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2.

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Springschnecken galten als Einzelgänger. Nur in der Paarungszeit traf man Schneckenpaare, ein paar Wochen später kleine Familien, die aber nur für einen Monat Bestand hatten. Von größeren Ansammlungen hatte man auf Rawanor noch nie gehört.

Was Seealee zu sehen bekam, durfte es nach allen Kenntnissen der Fauna Rawanors gar nicht geben ...

Ein halbes Dutzend der großen Nacktschnecken lag auf dem Zelthaus und bewegte sich gemächlich vorwärts. Die Ausbuchtungen an den Seitenwänden verrieten Seealee, dass noch mehr Springschnecken in der Nähe des Hauses zu finden waren. Sie machten sich an den Aufstieg.

Die Kuppel vibrierte heftig. Seealee stieß einen Schrei aus. Mit einem Satz war eine Springschnecke vom Boden auf das Dach des Zelthauses gesprungen. Das Material der Zeltbahn bog sich unter dem Aufprall.

Seealee spürte, dass ihr Herz wie rasend schlug. Was konnte sie in einer Lage wie dieser unternehmen? Ihr Blick hetzte durch das Innere des Zeltes.

Ihr Blick blieb auf dem Interkom haften.

Sie schüttelte den Kopf.

Bis aus der Stadt Hilfe kam, mussten Stunden vergehen – und bis dahin ...

»Dhota«, stieß Seealee hervor.

Irgendwo dort draußen jagte Dhota in der Dunkelheit. Wenn er die Fährten der Schnecken auf dem Weg zum Zelt nicht entdeckte, kleben blieb oder gar ...

Seealee krampfte sich immer mehr zusammen. Panik stieg in ihr hoch.

Derweil setzten die Springschnecken ihren langsamen Marsch über das Zelthaus hinweg fort. Es mussten Hunderte sein. Niemals zuvor hatte man von einer solchen Massenwanderung gehört. Es war unglaublich.

»Ich muss die Stadt warnen«, stieß Seealee hervor.

Sie erinnerte sich an die Lage des Zelthauses und die Marschrichtung der Springschnecken. Wenn sie sich nicht sehr täuschte, dann schlichen die Mollusken gradlinig auf die Steilkante zu. Ob sie einen Sturz von einem Kilometer überstehen konnten, wusste Seealee nicht – aber jetzt traute sie den Geschöpfen fast alles zu. Eine Springschneckenlegion auf dem Weg zur Hauptstadt – eine Schreckensvision schüttelte Seealee.

Ein scharfes Geräusch ließ sie zusammenfahren.

Aus schreckgeweiteten Augen starrte sie in die Höhe.

Inzwischen hatte sich der Himmel vollkommen zugezogen. Erste Blitze schickten ihr fahles Licht über das Land.

Entsetzt erkannte Seealee, was das Geräusch hervorgerufen hatte. Eine der Springschnecken hatte mit ihrem Legestachel das Dach durchbohrt. Von der Spitze des Stachels fiel ein Tropfen in die Tiefe und landete auf der Oberfläche des Interkoms.

Augenblicklich begann es dort zu brodeln und zu zischen. So scharf war die Säure, dass der Tropfen keine Mühe hatte, sich durch den Stahl der Abdeckung bis ins Innere zu fressen.

Seealee hörte ein Knirschen und Krachen, und sie wusste, dass die Verbindungen zur Außenwelt abgeschnitten waren.

Zufall? Oder steckte ein Plan dahinter?

Springschnecken besaßen keine wirkliche Intelligenz, es waren primitive Tiere.

Aber dieses Verhalten ...?

Seealee begann zu zittern. Immer stärker wurde die Angst in ihr.

Unablässig wälzte sich das Heer der Springschnecken über das Zelt hinweg.

Seealee versuchte sich vorzustellen, wie es draußen aussah.

Sie schaltete alle Lichter des Zelthauses ein – Dhota musste das schon von weitem sehen können. Vielleicht warnte es ihn.

Wieder bohrte sich ein Stachel durch das Zeltgewebe, wieder fiel ein Tropfen der fürchterlichen Säure auf den Boden – diesmal dicht neben den Laser, den Seealee zur Seite gelegt hatte. Hastig lief Seealee hinüber und nahm die Waffe an sich.

Es schien nichts zu geben, was sie zur Verbesserung ihrer Lage tun konnte. Nach draußen zu gehen, war glatter Selbstmord. Im Innern des Hauses war sie allerdings nicht wesentlich sicherer.

Seealee kauerte sich auf den Boden, in der Nähe der Außenwand des Zelthauses. Dort musste sie zwar mit ansehen, wie eine Springschnecke nach der anderen über ihr Haus hinwegkroch, aber sie war wenigstens außer Reichweite des Säureregens, der nun in immer stärkerem Maß ins Innere tropfte.

Die Schäden vergrößerten sich. Möbel lösten sich auf, Einrichtungsgegenstände schmorten zusammen, und die Löcher im Dach wurden immer zahlreicher.

Möglichst tief duckte sich Seealee auf den Boden. Ohnmächtig musste sie miterleben, wie die Invasion der Mollusken das Zelthaus in eine stinkende und qualmende Ruine verwandelte – und in jedem Augenblick konnte sich genau über Seealee ein Legestachel durch das Zelt bohren. Seealee hielt ihre Waffe fest umklammert – für alle Fälle.

Die Zeit schien sich entsetzlich zu dehnen. Die Marschkolonnen der Mollusken wälzten sich in gleichbleibendem Tempo über das Zelthaus hinweg.

»Dhota«, seufzte sie laut.

Wieder setzte eine der Schnecken zum Sprung an. Das Tier landete auf dem Dach, und zwar an einer Stelle, die bereits mehrfach durchbohrt worden war. Mit einem hässlichen Geräusch riss die Bahn auf, die Schnecke stürzte hinunter und prallte auf den Boden.

Seealee hob den Laser, hielt dann aber inne. Niemand vermochte vorherzusagen, was geschah, wenn sie jetzt auf eine der Schnecken feuerte.

Ein paar Augenblicke lang blieb die Schnecke wie betäubt liegen, dann setzte sie ihren Weg fort – schnurgerade auf den steilen Abhang zu, der dieses Gebiet von der Ebene trennte. Eine Zeltwand hielt die Schnecke auf, und sie begann daran emporzukriechen.

Seealee hatte Mühe, die Waffe festzuhalten. Ihre Hände waren schweißnass.

Längst hatten die Schnecken so viele Löcher in die Zeltwandung gebohrt, dass das Tragluftaggregat wirkungslos wurde. Gehalten wurde das Zelthaus jetzt nur noch von den Streben aus dünnem hochvergütetem Stahl – der aber ebenso wenig säureresistent war wie alles andere Material auf Rawanor. Seealee konnte es sehen – eine der Streben wurde getroffen und brach nach kurzer Zeit auseinander.

Seealee hatte Mühe, die Beherrschung zu bewahren. Es war eine Situation, die auch härteren Charakteren den Angstschweiß auf die Stirn getrieben hätte.

Über dem Land tobte ein Gewitter. Ein Netzwerk grell leuchtender Blitze spannte sich über Seealees Kopf, der Regen wurde immer stärker.

Im nächsten Augenblick versagte die Beleuchtung. Ein Teil des Zelthauses brach zusammen – eine der Abstellkammern. Die Springschnecken, die auf diesem Teil der Konstruktion gehockt hatten und von dem Zusammenbruch überrascht worden waren, stießen mit ihren Stacheln zu.

Seealee konnte nur die Geräusche hören. Sie klangen entsetzlich. Immer größere Teile der technischen Einrichtung des Hauses wurden zerstört.

Der Sturm zerrte an den Wänden des Zelthauses, seine Gewalt schien von Minute zu Minute zu wachsen. Für Seealee schien die Lage immer hoffnungsloser zu werden.

»Dhota!«, schrie sie, so laut sie konnte. Sie musste ihren Mann warnen, damit er den Springschnecken nicht über den Weg lief. Seealee bekam keine Antwort.

Wieder knickte eine der Streben ein, ein weiterer Teil des Zelthauses brach unter der Wucht des Sturmes zusammen. Durch die Öffnungen im Dach rann Wasser ins Innere des Zeltes, vermischte sich mit der Säure der Springschnecken und benetzte so immer größere Teile des Innenraums. Zwar wurde die Wirkung der Säure dadurch ein wenig abgemildert, dafür aber waren die Bereiche, die vom Säurefraß befallen wurden, größer als je zuvor.

»Seealee!«

Nur schwach drang Dhotas Stimme durch das Tosen des Sturmes. »Kannst du mich hören?«

»Ja!«, antwortete sie in höchster Lautstärke.

»Rühre dich nicht«, rief Dhota. »Es kommen nur noch wenige Schnecken. Ein paar Minuten noch, dann ist es vorbei.«

Ein paar Minuten, schoss es durch Seealees Kopf. In ihrer Lage war das eine mittlere Ewigkeit.

Sie bekam kaum noch Luft, überall qualmte es. Seealee war auf den Sauerstoff angewiesen, der durch die Öffnungen in der Zeltwandung dringen konnte, und das war entsetzlich wenig.

Wieder gab eine Strebe nach. Es gab jetzt nur noch einen größeren Hohlraum – Seealees Zuflucht.

Dann gab auch dieser Teil des Hauses nach. Seealee spürte, wie sich die Zeltbahn über ihren Körper legte. Sie erstarrte vor Schreck.

Mit unglaublicher Langsamkeit bewegte sich der schwere Körper einer Springschnecke über Seealee hinweg. Fast glaubte sie, das Scharren hören zu können, mit dem der Legestachel über das Material schrammte. Sie durfte sich jetzt nicht bewegen, sonst war sie verloren.

Sie bekam kaum noch Luft. Ihre Lungen schmerzten, vor ihren Augen tanzten feurige Ringe. Der Druck auf ihren Brustkorb verstärkte sich.

Dann endlich hatte die Springschnecke ihren Körper verlassen und kroch weiter.

Einen Augenblick später wurde es in Seealees Nähe heiß. In der Zeltbahn war ein faustgroßes Loch mit qualmenden Rändern zu sehen.

Seealee begriff. Dhota hatte ein Loch in die Plane geschossen, damit sie unter dem Material nicht erstickte.

»Bleib ruhig«, schrie Dhota. »Keine Panik.«

Langsam kam Seealee wieder zu Atem. Durch das Loch schlug ihr kalte, feuchte Luft entgegen.

»Sie sind weg«, schrie Dhota. »Halte die Plane in die Höhe, ich schieße ein Loch hinein. Und dann ... bleib, wo du bist. Rühr dich nicht von der Stelle.«

Seealee gehorchte. Wenig später begann sich die Öffnung in der Zeltwand zu vergrößern. Bald war sie groß genug, um Seealee durchschlüpfen zu lassen.

»Bleib drinnen!«, schrie Dhota. »Komm nicht ins Freie. Ich werfe Sand auf die Plane.«

Jetzt endlich begriff Seealee. Die Außenwand des Zeltes war nach der Molluskeninvasion über und über mit dem klebrigen Schleim der Springschnecken bedeckt.

Eine erste Ladung Sand flog heran und traf Seealee unter der Plane. Sie konnte hören, wie ein Teil des Sandes an dem Material herabrieselte.

Dhota arbeitete wie besessen. Man hätte glauben können, er wollte Seealee lebendig begraben, soviel Sand schleuderte er nach ihr. Als er schließlich aufhörte, hatte Seealee kaum mehr die Kraft, die Plane hochzuhalten.

»So, jetzt komm – aber ganz langsam. Ich werde dir leuchten. Gib acht, wohin du deine Füße setzt.«

Seealees Leidensweg war noch nicht zu Ende. Sie fühlte sich entsetzlich müde, wäre am liebsten an Ort und Stelle eingeschlafen. Sich unter diesen Umständen noch einmal so konzentrieren zu müssen, ging fast über ihre Kraft.

Regen peitschte ihr ins Gesicht, als sie den Körper ins Freie schob. Dhotas Handscheinwerfer leuchteten sie an, dann wanderte der Lichtstrahl tiefer.

Deutlich konnte Seealee die Fährte erkennen, die Dhota geschaffen hatte – einen schmalen Streifen sandbedeckten Plastikmaterials. An den Seiten glitzerte tückisch der Klebeschleim der Springschnecken. Unwillkürlich sah sich Seealee um. Von den Mollusken war jetzt nichts mehr zu sehen.

»Langsam«, mahnte Dhota. »Gleich hast du es geschafft.«

Vorsichtig setzte Seealee einen Fuß auf den Boden. Der Sand knirschte leicht. Probeweise zog Seealee den Fuß zurück – leicht löste er sich vom Untergrund. Dhota hatte gründliche Arbeit geleistet.

»Keine Hektik«, forderte Dhota.

Einen Fuß vor den anderen setzend, bewegte sich Seealee vorwärts. Ihre Glieder zitterten vor Anstrengung. Der Regen lief über ihr Gesicht. Wasser drang ihr in die Augen und nahm ihr die Sicht. Seealee blieb stehen und wischte sich die Augen klar.

»Gleich hast du es geschafft«, rief Dhota. Er leuchtete den Weg aus. »Noch zwei Schritte, jetzt noch einer ...«

Seealee setzte den linken Fuß auf, und im gleichen Augenblick spürte sie, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Der Sand bedeckte an dieser Stelle den klebrigen Schleim nur unvollkommen. Seealees linker Schuh klebte fest. Sie schwankte, ruderte mit den Armen hin und her.

»Nach vorn«, schrie Dhota. Er ließ den Scheinwerfer fallen und stürzte auf Seealee zu.

Er kam gerade noch zurecht, um Seealee aufzufangen, bevor sie zur Seite kippen und auf die Spuren der Springschnecken stürzen konnte. Mit aller Kraft riss Dhota Seealee hoch. Der linke Schuh blieb auf der Plane kleben, die beiden stürzten ins triefend nasse Gras.

Seealee stieß noch einen Seufzer aus, dann verlor sie das Bewusstsein.

*

Das erste, was Seealee beim Erwachen spüren konnte, war Wärme. Sie öffnete die Augen.

Die Sonne stand schon ziemlich hoch am Himmel, der sich wolkenlos über dem Land spannte.

Seealee sah zur Seite. Ein paar Schritte entfernt hockte Dhota auf dem Boden und fachte ein Feuer an. Auf einem improvisierten Grill war ein Braten zu sehen. Dhota wandte den Kopf. Er lächelte Seealee an.

Seealee kannte ihren Mann. So, mit leicht zusammengekniffenem Mund und dunklen Ringen unter den Augen, sah Dhota nur aus, wenn er eine Nacht lang durchgearbeitet hatte.

»Na, wie fühlst du dich?«, fragte er sanft.

»Scheußlich«, gab Seealee zurück.

Neben Dhota erkannte Seealee einen Stapel recht ramponiert aussehender Geräte. Vermutlich hatte Dhota in der Nacht versucht, von dem Material zu bergen, was noch zu retten gewesen war. Viel schien es nicht zu sein.

»Du bekommst gleich etwas zu essen.«

Seealee richtete sich auf.

Ein paar Dutzend Schritte entfernt konnte sie die Ruine des Zelthauses sehen, ein scheußlicher Anblick.

»Ich würde es vorziehen, in die Stadt zu fahren«, sagte Seealee.

»Ich auch«, gab Dhota trocken zurück. »Nur hat der Gleiter leider auch im Marschweg der Springschnecken gestanden.«

»Er ist zerstört?«

Dhota schüttelte den Kopf. Das Feuer brannte jetzt recht gut.

»Nicht zerstört – nur rettungslos verklebt.«

»Und das Material?«, fragte Seealee entgeistert.

»Unbrauchbar, vor allem die Funkgeräte«, antwortete Dhota. »Keine Aussicht, Kontakt zur Stadt zu bekommen.«

Seealee stand auf und ging zu Dhota hinüber. Der Kuss fiel ein wenig sachlich aus – wenn Dhota den Kopf voller Probleme hatte, war er für Schmusereien nicht zu gewinnen.

»Wie geht es jetzt weiter?«, wollte Seealee wissen.

»Zurück zur Stadt«, antwortete Dhota. »Wir müssen die Bevölkerung warnen, selbst auf die Gefahr hin, dass sie uns nicht glauben. Massenhaft auftretende Springschnecken – davon hat noch nie jemand etwas gehört.«

»Vielleicht sind die Tiere krank gewesen?«

»Das glaube ich nicht«, antwortete Dhota. Dem Braten über dem Feuer entströmte ein verlockender Duft, und Seealee spürte, dass sie von Minute zu Minute hungriger wurde. »Dahinter steckt etwas anderes.«

»Und was?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete Dhota seufzend. »Wir werden es herausbekommen müssen. Aber zuerst müssen wir die Stadt erreichen.«

Unwillkürlich sah Seealee zur Seite. In der Mittagssonne konnte sie die Häuser der Stadt recht gut erkennen. Sie schienen sehr nah zu sein – aber Seealee wusste, dass die Entfernung größer als einhundert Kilometer war, Luftlinie.

»Zu Fuß?«

Dhota nickte.

»Wir haben keine andere Wahl«, sagte er leise.

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