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Aufbruch

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Manchmal mag aber auch das Gegenteil sinnvoll sein, - voran preschen. Machen wir wieder einen Sprung zum Bereich des eigenen Lebens! Öffnen Abenteuer die Augen für Entwicklung? Geht es etwa um den Sprung zwischen Generationen und eine Art von Vermischung zwischen ihnen?

Wo und wann vermischen sich in einer tropischen Großstadt die menschlichen Anteile von Intellekt, Gefühl, Sex und Aktivität im privaten und öffentlichen Leben? Das kann abenteuerlich sein! Auf zum von einer Mafia beherrschten Straßenstrich! Bei den dort auf Mäuse lauernden Katzen geht es nicht nur menschlich, sondern auch animalisch zu. Ein menschlicher Rabe sollte eigentlich für eine solche Expedition nicht ungeeignet sein. Er sollte sich intellektuell, gefühls­mäßig, sexuell und hin­sichtlich seiner Aktivitäten sowohl im privaten wie auch im öffentlichen Leben auskennen.

Wer sich auf eine Expedition begibt, sollte beim Start in jeder Hinsicht möglichst gute Energie haben. Das ist gar nicht so einfach, handelt es sich doch um sehr unterschiedliche Bereiche. Noch einmal: Ein solcher Rabe sollte intellektuell, gefühls­mäßig, sexuell und hinsichtlich seiner Akti­vitäten sowohl im privaten wie auch im öffentlichen Leben fit sein. Was heißt fit sein? Die Batte­rien sollten gut aufge­laden sein, die Objektive geputzt und - stopp! - es handelt sich nicht um eine Foto-Exkursion. Um den Leser gleich zu Anfang gründlich zu verstören, sei wegen des Milieus als erstes bemerkt, dass er sexuell gut aufgeladen sein sollte. Dazu sind zwei Maßnahmen empfeh­lenswert: vorher einige Zeit Enthaltsamkeit und Einnahme einer kleinen Pille möglichst nicht auf vollem Magen. Doch genauso wichtig sollten die anderen drei Bereiche sein, was von Moral­aposteln, die gern über Sex herziehen, oft ignoriert wird, nämlich ein um Verständnis bemühtes Interesse, eine vergleichbar große gefühlsmäßige Offenheit, und eigene Aktivitäten in diesem Zusammenhang, zum Beispiel soziale Unterstützung.

Ist nun alles ganz einfach? Der übliche Fehlschluss liegt darin zu glauben, dass alles nur von einem selbst abhänge. Ooh nein, vergesst die Katzen nicht! Sie sind sehr, sehr unterschiedlich und in sehr, sehr verschiedener Stimmung. Welche Katzen gerade auf der Lauer liegen, wechselt von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde, von Minute zu Minute. Über den Zusammenhang von Zufall und Notwendigkeit hat Jacques Monod schon in den Jahren um 1970 philosophiert. Eine experimentelle Überprüfung durch den zu Abenteuern geneigten Raben würde sicher mehrerer Versuche bedürfen.

Ein weiterer Stolperstein sind Vorurteile. Wer meint, mit Katzen seien einfach Prostituierte gemeint, ist bereits hängen geblieben. Es handelt sich um wendige, sprungfähige, zumindest hier weibliche Wesen mit ausgeprägten Schnurrhaaren und stark variierendem Fell, die häufig bereits Nachwuchs in die Welt gesetzt haben. Nur relativ selten haben sie an der Sprache erkenntliche Eigenschaften von an sich bekanntlich intelligenten Schweinen, gefährliche Eigenschaften von Schlangen, oder einfach nur dicke Euter von an sich bekanntlich dummen Kühen.

Oh wie dumm kann aber auch so ein Rabe sein, der von der gerade in Raum und Zeit erforderlichen Intelligenz gar nicht immer die richtigen Vorstellungen hat! Am Strich unter den Bäumen am Khlong entlang streichend fiel er als erstes auf solch eine mittelalterliche dumme Kuh herein. Statt zu schnur­ren muhte sie, lag faul herum und hatte nicht den geringsten Sinn für das, was ein schräger Vogel zu bieten hat, nicht einmal für vögeln.

Ein neuer Anlauf einige Tage später zeigte dort eine völlig andere Szene. Die junge, aber voll ausge­wach­sene Katze, die ihn sogleich umschnurrte, gefiel ihm auf Anhieb, und auch sie schnappte sofort nach dem Raben, der sich mal wieder viel jünger machte, als er war. Wie schön und wunder­ bar weib­lich geformt sie war, sah er noch mehr, als sie in Abgeschiedenheit ihr Fell ablegte und sich unüber­hörbar läufig dem munteren Ver­gnügen hingab. Da schien es solch eine Selbstverständ­lich­keit zu sein, sich bald wieder zusammen zu finden, dass der gänzlich gedankenverlorene Rabe rest­los vergaß, sie nach der Nummer ihrer Quatschige zu fragen. Aber er behielt genau, dass ihr Thai-Rufname drei Bedeu­tungen hatte: ein Kristall, ein Trinkgefäß und ein Papagei. Wie sehr alle drei stimmten, ahnte der ahnungslose Rabe in diesem Raum zu dieser Zeit noch nicht. Als er gleich am nächsten Tag wieder kam, war die Beautykatze entgegen aller Erwartung nicht da, am über­ nächsten genauso wenig und auch am dritten Tag danach nicht. War sie keine professionelle Pro­ Prostituierte? Die anderen im Halb­ dunkel lauernden Katzen behaupteten, weder sie noch ihren Namen zu kennen. Der Rabe wollte kein Kind von Traurigkeit sein und sprang, weil es ihm nicht gesund erschien, jeden Tag umsonst eine der besagten Pillen zu schlucken, jetzt einfach eine andere Katze an, die jedoch schnell wieder aus der Erinnerung gestrichen wurde.

Man sagt, einmal sei kein Mal. Das Abenteuer begann erst, als er die Beautykatze nach fast einer Woche doch wieder antraf und sie gerne ins Rabennest unter dem Mangobaum mitkam. Das hatte kaum mit dem diesmal weniger munteren, aber saftigeren Sex zu tun, sondern mit ihrem Leben, von dem sie nun erzählte. Sie habe einen fünfjährigen Sohn, der sehr krank sei und operiert werden müsse. Sie selber habe am morgigen Tag ihren zwanzigsten Geburtstag, den sie gerne mit dem Raben verbringen wolle. Sie sei im Alter von vierzehn Jahren vergewaltigt worden und habe sich seitdem nicht mehr mit Männern einlassen können, bis sie jetzt vor zwei Monaten durch die erfor­derliche teure Operation gezwungen worden sei, sich auf diese Tätigkeit einzulassen. Sie habe keinerlei Erfahrung gehabt und der Anfang sei für sie schrecklich gewesen. Der Rabe schluckte schwer voller Mitgefühl.

Unter den sozialen Bedingungen in Thailand gibt es dank dem Egoismus der dort feudal herrschen­den Oberschicht für den ärmeren Teil der Bevölkerung nur ein sehr beschränktes Ausbildungs­angebot und nur rudimentäre Ansätze von Sozial­versicherung. So erscheint es mehr als in Deutsch­land verständlich, dass diese Katzen sich selber anbieten, um an Mäuse zu kommen. Doch die Vor­stellungen, die ein selber in Europa domestizierter Rabe von Katzen hat, stammen fast aus­schließ­lich von Hauskatzen, welche eine möglicherweise von Intelligenz zeugende, mit der Zeit gewach­sene Anpassungsfähigkeit an Menschen zeigen und auf brutale Methoden zugunsten von kuscheln, schmusen und schnurren verzichten. Mäuse sind für sie also keine Tiere mehr, sondern Geld, welches nicht verschlungen, sondern sinnvoll verwendet werden sollte.

Die Beautykatze hatte zwar keine große Neigung zu kuscheln und schmusen, aber schnurrte gerne. Weil sie so schön war, traute der Rabe seinen Augen mehr als seinen Ohren und achtete nicht sehr auf den Unterschied von schnurren und schnorren. Dass nur ein einziger Buchstabe zwischen den beiden Worten mutiert ist, sollte jedoch zeigen, wie wenig verändert das Verhalten einer Hauskatze gegen­über einer Raubkatze sein mag, deren deutsche Schreibweise sich immerhin um zwei Buch­staben unter­scheidet. Doch da sie nun über längere Zeit regelmäßig in seinen Raum kam, um zu schnurren oder schnorren, vertraute der Rabe, dass sie kein Raubtier sei und gab ihr reichlich Futter, weil sie völlig ausgehungert, wollte sagen: verschuldet, war. Sie sagte immer wieder, sie wolle so gern mit einem älteren Vogel zusammen sein, weil sie mit den jüngeren so schlechte Erfahrungen gemacht habe. Im Laufe der Zeit kam heraus, dass der Vater ihres Kindes im Gefängnis saß.

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