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Kapitel 5 – Mara Betrucci, die ahnungslose Erbin

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Happinger hatte den Gfäller Lenz gebeten, in einer Woche wieder zu kommen.

„Bitte klären Sie bis dahin, ob sich weitere Verwandte des Erblassers anwaltlich vertreten lassen wollen, und bringen Sie nach Möglichkeit noch mehr über die Hintergründe der Testamentserrichtung in Erfahrung“, hatte er dem Mandanten aufgetragen.

Happinger selbst wollte sich inzwischen beim Nachlassgericht nach dem aktuellen Stand des Verfahrens erkundigen.

Am ersten Dienstag im Mai, pünktlich um Zehn erschien der Gfäller Lenz wieder in der Kanzlei. Mit einem freundlichen „Grüß Gott, Herr Gfäller! Einen Moment dauert‘ s noch,“ komplimentierte ihn Fräulein Prezz ins Wartezimmer.

Kurz darauf holte Happinger ihn dort ab. „Es tut mir leid, Herr Gfäller, aber wir müssen immer noch mit Lärm von denen da drunten rechnen!“ entschuldigte er sich bei ihm.

„Macht nix!“ erwiderte der Lenz mit beschwichtigend tiefem Unterton.

„Mia hoitn des scho aus – oder?“.

Im Besprechungszimmer setzte sich der Gfäller Lenz auf den Sessel, den er schon kannte. Wie von Happinger schon befürchtet, begann er sogleich mit dem Besucherstuhl ganz dicht an den Schreibtisch des Anwalts heranzurücken.

Dabei gab auch der Barriere-Tisch seinem Drängen nach. Mit besorgtem Blick verfolgte Happinger, wie das von ihm eigens aufgebaute Hindernis nach und nach über den Teppich in Richtung Schreibtisch glitt und schließlich unter diesem verschwand.

„Sie wollt`n ja mehr über mein Onkel wissen, gell Herr Anwalt!?“ legte der Gfäller Lenz los. „Ja wos soi i do sag`n? Z`letzt war er scho a weng gebrechlich, aber er war ja a scho über Achzge.“

Happinger hörte seinem Mandanten gespannt zu. Er ließ ihn eine Viertelstunde lang reden, und kritzelte Notizen auf ein Blatt Papier. Als sein Gegenüber schließlich wieder genau an dem Punkt angelangt war, wo es darum ging, dass wie aus dem Nichts die Frau auftauchte und mit ihr ein Testament des Onkels, nach welchem sie die alleinige Erbin sein sollte, unterbrach ihn Happinger.

„Also, fassen wir einmal zusammen.“ sagte er.

Der Gfäller Lenz wollte aber unbedingt noch etwas loswerden. Seine Stimme überschlug sich fast, so aufgeregt war er.

„De verlog`ne Schlanga hod ma sogar an Briaf g`schriebn und behauptet, sie häd gor nix gwusst von am Testament! Wos sog `n jetzt Sie do dazua?“

Seine Hand zitterte vor Wut, als er den Brief Happinger überreichte.

Der nahm ihn und las, was Mara Betrucci dem Gfäller Lenz zwei Monate nach Schorschs Tod geschrieben hatte:

„25.4.1996 - Lieber Lenz, ich sitze hier und weiß nicht wie ich letztendlich beginnen soll. Ich habe eine Ladung vom Nachlassgericht Traunstein wahrgenommen. Um 8 Uhr früh musste ich erfahren, dass der Schorsch mich mit seinem Testament vom 1.05.1994 zu seiner Alleinerbin – mit allen Rechten und Pflichten – bestimmt hat. Aus dem Testament geht eindeutig hervor, dass Schorsch sein anderes Testament widerrufen hat. Ich bin tief erschüttert über diese Begebenheit und kann mir gut vorstellen, wie es in Euch ausschauen mag. Ihr alle werdet ja das Testament in Abschrift bekommen! Schorsch hatte mir gegenüber nie ein Wort geäußert. Umso betroffener bin ich nunmehr! Ich kann für seinen letzten Willen nichts und werde diesen nach bestem Wissen und Gewissen erfüllen. Herzliche Grüsse Mara Betrucci“

Happinger legte das Schriftstück zur Seite. „Das nehme ich zur Akte. Dem Gericht werde ich es zum richtigen Zeitpunkt als wichtiges Beweisstück vorlegen“, sagte er.

„Und wissen S‘ was des Beste is?“ fragte der Lenz und gab gleich selbst die Antwort:

„I hob erfahr`n, dass de Betrucci von dem Testament scho seit Mai 1994 g`wusst hod!“

Happinger horchte auf. Damit war das, was die Betrucci seinem Mandanten im April 1996 geschrieben hatte, nichts anderes als eine dreiste Lüge, mit welcher sie die gesetzlichen Erben und allen voran den Gfäller Lenz zu besänftigen suchte, noch bevor diese über das Gericht von der Existenz und vom Inhalt des Testaments erfuhren.

„Die Frau scheint ja wirklich mit allen Wassern gewaschen zu sein. Halten wir doch jetzt mal unsere bisherigen Erkenntnisse fest“, sagte Happinger, griff zum Mikrofon des vor ihm auf dem Schreibtisch stehenden Diktiergeräts und sprach auf Band die folgende

Aktennotiz zur Nachlasssache Gfäller

1

Wert des Nachlasses bestehend aus einem Landwirtschaftlichen Betrieb (Berghof in Alleinlage mit Wiesen, Wäldern, Almen):

Mindestens zwei Millionen DM, möglicherweise aber sogar das Doppelte oder Dreifache.

2

Erblasser: *9.9.1915/ +23.2.1996, als Landwirt zuletzt nicht mehr aktiv gewesen, lebte auf dem Hof allein, scheuer Mann, ließ niemanden ins Haus, ging nicht mehr hinunter ins Dorf, nahm Hilfe von Neffe Gfäller Lenz nur widerwillig an, Geschäftsfähigkeit /Testierfähigkeit war im Mai 1994 möglicherweise schon nicht mehr gegeben

3

Verwandte des Erblassers: keine Ehefrau, keine Kinder, nur noch eine von ehemals acht Geschwistern am Leben (=ältere Schwester),

insgesamt acht Geschwisterkinder, von denen eines der Neffe Lenz Gfäller ist. Nach Gesetz würde Letzterer 1/4 des Nachlasses erben.

4

Testament vom 1.5.1994 mit Unterschriften „Schorsch Gfäller“+ „H. Kreisler“ + „F. Stade“

5

Testament vom 1.Mai 1994 - Inhalt:

„Mein letzter Wille >>> Ich Schorsch Gfäller Landwirt ledig geb. am 9.9.1915 in Lehen 1 Anderdorf im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte setze hiermit meine seit siebeneinhalb Jahren tätige Betreuerin Mara Betrucci geb. 15.8.1935, Frodersham Kneisslweg zu meiner Alleinerbin über mein gesamtes Vermögen ein. Alle meine letztwilligen Verfügungen widerrufe ich hiermit. Pflichterben habe ich keine.

Lehen, den 1.Mai 1994 Unterschrift Schorsch Gfäller

Zeugenunterschriften H. Kreisler / F. Stade“

6

Nachforschungen des Mandanten bzgl Mara Betrucci:

Mara Betrucci. sucht planmäßig das Vertrauen vermögender Menschen zu gewinnen, um sich dann an ihnen zu bereichern. Vorzugsweise hat sie es auf allein lebende, vermögende, alte Bauern abgesehen, die ihrer scheinbaren Liebenswürdigkeit auf den Leim gehen. M.B. wusste seit Mai 94 von Testament zu ihren Gunsten. In BF April 96 bestreitet sie es.

Ende der Gesprächsnotiz

Happinger legte das Mikro zurück in die Halterung am Gerät, rief Fräulein Prezz herein und übergab ihr das Band. „Bitte lassen Sie das gleich schreiben. Einmal für die Akte und einmal für unseren Herrn Gfäller“, trug er ihr auf.

„Und?“ fragte der Gfäller, als Fräulein Prezz wieder draußen war.

Gerne hätte er jetzt sofort von Happinger gehört, dass das Gericht bestimmt die Unwirksamkeit des Testaments feststellen und folglich der Betrucci keinen Erbschein erteilen würde.

So einfach war die Sache aber nicht.

Happinger lehnte sich in seinem Sessel weit zurück, verschränkte die Arme und richtete seinen Blick auf die Maserung des dunklen Palisanderholzes, die der polierten Oberfläche seines Schreibtisches das lebendige Aussehen gab. Er dachte nach.

„Er denkt nach!“ Das sah jetzt auch der Gfäller Lenz ganz genau. Während er darauf wartete, was dem Anwalt einfallen könnte, wanderte sein Blick zu den links von ihm auf den Marmor-Fensterbänken stehenden Topfpflanzen. „Calathea makoyana nennt man sie oder auch Korbmaranten“, bemerkte Happinger beiläufig. Er liebte diese brasilianischen Pflanzen ganz besonders wegen der wie von Künstlerhand bemalten zungenförmigen Blätter. Ein Mandant, dem das Schöne auffiel und der das anscheinend ähnlich empfand wie er, war ihm allein schon aus diesem Grund sympathisch.

Bei der verzwickten Rechtslage, die sich in dem Fall auftat, überlegte Happinger hin und her, wie er seinem Mandanten helfen konnte.

Mehrere Ansatzpunkte zog er in Betracht und verwarf sie wieder, weil es schlicht an gerichtsfesten Grundlagen fehlte; jedenfalls jetzt fehlten sie noch.

Der Gfäller Lenz übte sich inzwischen weiter in Geduld. Er hatte sich jetzt den drei Bildern an der gegenüber liegenden Wand zugewandt. Happingers Söhne hatten die lustigen Bilder mit Wachsmalstiften gemalt und der väterliche Stolz war wohl der Grund dafür gewesen, dass sie prächtig gerahmt hier hingen.

„Das sind unverkäufliche Kunstwerke!“ sagte er und erklärte dazu auch gleich, welche Künstler sie geschaffen hatten. „Ja sowas“, meinte der Gfäller Lenz, „alle Achtung!“ Small-Talk lag ihm nicht. Inständig hoffte er wohl, dass sich Happingers Miene mit einem Mal aufhellen könnte, dass mit einem Lichtblitz der rettende Einfall direkt vom Himmel auf den Anwalt niedersausen würde. Nichts sehnlicher erwartete er als die Worte:

„Ich hab`s! Wir werden Erfolg haben!“

Stattdessen resümierte Happinger nach einer weiteren spannenden Minute des Wartens: „Es reicht noch nicht! Überlegen wir nochmals, was wir an trockener Munition zur Verfügung haben oder was wir noch brauchen, um im Falle einer von uns erklärten Anfechtung des Testaments Erfolgsaussichten zu haben.“

Er verwendete bewusst das Wort Munition. Die recht martialische Ausdrucksweise war bei seinen Mandanten immer gut angekommen. Sie regte die Phantasie der Mandanten an. Diese waren meist verärgert über den Gegner, mit dem sie es zu tun hatten, und daher geneigt, der gegnerischen Seite eine Salve auf den Pelz zu brennen. Was dem Gfäller Lenz für die Frau Betrucci eingefallen wäre, mochte Happinger sich gar nicht erst vorstellen.

„Überlegen wir mal gemeinsam, wo wir gute Angriffspunkte finden können“, sagte er.

„Urkundenfälschung?“

„Was meinen Sie, Herr Gfäller, hat Ihr Onkel das Testament wirklich mit eigener Hand geschrieben?“

„Schaugt so aus, aber glam ko i des net, weil da Onkel gar nia net ebbas g`schriebn hod!“ meinte der Gfäller Lenz.

Happinger sah die Problematik dieser Worte.

„Wenn wir behaupten, dass es gefälscht ist, dann müssen wir das auch beweisen können. Haben Sie nicht doch noch irgendwo ein Schriftstück mit der Handschrift Ihres Onkels?“ wollte er wissen. „Wenn es so wäre, könnten wir beantragen, dass das Gericht einen Schriftsachverständigen beauftragt, die Schriften zu vergleichen.“

Der Gfäller Lenz wischte sich schon wieder den Schweiß von der Stirn. Er war wütend, weil die Betrucci anscheinend auch hier sehr listig und blitzschnell gehandelt hatte.

„Schaugt schlecht aus!“ sagte er und fügte geknickt hinzu:

„Glei nachdem i erfahrn hob, dass da Onkel tot is, war i aufm Hof, aber vor mia war scho ebba anderer do. I woid vor allem des Testament find`n, weil da Onkel doch gsogt hod, dass a an mi denga werd, aber es war überhaupt nix Geschriebns z`find`n.“

„Fehlanzeige!“ dachte Happinger.

Wenn nun überdies auch bei bisher unbekannten Dritten keine Briefe des Erblassers aufbewahrt wurden und allenfalls da und dort eine von ihm geleistete Unterschrift aufgefunden wurde, so wäre ein Schriftenvergleich zur Aufdeckung einer Fälschung schlicht unmöglich. „Ja, lieber Herr Gfäller, wenn nichts da ist zum Vergleichen, werden wir mit der Behauptung, das Testament sei gefälscht, voraussichtlich keinen Erfolg haben“, belehrte er ihn. Doch bevor ihm der Gfäller Lenz vor Enttäuschung vom Stuhl kippte, fügte Happinger hinzu: „Wahrscheinlicher als eine Urkundenfälschung ist aber doch, dass Frau Betrucci und ihre Helfer es darauf angelegt und geschafft haben, Ihren Onkel massiv zu beeinflussen, und zwar so sehr, dass er vermutlich mit Hilfe dieser Leute das Testament geschrieben und es ihnen auch gleich zur Aufbewahrung anvertraut hatte. Wir sollten uns deshalb von der Behauptung einer Urkundenfälschung nicht viel erhoffen und vielmehr mit der Behauptung auftreten, dass der Onkel nicht testierfähig war.“

„Des vastäh i ned!“ sagte der Gfäller Lenz.

Happinger erklärte: „Wenn Ihr Onkel wegen einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit vom Einfluss Dritter so abhängig war, dass er einen freien Willen gar nicht mehr entfalten konnte, war er nicht testierfähig. In so einem Fall wäre das Testament ungültig.“

Happinger musste freilich auch hier sofort wieder einschränkend hinzufügen, dass es im Nachhinein, also nach dem Tod des Onkels und zwei Jahre nach dem Entstehungsdatum des Testaments, sehr schwierig sein dürfte, eine Geistesstörung und damit die Nichtigkeit des Testaments zu beweisen.

„Wie war es denn vor etwa zwei Jahren? War Ihr Onkel da noch klar im Kopf oder war er schon öfter auch mal verwirrt?“ fragte Happinger.

„Ja mei, a weng seltsam war des scho, wenn a zum Beispui bei da Mahd barfuassad und bloß in seiner gestrickt`n kurzn Hos`n in da Wies`n rumgrennt is. Weder kammped no rasiert hod a si`und do san hoid seine weißen Hoor oiwei länga worn. Es war eam aba wurscht, wiara ausschaugt, weil eam d`Leit wurscht warn. Er hod ja a kaum mit oam gredt. Aber dass a gspunna hätt`, na, des kannt`i ned sog`n“, meinte der Gfäller Lenz und ergänzte noch: „A de Doktor hod a g`scheicht. De hom eam hächst`ns amoi an Verband oleg`n derfa oder deam a Pflaster, wenn a si`amoi g`schnittn hod; ja und oimoi hod a si s`Bluat obnehma lass`n, aber des war a scho ois.“

Happinger notierte sich auch das. Er nahm sich vor, neben dem voraussichtlich nicht haltbaren Einwand der Fälschung auch den Einwand der Testierunfähigkeit zu erheben, auch wenn erhebliche Beweisschwierigkeiten abzusehen waren. Wie sollten Ärzte auch ein Gutachten erstellen können, welches aussagt, dass der verstorbene Erblasser an einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit litt, als er Jahre zuvor das Testament schrieb. Wenn aber der Mandant gewillt war, einen Prozess zu wagen, bei dem aktuell noch kein Erfolg in Aussicht gestellt werden konnte, so mussten jedenfalls alle denkbaren Register gezogen werden.

Urkundenfälschung, Testierunfähigkeit oder was noch?

Sollte es in diesem Fall noch einen weiteren Einwand geben, mit dem er am Ende eine für seinen Mandanten günstige Entscheidung des Gerichts herbeiführen konnte?

Die Geschichte von der freundlichen Dame, die mit ihren Bekannten eigentlich nur Heilwasser an der Quelle holte, dann den alten Mann traf, für den sie aus reiner Nächstenliebe ab und an Besorgungen machte, und der der Alte dann aus reiner Sympathie, aus freien Stücken und ohne dass sie davon wusste, durch Testament seinen Besitz vermachte, stank zum Himmel. Happinger hatte einen besonders ausgeprägten Geruchssinn in solchen Sachen. Es stank hier aus der Tiefe; von da her, wo bisher noch nicht gegraben wurde. Wieder einmal bedauerte Happinger, dass er es nicht so einfach hatte, wie der Anwalt in den Fernseh-Sendungen „Ein Fall für Zwei“. Diesem verschaffte der gewitzte Detektiv Josef Matula regelmäßig die für die Strafverteidigung dringend benötigten Beweise. Doch anders als der Fernsehanwalt übernahm Happinger höchst selten Strafverteidigungen. Er hatte es weitgehend aufgegeben, seit er als junger, noch unerfahrener Anwalt selbst mitten in das Räderwerk der Justiz geraten war.

Versuchte Strafvereitelung und versuchte Verleitung zur Falschaussage hatten sie ihm damals vorgeworfen, nachdem er sich erlaubt hatte, die Hauptbelastungszeugin in einem Strafverfahren außerhalb des Verfahrens zu befragen. Er hatte ganz einfach die Wahrheit herausfinden und die junge Frau der Lüge und der falschen Anschuldigung überführen wollen, nachdem sein Mandant ihm versicherte hatte, ihre Beschuldigungen seien die reine Phantasie und eine böswillige Verleumdung.

Der Staatsanwalt und mit ihm das Gericht hatten die Befragung mit Argwohn gesehen und sich nun auf ihn, den Strafverteidiger, gestürzt. Sie hatten ihn mit einer Anklage überzogen, und er hatte sich nun auch selbst verteidigen müssen. Obwohl das Verfahren für Happinger damals mit Freispruch endete, war es für ihn wie ein Spießrutenlauf gewesen, ein grausames Initiationsritual zu Beginn seiner Anwaltskarriere.

„Nie wieder eine Strafverteidigung!“ hatte er sich damals geschworen.

Seitdem war er fast nur noch auf Spezialgebieten des Zivilrechts tätig gewesen. In Zivilsachen wurde nur selten ein Detektiv beauftragt. Es ging hier um Geldforderungen und Vermögenswerte. Selten waren sie so hoch, dass der Mandant sich zur Beschaffung von Beweisen einen Detektiv leistete.

Im vorliegenden Fall hatte Happinger dem Gfäller Lenz die Beauftragung eines Detektivs nahegelegt, denn für die formell erklärte Anfechtung des Testaments, die er als weiteres Angriffsmittel in Betracht zog, brauchte er einen handfesten Anfechtungsgrund, der dem Gericht dargelegt werden musste und der auch bewiesen werden musste.

Happinger erklärte es dem Gfäller Lenz:

„Wenn Ihr Onkel durch Dritte, also etwa durch die Personen, die das Testament als Zeugen unterschrieben haben, massiv beeinflusst oder gar unter Druck gesetzt wurde, wie Sie vermuten, dann könnten wir mit einer Testamentsanfechtung erreichen, dass das Testament am Ende durch Gerichtsurteil für ungültig erklärt wird.

Wir müssen dieses Vorgehen der Betrucci und ihrer Helfer freilich auch beweisen können, und darüber hinaus auch noch, dass Ihr Onkel ohne diese Beeinflussung die Betrucci nicht als Erbin eingesetzt hätte.“

„Ja, dann mach ma so a Anfechtung! Beweise kriag i scho zsamm!“ sagte der Gfäller Lenz und schlug mit der Faust auf den Tisch.

Happinger bewunderte die Zuversicht seines Mandanten. Von den vielen schlauen Büchern über die Wirkung des positiven Denkens hatte der Lenz vermutlich kein einziges gelesen, und doch glaubte er fest daran, dass am Ende die Betrucci vor Gericht unterliegen würde.

„Also, dann brauche ich eine Vollmacht von Ihnen“. Happinger schob seinem Mandanten den Kugelschreiber und das Vollmachtformular über den Tisch.

Der Lenz setzte schwungvoll zum Unterschreiben an, hielt aber nochmals kurz inne. „Wiavui Vorschuss muaß i Eana jetzt dann überweisen?“ fragte er.

„Was geht denn?“ fragte Happinger zurück.

Schließlich einigten sie sich auf Tausend, was bei dem hohen Streitwert in dieser Sache wenig war. Der Gfäller Lenz schob das unterschriebene Formular zurück.

Er wirkte sichtlich erleichtert. Beim Hinausgehen sagte er noch: „I bring Eana no so vui Informationen und Zeugen, dass ma de Betrucci mitsamt ihram Testament zum Deifi schicka kenna und ihre Helfer a glei dazua.“

Happinger nickte zustimmend. Als der Gfäller Lenz gegangen war, fasste er die Ergebnisse zusammen. Es sah noch nicht erfolgversprechend aus. Es brauchte viel Mut und Kampfgeist, wenn man gegen das bestehende Testament ankämpfen wollte, denn es gab nur Verdachtsmomente. Der Gfäller Lenz wusste sehr genau, dass es ein langwieriger, risikoreicher Kampf werden konnte, aber dazu war er bereit.

„Warum“, dachte Happinger, „ist er mit diesem Fall ausgerechnet zu mir gekommen?“

Es gab einige Anwälte in der Gegend, die sich auf das Erbrecht spezialisiert hatten, während er vor allem baurechtliche und bankrechtliche Mandate übernahm, und eben nur gelegentlich auch ein erbrechtliches Mandat, wenn es dafür besondere Gründe gab.

Happinger zweifelte nicht daran, dass der ihm anvertraute Erbrechtsfall beherrschbar war. Eine wohlüberlegte Verfahrensstrategie, Durchhaltevermögen, gründliches Arbeiten und das immer erforderliche Quäntchen Glück in der Sache konnte zum Erfolg führen; da war er sich sicher.

Gelegentlich wollte er den Gfäller Lenz fragen, was ihn in seine Kanzlei geführt hatte.

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