Читать книгу Geschichten aus der Maxvorstadt - Hanns Sedlmayr - Страница 12

In der Veterinärstraße gibt es einen gläsernen Kasten, in dem ein Bild von Sophie Scholl zu sehen ist. Es wurde am Ostbahnhof aufgenommen. Sophie verabschiedet sich von ihrem Bruder und Christoph Probst. Sophie schaut direkt in die Kamera. Sie wird umrahmt von beiden Männern, die im Profil zu sehen sind. Sie weiß nicht, dass sie fotografiert wird. Ihr Gesicht ist noch sehr kindlich.

Es ist ein ernstes, schönes Gesicht mit klaren Linien, umrahmt von einer mädchenhaften Haarmähne. Unvorstellbar, dass sie schon kurze Zeit später geköpft wird.

Der Schmerz über den Abschied von Ihrem Bruder und ihrem Freund ist in ihrem Gesicht zu sehen. Sie hat Angst, die beiden nicht wiederzusehen. Sie ziehen in einen sinnlosen, grausamen Krieg. Es ist ein kindliches, mitfühlendes und selbstloses Gesicht, es ist auch ein Gesicht, das eigensinnig und selbstsicher ist. Ihre spätere Bereitschaft, freiwillig, mit dem Bruder in den Tod zu gehen, ist in ihrem Gesicht zu sehen.

Ich bin zahllose Male an diesem Kasten stehen geblieben und habe das Foto betrachtet. Es berührt mich immer von neuem.