Читать книгу Halt oder ich scheisse! - Hans Herrmann - Страница 4
1. Schwer beladen
ОглавлениеDie Arme ausstrecken. Ein Zeughausangestellter drückt dir einen tarnfarbenen Plastikregenschutz in die Ellenbeugen. Der nächste setzt eine schwere, hartlederne Tasche mit Sanitätsmaterial darauf. Der dritte fügt eine kurze Schaufel in einem Lederfutteral hinzu. Der vierte eine Pistole, ebenfalls in einem Lederfutteral. Der fünfte einen weichen, grünen, wasserdichten Beutel, worin eine Schutzmaske steckt. Der sechste eine kleine Tasche mit Putzzeug für Kleider und Schuhe, verschiedenen Ersatzknöpfen, dickem Faden und drei Nadeln. Der siebte eine Gamelle, eine Trinkflasche aus Aluminium und eine Labeflasche aus Hartplastik. Der achte einen Effektensack aus grün gefärbtem Leder, der neunte einen ebenfalls grünen Rucksack. Der zehnte schliesslich krönt den Stapel, der sich unterdessen gigantisch auf deinen Armen türmt, mit einem Stahlhelm.
Du steckst mitten in einer riesigen Schlage von frisch eingerückten Rekruten, die alle auf dieselbe Weise beladen werden. Noch steckt die Schar – bis auf die Unteroffiziere, die den Vorgang wie bissige Hirtenhunde beaufsichtigen – in Zivilkleidern. Damit wird aber bald Schluss sein. In den nächsten vier Monaten werdet ihr – ausgenommen während des Wochenendurlaubs – in der Uniform oder im Kampfanzug stecken.
Nun zieht und schiebt dich die Jungmännerschlange auf das obere Stockwerk, das die Armeeschneiderei und einen imposanten Fundus an militärischen Kleidungsstücken beherbergt. In einem grossen Raum mit niedriger Decke erwarten euch eine Frau und ein Mann, die euch mit feldgrauen Textilien ausrüsten.
Es geht flink vonstatten. Innert fünf Minuten bist bereits du an der Reihe. Mit einer ungeduldigen Gebärde heisst dich die Frau auf eine Holzkiste steigen. Du legst dein Bündel auf den Boden und erklimmst die Kiste. Die Frau – sie ist klein und drall – tritt ein paar Schritte zurück, stemmt die Arme in die breiten Hüften, mustert dich mit kleinen, zusammengekniffenen Augen verächtlich und ruft dann dem Mann neben ihr auf französisch eine Zahl zu. Sogleich setzt sich der Mann in Bewegung, wieselt zwischen hohen Kleiderstapeln hin und her, greift sich hier und da etwas heraus und kommt nach kurzer Zeit zurück, um dir ein Exerziertenue aus grobem Stoff, einen Dienstanzug aus etwas weniger grobem Stoff, einen Arbeitsanzug – das sogenannte Tenue Blau –, einen Kampfanzug, drei Armeehemden mit Achselschlaufen, zwei olivgrüne Rollkragenpullover mit Reissverschluss, einen Ledergürtel und zwei paar klobige Schuhe auszuhändigen.
Du stapelst die guten Stücke auf dein Bündel, schaufelst es wieder auf deine ausgestreckten Arme, die die Last kaum mehr zu tragen vermögen, und stolperst in ein kleines Nebengemach, wo ein bebrillter, mit einem Messband ausgerüsteter Schneidermeister über einen erlesenen Vorrat an Ausgehuniformen gebietet. Mit sanften Gebärden passt er dir eine Hose aus halbwegs feinem Material und einen satt anliegenden, aber rauen Kittel an.
Mühselig beladen schwankt die Karawane schliesslich auf den Platz vor dem Zeughaus, wo euch mehrere Pinzgauer und Lastwagen zur Fahrt in die Kaserne erwarten.
Das Bündel auf den Lastwagen gehievt.
"Vorwärts machen, los, vorwärts machen!", ruft ein Korporal mit grollender Kommandostimme.
Du kletterst auf die Ladefläche. Auf den Brettern sitzen bereits sechs Mann, und ein gutes Dutzend klettert hinten nach. Ein beklemmendes, ledrig riechendes Gedränge entsteht.
Der Unteroffizier schliesst von aussen mit lauten Gerassel die Geländerklappe. Der alte Motor brüllt auf. Der Lastwagen setzt sich in Bewegung.
Hinauf und hinunter, ein kurzes Waldstück, eine grosse Kurve, Wohnhäuser, wieder eine Kurve. Die Kaserne. Aussteigen. Los los los. Der Feldweibel nimmt euch auf dem Exerzierplatz in Empfang.
"In zehn Minuten wieder hier, jeder im Tenue Ex!"
Zur Veranschaulichung hebt er ein Exerziertenue in die Höhe. Unteroffiziere geleiten euch in eure Zimmer, beaufsichtigen den Tenuewechsel. Die Jeans und bunten T-Shirts wandern in den Effektensack.
Hinein in den feldgrauen Stoff!
Au, wie der beisst.
In zehn Minuten versammelt sich die nunmehr militärisch gekleidete Rekrutenkompanie wieder auf dem Platz und nimmt, in Züge gegliedert, Aufstellung.
Welch ein Bild des Jammers!
Dir und vielen anderen schlottern die grob geschneiderten Beinkleider aus dem Zweiten Weltkrieg handorgelmässig um die Beine, während andere Kameraden in lächerlichen Hochwasserhosen stecken. Hier eine Schiffchenmütze, die zwei Nummern zu gross ist, da ein Kittel, der zu knapp sitzt, und dort Ärmel, die bereits in der Mitte des Unterarms enden. Dazu immer diese klobigen Clownschuhe.
"Kompanie – Achtung!", ruft der Feldweibel mit heiserem Bellen.
Wahrlich – er präsentiert dem Kompaniekommandanten, der nun strammen Schrittes erscheint, einen prächtigen Haufen.