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Versuch zum „objektiv“ Guten

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Bisher haben wir eher von subjektiven Theorien gesprochen, den Wünschen, Zielen und Bedürfnissen, die eine einzelne Person in sich trägt und mit deren zumindest teilweiser Erfüllung sie gerne ein an und für sich gutes Leben basteln würde. Legen wir aber die Betonung auf an und für sich, also auf das, was die deutsche Sprache unter „im Allgemeinen“ versteht, wird es deutlich schwieriger mit der Definition des guten Lebens. Und man kann es drehen und wenden, wie man will, der Mensch wird immer auch auf der Suche nach etwas Allgemeingültigen sein. Ob das dann wissenschaftlich fundiert ist, ist ihm eher egal. Es sollte also doch etwas sein, worunter viele Menschen ein gutes Leben verstehen könnten – unabhängig von den individuellen Lebenszielen des Einzelnen. Etwas „objektiv“ Gutes und Wertvolles. Hier landen wir sehr rasch bei Charles Taylor. Der 1931 in Montreal geborene Politikwissenschaftler und Philosoph sieht die Wurzeln für die Ratlosigkeit der Moderne ebenfalls in der späteren Neuzeit, als den Menschen schrittweise die „umfassende Ordnung“ abhandengekommen ist. Taylor spricht von einer kosmischen Ordnung und einer Kette der Wesen. Wir haben diese Kette bereits erwähnt: Gott, Kirche, Hierarchien – und viel mehr ist da nicht. Der Verlust dieser Ordnung leite eine Verengung des Lebens ein, so Taylor weiter. Eine Reduzierung vom großen Ganzen auf das Ich. Dass Menschen das Private zugunsten einer beruflichen Karriere opfern, ist nicht neu, dass aber heute viele meinen, sie müssten mit ihrem Leben so verfahren, weil es sonst ein vergeudetes wäre, stimmt schon längere Zeit nachdenklich.

Laut Taylor lande der Mensch so beim „Ideal der Authentizität“. Ideal ist ironisch gemeint, wenn der kanadische Philosoph gleichzeitig darauf hinweist, wozu dieses ausschließliche Hören auf die eigene innere (Vernunft-)Stimme führe. Denn, wenn jeder seine eigene Wahrheit in sich spürt, degradiert er damit alle anderen zu Instrumenten für sein eigenes Wohlbefinden, also für sein eigenes gutes, aber für andere gar nicht so gutes Leben. Es entsteht eine Welt von Einzelkämpfern oder eine fragmentierte Gesellschaft.

Da liegt die Vermutung nahe, dass die gesamte Gesellschaft, jede Vereinigung, ja jede politische Partei für diesen Einzelkämpfer, diese Einzelkämpferin instrumentalisiert wird. Wie kann dann aber ein gemeinsamer Zweck einer Gesellschaft definiert werden?

Für Taylor ist das nur dann möglich, wenn diese Selbstverwirklichung, nennen wir sie hier eine Selbstverwirklichung ohne Rücksicht auf (andere) Verluste, von einem Gefühl für das wirklich Wichtige begleitet wird. Es sollte also bei jeder individuellen Entscheidung etwas mitschwingen, von dem man spürt, dass es eine gewisse allgemeine Bedeutung hat. Oder noch präziser formuliert: Man sollte in der Lage sein, genau das herauszufinden, was einem in ganz bestimmten Punkten von anderen unterscheidet, warum es einem wichtig und warum dieses Unterschied machen zu anderen grundsätzlich bedeutend ist.

„Anders formuliert, die eigene Identität kann ich nur vor dem Hintergrund von Dingen definieren, auf die es ankommt. Wollte ich jedoch die Geschichte, die Natur, die Gesellschaft, die Forderungen der Solidarität und überhaupt alles ausklammern, was ich nicht in meinem eigenen Inneren vorfinde, so würde ich alles ausschließen, worauf es möglicherweise ankommen könnte. Nur wenn ich in einer Welt lebe, in der die Geschichte, die Forderungen der Natur, die Bedürfnisse meiner Mitmenschen, die Pflichten des Staatsbürgers, der Ruf Gottes oder sonst etwas von ähnlichem Rang eine ausschlaggebende Rolle spielt, kann ich die eigene Identität in einer Weise definieren, die nicht trivial ist.“19

Aber was sind nun objektive „Güter“, die – sollte man sie zur Verfügung haben – zu einem guten Leben führen?

Selbstverständlich sind darunter auch

materielle Güter

zu verstehen. Es stimmt nicht, dass bestimmte Dinge, so man sie sich schon länger wünscht und irgendwann hat, nicht glücklich machen. Sie schaffen das manchmal sehr wohl, zumindest für eine gewisse Zeit. Dann muss wieder etwas Neues her. Doch davon, warum welche Dinge glücklich machen, allerdings nicht für immer und überhaupt zur Frage, was ist Glück und was führt dorthin, etwas später im Kapitel Glück.

Weiters führen

anthropologische Güter,

so man sie hat, ziemlich sicher zu einem besseren Leben. Darunter sind etwa spezielle Fähigkeiten und Eigenschaften zu verstehen, die man hat oder gerne besitzen würde, um bestimmte menschliche Grundbedürfnisse stillen zu können. Abraham Maslow hat auf vereinfachende Weise in seiner Bedürfnispyramide versucht, diese menschlichen Bedürfnisse zu beschreiben. Seine Hierarchie der Bedürfnisse basiert auf vielen Experimenten und bestimmten klinischen Befunden bei physisch Kranken.


Abraham H. Maslow. „Motivation and Personality“, 1954

Auch

konstitutive Güter20

sind Bestandteile eines guten Lebens:

• Gesundheit und Schmerzfreiheit,

• die Fähigkeit, Fantasie und Denkvermögen zu gebrauchen,

• die Fähigkeit zur sozialen Integration,

• Arbeit und politische Mitbeteiligung,

• Spiel und Erholung,

• die Fähigkeit zur Freiheit der Selbstbestimmung.

Und schließlich wollen wir noch auf die vierten „objektiven“ Güter eingehen, die zumindest jene gerne in sich tragen würden, für die der Weg des guten Lebens mit Schwärmerei, Verträumtheit, Fantasie, Idealen, Feingefühl und Feinsinnigkeit, Zartbesaitung und einer gehörigen Portion Realitätsferne gepflastert ist:

die romantischen Güter.

Aufgekommen vor 300 Jahren mit dem 1712 in der Schweiz geborenen Philosophen und Pädagogen Jean-Jacques Rousseau, zeigt sich dieses gefühlsbetonte Handeln letztlich bis heute als ein möglicher Weg, um ein gutes Leben zu führen. Die Gefühle und nicht die Vernunft führten zu Sinnstiftung, lehrte Rousseau, und dieser sinnstiftende Wert rage über den einzelnen Menschen hinaus. Gemeint sind das Schöne, die Kunst, die Erkenntnis, das Humane an sich – und natürlich auch das weit über Gefühle und Einzelinteressen des Menschen Hinausragende: die Religion, das Soziale und die Liebe.

Auch Menschen, die ihr Leben für eine gerechtere Welt aufs Spiel setzen, Menschen, für die die Vernunft nie Endzweck, sondern maximal Mittel zum Erreichen eines wirklich großen Gefühls ist, gehen den romantischen Weg. So gesehen, ist dieser romantische Weg auch klar abgrenzbar von seinem hedonistischen Bruder. Die Sinnstiftung ragt weit über das einzelne Ich hinaus.

Soweit also zur Theorie, den subjektiven und objektiven Varianten für ein gutes Leben aus Sicht der Philosophie. In der knappest möglichen Form.

Jedenfalls scheinen diese verschiedenen Wege zum guten Leben kulturell tiefer verankert zu sein, als manchen heute noch lieb ist. Das Denken der Eltern, Großeltern, Ur- und Ur-Ur-Generationen so einfach abzulegen, gelingt wenigen, viele wollen es auch gar nicht. Und so landen doch einige von uns in einem der kulturell vorgesehenen Lebenswege. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Aufsatz des Salzburger Philosophen Michael Zichy, der für jeden Menschentypen auch die passenden „Anweisungen“ der Alten gefunden hat: von „Sei vernünftig!“ (der rationale Typus) über „Carpe diem!“ (der Hedonist) bis zu „Folge deinem Herzen!“ (der romantische Typ).21 Imperative, die für jeden von uns „nach wie vor zu spüren seien“. Das „Du lernst nicht für mich, sondern fürs Leben!“ meiner mich schultechnisch dominierend aufziehenden Großmutter hallt bis heute nach (rationalistischer Ansatz). Auch das von Oma stets an Sonntagen gepredigte: Heute früher schlafen gehen, denn „morgen beginnt wieder der Ernst des Lebens“. Oder das „Eine ordentliche Tanzschule ist für einen 16-Jährigen mindestens so wichtig wie gute Noten!“ meines Vaters (hedonistisch). Mit dem Imperativ „Nie lügen und immer deine Gefühle zeigen!“ (romantisch) meiner hochgeschätzten Mama wollen wir die Theorie belegende Praxisbeispiele fürs Erste aber auch schon wieder abschließen.

Gegen Ende des letzten Jahrtausends schien die Sache klar. Ein gutes Leben können alle führen, die das Glück gefunden haben. Also alle, die die Frage: „Sind Sie glücklich? / Bist du glücklich?“ mehr oder weniger verzögerungsfrei mit „Ja“ beantworten können.

Was lag also näher als der Schluss, wenn jede Einzelne, jeder Einzelne glücklich ist, dann wird wohl auch eine gesamte Nation, eine Volkswirtschaft, glücklich sein? Und so explodierte die Zahl der Glücksforscher – sowohl in der Populärpsychologie als auch in der Ökonomie. Zum einen sollte das Individuum in Glücksratgebern erlernen können, wie es rundum glücklich werden könnte, in „Fachkursen“ diverser Glücksexperten wurde man Sorgen und Geld los, das Geschäft florierte. Zum anderen traten mit zeitlichem Abstand die Ökonomen auf den Plan. Glücksforscher, wohin das wissenschaftliche Auge auch blickte. Bruttonationalglück statt Bruttonationalprodukt.

Das Königreich Bhutan in Südasien ist weltweit nach wie vor das einzige Land auf Erden, das den Wohlstand, den sein Volk genießen darf, mittels Bruttonationalglück (BNG) misst. Bald dreihundert Jahre (seit 1729) heißt es dort sinngemäß in der Verfassung: Schafft eine Regierung für sein Volk kein Glück, dann hat diese auch keine Existenzberechtigung.

Wohlstand statt Wachstum – und das vor knapp drei Jahrhunderten.

Der einzige Haken: Was Glück erzeugt, bestimmt der Staat. Politik und Wirtschaft sollen drei Ziele erreichen:

• eine sozial gerechte Gesellschaft,

• Kultur und Religion müssen bewahrt und gefördert werden,

• Umweltschutz und Nachhaltigkeit.

Die Regeln macht der Staat – allerdings, und darauf ist man recht stolz: basierend auf alle fünf Jahre durchzuführenden Umfragen mittels Fragebogen, in denen den Bürgern von Bhutan entlockt werden soll, was sie denn nun wirklich glücklich mache.

Womit wir uns im Kreis gedreht haben. Was, wenn der Einzelne nicht genau weiß, was ihn glücklich macht? Und auch wenn er es für sich ganz allein und vielleicht für seine Familie weiß, was, wenn diese Vorstellungen schon denen widersprechen, die der Straßennachbar gegenüber hat? Oder noch schlimmer, wenn jene Maßnahme, die das Glück des einen steigert, der andere als Nachteil, also als Glücksschrumpfung bilanziert?

Wenn das gute Leben Glück bedeuten würde, dann müsste es also allgemeingültige Regeln geben, die alle glücklich machen.

Womit wir neuerlich bei der Grundfrage angelangt sind: Finden wir allgemeingültige Regeln für ein gutes Leben, und wenn ja, sind sie über Glückszustände definierbar?

Dazu müssen wir uns an einen Definitionsversuch herantasten.

Selbstverständlich ist nichts mehr

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