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Marseillaise

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Der Königliche Yachtclub gibt sich die Ehre, zu einem Konzertabend einzuladen. Juan José Muñoz wird auf einem 150 Jahre alten „Bösendorfer“ Flügel spielen. Ein Juwel, dieser „Bösendorfer“, den der Club für viel Geld restaurieren ließ.

Juan José Muñoz, muß man ihn kennen? Würde man ihm auf der Straße begegnen, man würde ihn nicht sonderlich beachten. Klein, stark beleibt, eine Halbglatze mit schwarzem Haarkranz, nun, viele sehen so aus in Spanien, sicher auch anderswo. Aber im Smoking, da oben auf einer Bühne im Rampenlicht, da macht er schon etwas her, der Hans Josef - und wenn er spielt, ja, wenn er erst spielt, dann spürt, nein, dann weiß man, hier ist ein Großer, der bestehen kann neben solchen wie Breda Zakötnik, Perlemuter, Alexis Weissenberg, um nur einige zu nennen, die mir gerade so einfallen und die sicher auch Ihnen seit langem ein Begriff sind.

Beifall empfängt ihn, als er trotz seiner Leibesfülle behende die zwei, drei Stufen auf das Podium hinaufeilt, sich verbeugt, dabei die Arme seitlich etwas abgestellt, wie das stark untersetzte Persönlichkeiten ja so gern tun. Er nimmt Platz, reguliert mit einigen, sicheren Handgriffen die Höhe des Klavierstuhls, reibt sich die Hände, knackt mit den Fingern, hörbar - man merkt ihm die innere Spannung an, die auch den Großen vor einem Auftritt beherrscht. Sekunden der Sammlung, den Kopf gesenkt, dann wirft er ihn zurück, entschlossen, als wolle er sich sagen „ Hans -Josef, was sein muß - muß sein. Jetzt!“ Er beginnt mit dem Spiel, mit dem Zyklus „Bilder einer Ausstellung“. Sie werden ihn kennen, den Zyklus. Von Modest Mussorgsky.

Unser virtuoser Muñoz betritt die Ausstellung, festen Schrittes promeniert er, kraftvoll die ersten Akkorde. Die Finger gleiten über die elfenbeinernen Tasten dieses großartigen Instruments, halten vor dem ersten Bild, weiter dann durchschreitet er in wechselnder Stimmung die Ausstellung, betrachtet das „Alte Kastell“, das düster auf dem Berg liegt, die Landschaft beherrschend. Und dann wieder die dem Hörer vertraute Melodie der Promenade, das Intermezzo, das die einzelnen Bilder, so unterschiedlich sie sind, harmonisch verbindet. Ruhiger dann das Spiel bei einem Rundgang durch die Tuilerien, Muñoz versteht es, die Sonne auf den Parkwegen zu spielen, die Schatten, die unter den Bäumen liegen. Er beugt sich vor, voller Spannung. Was mag das nächste Bild einer Ausstellung zeigen? Seine Hände werden leichter, spielerischer beim Tanz der Küken in der Eierschale. Wieder weiter drängt es unseren Meister, so muß man einen wohl nennen, der es grandios vermag, seine Hörer in Bann zu ziehen, sie die Bilder miterleben läßt. Großzügig läßt er uns teilhaben an seinem Weg auf den Marktplatz von Limoges, wie er das Treiben der Marktleute beobachtet, den Kopf nach links werfend, nach rechts. Wie er das Gesehene seinen Fingern mitteilt, die behend über die Tasten eilen. Dann das Bild, das die Katakomben zeigt. Er betrachtet es, ruhig, nachdenklich sein Spiel, ja fast andächtig, voller Ehrfurcht. Aber er geht weiter, die Promenade führt zum letzten Bild, sie steigert sich zu einem pompösen Finale. Energisch schiebt er den kahlen Kopf, den der schwarzen Haarkranz ziert, nach vorn: Man weiß, er hat das Tor von Kiew erreicht, stürmt hindurch, die Lippen bewegen sich, wollen den gefühlvollen Händen den Takt eingeben, schneller, noch schneller - er treibt die Hörer an, reißt sie mit sich. Einem solchen kann man sich anvertrauen! Ja. Sie spüren es, fühlen es: Hier weiß ein Mann, wo er hinwill, hier muß er durch, ja, durch dieses Tor von Kiew.............

Da! Hinter uns ertönt die Marseillaise, laut, vernehmlich, intoniert von einer Blaskapelle im Handy der Firma Nokia oder Siemens oder so ähnlich. Wir spüren, wie der hinter uns rot wird, wie ein Mensch immer kleiner wird. Alle die, die gerade noch durch das Tor von Kiew marschierten, begreifen die Marseillaise jetzt als Signal, die Marsch- bzw. die Blickrichtung zu ändern. Der Unglückliche hinter uns nestelt an seinem Gerät, findet in der dämmernden Dunkelheit des Konzertsaals den richtigen Knopf nicht, flüstert in seiner Verzweiflung mit dem Konzertunterbrecher, wodurch alles noch schlimmer wird.

Was hätten Sie wohl an seiner Stelle getan? Wenn Sie mich fragen würden: Ich hätte mich leise im Schutz der Dunkelheit zurückgezogen, hätte auf das Passieren des Tors von Kiew verzichtet, wohl wissend, daß ich eine Sternstunde versäume. Sie doch sicher auch?

Der aber nicht. Er blieb.

Aber hier, jetzt, zeigt sich die wahre Größe unseres Pianisten. Unverwandt geht er weiter, läßt sich durch keine Hymne, und sei sie noch so französisch, aus der Fassung bringen, läßt sich nicht beirren, sicher, ohne Notenblätter passiert er das Tor von Kiew. Auswendig kennt er seinen Weg. Die Arme hochgeworfen, gestreckt, dann, alle Kraft aufbietend, die Schlußakkorde. Die begnadeten Hände verhalten über den „Bösendorfer“-Tasten, ehe sie ganz langsam herabsinken - ganz langsam, voller Andacht. Stille. Beifall, nicht enden wollend. Juan José Muñoz erhebt sich, tritt vor, dankt dem begeisterten Publikum mit einer langen, artigen Verbeugung und einer Zugabe. Es war nicht die Marseillaise.

Was einem so auffällt

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