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7. Von der Charakterverschiedenheit im Allgemeinen.

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Der erste Unterschied, den wir unter mehreren Menschen bemerken, und der auch dem flüchtigsten Blick nicht entgeht, ist die Verschiedenheit der Gegenstände ihrer Beschäftigung, der Producte ihres Fleisses, der Art, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, und das Leben zu geniessen. An diese in die Augen fallenden Dinge heftet sich zuerst der Begriff der Eigenthümlichkeit bei einzelnen Individuen, wie bei ganzen Nationen, unter welchen letzteren man noch von sehr vielen gerade nur soviel, nur ihre Kleidung, Beschäftigungen, Vergnügungen, Lebensart u.s.f. kennt.

Die zweite Classe von Kennzeichen der Verschiedenheit unter Menschen geht schon näher ihre Persönlichkeit an, wenn sie auch gleich das Innre derselben noch nicht geradezu und unmittelbar schildert. Man kann dahin alles Aeussre in dem Körperbau und dem Betragen rechnen, Gestalt, Farbe des Gesichts und des Haars, Physiognomie, Sprache, Gang und Gebehrden überhaupt. Diese Gattung von Kennzeichen ist hauptsächlich wichtig, da sie auf der einen Seite dem Menschen selbst näher führt, als die vorige, und auf der andern ein wahreres und treueres Bild giebt, als dasjenige ist, was man unmittelbar von dem Innern doch immer mehr schliesst, als geradezu sieht. Daher bleibt nicht allein der gesunde und natürliche Tact, der, wenn auch manchmal im Einzelnen, doch selten im Ganzen grosse Fehlgriffe thut, schlechterdings bei diesen stehen, sondern auch der philosophischste Menschenkenner behält dieselben unverrückt vor Augen, um an ihnen, als an unmittelbaren Thatsachen, seine tiefer eingehenden Urtheile zu prüfen und zu berichten.

Von diesen beiden Gattungen der Kennzeichen aus kann man endlich auf die innern Verschiedenheiten selbst übergehen. Diese trift man alsdann zwar nicht in den Kräften selbst, da das ganze Menschengeschlecht durchaus mit denselben ausgestattet ist, wohl aber in ihrem Grade, da sie bei dem einen eine Höhe erlangen, zu der sich der andre nie emporschwingt, in ihrem Verhältniss, wenn bei dem einen die Phantasie, bei dem andern der Verstand u.s.f. herrschend ist, oder in ihrer Bewegung, da der eine rastlos und thätig, der andere träg und unthätig ist, u.s.f. an; ferner in den Empfindungen, die bei dem einen sanfter und reizbarer, als bei dem andern sind, endlich in Neigungen und Leidenschaften.

Aber alle diese Verschiedenheiten, so einzeln, als sie hier dastehn, betrachtet, beweisen mehr Verschiedenheiten in einzelnen Aeusserungen, als in dem Charakter selbst. Solange man sie einzeln betrachtet, bleibt es immer ungewiss, ob sie nicht mehr bloss aus einer Verschiedenheit der äussern Lagen und Umstände, als aus einer innern Charakterform entspringen, aus welcher das Individuum entweder gar nicht oder doch nicht ganz herauszugehen im Stande ist. Nur in diesem letzteren Falle aber ist doch eine eigentliche Charakterverschiedenheit vorhanden, und um daher auf diese zu kommen, bedarf es noch andrer und tiefer eingreifender Beobachtungen.

Wilhelm von Humboldt: Anthropologie und Theorie der Menschenkenntnis

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