommen sah, erhob er sich aus seiner gebeugten Haltung und dehnte mit in die Hüfte gestemmten Händen seine Wirbelsäule. „Hallo Leni“, stöhnte er und sah fragend auf Overbeck.
„Das ist Overbeck, mein neuer Kollege und … Chef. Was genau ist passiert?“
Peters nickte Overbeck zu und deutete entschuldigend auf seine behandschuhte Hand. „Angenehm. Peters. Unter Kollegen Heinz.“ Er sah Overbeck fragend an. Der nahm das Angebot lächelnd zur Kenntnis. „Overbeck“, sagte er kurz und bahnte sich den Weg durch zwei uniformierte Kollegen nach vorne.
„Overbeck?“ Peters sah Leni fragend an.
Sie zuckte die Achseln. „Overbeck. Scheint sein Vor- und Familienname zu sein.“
„Und nun?“
„Kannst ihn ruhig duzen. Er hat es dir angeboten.“
„Weil er Overbeck sagte?“
„Genau.“
„Aber er muss doch einen Vornamen haben. Jeder Mensch hat einen Vornamen.“
„Vermutlich. Aber ich kenne ihn nicht. Noch nicht. Wenn ich ihn herausfinde, werde ich ihn dich wissen lassen. Komm jetzt. Sag mir, was passiert ist.“
„Es ist ein Mann. Ich schätze ihn auf 40 bis 50 Jahre. Schwer zu sagen. Er liegt gleich dort, hinter dem Haus. Aber ich warne dich. Kein schöner Anblick. Sein Gesicht…“ Peters sah Leni von der Seite an. „Sein Gesicht … es existiert nicht mehr.“
Obwohl Leni dank Peters` Aussagen vorbereitet war, erschrak sie doch, als sie neben Overbeck trat, der bereits neben der Leiche kniete. Als er Leni bemerkte, stand er auf und nickte vor sich hin.
„Sieht aus wie ein Schlag mit einem Eisenrohr oder einem harten Stück Holz“, stellte er trocken fest und erhob sich. „Der Täter muss mehrmals zugeschlagen haben.“
Der Tote lag auf dem Rücken. Er war bekleidet mit einer blauen Jeanshose und einem schwarzen Sommer-Pullover mit einem schmalen Bundkragen. Sein Kopf lag in einer riesigen Lache aus Blut, Gehirnmasse und zersplitterten Knochenteilen. Ein Gesicht fehlte. Wo früher Nase, Mund und Augen dem Lebenden Ausdruck verliehen, klaffte nun eine riesige mit Knochen und Hautteilen durchsetzte Vertiefung. Lediglich die Ansätze der Stirn und des unteren Kieferteils waren mit einiger Vorstellungskraft zu erkennen.
Overbeck zog sich ein paar Einweg-Gummihandschuhe an und ließ sich erneut vor dem Toten in die Hocke nieder. Leni sah ihm zu, wie er den Kopf in alle Richtungen bewegte, als denke er über etwas Bestimmtes nach.
„Ist da was Besonderes?“, fragte sie.
„Ich weiß nicht, versuche es gerade herauszufinden.“
Das ist nun mal Sinn der polizeilichen Leichenschau. Nach etwas zu suchen, das vielleicht nicht vorhanden ist, aber vorhanden sein könnte. Und wenn es dann erst später oder gar nicht festgestellt würde …, dachte er. Es wäre nicht das erste Mal, dass man durch Vortäuschung einer brutalen Tat von der eigentlichen Todesursache ablenken wollte, so die ursprüngliche Tat zu verschleiern suchte.
Nichts gegen die Ärzte, die anschließend noch einmal eine Leichenschau durchführen müssen, nach ihren Kriterien. Aber Overbeck hatte schon zahlreiche Leichensachen bearbeiten müssen, er kannte sich aus. Und er hatte in den Jahren seiner Zeit bei der Mordkommission eine Menge Ärzte am Tatort angetroffen. Nicht alle arbeiteten so, wie er sich das vorstellte. Er wusste, warum er so gewissenhaft vorging.
Overbeck drehte den Kopf des Toten nach allen Seiten, so, wie es die Vorschrift bei einer polizeilichen Leichenschau verlangte.
Kein Genickbruch, konstatierte er für sich selbst. Er tastete den Hals ab, hob den Kragen des Pullovers von der Haut ab und besah sich den Hals des Toten. Keine Würgemale.
Dann sah er zu Peters auf. „Kann ich?“
Peters nickte. Er wusste, worauf Overbeck aus war.
„Okay, dann mache ich es schnell hier. Ich weiß nicht, ob wir noch Zeit haben werden, die Leichenhalle heute Abend aufzusuchen.“
Overbeck zog Pullover und Hemd des Toten nach oben, streifte dessen Hose und Unterhose nach unten und begann, den gesamten Körper nachirgendwelchen Unregelmäßigkeiten zu untersuchen.
„Keine weiteren Verletzungen erkennbar“, sagte er schließlich, ohne aufzusehen. „Die Schläge ins Gesicht dürften die Todesursache darstellen. Der Doktor wird mir Recht geben, schätze ich.
„Wer macht denn so etwas?“ würgte Leni heraus.
„Sieht nicht nach einem Überfall aus. Was meinst du?“ Peters sah Leni fragend an. „Bei einem Überfall reicht ein Schlag. Dann hat der Täter sein Ziel erreicht. Das hier ist etwas Anderes.“
„Du meinst, es hat einen Streit gegeben?“
Leni versuchte, den Blick von dem Toten abzuwenden, doch irgendwie zog der Anblick ihre Augen magisch an.
„Ja, einen Streit, vielleicht. Oder wir haben es mit einem vorsätzlichen Mord zu tun. Kümmerst du dich um das Beerdigungsinstitut?
„Wer redet denn da von Überfall?“
Overbeck drehte sich zu Leni und Peters um. In seiner Hand hielt er eine Zeichnung auf einem DIN A 5 Blatt Papier.
„Kannst du mir sagen, was das ist?“
Leni beugte sich nach vorne und sah auf den Zettel. Es war eine Zeichnung, schnell dahingekritzelt und dennoch konnte man das Motiv erkennen. Overbeck hielt sie mit den Fingerspitzen nach oben.
„Ein Adler im Flug.“
„Woher …?“
Overbeck unterbrach Lenis erstaunte Frage.
„Man hat sie ihm unter den Pulli geschoben. Habs zuerst nicht gesehen. Als ich dem Toten den Pullover wieder nach unten zog, hatte ich plötzlich das Papier in der Hand. Die Zeichnung ist offensichtlich für uns bestimmt. Ein Adler. Es soll doch einen Adler darstellen, oder?“
„Da will uns jemand ein Rätsel aufgeben.“
„Oder uns einen Hinweis geben.“
„Der Mörder wird uns kaum einen Hinweis auf sich selbst geben. Nein, da muss etwas Anderes dahinterstecken. Warum gerade ein Adler?“
Hinter Leni erklang eine sonore Männerstimme und als sie sich umdrehte, erkannte sie den herannahenden Arzt. Es war ein alter Bekannter: Dr. Julius Kämmerlein. Er war hager wie eh und je. Die Haare an seinem kurzgeschorenen Haarkranz waren weniger geworden, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Die Hose schlackerte immer noch um seine dünnen Beine und sein Oberhemd schien drei Nummern zu groß.
„Tag, Frau Schiffmann, lange nicht gesehen. Wo Sie sind, ist auch Ihr Kollege Spürmann nicht weit.“ Kämmerlein sah sich um und Leni kam seiner Frage zuvor.
„Heiner Spürmann hat es vorgezogen, uns zu verlassen und in Zukunft an der Polizeischule zu lehren“, sagte sie kurz.
„Aha. Was Ihnen offensichtlich nicht so recht gefällt?“
„Dort ist sein Nachfolger.“
Leni deutete mit dem Kopf in die Richtung des an der Leiche knienden Kollegen. „Overbeck. Fragen Sie ihn nicht nach seinem Vornamen. Sagen Sie einfach Overbeck.“
„Overbeck? Nur Overbeck? Das gibt es nicht. Jeder Mensch hat einen Vornamen.“
Dann sah er in Richtung des Toten. „Was liegt denn nun genau an?“
„Eine männliche Leiche, wir schätzen sie auf 40 bis 50 Jahre. Kann aber auch 10 Jahre nach vorn oder hinten variieren. Ist schwer festzustellen.“
„So schlimm?“
Leni nickte und ging voran. Kämmerlein folgte ihr.
„Overbeck, das ist Dr. Kämmerlein. Du wirst des Öfteren mit ihm zu tun haben, wenn du einen Fall im Bereich von Hermeskeil bearbeitest.“
Overbeck stand auf. „Dann überlasse ich Ihnen den Toten vorübergehend. Ihr Patient, Doktor.“
Kämmerlein sah Leni an und zuckte mit den Schultern. Er beugte sich zu dem Toten hinunter und begann mit seiner Arbeit.
„Haben Sie die Personalien des Toten? Hatte er Papiere bei sich?“, fragte er, während er seine Arzttasche öffnete.
„Ja.“ Overbeck zog eine kleine Plastiktüte hervor, in dem sich die Konturen eines Personalausweises hervorhoben. „Jörg Dellmann ist sein Name. Geboren am 10.7.1967. Also 44 Jahre alt. Wohnt hier in Hermeskeil. Feldbachstraße 154a.“
Sind die Angehörigen verständigt?“, fragte Kämmerlein und erhielt eine kurze und knappe Antwort.
„Sie machen Ihr Ding, wir das unsere.“
Kämmerlein zuckte zusammen.
„Todeszeit?“, fragte Overbeck, als sich Kämmerlein an dem Toten zu schaffen machte.
„Schwer zu sagen. Vor acht bis zehn Stunden. Vielleicht ein bis zwei Stunden länger. Warten wir die Obduktion ab.“
Dann sagte er etwas, das die anderen in Erstaunen versetzte. „Haben Sie sich die Leiche schon näher angesehen? Sein rechter Unterschenkel ist zertrümmert.“
Overbeck und Leni sahen sich an.
„Wie … zertrümmert?“, fragte Leni irritiert.
„Man hat ihm den Unterschenkel zerschlagen und das Gesicht zertrümmert.“
„Das wirft meine Theorie vollends durcheinander.“ Overbeck trat einen Schritt näher an den Toten. „Das bedeutet: Der Täter hat sich sein Opfer mit diesem Schlag zurechtgelegt, ehe er es final erschlug. Von wo aus wurde der Schlag ausgeführt? Können Sie das feststellen?“
Kämmerlein nickte. „Das sieht nicht nach einem Problem aus. Der Schlag wurde von oben nach unten geführt. Aber Sie sind der Kriminalist. Sehen Sie, wäre der Schlag ausgeführt worden, während der Mann gestanden hätte, gäbe es zumindest eine kleine Schleifspur des Fußes nach hinten. Entweder durch die Kraft des Schlages oder aber durch eine Reflexbewegung kurz vor dem Schlag. Nichts in dieser Richtung. Außer den Spuren vor seinen Füßen. Aber die hat das Opfer offensichtlich verursacht, als er vor seinem Mörder rückwärts kroch.“
„Das bedeutet, dass der Mann auf der Erde gelegen hat. Warum hat er auf der Erde gelegen? Hätte der Täter ihn auf den Boden gezwungen, wären Spuren von Gewalt zu erkennen“, sinniere Overbeck, worauf Leni meinte, dass er sich unter Druck vielleicht freiwillig auf die Erde gelegt habe.
„Wie dem auch sei.“ Overbeck schritt um den Toten und Kämmerlein, wobei er laut zu denken schien.
„Der Tote hat keine Abwehrspuren an den Händen. Wenn dir jemand ins Gesicht schlägt, ob mit der Hand oder mit einem Gegenstand, Leni, was tust du dann?“
„Ich hebe reflexartig die Hände zum Schutz vors Gesicht.“
„Genau. Aber das ist hier nicht geschehen. Lass uns später darüber nachdenken.“
„Wer hat die Leiche gefunden?“, fragte Leni in Richtung Peters, der dabei war, seine Spurensicherungs-Utensilien zusammenzupacken.“
„Der hiesige Jagdpächter. Name und Anschrift haben die Kollegen der Schutzpolizei. Sie stehen genau hinter dir.“
„Du kennst deine Kollegen wohl nicht mehr“, hörte Leni eine Stimme hinter sich. Heribert Gehweiler und Eddy Müller von der Polizeiinspektion Hermeskeil kamen grinsend näher.
„Ich könnte mir schönere gemeinsame Treffen mit dir vorstellen“, feixte Gehweiler, wobei er seine Polizeimütze anhob und die angegrauten Haare mit der rechten Hand durchpflügte. „Aber man muss ja schon froh sein über solche Gelegenheiten, so traurig sie auch immer sein mögen. Hier sind die Personalien des Jagdpächters. Ein gewisser Dominik van Heelen. Ein Holländer. Ist noch bis übermorgen in seinem Jagdhaus anzutreffen. Hier hast du seine Adresse und die Telefonnummer.“
Leni steckte den Zettel in ihr Notizbuch. „Wo ist eigentlich Franz Petzky von der Hermeskeiler Kriminalpolizeiinspektion?“, wollte Leni wissen. Die örtliche Polizei war hier zwar nicht zuständig, sondern die Mordkommission übernahm alle Fälle, die nach Kapitalverbrechen aussahen. Aber in die Ermittlungen wurde sie dennoch einbezogen.
„Franz Petzky und Michael Wallen sind zu einer Tagung in Mainz“, antwortete Gehweiler und lächelte. „Ich weiß auch nicht, warum der Chef und sein Stellvertreter gleichzeitig der Dienststelle fernbleiben dürfen. Soll mich auch nicht weiter interessieren.“
„Der Inspektionsleiter auch? Na so was. Dann vertrittst du gewissermaßen deine Dienststelle“, wunderte sich Leni und sah zu dem hochgewachsenen Kollegen hoch.
„Gewissermaßen, ja“, lachte Gehweiler und kratzte sich am Hinterkopf. Trotzdem bin ich froh, dass die Verantwortung bei euch liegt.“
Helmut Franzen, der jüngere Spurensicherungs-Kollege von Peters, bog um die Ecke des Schuppens. In der Hand hielt er ein kräftiges Stück Holz, das sich bei näherem Hinsehen als ein Baseballschläger entpuppte.
„Hat hinter dem Schuppen gelegen“, rief Franzen und Leni sah ihm die Freude über seinen Erfolg an. „Wenn das nicht das Tatwerkzeug ist.“
„Zeig mal her!“ Peters nahm den Schläger in die Hand und betrachtete ihn von oben bis unten. „Eindeutig die Tatwaffe. Das halbe Gesicht hängt ja noch dran“, sagte er schließlich. „Er ist leichter, als ich mir so ein Ding vorgestellt habe. „Aber es ist tatsächlich die Tatwaffe“, wiederholte er. „Mit etwas Vorstellungsvermögen kann man sich den Abdruck eines Gesichts darauf vorstellen. Die Blutspuren an dem gewölbten Teil werden mit dem Blut des Toten identisch sein.“
Peters sah Lenis zusammengekniffene Augen und winkte ab. „Ja, ja, ich weiß. Pietät. Aber eines möchte ich doch feststellen. Und nun sieh` bitte her, Leni!“
Peters zeigte auf das obere Drittel, den Bereich, der zum Treffen eines Baseballs vorgesehen ist.
„Dem Mann wurde bewusst in das Gesicht geschlagen. Sieh dir sein Gesicht an. Ich wette, da passt dieser Bereich der Waffe genau hinein.“
„Also wurde der Schlag nicht von oben nach unten geführt“, stellte Overbeck fest. „Ist ja auch logisch, sonst wäre der Schädel von oben her zertrümmert. Es sei denn, der Man hat auf dem Bogen gelegen. Wieso schlägt jemand einem Menschen mit einem Baseballschläger ins Gesicht und dann noch auf so eine Art und Weise?“
Overbeck zog sich ein Paar Gummihandschuhe über und griff nach dem Schläger. Er hob ihn mit beiden Händen über den Kopf.
„Er ist leichter, als ich dachte“, sagte er und sah Peters an, der sich sogleich in seiner vorherigen Aussage kopiert sah und seinen Unmut in einen passenden Gesichtsausruck fließen ließ. Doch Overbeck schien nichts davon zu bemerken und fuhr fort: „Muss man ein Mann sein, um einen solchen Schlag auszuführen?“
„Die Antwort kannst du dir gleich selbst geben. Aber nur mit Handschuhen, obwohl ich mir kaum Hoffnungen auf verwertbare Spuren auf dem Holz mache.“
Kurze Zeit später hielt Leni den Schläger in der Hand und schwang ihn mehrere Male zur Seite und abwärts zum Boden und tat so, als schlüge sie auf jemanden ein.“
„Na ja, für eine zierliche Frau wird es problematisch, aber eine sportlich durchtrainierte …“
„Schlägt ihm vielleicht erst das Bein entzwei“, gab Overbeck zu bedenken.
„Um ihn erst einmal kampfunfähig zu machen“, ergänzte Kämmerling. „Sein Opfer sollte wehrlos sein, wenn er die tödlichen Schläge erhielt. Also erfolgten die Schläge ins Gesicht erst, nachdem das Opfer den Schlag auf das Bein erhielt. Ich mache Ihnen die Todesbescheinigung fertig. Wenn Sie mich brauchen. Sie wissen, wo Sie mich finden.“
„Das sieht nach Hass aus“, sagte Peters leise, als Kämmerlein gegangen war und nahm Overbeck den Schläger aus der Hand.
„Helmut, eine Plastiktüte!“, rief er seinem Kollegen zu.
„Oder nach Rache.“ Overbeck zog seine Gummihandschuhe aus, indem er sie langsam vom Gelenk her nach innen kehrte.
„Ein überraschender Racheakt. Ja, so hat es den Anschein.“
„Was ist eigentlich mit den Hausbewohnern, Kollege Gehweiler?“ Overbeck blickte kurz zu dem uniformierten Kollegen hinüber. „Habt ihr sie befragt?“
„Es gibt keine Hausbewohner. Das Haus ist leer, verlassen. Hier wohnt schon längere Zeit niemand mehr. Fenster und Türen sind verschlossen.“
„Ein verlassenes Haus? Wer weiß etwas darüber?“
Franzen kam mit einer blauen Plastiktüte herbeigeeilt und gab sie Peters, der den Baseballschläger darin versenkte.
„Ihr werdet keine voreiligen Schlüsse ziehen, wenn ich euch sage, dass in diesem Haus bereits einmal ein Mord geschehen war?“
Gehweiler sah erst Leni, dann Overbeck und schließlich Peters in Erwartung der unumgänglichen Fragen an.
„Ein Mord? In diesem Haus?“ Leni sah zu dem Toten hinüber. „Und der da? Vermutest du einen Zusammenhang?“
„Ich sagte ja: Ziehe keine voreiligen Schlüsse“, mahnte Gehweiler. „Der Mord, den ich meine … er ist etwa 18 bis 19 Jahre her.“
„Du kannst dich daran erinnern? Was war passiert?“, wollte Leni wissen.
„Ich kann mich deshalb so genau daran erinnern, weil ich kurz vorher meinen Dienst in Hermeskeil angetreten hatte. Ich war vorher in Bad Kreuznach, doch ich stamme aus Geisfeld und wollte einfach in die Nähe meiner Heimat. Meine Frau …“
„Harry! Was war passiert?“
Leni ruderte genervt mit beiden Armen.
„Ja, ja, ist ja schon gut. Also: In diesem Haus wurde eine Familie von vier Männern überfallen. Der Mann wurde erschlagen, die Frau vergewaltigt. Die Täter wurden wenige Tage später gefasst und haben inzwischen ihre Strafen abgesessen.“
„Warum steht das Haus bis heute leer?“
„Es war zwischenzeitlich bewohnt. Aber warum sich die Situation heute derart darstellt, kann ich dir nicht sagen. Lasst euch die Unterlagen kommen, es muss da Berge von Akten geben.“
„Was ist aus der Familie geworden?“
Overbeck hatte Gehweiler schweigend zugehört, doch sein Interesse schien geweckt.
„Ich weiß es nicht. Wie gesagt, seht euch die Akten an, dann habt ihr eine verbindliche Informationsquelle.“
„Das werden wir tun. Vielleicht ergibt sich der eine oder andere Hinweis auf die Tat oder auch auf die Vergangenheit des Toten. Leni, komm, wir fahren in Präsidium. Aus deinem geplanten Feierabend wird heute wohl nichts mehr. Die Leiche kommt in die Leichenhalle des Trierer Brüderkrankenhauses, wegen der Obduktion“, wandte er sich an Gehweiler. „Würdest du dich darum kümmern?“
Gehweiler nickte.
„Und haltet die Neugierigen hier fern. Hat sich inzwischen wohl doch herumgesprochen, dass es hier etwas zu sehen gibt. Ach ja, noch eine Frage: Bei dem Toten wurde die Zeichnung eines fliegenden Adlers gefunden. Kannst du etwas damit anfangen?“
Gehweiler schüttelte den Kopf. „Ein Adler? Fällt mir nichts ein dazu.“