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8.Vom Rechtsstaat zum Richterstaat?
Оглавление20Die Bundesrepublik Deutschland hat, trotz mehrerer vergeblicher Anläufe und einer ganzen Reihe von Entwürfen, bis heute kein Arbeitsgesetzbuch, nicht einmal ein Arbeitsvertragsgesetz (MünchArbR/Fischinger, § 5 Rdnr. 1 ff.; vgl. aber den Diskussionsentwurf eines Arbeitsvertragsgesetzes, Henssler/Preis, NZA 2007, Beil. zu Heft 21 sowie Rdnr. 123). Die Gesetzgebung begnügt sich mit kurzatmig konzipierten, oft nachlässig formulierten und kurzfristig novellierten Einzelgesetzen. Das gilt auch für den in das BGB eingefügten § 611a, der – etwa mit Blick auf die Bedeutung der Eingliederung des Beschäftigten in den Betrieb – mehr Fragen aufwirft als er beantwortet.
21Die Scheu oder Funktionsunfähigkeit der Gesetzgebung gegenüber einer arbeitsrechtlichen Gesamtkodifikation und die daraus sich ergebenden Lücken führten zwangsläufig (wegen des Rechtsverweigerungsverbotes) zu einem Übergang umfassender Normsetzungsaufgaben auf die Arbeitsgerichtsbarkeit. Das geltende deutsche Arbeitsrecht ist bis heute trotz vieler ausufernder Detailregelungen zu einem wesentlichen Teil Richterrecht, wie Franz Gamillscheg es bereits in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts festgestellt hat: „Das Richterrecht ist unser Schicksal!“ (AcP 164 (1964), 385 ff.).
22Angesichts dieser Tatsache führt die lapidare Feststellung der h. M., Richterrecht sei keine Rechtsquelle, es habe „nur faktische, keine rechtliche Bindungswirkung“ (MünchArbR/Fischinger, § 6 Rdnr. 32 f.; Picker, JZ 1988, 1 ff., 69 ff.), zu Fehlvorstellungen (näher Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 11. Aufl. 2020, Rdnr. 235–258). Wer das geltende deutsche Arbeitsrecht sucht, wird es vielfach nur als Richterrecht finden. Die Bindungswirkung der Entscheidungen letzter Instanz für die Untergerichte ist prozessrechtlich im Ergebnis stärker gewährleistet als die Gesetzesbindung. Rechtsfragen, zumal solche der Normsetzungskompetenz, sind immer auch Machtfragen. Seit langem sind wichtige Teile der arbeitsrechtlichen Normsetzung vom Parlament durch Untätigkeit an das BAG delegiert worden, wie insbesondere beim Streikrecht sehr deutlich wird.