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II.Einschränkung der Vertragsfreiheit durch den Staat
Оглавление23Das Arbeitsrecht hält am Grundsatz der Vertragsfreiheit fest (vgl. § 105 Satz 1 GewO). Wegen der besonderen Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer wird die Vertragsfreiheit aber vom Staat durch nicht abdingbare Gesetze eingeschränkt.
a) Vertragsfreiheit bedeutet zunächst Abschlussfreiheit. Danach ist jeder frei darin, ob und mit wem er einen Vertrag schließt. Das kann dazu führen, dass bestimmte Personengruppen nur schwer einen Arbeitsplatz finden. Dem wirken gesetzliche Vorschriften entgegen.
So darf der Arbeitgeber einen Bewerber bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses z. B. nicht wegen seines Geschlechts benachteiligen (§§ 7, 1 AGG). Das SGB IX sieht vor, dass private und öffentliche Arbeitgeber (mit mindestens 20 Arbeitsplätzen) gegenüber dem Staat verpflichtet sind, auf wenigstens 5 % der Arbeitsplätze Schwerbehinderte zu beschäftigen (vgl. §§ 71 ff. SGB IX).
24b) Vertragsfreiheit bedeutet auch die Freiheit der inhaltlichen Gestaltung des Vertrags. Beide Parteien sind in der Lage, den Inhalt des Vertrags frei zu bestimmen. Das kann – insbesondere bei einem Überangebot von Arbeitskräften – zu Arbeitsbedingungen führen, die weder dem Entgeltschutz noch dem Gesundheitsschutz oder dem Kündigungsschutz des Arbeitnehmers Rechnung tragen. Das soll durch zwingende gesetzliche Bestimmungen verhindert werden.
25(1) Entgeltschutz:Lange Zeit kannte das deutsche Arbeitsrecht keinen Entgeltschutz im Sinne eines staatlichen Mindestlohnes. Vorübergehend sollte er durch das mit Gesetz v. 22.4.2009 reaktivierte Mindestarbeitsbedingungengesetz (MiArbG) gesichert werden, da die Bundesregierung durch Rechtsverordnung in bestimmten Wirtschaftszweigen, in denen die Tarifbindung nur schwach ausgeprägt war, Mindestentgelte festsetzen konnte. Praktische Bedeutung hat das MiArbG indes nicht erlangt. Mit Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes (MiLoG) am 16.8.2014 hat sich die Rechtslage grundlegend geändert: Nunmehr hat jeder Arbeitnehmer Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns durch den Arbeitgeber (vgl. § 1 Abs. 1 MiLoG). Dieser beträgt seit 1.1.2020 brutto 9,35 Euro je Zeitstunde (näher Rdnr. 313). Daneben tritt eine Vielzahl branchenspezifischer Mindestlöhne, die aufgrund von nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) erlassenen Rechtsverordnungen für alle Arbeitgeber verbindlich sind. Bei Arbeitsausfall etwa durch Krankheit behält der Arbeitnehmer kraft zwingenden Gesetzes (vgl. EFZG; Rdnr. 433 ff.) unter bestimmten Voraussetzungen seinen Entgeltanspruch.
26(2) Gesundheitsschutz:Ihm dienen z. B. die gesetzlich festgelegte Höchstarbeitszeit (vgl. etwa § 3 ArbZG), der gesetzliche Anspruch auf Erholungsurlaub (BUrlG), die Bestimmungen zum Schutze der arbeitenden Jugend (JArbSchG), die Vorschriften zum Schutze der erwerbstätigen Mutter (MuSchG; Rdnr. 466 ff.), die Pflicht des Arbeitgebers zur Krankenfürsorge bei Aufnahme des Arbeitnehmers in die häusliche Gemeinschaft (§ 617 BGB) und zu Schutzmaßnahmen (ArbSchG, § 618 BGB, § 62 HGB) sowie zahlreiche Unfallverhütungsvorschriften. Der Regeneration der Arbeitskraft dient der bezahlte Erholungsurlaub, auf den nach dem Bundesurlaubsgesetz jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr einen Anspruch hat (Rdnr. 471 ff.).
27(3) Kündigungsschutz:Weil der Arbeitsplatz regelmäßig die einzige Erwerbsquelle des Arbeitnehmers ist, soll er durch das Kündigungsschutzgesetz (Rdnr. 541 ff.) besonders gesichert werden. Danach kann das Arbeitsverhältnis, das länger als sechs Monate bestanden hat, vom Arbeitgeber in Betrieben mit mehr als zehn Arbeitnehmern nur unter besonderen Umständen wirksam gekündigt werden (§§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 Satz 2, 3 KSchG). Deutschland zählt damit weltweit zu den Ländern mit dem am stärksten ausgeprägten Kündigungsschutz.
28c) Der arbeitsrechtliche Sozialschutz hat ökonomische Funktionsgrenzen. Die unlösbare Verknüpfung des Arbeitsrechts mit der Wirtschaftsordnung kann gegenläufige Wirkungen entfalten. Das gilt vor allem dort, wo die Vertragsfreiheit der Arbeitgeberseite unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten gibt, etwa zwischen der Schaffung neuer Arbeitsplätze oder der Investition in anderen Bereichen (Automation, Auslandsproduktion, Verzicht auf erhöhten Umsatz). Schon Friedrich Engels hat darauf hingewiesen, dass die Gesetze der ökonomischen Organisation der Gesellschaft mächtiger sind als alle juristischen Gesetze (Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 19, 1962, S. 251). Wer das nicht beachtet, mag Wunschvorstellungen idealen Arbeitsrechtsschutzes rechtlich normieren, bewirkt aber evtl. das Gegenteil des Gewollten, wie z. B. negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Der Arbeitsrechtsschutz muss, wenn er wirksam werden soll, diese Doppelwirkung beachten. Normativer Sozialschutz verursacht dort, wo er von ökonomischen Gesetzmäßigkeiten durchkreuzt wird, bisweilen mehr Schaden als Nutzen.
29d) Die richterliche Inhaltskontrolle i. S. einer Billigkeitskontrolle ist im Arbeitsrecht seit jeher ein wichtiges Instrument zum Ausgleich unterschiedlicher struktureller Machtpositionen der Arbeitsvertragsparteien. Die Arbeitsgerichtsbarkeit hat im Verlauf der Entwicklung des Arbeitsrechts zunehmend für sich die Befugnis in Anspruch genommen, Einzelvertragsklauseln, arbeitsvertragliche Einheitsregelungen, aber auch Betriebsvereinbarungen darauf zu überprüfen, ob ihr Inhalt in schwerwiegender Weise gegen Gerechtigkeitsgrundsätze verstößt (BAG AP Nr. 8 zu § 242 BGB Ruhegehalt – Unverfallbarkeit; NZA 1994, 937). Als Rechtsgrundlage diente lange Zeit in erster Linie § 315 BGB. Seit im Zuge der Schuldrechtsreform die früher für das Arbeitsvertragsrecht geltende Bereichsausnahme vom AGB-Recht aufgehoben wurde (§ 310 Abs. 4 BGB), sind die Möglichkeiten der Inhaltskontrolle von Vertragsklauseln massiv ausgeweitet worden. Seither unterliegen nahezu alle Arbeitsverträge (Ausnahme: Arbeitsverträge mit Führungskräften), weil vom Arbeitgeber vorformuliert, der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle nach den §§ 305 ff. BGB (Rdnr. 205 ff.). Obwohl arbeitsrechtliche Besonderheiten (§ 310 Abs. 4 Satz 2 BGB) zu berücksichtigen sind, hat die Rechtsprechung seither eine Vielzahl früher als unbedenklich angesehene Vertragsklauseln beanstandet.