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9. Der endgültige Begriff der Monade

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Damit stehen wir nun vor der Aufgabe, in einer endgültigen Bestimmung des Monadenbegriffs die ontologische Konzeption der Leibnizschen Philosophie zusammenzufassen und so den Boden freizulegen, auf dem ein systematischer Aufbau seiner Gedankenwelt möglich ist.

In der Dialektik von Substanz und Struktur erweist sich die Monade als ein entelechial Seiendes, das in übergreifende Strukturen eingelassen und selbst strukturtragend ist; strukturtragend, insofern die Monade durch die repraesentatio mundi bestimmt wird, in Strukturen eingelassen, insofern sie Teil der universellen Harmonie ist. Es ist dabei einsichtig, daß für die Welt als Ganzes, als monas monadum, die repraesentatio mundi und die universelle Harmonie zusammenfallen, während ihr Verhältnis für die Einzelmonade durch die Perspektivität individuellen Verzerrungen ausgesetzt ist. Dennoch sind auch diese Verzerrungen so angelegt, daß sie im Ganzen wieder der Optimalforderung der Harmonie aller Teile entsprechen.

Die Substanz-Struktur-Dialektik ist in der Explikation der Bestimmungselemente der Monade deutlich geworden. Perceptio und appetitus, repraesentatio mundi und universelle Harmonie, Perspektivität und Fensterlosigkeit erweisen sich als Momente einer übergreifenden Struktur. Dabei zeigt sich, daß die Struktur ein übergreifendes Allgemeines darstellt, insofern sie als oberste, nämlich als monas monadum, als Einheit der Welt Struktur und Substanz in einem ist, jedoch zugleich Einzelsubstanzen unter sich als Besondere umgreift (fensterlose Monaden) und diese vom Ganzen, also von sich selbst her, bestimmt (repraesentatio mundi) und individuiert (Perspektivität). Jede Substanz ist Teil einer umfassenden Einheit und Einheit an sich. Als Einheit ist sie wirkend, als Glied bewirkt. Sie kann als Einheit jedoch nur wirken, weil sie als Glied vom Ganzen getragen wird (hier bilden sich die Hegelschen Kategorien der Totalität und der Vermitteltheit des Einzelnen vor): Sie kann als Glied nur bewirkt sein, weil sie als Einheit das Ganze in sich darzustellen vermag. Es gibt keinen Mechanismus, sondern nur eine Dialektik des Seienden. Sie entfaltet sich, weil die Einzelnen in einem Strukturzusammenhang miteinander verflochten und ihrerseits durch den Strukturzusammenhang bestimmt sind, der ihnen ganzheitliche Tendenz gibt; so stehen sie nicht vereinzelt und beziehungslos nebeneinander. „Da nun aber die Vielheit ihre Realität nur von wahren Einheiten haben kann, die anderswoher kommen und etwas ganz anderes sind als die mathematischen Punkte, die nur die äußersten Stellen des Ausgedehnten und Modifikationen sind und von denen feststeht, daß das Kontinuum aus ihnen nicht zusammengesetzt sein kann – so war ich gezwungen, um diese wirklichen Einheiten zu finden, auf einen wirklichen und sozusagen beseelten Punkt zurückzugehen, das heißt auf ein substantielles Atom, das irgend etwas Formales oder Aktives einschließen muß, um ein vollständiges Seiendes zu bilden. Man mußte so die heute so verrufenen substantiellen Formen in Erinnerung rufen und gleichsam rehabilitieren, wenngleich auf eine Weise, die sie verständlich machte, und den Gebrauch, den man von ihnen machen darf, von dem Mißbrauch trennte, den man mit ihnen getrieben hat. So fand ich, daß ihre Natur in der Kraft besteht und daß sich daraus etwas der Empfindung und dem Begehren Analoges ergibt und daß man sie also entsprechend dem Begriff verstehen muß, den wir von den Seelen haben. Wie aber die Seele nicht dazu gebraucht werden darf, um über die Einzelheiten des tierischen Körperhaushaltes Rechenschaft abzulegen, so urteilte ich gleicherweise, daß man diese Formen nicht dazu verwenden darf, um die besonderen Probleme der Natur zu erklären, obwohl sie notwendig sind, um die wahren allgemeinen Prinzipien aufzustellen. Aristoteles nennt sie die ersten Entelechien, und ich nenne sie vielleicht verständlicher ursprüngliche Kräfte, die nicht nur die Wirklichkeit (den Akt) oder die Ergänzung der Möglichkeit, sondern auch eine ursprüngliche Wirksamkeit (Aktivität) enthalten.“ (Neues System der Natur, cap. 3, KS, S. 205/207)

Der Rückgang auf die substantiellen Formen und ihre Gleichsetzung mit den aristotelischen Entelechien verweist auf den Strukturcharakter der Monade (ebenso wie der Seele – als Monade von komplexerem Aufbau), der gerade an der eben zitierten Stelle – wo Leibniz sich gegen eine idealistische Theorie abgrenzt – besonders deutlich herausgestellt wird. Das substantielle, materiehafte Substrat zu der entelechialen Struktur ist der eigentliche Grund und Träger des Einzelnen wie des Weltprozesses im Ganzen. Immer wieder betont Leibniz, daß es keine Form ohne Materie, keine Seele ohne zugehörigen Körper gebe, daß „reine“, losgelöste Formen oder Seelen an sich ohne Körper ein metaphysisches Hirngespinst seien. Die Rede von Formen und Strukturen hat ja nur einen Sinn, wenn sie Formen und Strukturen von etwas sind; dieses „von“ wohnt ihnen wesenhaft ein und verweist auf ein materielles Substrat. Gerade diesen materiellen Aspekt der Monade, ihr materielles Substanz-Sein, wurde jedoch von der traditionellen Leibniz-Interpretation gegenüber ihrem formalen (oder spirituellen) Charakter vernachlässigt. So entstand das Bild von einer extrem idealistisch-spiritualistischen Philosophie, das jedoch nichts mit der Wirklichkeit des Leibnizschen Systems gemein hat. Vielmehr ist die Materie, das Substrat des monadischen Seins, Grund und Prinzip des gesamten weltimmanenten Geschehens, weil sie, als Materie, der Möglichkeit nach viele verschiedene Formen annehmen kann und somit die Tendenz in sich trägt, über ihren jeweiligen Zustand hinaus neue Formen zu bilden. So bringt sie aus sich selbst, kraft ihres Möglichkeitshorizontes (der in ihr und nur in ihr selbst beschlossen liegt), die Veränderungen und Entwicklungen ihrer selbst hervor.

Die Dialektik von Substrat- und Entelechiecharakter des Seienden steckt in dieser Auslegung von Materie. Der konkrete Begriff der entelechialen Substanz enthält selbst schon den Umschlag auf die Strukturseite der Monade: Darum kann sie unter dem Begriff der substantiellen Form gefaßt werden. Der Strukturcharakter der Monade bewirkt, daß überhaupt etwas ist. Die Struktur verbürgt die Einheit des Seins und ist das Sein der Einheit. Die Summation vermag nicht das Ganze zu stiften, aus dem heraus das Einzelne erst wirklich wird. Denn Möglichkeit, die Seiendes als materia darstellt, wird erst zur Wirklichkeit vermittels der Wirksamkeit, die eine Form hervorbringt und durch die sich das Eine auf Anderes bezieht, welche Beziehungsmannigfaltigkeit als Totalität ein Ganzes ist. Die Einheit des Einen mit dem Anderen ist aber eine Struktureinheit. Diese Einheit stellt sich her in der Wirksamkeit, in appetitus und perceptio. „Dieses geschlossene Wesen von Einheit hat Leibniz ausdrücklich zu Begriff gebracht unter dem Titel: monadare. Er findet sich in einem seiner letzten Briefe. Leibniz antwortet da auf ein Schreiben, das in Anlehnung an den Begriff des substantiatum die Deutung versucht: monadam esse monadatam – das Eine sei als Geeintes. Leibniz ändert diese Fassung, die Änderung scheint geringfügig. Und doch bezeugt sie die tiefste und letzte Einsicht der Leibnizschen Metaphysik. Er bemerkt, die Wahrheit sei vielmehr dies: monadam monadare – das Eine ereinige sich, und dieses sei das Sein.“28 Die Gründung der Einheit im Geschehen ist die Überwindung des cartesischen Mechanismus und der Durchbruch zur Dialektik als universellem Seinsprinzip.

So kann die Isolierung der Substanz aufgehoben werden im Hinblick auf die Welt. Der volle Begriff der Monade meint ein Seiendes in seinem von der Welt begründeten und in der Welt gegründeten Sein. Die Weise des Gründens – in jenem späten Leibniz-Brief als monadare bezeichnet – ist die Herstellung der Einheit als Struktur. Das Seiende ist wirklich nicht als Sammelding, sondern gemäß der seine Einheit verbürgenden Weltstruktur. „Ich glaube nämlich, daß es dort, wo es nur Sammeldinge gibt, überhaupt keine realen Dinge gibt; denn jedes Sammelding setzt Dinge voraus, die mit wirklicher Einheit begabt sind, weil es seine Realität nur von denen bekommt, aus denen es zusammengesetzt ist; dergestalt, daß es überhaupt keine Realität hat, wenn jedes Ding, aus dem es zusammengesetzt ist, selbst wieder ein Sammelding ist, oder wenn es doch wieder nötig ist, eine weitere Grundlage für seine Realität zu suchen, die sich auf diesem Weg – wenn man immer weiter suchen muß – niemals finden kann. Ich gebe zu, daß es in der ganzen körperlichen Natur nichts als Maschinen (allerdings oft belebte) gibt, aber ich gebe nicht zu, daß es nichts als bloße Ansammlung von Substanzen gibt; und wenn es bloße Ansammlung von Substanzen gibt, dann muß es offenbar auch wirkliche Substanzen geben, aus denen alle Ansammlungen hervorgehen. Man muß also notwendig entweder auf die mathematischen Punkte stoßen, aus denen einige Autoren das Ausgedehnte zusammensetzen, oder auf die Atome von Epikur oder Herrn Cordemoy, Dinge, die Sie, ebenso wie ich, ablehnen), oder man muß gestehen, daß man an den Körpern überhaupt keine Realität entdecken kann; oder endlich: man muß gewisse Substanzen anerkennen, die eine wirkliche Einheit haben.“29 Diese letzten Einheiten sind die Monaden.

1 Siehe dazu Ludwig Landgrebe, Descartes, in: Leibniz, Vorträge der aus Anlaß seines 300. Geburtstages in Hamburg abgehaltenen wissenschaftlichen Tagung, Hamburg 1946, S. 213ff.

2 Gerhard Hess (Übers.), Leibniz korrespondiert mit Paris, Hamburg 1940, S. 49.

3 Vgl. dazu auch den Brief an Malebranche vom 2. Juni 1679: „Während der Ehrgeiz, eine Schule zu gründen, Descartes dazu trieb, vieles gewiß höchst Scharfsinnige, aber oft Ungewisse und Fruchtlose zu sagen“, nach Gerhard Hess, Leibniz, S. 53.

4 Gerhard Hess, Leibniz, S. 43.

5 Nach Gerhard Hess, Leibniz, S. 53.

6 Leibniz an Arnauld, hg. von Genevieve Lewis, Paris 1952, S. 69. Deutsch von H. H. Holz.

7 Die spätplatonische Dialektik von Einem und Vielem wird hier bei Leibniz wiederaufgenommen.

8 Leibniz knüpft dabei an kryptomaterialistische Positionen des Mittelalters an, denen zufolge die Form aus der Materie entspringt.

9 Leibniz an Arnauld, 30. April 1687. Deutsch von H. H. Holz.

10 Zum Beispiel im Discours de Métaphysique, cap. 9 und 12 (KS, S. 77/79 und 83/85); im Brief an Arnauld vom 9. Oktober 1687; in der Monadologie, cap. 14, 19 (KS, S. 445/447) u. ö.

11 Deutsch: die sind, die waren und die die Zukunft bald bringen wird.

12 Leibniz an Rémond, G III, S. 622. Deutsch von H. H. Holz.

13 Der Tendenzbegriff ist für Leibniz zentral; ihm korrespondiert der Begriff der „inneren Dispositionen“; vgl. KS, S. 188.

14 Leibniz an Arnauld, 30. April 1687. Deutsch von H. H. Holz.

15 Ebd.

16 Leibniz, Theod., cap. 87. Deutsch von Robert Habs, Leipzig, Reclam o. J.

17 Leibniz an Arnauld, 9. Oktober 1687. Deutsch von H. H. Holz.

18 Leibniz an Arnauld, 30. April 1687. Deutsch von H. H. Holz. So auch Discours de Métaphysique, cap. 33, KS, S. 153: „… weil die Seele auf bestimmte Art und für eine bestimmte Zeit den Zustand des Weltalls gemäß den Beziehungen der anderen Körper zu ihrem eigenen ausdrückt … Man sieht auch, daß die Perzeptionen unserer Sinne notwendigerweise eine verworrene Empfindung enthalten müssen, auch wenn sie klar sind, denn da alle Körper des Weltalls miteinander in Einklang stehen, empfängt der unsere Eindrücke von allen anderen, und obgleich unsere Sinne sich auf alles beziehen, ist es nicht möglich, daß unsere Seele auf alles im besonderen achten kann. Darum sind unsere verworrenen Empfindungen das Ergebnis einer Vielfalt von Perzeptionen, die ganz und gar unendlich ist.“

19 Leibniz an Arnauld, 9. Oktober 1687. Deutsch von H. H. Holz.

20 Vgl. hierzu die Platonische Quelle im Parmenides-Dialog. Siehe Bruno Liebrucks, Platons Weg zur Dialektik, Frankfurt a.M. 1949.

21 Etwas anderes wäre das z.B. bei einer „Zimmerpflanze“ – hier gehört das Im-Zimmer-Sein zu den Lebensbedingungen dieses Gewächses.

22 Leibniz an Arnauld, 30. April 1687. Deutsch von H. H. Holz.

23 Vgl. dazu Leibniz’ Briefe an Arnauld vom 8. Dezember 1687 und vom 30. Dezember 1687.

24 Die universelle Harmonie ist ein kosmologisches Prinzip, die prästabilierte Harmonie seine anthropologische Ableitung.

25 Leibniz an Arnauld, 30. April 1687. Deutsch von H. H. Holz.

26 Dies hat Heinrich Ropohl, Das Eine und die Welt, Leipzig 1936, S. 87ff., richtig gesehen: „Die kosmologische Position ist eine Folge der Substanzauslegung.“

27 „Es kommt nach meiner Einsicht, welche sich nur durch die Darstellung des Systems selbst rechtfertigen muß, alles darauf an, das Wahre nicht als Substanz, sondern ebensosehr als Subjekt aufzufassen und auszudrücken.“ G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, Theorie Werkausgabe, hg. v. Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Frankfurt a.M. 1970, S. 22f.

28 H. Ropohl, Das Eine und die Welt, S. 105.

29 Leibniz an Arnauld, 30. April 1687. Deutsch von H. H. Holz.

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