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5. Methode. Ausdehnung und Grenzen. Eintheilung.

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Die vergleichende Anthropologie ist nach dem Vorigen ein Zweig der philosophisch-praktischen Menschenkenntniss. Wie diese wird sie daher die Empirie, so wie die blosse Speculation vermeiden, und sich allein und durchaus auf Erfahrung stützen. Auch wird sie die Hauptregeln anerkennen, und befolgen, welche diese aufstellt. Sie wird demnach:

1. die Data zu ihren Charaktergemählden aus den Aeusserungen des ganzen Menschen, zugleich aus seiner physischen, intellectuellen und moralischen Natur hernehmen, um sich des vollständigsten Stoffs zu versichern.

2. unter diesen vorzüglich auf diejenigen Züge achten, welche recht eigentlich den Charakter, und zwar denselben da, wo er individuell verschieden zu seyn pflegt, bezeichnen – auf das Verhältniss und die Bewegung der Kräfte.

3. immer nur auf die innere Beschaffenheit und Vollkommenheit, nie bloss oder auch nur hauptsächlich auf die Tauglichkeit zu äusseren Zwecken sehen.

4. den Charakter so viel als möglich genetisch schildern.

5. von den Thatsachen und Aeusserungen aus zu den allgemeinen Eigenschaften, und von da zum eigentlichen innern Wesen übergehen.

6. die zufälligen Eigenschaften von den wesentlichen genau absondern, und nach den verschiednen Graden ihrer Zufälligkeit ordnen.

7. den bisher mehr nach einzelnen Seiten betrachteten Charakter in die höchste Einheit zusammenziehn, aus dem vollständig gezeichneten Bilde den Begriff herausnehmen, – was dadurch am besten geschieht, dass man die Art, wie er zu den höchsten und ganz allgemeinen Zwecken des Menschen gelangt, auf einmal auszusprechen versucht.

Ihre besondre Tendenz, nicht bloss, wie die Menschenkenntniss überhaupt, den Menschen im Allgemeinen, oder einzelne gerade interessante Individuen zu studiren, sondern den Umfang der, ohne Verletzung der Idealität, möglichen Verschiedenheit im Menschengeschlecht zu erforschen, durch welche sie zugleich auf die Untersuchung von Gattungscharakteren geführt wird, fügt den vorigen Regeln noch folgende hinzu:

1. da es ihr vorzüglich darum zu thun ist, zu erforschen, wie die idealische Vollkommenheit, die Einem Individuum unerreichbar ist, sich in mehreren gesellschaftlich ausdrückt, so wird sie hauptsächlich durch diese Absicht bei der Wahl der Charaktere zu ihrem Studium geleitet werden. Sie wird soviel als möglich solche aufsuchen, die entweder den Begriff der Menschheit erweitern, oder sich so gegenseitig gegen einander verhalten, dass sie Züge die zusammen nicht in gleicher Stärke verträglich seyn würden, einzeln darstellen.

2. da sie sich auf ihrem Wege besonders an Gattungscharakteren halten muss, so wird sie dieselben so rein als möglich von allem Einfluss der einzelnen Individualitäten bestimmen, und ihre Eigenthümlichkeiten daher vornemlich aus den gemeinschaftlich auf sie einwirkenden Ursachen, und aus ihrem Begriffe herleiten.

3. dagegen wird sie sich aber auch sorgfältig hüten, durch einen zu festen und engen Begriff der Gattung die Freiheit der Individuen zu beschränken.

Der Umfang der vergleichenden Anthropologie würde eigentlich dem des ganzen menschlichen Geschlechts gleich seyn, wenn nicht zwei Ursachen sie hinderten, ihre Grenzen so weit auszudehnen.

Der Mensch bedarf eines gewissen nicht geringen Grades der Cultur, um eine individuelle Form zu erlangen. Seine erste Ausbildung ist durchaus nur in Massen, nur in rohen, noch durch wenige Züge bestimmten Formen. Dieser Grad der Cultur muss schon zu einer beträchtlichen Höhe gestiegen seyn, wenn der Charakter so verfeinert, und seine Form so bestimmt seyn soll, dass er auch nur einzelne Züge zeigt, welche eine Erweiterung des Begriffs der Menschheit in ihrer Vollendung erwarten lassen, noch mehr aber dass er als eine Bahn erscheine, in welcher der Mensch sich dieser Vollendung auf eine zweckmässige Weise nähern kann. Denn die ersten Eigenthümlichkeiten noch roherer Völker sind meistentheils entweder nur äussre, oder zufällige und unbedeutende, oder gar fehlerhafte Verschiedenheiten; auf diese folgen einzelne mehr oder weniger versprechende Züge; und erst die letzte Stufe ist es, wenn die Eigenthümlichkeit sich über alle Kräfte verbreitet, und einen durchaus individuellen Charakter zu bilden anfängt.

Selbst in unserm cultivirten Europa finden wir noch alle diese Stufen neben einander. Auf jener höchsten stehen unstreitig Franzosen, Engländer u. s. f.; Pohlen, Spanier und Portugiesen wohl nur auf der mittleren; und gewiss auf der untersten noch Russen und Türken. Wer möchte es unternehmen, von dieser letzteren einen individuell-idealischen Charakter aufzustellen, wer nur überhaupt, nach Abzug der äussern oder zufälligen Verschiedenheiten, einen individuellen Charakter, der sich noch von dem allgemeiner menschlichen auf eine irgend für die Betrachtung dankbare Weise unterschiede?

Wenn aber auch gegen die Tauglichkeit des Objects selbst nichts eingewendet werden kann, so gehört eine tiefe und genaue Kenntniss desselben dazu, um eine solche Schilderung zu entwerfen, als hier nothwendig ist. Nur eine einzige innere und wesentliche Eigenheit als solche zu erforschen, ist schon schwierig; wieviel mehr aber alle in ihrer Verbindung zu einem Ganzen zu kennen. Wieviele Hülfsmittel auch z. B. zur Kenntniss der Nationen vorhanden seyn mögen, so wird doch derjenige, der hier selbst Hand an das Werk legt, sich bald gerade da verlassen fühlen, wo er am meisten eines sicheren Führers bedürfte.

Nur von sehr wenigen Menschengattungen ist es also möglich auch nur den Versuch zu wagen, ein vollständiges Bild ihrer innern und wesentlichen Eigenthümlichkeit zu geben. Denn zu dem vollkommnen Gelingen ist vielleicht, wenn man die Hindernisse, die im Object und in unserer Kenntniss desselben liegen, zusammennimmt, nicht eine einzige reif. Dennoch kann sich eine philosophische Anthropologie nicht mit etwas Geringerem begnügen. Sie muss immer ein Ganzes, eine vollendete Gestalt aufsuchen; bloss, wie die physiologische, nach einer Menge von Verschiedenheiten zu haschen, ist ihr durchaus fremd. Wenn daher diese letztere vorzüglich in den entferntesten Himmelsstrichen verweilt, welche die abweichendsten Verschiedenheiten aufweisen, so wird sie sich hauptsächlich auf den kleinen Kreis der höchsten Cultur beschränken, in welchem die Eigenthümlichkeiten am meisten bestimmt und vollendet erscheinen.

Was die Anordnung der Theile betrift, so wird der Schilderung der einzelnen Charaktere eine allgemeine Einleitung vorangehen müssen, um 1. die Möglichkeit, die Ursachen und den Werth der Verschiedenheit überhaupt, 2. die Natur der Gattungscharaktere im Allgemeinen, 3. die Natur einzelner unter denselben, z.B. der Geschlechter, Nationen u.s.f. insbesondre abzuhandeln.

Wilhelm von Humboldt: Anthropologie und Theorie der Menschenkenntnis

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