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6. Indiaca
ОглавлениеZwanzig Rekruten im Sportdress auf der grossen Sportwiese hinter der Kaserne. Leibesertüchtigung unter freiem Himmel ist angesagt, zwecks Stählung der verweichlichten Zivilistenmuskeln und Schmeidigung der eingerosteten Sesselhockerglieder. Der Leutnant hält uns einen flachen, knallig gelben, handtellergrossen Lederball entgegen, an dem ein neckisches Büschel roter Federn befestigt ist.
"Indiaca", knurrt er in seinen Bart hinein. "Wer kennt das?"
Niemand regt sich.
"Na, das ist so ähnlich wie Volleyball, man spielt sich das Ding hier zu, indem man mit der flachen Hand von unten her draufschlägt", erklärt der Leutnant mit mässiger Begeisterung. Dann teilt er uns in zwei Mannschaften ein und lässt uns im sanften Indiaca-Spiel gegeneinander antreten.
Der Anpfiff ertönt, und wir beginnen, anmutig um diesen sonderbaren Federvogel herumzuhüpfen und zu -tänzeln. Dazu versuchen wir, ihn mit zaghaften und ungeschickten Schlägen zum Fliegen zu bringen, was uns mehr schlecht als recht gelingt.
Ein Weiberspiel, denken wir. Fussball wäre jetzt viel schöner.
"Können wir nicht Fussball spielen?", fragt Rekrut Jaun den Leutnant nach ein paar frustrierenden Minuten.
"Nein, das ist im Militär leider verboten, das kommt vom Ausbildungschef persönlich", antwortet der Leutnant etwas betreten. Nach ein paar Sekunden, in denen er sich überlegt, wie viel er zu diesem erstaunlichen Verbot noch sagen soll, schiebt er nach: "Fussball ist angeblich zu grob und die Verletzungsgefahr zu gross. Man will wohl nicht zu viele Versicherungsfälle riskieren."
Uns steht vor Verblüffung der Mund offen. Man befiehlt uns seit Wochen, mit scharfer Munition zu schiessen, auf unwegsamem Gelände herumzuklettern, schwer beladen unsere Wirbelsäulen zu strapazieren, auf der Kampfbahn Kopf und Kragen zu riskieren und nachts mit Pinzgauern im Wald herumzukarren, aber Fussball spielen lässt man uns nicht. Weil der Ausbildungschef der Schweizer Armee dieses Spiel als gefährlich einstuft. Ausgerechnet jener schneidige Korpskommandant, der einmal öffentlich gesagt haben soll, eine Rekrutenschule ohne mindestens einen Toten sei keine gute Rekrutenschule.
Wie und wo müsste denn dieser der Qualität der militärischen Ausbildung geschuldete Todesfall nach Auffassung des Korpskommandanten erfolgen? Jedenfalls nicht auf dem Fussballfeld, so viel ist jetzt klar. Sondern auf dem Feld der Ehre. Was in einer Rekrutenschule bedeutet: bei einem prosaischen Verkehrsunfall, einem Schiessunfall, einer Genicklandung auf der Kampfbahn oder einem unglücklichen Sturz nach dem Wirtshausbesuch.
Puh, sind wir froh, für heute nicht die Kampfbahn absolvieren, sondern nur Indiaca spielen zu müssen. Aber halt – ist das nicht eines dieser rituellen Indianerspiele, bei denen die Verlierer einst den Göttern geopfert wurden? Man kann nie vorsichtig genug sein…
"Leutnant, dürfen wir nicht Rugby spielen? Das ist allemal besser als dieses Indiaca, das keiner von uns beherrscht, wie Sie ja selber sehen."
"Meinetwegen. Rugby ist zwar gröber als Fussball, aber verboten ist es meines Wissens nicht. Spielen wir also Rugby. Aber seid etwas vorsichtig. Ich will nicht, dass sich jemand verletzt, verstanden? – Moment mal, ich kenne ja die Regeln nicht. Kennt sie jemand von euch? Nein? Hmmm… Was machen wir da bloss? Mal überlegen. Hmmm… Wisst ihr was? Wir spielen doch einfach Fussball. Aber psst – nicht weitersagen!"