Читать книгу Sammelband "Tatort Hunsrück" Teil 1 - Hannes Wildecker - Страница 21

Kapitel 15

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„Habe ich Sie lange warten lassen? Tut mir leid, aber ich hatte Sie vorgewarnt. Was sind schon zwei Stunden für einen Einkaufsbummel?“

Satorius drehte sich um. Etwa eine halbe Stunde stand er nun vor dem Restaurant am Hunsrück-Steig. Die verstreichende Zeit hatte er kaum wahrgenommen, so sehr war er im Geiste mit den Recherchen zu seinem künftigen Artikel beschäftigt.

„Frau Kollinger.“ Satorius war erstaunt ob der Erscheinung, die ihm gegenüberstand. Als er sie vor rund drei Stunden vor dem seltsamen Lokal ansprach, hatte vor ihm eine ansehnliche, aber mehr oder weniger trist gekleidete junge Frau gestanden. Was seine Augen nun von oben bis unten abtasteten, war das Erscheinungsbild einer jungen Dame, gekleidet in eine enge blaue Jeans mit einer zartblauen gerafften Bluse. Warum sie nun größer wirkte als vorhin, daran waren die beigen High Heels Schuld, die ihre Augen auf die Höhe seiner eigenen brachte.

„Zum Frisör hat es leider nicht mehr gereicht“, lachte Maggie. Ich denke, Sie werden auch so mit mir Vorlieb nehmen. Wollen wir?“

„Die Frisur ist doch toll, ich …“ murmelte er, doch Maggie hatte sich schon umgedreht und er beeilte sich, vor ihr die Gaststätte zu betreten und ihr die Tür aufzuhalten.

„Sie sind also Reporter?“, begann Maggie die Konversation, als der Ober die Vorspeise, einen Sommersalat mit Mozzarella, vor ihnen abgestellt hatte.

„Ich arbeite für den Trierischer Volksfreund, ja.“

„Um diese Zeit ist doch sicher schon Dienstschluss. Aber ich kann mir vorstellen, dass ein guter Reporter Tag und Nacht arbeitet.“

„Da mögen Sie wohl Recht haben. Wissen Sie, wenn Sie erst einmal an einer Sache dran sind, werden Sie von ihr derart in ihren Bann gezogen, dass Sie kaum noch loslassen können.“

„Und solch eine Sache zieht Sie nun in Ihren Bann?“, fragte Maggie interessiert, während sie sich wenig später an dem Hauptgang zu schaffen machte, einem gefüllten Kalbsfilet im Kokosmantel.

„Ja, aber es will mir nicht so recht gelingen, zu den Ursprüngen meiner zukünftigen Geschichte zu gelangen. Es ist eine Geschichte, die schon einige Jahre zurückliegt, verstehen Sie?“

„Über eine Begebenheit aus der Vergangenheit wollen Sie berichten? Meinen Sie, der Leser interessiert sich für so etwas? Also, ich für meinen Teil bin da eher am aktuellen Geschehen interessiert.“

Der Ober brachte den Nachtisch, frischen Obstsalat mit Mascarpone-Creme. Nachdem sie einige Löffel der Köstlichkeit zu sich genommen hatten, antwortete Satorius.

„Wenn der Stoff gut ist, kann man den Leser auch für längst vergangene Dinge erneut erwärmen.“

„Das bedeutet, Sie haben eine Sache ausgegraben, von der Sie überzeugt sind, dass sie die den Leser erneut in ihren Bann ziehen wird. Sie machen mich neugierig. Darf man erfahren, worum es geht, Herr Satorius?“

„Hans bitte.“

„Also gut, Hans. Sagen Sie es mir oder handelt es sich um eine geheime Kommandosache?“ Maggie lachte leise vor sich hin.

„Nein, nein, Frau …“

„Nennen Sie mich Gretel. Wie im Märchen der Gebrüder Grimm. Einfach Gretel. Margarethe klingt mir zu altbacken.

„Gretel!“ Satorius lachte laut und hielt sich die Serviette vor den Mund.

„Was gibt es da zu lachen?“ Maggies Augenbrauen zogen sich zusammen und ihre Augen verengten sich. „Haben Sie etwas auszusetzen an meinem Namen?“

„Nein, nein.“ Satorius lachte immer noch leise vor sich hin. „Aber Gretel und die Gebrüder Grimm und jetzt noch mein Vorname …“

„Hans … Hänsel, ach so.“ Nun musste auch Maggie lachen.

„Das scheint der Beginn einer märchenhaften Bekanntschaft zu werden“, sagte Satorius und faltete seine Serviette zusammen. Nach kurzem Schweigen fuhr er fort.

„Das, woran ich arbeite, ist bei Gott kein Märchen, Gretel. Alptraum wäre der richtige Ausdruck für das, was damals geschah.“

Maggie neigte sich nach vorne und hing an den Lippen Satorius. Sie ahnte, welchen Vorfall er ihr schildern wollte und das Herz klopfte ihr bis zum Hals.

„Nennen Sie mich Meg, Hans. Meine Freunde nennen mich so. Ursprünglich haben sie es als eine Art Abkürzung für Margreth gesehen. Ich glaube aber, dass kaum jemand, der mich Meg nennt, meinen richtigen Namen kennt.“ Sie beugte sich noch etwas weiter nach vorne. „Erzählen Sie mir von diesem … Vorfall? Was ist passiert?“ Sie versuchte gleichgültig zu erscheinen.

Satorius nickte. Irgendwie war er froh, dass er jemanden gefunden hatte, mit dem er über diese Sache sprechen konnte. Möglicherweise konnte er sogar davon profitieren. Irgendwie, dachte er.

„Oben am Waldrand, einige hundert Meter von der Ortsgrenze entfernt geschah es, vor rund 18 Jahren“, begann er. „Ein Mord. Ein brutaler Mord. Der Eigentümer des Hauses wurde erschlagen, seine Frau vergewaltigt. Es sollen vier Täter gewesen sein.“

„Das ist … das ist schlimm.“ Maggie zögerte, denn die Erinnerungen stiegen langsam wieder in ihr hoch. Plötzlich sah sie die Situation ganz deutlich, so, als stünde sie auf der Balustrade des Wohnzimmers. Dann verschwamm alles vor ihren Augen. Nur das Abbild eines Vogels, eines tätowierten Adlers, erfüllte ihren gedanklichen Blick. Sie sah das Gesicht des Mannes nicht. Er war maskiert. Sie sah nur den Adler. Sie sah ihn deutlich vor sich, so sehr hatte sie ihn sich eingeprägt.

„Meg, ist Ihnen nicht gut? Was haben Sie?“ Die Stimme Satorius rief sie in die Gegenwart zurück.

„Ich überlegte nur gerade, wie ein Mensch so etwas tun kann“, sagte sie leise.

„Sie wissen nichts davon? Ihnen ist nicht bekannt, was damals geschah? Sind Sie denn nicht hier zuhause? In Hermeskeil oder in der Region weiß jeder, was damals geschah. Es ging durch alle Zeitungen, bundesweit. Eine grauenvolle Tat.“

„Nein, ich habe nichts davon gewusst“, entgegnete Maggie abwesend. Satorius hatte plötzlich den Eindruck, er säße alleine an diesem Tisch im Restaurant.

„Ich habe lange im Ausland gelebt und bin erst seit einigen Tagen wieder hier“, hörte er die Frau auf der anderen Seite des Tisches sagen. Doch dann schien sie ihre Natürlichkeit wiedergewonnen zu haben.

„Und über diese Sache wollen Sie noch einmal berichten? Jetzt, nach so langer Zeit?“

„Meg ist die amerikanische Abkürzung für Megan“, sagte Satorius, ohne auf ihre Frage einzugehen. Führen sie ihn als Zweitnamen?“

„Nein, ich sagte es doch bereits, mein Bekanntenkreis hat sich diese Abkürzung einfallen lassen. Womit Sie allerdings Recht haben, ist die Tatsache, dass diese Freunde in Übersee leben.“

„Ja, sehen Sie, jetzt wird ein Schuh daraus“, lachte Satorius. Das ist typisch für die Amerikaner. In solchen Dingen greifen sie zur einfachsten Variante.“

„Ja, vielleicht“, antwortete Maggie und hoffte, dass dieses Thema nun erledigt sei. „Warum wollen Sie noch einmal berichten?“, schob sie ihre bereits gestellte Frage nach.

„Unsere Leser interessiert, was mit den Beteiligten von damals geschehen ist. Da war noch eine Tochter, die von Pflegeeltern aufgezogen wurde, da sind die Täter, die ihre Strafe abgesessen haben und sich wieder auf freiem Fuß befinden. Was all diese Menschen heute tun, wie sie leben, wie sie mit der Tat fertiggeworden sind, all das wollen unsere Leser wissen. Doch erst muss ich nach diesen Menschen suchen. Aber, Meg, ich muss Ihnen doch nicht sagen, wie unser Geschäft läuft. Sie sagten, sie seien Journalistin. Also, was halten Sie von der Sache?“

„Was soll ich wohl davon halten?“ Maggie sah Satorius an und ihre Stimmung wandte sich von einem Moment auf den anderen ins Positive. Ihn hatte der Himmel gesandt. Da saß ihr ein Mann gegenüber, der ihr bei ihrer Suche nach Vergeltung helfen würde. Er würde sie zu den Tätern von damals führen. Sie hörte seine Stimme und nickte bereits zustimmend, bevor er zu Ende gesprochen hatte.

„Hätten Sie etwas dagegen, wenn wir uns gemeinsam auf die Suche begeben? Es wäre eine gute Gelegenheit für mich, die Zeit zu überbrücken, bis ich wieder eine Anstellung gefunden habe.“

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