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7. Die Sache mit der Gamelle

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Ausgang steht auf dem Tagesbefehl, hurra, was heisst, dass man uns einen freien Abend gewährt. Es türmt sich freilich eine Hürde auf, eine schier unüberwindliche, die es aber trotzdem zu überwinden gilt, so wir Rekruten denn in den Ausgang wollen: Zimmerkontrolle.

Zimmerkontrolle, das bedeutet: Alles im Schlag dergestalt geputzt und geblitzt und millimetergenau ausgerichtet präsentieren, dass der Feldweibel, ein besonders ungnädiges Exemplar seiner Spezies, sich nach eingehender Besichtigung halbwegs zufrieden zeigen und uns, wenn auch widerstrebend, in den Ausgang entlassen muss.

Der Helm hat, so gebietet es die vermutlich von einem Zwangsneurotiker ersonnene Zimmerordnung, oben auf dem Spind zu liegen, die Gesichtsseite nach vorn, scharf an der Oberkante des Spinds, flankiert von Schutzmaske (links) und der hartledernen Sanitätstasche (rechts), beide ebenfalls scharf an der Spindkante; der Rucksack links am Bettgestell festgezurrt, rechts davon der Effektensack – selbstverständlich nicht nach eigenem Gutdünken, sondern streng nach vorgeschriebener Verschlaufung der Trag- und Packriemen; das Bett gestrafft und geglättet, mit hingebungsvoll in die korrekte Form gezupften Paketfalten am Kopf- und am Fussende; der Boden saubergeleckt, die Schuhe gewichst, die Kleider gebürstet, die Toiletten geschrubbt, die Korridore ebenso und alle Spinde zu. Im Spind darf Unordnung herrschen, das hat uns der Feldweibel gleich zu Beginn der Rekrutenschule gesagt und hämisch-drohend hinzugefügt: "Aber zu muss er sein, zu; wenn ich eine Tür offen finde und es herrscht drinnen Unordnung, dann nehme ich alles mit, und der, dem die Sachen gehören, muss sie bei mir abholen und kann etwas erleben."

Das sind keine leeren Drohungen. Wir wissen ein Lied davon zu singen. Es genügt, dass der Feldweibel auf der Klinge eines Sackmessers ein paar Graphitspuren findet, weil der betreffende Rekrut vorher einen Bleistift gespitzt hat – der Fehlbare, der bereits im Ausgehtenue steckt, muss sich umziehen, obwohl das Tenue Blau für diese kleine Verrichtung eigentlich gar nicht nötig ist, und unter Aufsicht des Feldweibels das Messer sauber machen, selbstverständlich nicht bloss einmal, sondern mehrmals, weil der Feldweibel immer wieder noch etwas zu sehen vorgibt.

Bange warten wir, blank rasiert, gewaschen, geschrubbt, gewienert, gebohnert, frisiert, nach Eau de Toilette duftend, mit korrektem Krawattenknoten und ausgerüstet mit dem "Sackbefehl" (Erkennungsmarke, Verbandpatrone, Nastuch, Sackmesser, Zettel mit militärischen Telefonnummern und ein Stück Schnur, wozu auch immer), auf den Auftritt des Feldweibels.

Der Gewaltige naht. Er erscheint im Türrahmen.

"Achtung!", schnappt der Zimmerchef, und wir knallen die Hacken zusammen.

"Melde Zimmer zur Inspektion bereit!"

"Jawohl, ruhn, ruhn kommandieren!"

"Ruhn!", bellt der Zimmerchef.

Wir gehen in die Ruhnstellung, die mit demütig vor dem Geschlechtsteil gekreuzten Händen auszuführen ist, derweil die Offiziere und höheren Unteroffiziere die Hände herrschaftlich hinter dem Rücken kreuzen dürfen.

Es ist totenstill im Schlag. Nur die langsamen Schritte des Feldweibels sind auf den ausgetretenen Bodenbrettern zu hören. Er dringt langsam ins Zimmer vor, ein kleiner, bulliger Mann von 22 Jahren, der aber aussieht wie 40. Er hat einen kurz gestutzten, borstigen Blondbart, dicke Lippen, träge, boshafte Augen und einen Direktorenbauch. Er steckt nicht im Tenue Ausgang, sondern im Dienstanzug, womit er augenfällig zu verstehen gibt, dass er nicht geneigt ist, sich wie die Rekruten im Wirtshaus zu vergnügen, sondern strengen Sinnes in der Kaserne zurückbleiben und getreulich seines Amtes walten wird, eines Amtes, das gegebenenfalls auch darin bestehen könnte, unordentliche Rekruten beim Abbüssen einer Putzstrafe zu beaufsichtigen.

Er nimmt sich Zeit. Er kriecht unter die Betten, wo er nach Staub sucht. Er zieht und zupft an verschiedenen Riemen, um zu prüfen, ob sie auch ordonnanzmässig verschlauft sind. Er starrt in unsere Gesichter, hoffend, irgendwo die Überreste von Stoppeln ausfindig zu machen. Er mustert unser Schuhwerk. Er heisst uns den Sackbefehl vorweisen und inspiziert die Ordnung auf den Spinden.

Schliesslich begehrt er von jedem die Gamelle zu sehen, jenen blechernen, aussen schwarz gestrichenen, innen blanken, im Querschnitt halbkreisförmigen kleinen Kochtopf mit Deckel.

Die Betrachtung von Gamellen ist für Feldweibel, die danach dürsten, Strafen zu verhängen, ein ergiebiges Feld. Wenn sich sonstwo für einmal nichts findet – in einer Gamelle findet sich bestimmt etwas. Dieses Ding hat nämlich die Eigenschaft, sich nach Gebrauch, etwa nach dem Braten von Hackfleisch, kaum mehr sauber kriegen zu lassen. Das liegt einerseits an der Form – man kommt an die Stellen, die es am nötigsten hätten, nicht so richtig heran – und andererseits an jenem kleinen rauen Putzlappen, den die Armee an jeden Mann verteilt und der den Anforderungen in keiner Weise genügt. Einer Gamelle ist, wenn überhaupt, nur mit Stahlwolle beizukommen. Solche haben viele von uns zwar privat organisiert, was für blitzblanke Gamellen aber immer noch nicht garantiert. Wenn sich verbranntes Fleisch oder was auch immer ins Blech einfrisst, sind die Spuren nur noch mit einem Schleifstein oder einem Zahnarztbohrer wieder herauszukriegen, Geräte, die uns nun einmal nicht zur Verfügung stehen.

Wir holen also mit viel Geklapper die Gamellen aus den Rucksäcken und präsentieren sie mit geöffnetem Deckel, damit der Feldweibel hineinschauen kann.

Er beginnt seine Runde bei der Tür. Bereits an der zweiten Gamelle hat er etwas auszusetzen, verhängt Tenue Blau. Auch die vierte Gamelle gefällt ihm nicht – Tenue Blau. Die fünfte: Tenue Blau. Er ist heute Abend noch ungnädiger gestimmt als sonst.

Und dann ist Rekrut Häberlin an der Reihe. Uns stockt der Atem, denn wir alle wissen, wie es um Häberlins Gamelle steht. Beim Biwak in der vergangenen Nacht diente sie als Kochgefäss für Reis; der Reis verkochte zu einem Klumpen und klebt nun wie braunschwarze Lava an den Innenwänden der Gamelle. Häberlin hat gar nicht erst einen Versuch unternommen, die Gamelle sauber zu kriegen. Er hätte mindestens einen Presslufthammer benötigt.

Wie wird der Feldweibel reagieren? Angesichts einer dermassen verkrusteten Gamelle, das ist uns klar, muss etwas Ungeheuerliches geschehen. Der Feldweibel könnte einen Schreikrampf kriegen. Eine Kollektivstrafe von schrecklichen Ausmassen verhängen. Die Kaserne in die Luft jagen. Etwas in dieser Art.

Der Feldweibel tritt vor Häberlin hin, blickt in die Gamelle.

Und geht weiter. Wortlos. Rasch beendet er die Inspektion, ohne weitere Gamellen zu beanstanden, und entlässt uns in den Ausgang.

Was ist geschehen? Warum hat der Feldweibel angesichts der häberlinschen Gamelle nicht getobt? Geschrien? Sich am Boden gewälzt? Sondern so getan, als wäre alles in bester Ordnung?

Vielleicht war der Feldweibel dermassen geschockt, dass er gar nicht mehr toben konnte. Oder: Er wollte nicht sehen, was nicht sein darf. Oder: Er hat wenig Lust, Häberlin unter seiner Aufsicht die Gamelle putzen zu lassen, weil dies wegen des fürchterlichen Ausmasses der Verwüstung womöglich die ganze Nacht dauern könnte.

Wahrscheinlich aber mangelt es ihm nur an Phantasie und Improvisationsgabe. Er kann sich nicht vorstellen, wie er auf solch eine Ungeheuerlichkeit angemessen reagieren soll, er, der doch sonst beim kleinsten Stäubchen gleich drauflosdonnert, als wäre ein Kapitalverbrechen geschehen – also hat er es diesmal gleich bleiben lassen.

Am nächsten Tag darf Häberlin beim Feldweibel eine neue Gamelle abholen.

Halt oder ich scheisse!

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