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Pinökelchen

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Sagen Sie mal ehrlich. Das ist Ihnen doch auch schon passiert. Sie gehen gedankenverloren, oder auch gedankenvoll durch Ihre Wohnung und finden auf dem Teppich oder in einer Ecke ein von jedem Staubsauger mißachtetes winziges Schräubchen oder eine kleine Lochscheibe, ein Stück gebogenen Drahtes. Es kann auch eine klitzekleines, irrwitzig gekrümmtes Teilchen aus Plastik, aus Metall oder Holz sein, kurzum ein Gegenständchen undefinierbarer Herkunft. Meine liebe Frau nennt so etwas ein Pinökelchen. Sie hat es von ihrer Mutter. Und ich habe diesen ungemein treffenden Ausdruck nur zu gern von beiden übernommen.

So steht man nun da und dreht und wendet dieses Pinökelchen hin und her und fragt sich, wo es wohl fehlen, wozu es wohl bestimmt sein mag. Wo in der Wohnung ist der Gegenstand, zu dessen Funktionstüchtigkeit das Pinökelchen gehört? Eines ist sicher: Wäre es nicht wichtig, hätte man es nicht erfunden. Sie schauen sich um und um – und legen es schließlich mit einem unguten Gefühl fort, oder besser beiseite. Nachdem wir nicht mehr rauchen, bietet sich für uns als Aufbewahrungsort ein großer, dekorativer, von Künstlerhand geschaffener Aschenbecher an. Sie nehmen dazu vielleicht die Silberschale, auf die man früher die Visitenkarten ablegte.

Eines Tages, irgendwann, stellen Sie fest, da wackelt etwas. Nehmen wir z.B. die Kaffeemaschine. Der Mechanismus, der den Kaffeefilter unter den Wasserbehälter schwenkt, funktioniert nicht so wie er sollte. Ein winziger Plastikring fehlt. Ist weg, nicht mehr da. „Ich habe es doch gesagt, daß da etwas nicht in Ordnung ist. Könnte das die Ringhälfte von neulich sein?“ Im Aschenbecher ist nur eine Hälfte. Aber sie nutzt nichts, wenn es die andere Hälfte nicht mehr gibt. Und wo ist die? „Du mußt es doch noch wissen, überleg doch mal ...., du hast doch....“ - na Sie kennen ja derartige häusliche Diskussionen. „Nein, ich weiß es nicht und ich habe auch nicht und überhaupt .....“ Und unsere gute Encarna, die Fleischgewordene, für Putzarbeiten zuständig, die weiß es natürlich auch nicht. Ärgerlich.

Zum Glück gibt es in der noch schönsten Stadt am Mittelmeer eine Firma, die sich auf das Reparieren von Kaffeemaschinen spezialisiert hat. Wir finden sie, nur keinen Parkplatz. Fahren zweimal um den Block, halten im Schatten eines Müllcontainers, stellen, wie hier in solchen Fällen üblich, die Warnblinkanlage an und gehen die paar hundert Meter zu Fuß. Bringen unser Begehr vor. Gut, daß wir wenigstens die spanische, wenn schon nicht die mallorquinische Sprache rudimentär beherrschen. Unerläßlich bei solchen Unternehmungen. Ein bebilderter Katalog wird uns vorgelegt. Wir sind zutiefst beeindruckt von der Vielzahl an Einzelteilen und Gegenständchen, aus denen solch eine Kaffeemaschine besteht und hoffen, den richtigen Ring gefunden zu haben. Wer ihn aber in seinem Kaffeemaschinenersatzteillagerregal nicht findet ist der Ladeninhaber. Er will ihn bestellen und uns anrufen. Das tut er auch, zuverlässig wie Mallorquiner sind. Nach vierzehn Tagen.

Wir wiederholen unsern Anlauf, parken an dem uns vertrauten Müllcontainer, stellen die Warnblinkanlage an, laufen die paar hundert Meter und wagen es kaum zu glauben: Es ist der richtige Ring. Für sage und schreibe nur 75 centimos. Wir freuen uns. Nicht nur über den niedrigen Preis. Nein, wir freuen uns, daß es uns in der 350.000 Einwohner zählenden noch schönsten Stadt am Mittelmeer gelungen ist, den richtigen Kaffeemaschinenring, den mit einem Durchmesser von 18 mm, zu finden. Und der Kaffee schmeckt wieder.

Übrigens: Die andere Ringhälfte haben wir gefunden. Rein zufällig. Sie lag in dem Döschen, in dem andere Pinökelchen, die bei handwerklichen Arbeiten so anfallen, aufbewahrt und gehütet werden.

Oder nehmen wir die Sockelschublade in der Küche. Warum zum Teufel, sagen wir uns, läßt die sich nicht wie sonst reibungslos herausziehen? Ist doch ganz klar: Weil sich eine Mutter gelöst hat! Eine, die die Radschraube hält. Und wo ist diese Mutter? Die im Aschenbecher ist es nicht. Sie ist nicht die richtige. Die im Döschen auch nicht. Und wieder können wir von Glück sagen, daß es die Ferreteria gibt, diesen Laden, in dem man alles kaufen kann: Vom schlichten Nagel und komplizierten Haustürschloß, vom Rostlöser und Wäscheklammern stückweise bis zur Haushaltsleiter, eben alles. Auch die passende Mutter. Kostet ja nicht viel. Ist auch nur ein kleiner Fußweg von 15 Minuten, einfache Strecke.

Übrigens: Die verloren geglaubte Mutter haben wir gefunden. In der Schublade, in einer dunklen Ecke. Jetzt liegt sie mit anderen Pinökelchen im Aschenbecher.

Oder denken wir an den schönen Kugelschreiber, der zu dem Notizblock am Telefon gehört. Er steckt in einer silberfarbenen Metallhülse, die mit einer winzigen Schraube an der Blockunterlage befestigt ist. Diese winzige Schraube, eben das Pinökelchen, ist weg, nicht mehr da. Ohne sie hat die Hülse ihren Halt und damit ihren Zweck verloren. Schade, aber man muß sich auch mal von etwas trennen können. Wir tun das schweren Herzens, nicht ohne dabei an die lieben Freunde zu denken, die uns dieses praktische Set eines Tages schenkten.

Übrigens: 14 Tage später haben wir das Hülsenpinökelchen gefunden. Vergraben im Flor des Teppichfußbodens. Wir haben beschlossen, uns nicht von ihm zu trennen. Man weiß ja nicht, vielleicht läßt es sich in anderen Notfällen verwenden. Es liegt nun auch im Aschenbecher, zusammen mit einer Metallscheibe, Durchmesser 1cm, einem Plastikröhrchen, weiß, 15mm lang und einem Innendurchmesser von 2mm, einem Ansteckknopf mit Patentverschluß, einem Gummiband, einem Hemdenknopf, einer aus einem Weißblech herausgestanzten Zahl 2000, wohl noch ein Überbleibsel vom Jahrtausendwechsel und einer Mutter - na ja, Sie können es sich denken, die von der Sockelschublade.


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