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Kapitel 7 – Kein Erbschein für Frau Betrucci

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Gleich nach der letzten Besprechung hatte der Gfäller Lenz die Vollmachten seiner drei Vettern und seiner zwei Basen vorbeigebracht. Tags darauf ließ sich Happinger die Akte zum Erbfall Gfäller vom Nachlassgericht Rosenheim geben. Er sah, dass das Testament bei Gericht eröffnet wurde. Frau Betrucci hatte die Erteilung eines Erbscheines beantragt. Den gesetzlichen Erben hatte das Gericht eine Frist bis 30.5.1996 gesetzt innerhalb derer sie Einwendungen bei Gericht vortragen konnten. Happinger machte sich sofort an die Arbeit. Zwei Tage vor Ablauf der Frist teilte er dem Gericht schriftlich mit, dass er für Lenz Gfäller und fünf weitere gesetzliche Erben die Unwirksamkeit des Testaments aus mehreren Gründen geltend mache.

Zum einen sei das Testament nicht vom Erblasser selbst geschrieben worden. Sollte sich wider Erwarten herausstellen, dass es seine Handschrift sei, so habe ihm jedenfalls der erforderliche ernsthafte Testierwille gefehlt. Auch sei der Erblasser zum damaligen Zeitpunkt längst testierunfähig gewesen. Er habe sich in einem Zustand erheblicher Willensschwäche und überdies in einer psychischen Zwangslage befunden, welche Frau Betrucci oder deren Helfer herbeigeführt und ausnutzt hätten. Nach alledem müsse das Testament als sittenwidrig und nichtig angesehen werden.

Zur Begründung dieser Einwendungen verwies Happinger auf § 138 des Bürgerlichen Gesetzbuches und auf Erklärungen von Personen, die den verstorbenen Gfäller Schorsch in seinen letzten Lebensjahren gekannt hatten. Dem Gfäller Lenz war es gelungen, dieses Material gerade noch rechtzeitig beizubringen. Daraus konnte nach Happingers Einschätzung durchaus der vorläufige Schluss gezogen werden, dass das Testament vom Erblasser in einem Zustand geschrieben wurde, in welchem eine freie Willensbildung ausgeschlossen war.

Der Schriftsatz hatte die erwünschte Wirkung. Fürs Erste erreichte Happinger bei Gericht, dass Frau Betrucci den Erbschein nicht bekam.

Ohne diesen konnte sie den Gfäller-Hof weder verkaufen, noch konnte sie ihn beleihen, um an Bankdarlehen zu kommen.

Happinger hatte damit starke Argumentations-Geschütze aufgefahren und diese so in Stellung gebracht, dass die Bedrohung fürs Erste abgewendet war.

Aber reichte die Munition? Er hielt die Tatsachen und Beweise, welche bislang gegen die Wirksamkeit des Testaments sprachen, noch nicht für ausreichend, aber vielleicht schaffte es ja der optimistische Gfäller Lenz, noch weiteres Material zu beschaffen.

Hauptsache, es war vorerst das Schlimmste verhindert.

Betruccis Anwalt verhielt sich so, wie es seine Mandantin von ihm erwartete.

Unter Berufung auf mehrere von ihm vorgelegte Eidesstattliche Versicherungen hielt er dagegen, das Testament sei nicht zu beanstanden.

Der Erblasser sei sehr wohl testierfähig gewesen. Er habe die Frau Betrucci aus reiner Sympathie als Alleinerbin eingesetzt. Der Nachlasswert sei von Happingers Mandanten fälschlich mit nur 2,0 Mio DM angegeben worden, um das von ihnen vermutlich genau erkannte Prozesskostenrisiko zu vermindern. Der richtige Wert läge nach seiner und nach Expertenmeinung bei 5,75 Millionen DM.

„Anwaltsfreundliche Argumentation“ dachte sich Happinger, als er das las, denn aus dem höheren Wert ergaben sich, wie er wusste, erheblich höhere Anwaltsgebühren für die beteiligten Anwälte. Er entschied sich, das streitig stehen zu lassen. Irgendwann würde sich der wahre Wert schon herausstellen. Spätestens am Ende des Verfahrens war ja ein Streitwertbeschluss des Gerichts zu erwarten.

Der gegnerische Anwalt, also Betruccis Anwalt, stellte seine Mandantin als rühmliches Beispiel der Nächstenliebe heraus. Zufällig habe sie im Frühjahr 1987 den Schorsch kennengelernt. Dieser habe auf der Bank vor seinem Haus gesessen, als sie ganz in der Nähe an der Quelle Wasser holte. Sie sei dann zu ihm rüber gegangen, habe sich zu ihm gesetzt und er sei darüber hoch erfreut gewesen. Später habe sie ihm bei jedem Quellenbesuch etwas zu essen gebracht und ihm Gesellschaft geleistet. Seine Mandantin habe das über viele Jahre hinweg so gemacht, weil der Alte so einsam gewesen sei.

An den Verwandten des Erblassers ließ der gegnerische Anwalt kein gutes Haar.

Sie hätten sich nie bei ihrem Onkel blicken lassen. Dieser habe seine Verwandten auch nicht gemocht. „Wundert es uns dann“, fragte er, „wenn der Erblasser sich dankbar erweisen wollte, als er im Mai 1994 sein Testament schrieb und meine Mandantin darin als Alleinerbin einsetzte?“.

„Gut gebrüllt Löwe“, dachte Happinger, „nur wusste der Alte halt nicht, dass die Betrucci einzig und allein im Sinn hatte, sein gesamtes Hab und Gut zu bekommen und damit den Hof und die weithin bekannte Quelle.

Diese Wasserquelle war höchst geheimnisvoll.

Um sie rankte sich die mysteriöse Geschichte der Wasser-Mari, die zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts als Bauerntochter auf dem Gfäller-Hof lebte.

Der Gfäller Lenz hatte Happinger davon erzählt. In seiner Familie war oft darüber geredet worden, dass die Mari ein sehr frommes Kind gewesen sei. Sie habe die Schwarzen Blattern bekommen, sei aber daran nicht gestorben. Alle hätten damals geglaubt, die Mari wäre von der Muttergottes und dem Quellwasser geheilt worden. Und dann sei etwas geschehen, was sich überhaupt niemand mehr erklären konnte.

Die Mari habe nur noch gebetet und über fünf Jahrzehnte hinweg außer dem Wasser von der Quelle nichts getrunken und nichts gegessen. Eigentlich, so hatte der Gfäller Lenz gemeint, müsste Happinger davon schon gehört haben, da es sogar ein Buch dazu gebe.

Happinger kannte das Buch. Der weit über den Chiemgau hinaus bekannte und beliebte Volksliedersammler und Musiker Wastl Fanderl hatte es in den 60er Jahren geschrieben und damit die Geschichte der Mari bei den Leuten wieder in Erinnerung gebracht.

Aber Happinger hörte dem Gfäller Lenz gerne zu und so ließ er ihn weiter erzählen, wie seinerzeit sogar die Herzogin von Modena und seine Majestät, König Ludwig der Erste, von Schloss Wildenwart herüber kamen, um die Wasser-Mari zu besuchen, wie viele Jahre später die Mari ganz friedlich gestorben sei und wie sich bald schon niemand mehr an die wundersame Geschichte erinnerte. Erst seit Mitte der 60er Jahre, nachdem der Wastl Fanderl durch sein Buch das geheimnisvolle Leben der Wasser-Mari in Erinnerung brachte, sei die Quelle wieder für viele interessant geworden. Da habe man dann ein Quellenhaus gebaut und eine Mariengrotte.

Happinger konnte sich gut vorstellen, wie sich Mara Betrucci und ihre Bekannten in den 80er und 90er Jahren an dieser Mariengrotte das Wasser holten. Wie es aber der Frau Betrucci und ihren Helfern gelungen war, mit dem ganz in der Nähe allein auf seinem Hof lebenden Gfäller Schorsch ins Gespräch zu kommen, das blieb vorerst noch im Dunkeln. Die Geschichte, die der Gegenanwalt dem Gericht auftischte, erschien ihm nicht glaubhaft.

Der Gfäller Lenz ärgerte sich fürchterlich als er den Schriftsatz des Gegenanwalts las.

Er kannte seinen Onkel am besten, und keiner wusste besser als er, wie menschenscheu der alte Mann war.

„Alles g`logn!“ war sein Kommentar.

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